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BVerfG Urteil v. - 2 BvR 424/24

Stattgebender Kammerbeschluss: Verletzung des Willkürverbots (Art 3 Abs 1 GG) durch rechtlich nicht vertretbare Kostenentscheidung im Strafverfahren

Gesetze: Art 3 Abs 1 GG, § 93c Abs 1 S 1 BVerfGG, § 138 Abs 3 StPO, § 406e Abs 1 StPO, § 406f Abs 1 StPO

Instanzenzug: Az: 40 Qs 44/23 Beschlussvorgehend Az: 173 Gs 1395/23 Beschluss

Gründe

I.

11. Die Staatsanwaltschaft Hannover führte gegen zwei Beschuldigte ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Urkundenfälschung. Mit Schreiben vom beantragte der Geschädigte die gerichtliche Genehmigung des Beschwerdeführers als seinen Verletztenbeistand. Mit Beschluss vom genehmigte das Amtsgericht Hannover gemäß § 406f Abs. 1 in Verbindung mit § 138 StPO die Wahl des Beschwerdeführers als Beistand des Geschädigten. Hierzu führte es aus, es handele sich bei dem Beschwerdeführer um einen Studenten der Rechtswissenschaften, der als Familienangehöriger des Geschädigten dessen Vertrauen genieße. Im Hinblick auf den Gegenstand des Verfahrens und die Aufgaben des Verletztenbeistands sei das Tätigwerden eines Familienangehörigen, der über Rechtskenntnisse verfüge, mit den Belangen der Rechtspflege vereinbar.

22. Mit Verfügung vom stellte die Staatsanwaltschaft Hannover das Ermittlungsverfahren gegen beide Beschuldigte gemäß § 170 Abs. 2 StPO ein. Gegen diese Entscheidung legte der Beschwerdeführer mit Schreiben vom "namens und in Vollmacht des Geschädigten" Beschwerde ein und beantragte die Gewährung von Akteneinsicht durch Übersendung der Papierakten an seine Wohnanschrift. Nachdem die Staatsanwaltschaft gemäß Verfügung vom die beantragte Akteneinsicht abgelehnt und darauf hingewiesen hatte, dass jedoch dem Geschädigten Akteneinsicht in den Räumlichkeiten der Staatsanwaltschaft gewährt werden könne, beantragte der Beschwerdeführer mit Schreiben vom eine gerichtliche Entscheidung im Hinblick auf sein Akteneinsichtsgesuch.

33. Das Amtsgericht Hannover bestätigte daraufhin mit Beschluss vom die Entscheidung der Staatsanwaltschaft dahingehend, dass dem Beschwerdeführer als Verletztenbeistand ein Akteneinsichtsrecht aus § 406e Abs. 1 in Verbindung mit § 138 StPO nicht zustehe, das Akteneinsichtsrecht des Geschädigten hiervon aber unberührt bleibe. Die Kosten des Verfahrens legte das Amtsgericht dem Beschwerdeführer auf. Zur Begründung führte es aus, der Beschwerdeführer habe ausweislich seines Schreibens vom das Recht auf Übersendung der vollständigen Papierakten an seine Wohnanschrift ausdrücklich im eigenen Namen des Beistands und gemäß § 406e Abs. 1 StPO geltend gemacht. Der Antrag sei daher einer Auslegung dergestalt, dass hilfsweise Akteneinsicht an den Verletzten gemäß § 406e Abs. 3 StPO beantragt worden sei, nicht zugänglich. Demnach sei bereits fraglich, ob der Beschwerdeführer hier überhaupt im eigenen Namen eine Entscheidung beantragen könne, da das Akteneinsichtsrecht dem Verletzten und nicht dessen Vertreter zustehe. Dies könne jedoch dahinstehen, weil die Entscheidung der Staatsanwaltschaft nicht zu beanstanden sei. Eine Genehmigung gemäß § 138 StPO führe nicht dazu, dass der Beschwerdeführer einem Rechtsanwalt gleichzustellen wäre.

