Nichtannahmebeschluss: Erfolglose Verfassungsbeschwerden in einer Steuersache
Gesetze: Art 3 Abs 1 GG, Art 101 Abs 1 S 2 GG, § 23 Abs 1 S 2 BVerfGG, § 92 BVerfGG
Instanzenzug: Az: IX B 67/21 Beschlussvorgehend Az: 5 K 5098/17 Urteilvorgehend Az: IX B 114/18 Beschlussvorgehend Az: 5 K 5185/17 Urteilvorgehend Az: IX B 114/19 Beschlussvorgehend Az: 5 K 5098/17 Urteilvorgehend Az: IX B 1/22 Beschlussvorgehend Az: 5 K 5009/20 Urteilvorgehend Az: IX B 54/17 Beschlussvorgehend Az: 5 K 5045/16 Urteil
Gründe
I.
1Der Beschwerdeführer begehrte im Rahmen seiner Veranlagung zur Einkommensteuer auch die Berücksichtigung eines Auflösungsverlustes aufgrund der im Jahr 2005 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen von zwei Gesellschaften. Da sich hieraus in der Folge noch erhebliche verrechenbare Verlustvorträge ergäben, beantragte er im Hinblick auf die erklärungsgemäß festgesetzte Einkommensteuer für 2008 die Stundung der Steuerschuld. Einen ausdrücklichen Einspruch gegen den Bescheid für 2008 legte der Beschwerdeführer nicht ein.
2Die Verluste wurden im Einkommensteuerbescheid 2007 nicht anerkannt. Daher begehrte der Beschwerdeführer im Laufe der gegen einen Änderungsbescheid für 2008 und die Erstbescheide für 2009 bis 2013 geführten Einspruchsverfahren die Berücksichtigung des Auflösungsverlustes und dessen gesonderte Feststellung in 2008. Die Einsprüche blieben im Wesentlichen wegen entgegenstehender Bestandskraft des Ausgangsbescheids für 2008 und der nur beschränkten Anfechtbarkeit des geänderten Einkommensteuerbescheides erfolglos.
3In den dagegen gerichteten Klageverfahren hat der Beschwerdeführer vorgetragen, sein Stundungsantrag sei als Einspruch zu werten, so dass der Steuerbescheid für 2008 nicht bestandskräftig geworden sei. Dies folge schon daraus, dass ihm hinsichtlich dieses Bescheids eine Aussetzung der Vollziehung gewährt worden sei, was nur in Betracht komme, wenn auch ein Einspruch vorliege.
4Das Finanzgericht hat seine Klagen in den Verfahren über die Einkommensteuer für 2008 bis 2013 und eine Feststellung des Verlustvortrags zum jeweils abgewiesen. Auch die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision wegen Einkommensteuer 2008 bis 2013 beim Bundesfinanzhof ist erfolglos geblieben. Im Verfahren betreffend die Verlustfeststellung hatte die Nichtzulassungsbeschwerde zwar aus verfahrensrechtlichen Gründen Erfolg; der Bundesfinanzhof hat das Urteil des Finanzgerichts aufgehoben und zur erneuten Entscheidung zurückverwiesen, da das Finanzgericht die Urschrift seines Urteils nicht mit den Akten an den Bundesfinanzhof übersandt hatte. In seinen Entscheidungsgründen hat der Bundesfinanzhof darauf hingewiesen, dass eine Umdeutung eines Stundungsantrags in einen Einspruch nicht ausgeschlossen, sondern vielmehr einzelfallabhängig sei und sich das Finanzamt an einer gewährten Aussetzung der Vollziehung festhalten lassen müsse. Nach Zurückweisung der Sache hat das Finanzgericht aber für den vorliegenden Rechtsstreit eine Umdeutung ausgeschlossen und auch eine Bindung aus Treu und Glauben verneint. Die gegen diese finanzgerichtliche Entscheidung zum Bundesfinanzhof erhobene Nichtzulassungsbeschwerde ist erfolglos geblieben. Anhörungsrügen sind als unbegründet zurückgewiesen worden.
5Im Hinblick auf die in 2008 begehrte Verlustberücksichtigung und die sich hieraus ergebenden Verlustvorträge hat der Beschwerdeführer später klageweise eine Wiederaufnahme des Verfahrens angestrengt. Ihm sei erst im Nachgang ein Telefonat zwischen dem Einzelrichter und dem Finanzamt rund eine Woche vor der mündlichen Verhandlung des Finanzgerichts bekannt geworden, von dem er zuvor keine Kenntnis erhalten habe, was aber eine Besorgnis der Befangenheit begründe. Auch insoweit ist der Beschwerdeführer in beiden Instanzen erfolglos geblieben.
II.
6Der Beschwerdeführer sieht seine Rechte auf ein faires Verfahren (aus Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 20 Abs. 3, Art. 97 Abs. 1 und Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG), das Rechtsstaatsprinzip, das Willkürverbot (Art. 3 GG), das rechtliche Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG), die Rechtsweggarantie (Art. 19 Abs. 4 GG), Art. 20 Abs. 3 GG i.V.m. Art. 13 EMRK sowie den Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit (Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) als verletzt.
III.
71. Die Verfassungsbeschwerden werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden, weil sie sich in der Sache gegen inhaltlich zusammenhängende Hoheitsakte richten (vgl. BVerfGE 12, 205 <223> zu §§ 66, 69 BVerfGG).
82. Die Verfassungsbeschwerden sind nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil sie unzulässig sind. Sie genügen offensichtlich nicht den Anforderungen von § 23 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1, § 92 BVerfGG, da eine Verletzung von Rechten im Sinne des § 90 Abs. 1 BVerfGG nicht substantiiert dargelegt ist.
9a) Das gilt zunächst in allen Verfahren hinsichtlich der Rüge von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG.
10aa) Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG schützt den Anspruch des Bürgers auf eine Entscheidung seiner Rechtssache durch den hierfür von Gesetzes wegen vorgesehenen Richter (vgl. BVerfGE 22, 254 <258>). Damit soll die Unabhängigkeit der Rechtsprechung gewahrt und das Vertrauen der Rechtsuchenden und der Öffentlichkeit in die Unparteilichkeit und Sachlichkeit der Gerichte gesichert werden (vgl. BVerfGE 95, 322 <327>). Die Verfassungsnorm garantiert, dass der Rechtsuchende im Einzelfall vor einem Richter steht, der unabhängig und unparteilich ist und die Gewähr für Neutralität und Distanz gegenüber den Verfahrensbeteiligten bietet (vgl. BVerfGE 10, 200 <213 f.>; 21, 139 <145 f.>; 30, 149 <153>; 40, 268 <271>; 82, 286 <298>; 89, 28 <36>).
11Eine Entziehung des gesetzlichen Richters im Sinne von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG durch die Rechtsprechung, der die Anwendung der Zuständigkeitsregeln und die Handhabung des Ablehnungsrechts im Einzelfall obliegt, kann nicht in jeder fehlerhaften Rechtsanwendung gesehen werden; andernfalls müsste jede fehlerhafte Handhabung des einfachen Rechts zugleich als Verfassungsverstoß gelten (vgl. BVerfGE 82, 286 <299>). Das Bundesverfassungsgericht prüft daher nicht, ob tatsächlich die Besorgnis der Befangenheit bestanden hat, sondern nur, ob die angegriffene Entscheidung spezifisches Verfassungsrecht verletzt hat (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom - 2 BvR 1122/22 -, Rn. 25). Die Grenzen zum Verfassungsverstoß sind jedenfalls überschritten, wenn die Auslegung einer Zuständigkeitsnorm oder ihre Handhabung im Einzelfall willkürlich oder offensichtlich unhaltbar sind oder wenn die richterliche Entscheidung Bedeutung und Tragweite der Verfassungsgarantie des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG grundlegend verkennt (vgl. BVerfGE 82, 286 <299>; BVerfGK 5, 269 <280>; 12, 139 <143 f.>). Ob die Entscheidung eines Gerichts auf Willkür, also auf einem Fall grober Missachtung oder grober Fehlanwendung des Gesetzesrechts (vgl. BVerfGE 29, 45 <49>; 82, 159 <197>), beruht oder ob sie darauf hindeutet, dass ein Gericht Bedeutung und Tragweite der Verfassungsgarantie des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG grundlegend verkennt, kann nur angesichts der jeweiligen Umstände des Einzelfalls beurteilt werden (vgl. BVerfGK 5, 269 <280>; 12, 139 <144>).
12bb) Ausgehend von diesen Maßstäben hat der Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG in den Verfahren 1 BvR 845/23 und 1 BvR 1553/23 nicht dargetan.
13Der Beschwerdeführer sieht die Befangenheit des Einzelrichters bzw. des Senats jeweils darin begründet, dass das Finanzgericht die Gerichtsakte im ersten Rechtszug betreffend die Verlustfeststellung nur unvollständig, ohne die Urschrift des Urteils, an den Bundesfinanzhof übersandt hatte; weitere Aktenmanipulationen seien daher zu befürchten gewesen. Mit diesem Vortrag ist jedoch eine willkürliche Handhabung der Ablehnung von Befangenheitsanträgen nicht dargelegt. Wie auch vom Beschwerdeführer nicht anders vorgetragen, beruhte dieses Vorgehen auf einer Allgemeinverfügung des ehemaligen Präsidenten des Finanzgerichts. Sie stellte damit eine - wenn auch verfahrensfehlerhafte - im Gericht allgemein gehandhabte Vorgehensweise dar. Dass angesichts dessen weitere Aktenmanipulationen der im Falle des Beschwerdeführers erneut berufenen Richter erfolgt oder zu befürchten gewesen wären, die den Anschein der Befangenheit begründen könnten, ist nicht ersichtlich.