44. Dagegen erhob der Beschwerdeführer "namens und in Vollmacht für den Geschädigten" Beschwerde und beantragte mit Beschwerdeschrift vom , den Beschluss des Amtsgerichts aufzuheben und in der Sache zu erkennen, dass die Entscheidung der Staatsanwaltschaft vom rechtswidrig und die Akteneinsicht ihm als Verletztenbeistand für den Geschädigten gemäß § 406e Abs. 1 in Verbindung mit § 138 Abs. 3 StPO zu gewähren sei. Insbesondere sei das Amtsgericht irrtümlich davon ausgegangen, dass der Beschwerdeführer im eigenen Namen die Akteneinsicht begehrt habe sowie Antragsteller gewesen sei. Das Amtsgericht half der Beschwerde nicht ab. Mit weiterer Stellungnahme vom teilte der Beschwerdeführer mit, dass ihm in einem von der Staatsanwaltschaft parallel geführten Ermittlungsverfahren gegen einen der beiden Beschuldigten, in dem er den Geschädigten ebenfalls als Verletztenbeistand vertrete, vollumfänglich Akteneinsicht gewährt worden sei. Zudem sei die Akteneinsicht zur weiteren Begründung der Einstellungsbeschwerde zwingend erforderlich. Jedenfalls stehe ihm die Wahrnehmung des Akteneinsichtsrechts in Vertretung für den Geschädigten gemäß § 406e Abs. 3 StPO zu. Die ihn legitimierende Vollmachtsurkunde befinde sich bereits bei den Akten.

55. Mit angegriffenem Beschluss vom , dem Beschwerdeführer zugegangen am , entschied das Landgericht Hannover "auf die Beschwerde des Verletztenbeistands […] vom ", die Beschwerde auf Kosten des Beschwerdeführers als unbegründet zu verwerfen.

6Dem gemäß § 406f Abs. 1 in Verbindung mit § 138 Abs. 3 StPO tätig gewordenen Beschwerdeführer stehe kein eigener Anspruch auf Einsicht in die Ermittlungsakten nach § 406e Abs. 1 in Verbindung mit § 138 StPO zu. Ein solches Recht aus § 406e Abs. 1 StPO stehe ihm auch nicht in seiner Eigenschaft als Verletztenbeistand nach § 406f StPO zu. Das Amtsgericht habe dazu zutreffend ausgeführt, dass eine gerichtliche Genehmigung gemäß § 138 Abs. 2, 3 StPO nicht dazu führe, dass der Verletztenbeistand insgesamt einem Rechtsanwalt gleichzustellen wäre. Soweit sich der Beschwerdeführer darauf berufe, er habe den Antrag auf Akteneinsicht nicht im eigenen Namen, sondern als bevollmächtigter Vertreter für den Verletzten eingelegt, schließe sich die Kammer auch insofern den Ausführungen des Amtsgerichts an. Ausweislich des Antrags im Schriftsatz vom sei das Akteneinsichtsrecht ausdrücklich im eigenen Namen des Verletztenbeistands und gemäß § 406e Abs. 1 in Verbindung mit § 138 StPO geltend gemacht worden. Der Antrag sei daher einer Auslegung dergestalt, dass hilfsweise Akteneinsicht an den Verletzten gemäß § 406e Abs. 3 StPO beantragt worden sei - insbesondere aufgrund der fachlichen Kenntnisse des Beschwerdeführers - nicht zugänglich. Das Amtsgericht habe zudem darauf hingewiesen, dass das Akteneinsichtsrecht des Verletzten hiervon unberührt bleibe. Über ein Akteneinsichtsrecht des Verletzten sei insoweit nicht entschieden worden.

7Ausweislich der durch den Beschwerdeführer eingereichten schriftlichen Vollmacht vom habe der Verletzte den Beschwerdeführer ausdrücklich auch mit der Wahrnehmung von Akteneinsicht beauftragt. Da es sich bei der Akteneinsicht durch einen Verletzten gemäß § 406e Abs. 3 StPO weder nach dem Wortlaut noch nach dem Sinn und Zweck der Norm um ein höchstpersönliches Rechtsgeschäft handele und auch sonst keine Vertretungsverbote ersichtlich seien, könne der Verletzte sich gemäß §§ 164 ff. BGB von dem Beschwerdeführer vertreten lassen. Dieser könne somit das Recht auf Akteneinsicht gemäß § 406e Abs. 3 StPO in fremdem Namen für den Verletzten wahrnehmen, was ihm das Amtsgericht durch die angegriffene Entscheidung ausdrücklich nicht versagt habe.

8Die Kostenentscheidung beruhe auf § 473 Abs. 1 StPO.

II.

9Mit der am erhobenen Verfassungsbeschwerde macht der Beschwerdeführer geltend, durch den angegriffenen Beschluss in seinem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG verletzt zu sein. Er meint, die Entscheidung des Landgerichts, ihm die Kosten des Beschwerdeverfahrens aufzuerlegen, sei willkürlich.

10Gemäß § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO träfen die Kosten eines erfolglos eingelegten Rechtsmittels denjenigen, der es eingelegt habe. Insoweit gelte das Veranlasserprinzip. Wenn ein Verteidiger gemäß § 297 StPO Rechtsmittel eingelegt habe, seien die Kosten dem Beschuldigten beziehungsweise Angeklagten zuzurechnen. Nichts anderes gelte in Fällen, in denen ein Vertreter Rechtsmittel für den Vertretenen einlege. Wer hingegen ein Rechtsmittel ohne Vollmacht beziehungsweise Vertretungsmacht eingelegt habe, sei kostenpflichtig. Dies gelte sowohl für den vollmachtlosen Verteidiger als auch den Verteidiger, der das Rechtsmittel gegen den Willen des Angeklagten eingelegt oder weiterverfolgt habe.

11Die den Beschwerdeführer belastende Kostenentscheidung nach § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO sei daher unter keinem denkbaren Gesichtspunkt verständlich. Die Beschwerde habe der Beschwerdeführer als Prozessbevollmächtigter des fachgerichtlichen Verfahrens für den von ihm vertretenen Geschädigten eingelegt. Beschwerdeführer im fachgerichtlichen Verfahren sei somit der Geschädigte und nicht er. Dies habe das Landgericht verkannt. Zwar gehe das Landgericht in seiner Begründung zutreffend davon aus, dass der Beschwerdeführer die Beschwerde namens und in Vollmacht des Geschädigten erhoben habe. Jedoch sehe sie den Beschwerdeführer persönlich als fachgerichtlichen Beschwerdeführer und damit als Kostentragungspflichtigen an. Dies stelle nicht nur einen bloßen Fehler in der Rechtsanwendung dar, sondern sei völlig unverständlich und dränge den Schluss auf, dass die Entscheidung auf sachfremden Erwägungen beruhe.

III.

12Das Niedersächsische Justizministerium hatte Gelegenheit zur Stellungnahme. Es hat von einer Stellungnahme abgesehen.

13Die Akten des Ausgangsverfahrens haben dem Bundesverfassungsgericht vorgelegen.

IV.

14Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist gemäß § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG zur Durchsetzung der Rechte des Beschwerdeführers aus Art. 3 Abs. 1 GG angezeigt. Die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig und in einer die Kammerzuständigkeit begründenden Weise offensichtlich begründet (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG).

151. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig.

16a) Der fachgerichtliche Rechtsweg ist gemäß § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG erschöpft, denn die angefochtene landgerichtliche Entscheidung ist gemäß § 310 Abs. 2 StPO unanfechtbar. Eine Anhörungsrüge gehört nur im Falle der - hier nicht einschlägigen - Geltendmachung einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) zum Rechtsweg (vgl. BVerfGE 122, 190 <198>; 126, 1 <17>; 134, 106 <113 Rn. 22>).

17b) Daneben war die Erhebung einer Anhörungsrüge auch nicht mit Rücksicht auf den Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde geboten.

18aa) Der in § 90 Abs. 2 BVerfGG zum Ausdruck kommende Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde verlangt, dass Beschwerdeführer alle nach Lage der Dinge zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten ergreifen, um die geltend gemachte Grundrechtsverletzung schon im fachgerichtlichen Verfahren zu verhindern oder zu beseitigen (vgl. BVerfGE 107, 395 <414>; 112, 50 <60>; 134, 106 <115 Rn. 27>). Das kann bedeuten, dass Beschwerdeführer gehalten sind, im fachgerichtlichen Verfahren eine Gehörsverletzung selbst dann anzugreifen, wenn sie im Rahmen der ihnen insoweit zustehenden Dispositionsfreiheit mit der Verfassungsbeschwerde zwar keinen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG rügen wollen (vgl. BVerfGE 126, 1 <17>), durch den fachgerichtlichen Rechtsbehelf aber die Möglichkeit wahren, dass bei Erfolg der Gehörsverletzungsrüge in den vor den Fachgerichten gegebenenfalls erneut durchzuführenden Verfahrensschritten auch andere Grundrechtsverletzungen, durch die sie sich beschwert fühlen, beseitigt werden (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom - 2 BvR 1756/23 -, Rn. 11).