14cc) Aber auch im Verfahren 1 BvR 1653/23 ist der Vortrag nicht hinreichend substantiiert. Insbesondere lässt er nicht auf eine Befangenheit des Einzelrichters schließen. Zwar erscheint es grundsätzlich nicht ausgeschlossen, dass einseitige Telefonate zwischen einem Beteiligten und einem Mitglied des Gerichts die Gefahr der Befangenheit und hieraus resultierende Verletzungen von Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten bergen können, insbesondere wenn nicht alle Verfahrensbeteiligten von dem Gesprächsinhalt unterrichtet werden. Inwieweit es an einer hinreichenden Unterrichtung mangelt, führt der Beschwerdeführer aber nicht substantiiert aus. Er geht insbesondere nicht darauf ein, ob und wie weitgehend aus verfassungsrechtlicher Sicht bei der hier zugrundeliegenden Sachstandsanfrage überhaupt Mitteilungspflichten bestehen. Auch legt er den zeitlichen Ablauf nicht genügend dar. So hätte es mit Blick auf die zweiwöchige Ladungsfrist in § 91 Abs. 1 Satz 1 FGO Ausführungen dazu bedurft, wann die Ladung zu der nur rund eine Woche nach dem Telefonat durchgeführten mündlichen Verhandlung erfolgt ist und inwieweit im Falle einer dem Telefonat vorangehenden Ladung überhaupt der Anschein eines Vorziehens des Rechtsstreits begründet werden kann.
15b) Der Mangel an Substantiierung betrifft weiter die Rüge von Art. 3 Abs. 1 GG in Form des Willkürverbots.
16Ein Fachgericht verstößt nicht bereits dann gegen den Gleichheitssatz, wenn die angegriffene Rechtsanwendung oder das dazu eingeschlagene Verfahren fehlerhaft sind. Hinzukommen muss vielmehr, dass Rechtsanwendung oder Verfahren unter keinem denkbaren Aspekt mehr rechtlich vertretbar sind und sich daher der Schluss aufdrängt, dass die Entscheidung auf sachfremden und damit willkürlichen Erwägungen beruht; dabei enthält die Feststellung von Willkür keinen subjektiven Schuldvorwurf (vgl. für viele BVerfGE 83, 82 <84>; stRspr).
17Dass in den angegriffenen Entscheidungen der Verfahren 1 BvR 845/23 und 1 BvR 1553/23 die Versagung der Umdeutung des Stundungsantrags in einen Einspruch die Grenze zur Willkür überschreitet, ist nicht dargelegt. Zwar ist einfachrechtlich, worauf der Bundesfinanzhof - wenngleich ohne Bindungswirkung - in seiner Entscheidung über die Aufhebung und Zurückverweisung hingewiesen hat, eine solche Umdeutung je nach den Umständen des jeweiligen Sachverhalts grundsätzlich möglich. Dass das Finanzgericht ausgehend von den konkreten Umständen des vorliegenden Einzelfalls, insbesondere wegen der eindeutigen Formulierung der Erklärung des fachkundig beratenen Beschwerdeführers, eine solche Umdeutung des Stundungsantrags und letztlich daraus folgend auch eine Bindung aus Treu und Glauben gleichwohl verneint hat, ist nicht als schlechterdings unvertretbar dargetan. Dies gilt insbesondere mit Blick darauf, dass der fachkundig beratene Beschwerdeführer zunächst den Veräußerungsverlust im Jahr 2007 berücksichtigt wissen wollte, was zu einem amtswegig zu berücksichtigenden Verlustvortrag auch für das Folgejahr 2008 geführt hätte. Eine reine Stundungserklärung ließe sich gerade damit begründen. Dazu verhält sich der Beschwerdeführer indes nicht.
18c) Ferner ist die Rüge des Beschwerdeführers, in seinem aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG folgenden Recht auf ein faires Verfahren verletzt zu sein, nicht genügend substantiiert.
19Das Recht auf ein faires Verfahren enthält keine in allen Einzelheiten bestimmten Ge- oder Verbote; vielmehr bedarf es der Konkretisierung je nach den sachlichen Gegebenheiten. Eine Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren liegt erst dann vor, wenn eine Gesamtschau auf das Verfahrensrecht - auch in seiner Auslegung und Anwendung durch die Fachgerichte - ergibt, dass rechtsstaatlich zwingende Folgerungen nicht gezogen worden sind oder rechtsstaatlich Unverzichtbares preisgegeben worden ist (vgl. BVerfGE 57, 250 <275 f.>; 63, 45 <61>; 64, 135 <145 f.>; 70, 297 <308 f.>; 86, 288 <317 f.>; 122, 248 <272>).
20Dass die Finanzverwaltung abweichend von der Auffassung des Finanzgerichts nach diesem Maßstab etwa eine Pflicht getroffen hätte, den steuerrechtlich beratenen Beschwerdeführer auf eine Einspruchseinlegung als den sichersten Weg für eine Verlustnutzung hinzuweisen, erschließt sich aus dem Vortrag in den Verfahren 1 BvR 845/23 und 1 BvR 1553/23 nicht zureichend.
21d) Soweit der Beschwerdeführer weitere Grundrechtsverstöße rügt, legt er diese ebenfalls nicht hinreichend substantiiert dar.
22Von einer weiteren Begründung der Nichtannahme der Verfassungsbeschwerden zur Entscheidung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
23Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerfG:2025:rk20250820.1bvr084523
Fundstelle(n):
GAAAJ-99986