19Die Verweisung auf die Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde steht allerdings unter dem Vorbehalt der Zumutbarkeit der prozessualen Möglichkeit zur Abhilfe (vgl. BVerfGE 132, 99 <117 Rn. 45>; 134, 106 <115 Rn. 28>). Zur Vermeidung der Unzulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde ohne Rüge der Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG müssen Beschwerdeführer daher aus Gründen der Subsidiarität eine Anhörungsrüge nur dann ergreifen, wenn den Umständen nach ein Gehörsverstoß durch die Fachgerichte naheliegt und zu erwarten wäre, dass vernünftige Verfahrensbeteiligte mit Rücksicht auf die geltend gemachte Beschwer bereits im gerichtlichen Verfahren einen entsprechenden Rechtsbehelf ergreifen würden (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom - 2 BvR 1756/23 -, Rn. 12).

20bb) Gemessen hieran musste der Beschwerdeführer ein Anhörungsrügeverfahren vor Erhebung der Verfassungsbeschwerde nicht durchführen. Eine Anhörungsrüge gegen den angegriffenen Beschluss des Landgerichts wäre nach § 33a StPO nicht statthaft gewesen.

21(1) Zwar lässt sich nicht gänzlich ausschließen, dass das Landgericht den Gegenstand der Beschwerde vom unter Missachtung des Beschwerdevortrags dahin ausgelegt hat, der Beschwerdeführer habe sie im eigenen Namen erhoben. Aus der Sicht eines vernünftigen Verfahrensbeteiligten liegt dies und ein darin gegebenenfalls zu sehender Gehörsverstoß aber schon deshalb fern, weil das Landgericht im angegriffenen Beschluss selbst ausführt, der Beschwerdeführer habe die Beschwerde "namens und in Vollmacht des Geschädigten" eingelegt. Damit wird die vom Landgericht vor der Beschlussformel verwendete Formulierung, es habe "auf die Beschwerde des Verletztenbeistands" beschlossen, in ihrer Aussagekraft erheblich relativiert.

22(2) Soweit der Beschwerdeführer im fachgerichtlichen Beschwerdeverfahren eine Verletzung seines rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 GG darin gesehen hatte, dass ihm das Amtsgericht die Stellungnahme der Staatsanwaltschaft nicht mit der Gelegenheit einer Äußerung zur Kenntnis gegeben habe, wäre die Anhörungsrüge gegen die angegriffene Entscheidung des Landgerichts aus Sicht eines verständigen Beteiligten ebenfalls zweifelsfrei unzulässig gewesen. Denn insoweit hätte der Beschwerdeführer mit der Anhörungsrüge lediglich durch das Landgericht nicht geheilte Gehörsverstöße geltend gemacht, also perpetuierte Gehörsverstöße beklagt. Wird ein Gehörsverstoß aber offensichtlich nur erneut behauptet, würde eine Anhörungsrüge eine Kontrolle gerichtlicher Entscheidungen nur unsinnig verdoppeln, nicht aber im Sinne eines Instanzenzugs aufeinander beziehen. Eine solche Anhörungsrüge wäre daher ebenfalls von vornherein aussichtslos gewesen (vgl. BVerfGK 20, 300 <302 f.>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom - 1 BvR 1360/16 -, juris, Rn. 2).

23c) Auch genügt die Begründung der Verfassungsbeschwerde den Substantiierungsanforderungen aus § 23 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1, § 92 BVerfGG.

242. Die Verfassungsbeschwerde ist offensichtlich begründet. Die angegriffene Entscheidung verstößt gegen Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Willkürverbot, soweit das Landgericht dem Beschwerdeführer die Kosten des erfolglos gebliebenen Rechtsmittels auferlegt hat.

25a) Die Auslegung des Gesetzes und seine Anwendung auf den einzelnen Fall sind Sache der dafür zuständigen Gerichte und daher der Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht grundsätzlich entzogen; ein verfassungsrechtliches Eingreifen gegenüber den Entscheidungen der Fachgerichte kommt unter dem hier gerügten Gesichtspunkt der Verletzung des Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) in seiner Bedeutung als Willkürverbot nur in seltenen Ausnahmefällen in Betracht (vgl. BVerfGE 74, 102 <127>; stRspr). Ein Richterspruch verstößt nicht schon dann gegen das Verbot objektiver Willkür, wenn die angegriffene Rechtsanwendung oder das dazu eingeschlagene Verfahren fehlerhaft sind. Hinzukommen muss, dass Rechtsanwendung oder Verfahren unter keinem denkbaren Aspekt mehr rechtlich vertretbar sind und sich daher der Schluss aufdrängt, dass die Entscheidung auf sachfremden und damit willkürlichen Erwägungen beruht (vgl. BVerfGE 80, 48 <51>), etwa wenn eine offensichtlich einschlägige Norm nicht berücksichtigt, der Inhalt einer Norm in krasser Weise missdeutet oder sonst in nicht mehr nachvollziehbarer Weise angewendet wird (vgl. BVerfGE 87, 273 <278 f.>; 89, 1 <13 f.>; 96, 189 <203>; 112, 185 <216>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom - 2 BvR 375/24 -, Rn. 15).

26b) Nach diesem Maßstab verletzt der angegriffene Beschluss den Beschwerdeführer hinsichtlich der Kostentragung in seinem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG.

27aa) Ziel der Erhebung von Gebühren und Auslagen ist die zutreffende Zuordnung der Kosten nach dem Veranlassungsprinzip und die Entlastung des Justizhaushalts von Kosten, die andernfalls von der Allgemeinheit zu tragen wären (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom - 2 BvR 1596/01 -, Rn. 29 m.w.N.). Das Mittel liegt im öffentlichen Interesse und ist verfassungslegitim (vgl. BVerfGE 10, 264 <268>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom - 2 BvR 1596/01 -, Rn. 29). Auch dem geltenden strafprozessualen Kostenrecht liegt das Veranlassungsprinzip zugrunde, das in manchen Regelungen ergänzt wird durch den Verschuldensgrundsatz, in anderen durch den Billigkeitsgrundsatz (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom - 2 BvR 902/94 -, juris, Rn. 41; Schmitt, in: Schmitt/Köhler, StPO, 68. Aufl. 2025, vor § 464 Rn. 3). Bei der hier gegenständlichen Kostenzuordnung gemäß § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO gilt ausschließlich das Veranlassungsprinzip (vgl. Gieg, in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 9. Aufl. 2023, § 473 Rn. 3; Maier, in: Münchener Kommentar zur StPO, 2. Aufl. 2024, § 473 Rn. 25).

28Kostenpflichtig ist daher gemäß § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO grundsätzlich auch, wer ein Rechtsmittel für einen anderen ohne Vertretungsmacht eingelegt hat (vgl. Gieg, in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 9. Aufl. 2023, § 473 Rn. 2; Maier, in: Münchener Kommentar zur StPO, 2. Aufl. 2024, § 473 Rn. 43; Steinberger-Fraunhofer, in: SSW-StPO, 6. Aufl. 2025, § 473 Rn. 3). Dies gilt für den vollmachtlosen Verteidiger (vgl. -, juris, Rn. 3), aber auch für den Verteidiger, der das Rechtsmittel gegen den Willen des Beschuldigten eingelegt oder weiterverfolgt hat (vgl. -, juris, Rn. 15; Maier, in: Münchener Kommentar zur StPO, 2. Aufl. 2024, § 473 Rn. 43; Niesler, in: BeckOK StPO, § 473 Rn. 2 <Juli 2025>; Schmitt, in: Schmitt/Köhler, StPO, 68. Aufl. 2025, § 473 Rn. 8), wenn der Beschuldigte der Einlegung des Rechtsmittels widersprochen oder seinen entgegenstehenden Willen zu erkennen gegeben hat (vgl. -, juris, Rn. 15; S. Hohmann, in: Radtke/Hohmann, StPO, 2. Aufl. 2025, § 473 Rn. 6). Nach teilweise vertretener Ansicht kommt eine Kostentragungspflicht des das Rechtsmittel im fremden Namen einlegenden Vertreters nach § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO dabei schon dann in Betracht, wenn er damit eine ihm erteilte Vollmacht überschritten hat (vgl. Maier, in: Münchener Kommentar zur StPO, 2. Aufl. 2024, § 473 Rn. 46).

29bb) Eine solche Fallgestaltung liegt im Streitfall nicht vor. Der Beschwerdeführer hat die Beschwerde gegen die versagte Akteneinsicht ausdrücklich namens und in Vollmacht des Geschädigten erhoben. Anhaltspunkte für eine Unwirksamkeit der Vollmacht oder eine Vollmachtsüberschreitung bestehen nicht. Somit war das von dem Verletztenbeistand eingelegte Rechtsmittel nach allgemeiner Ansicht - ähnlich wie im Falle des Verteidigers nach § 297 StPO - auch im Hinblick auf die Kostenentscheidung zwingend als ein Rechtsmittel des Geschädigten selbst zu behandeln (vgl. etwa Kurtze, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Aufl. 2024, § 473 Rn. 11). Für eine Kostenauferlegung zu Lasten des Beschwerdeführers verblieb kein Raum. Die gegenteilige, nicht näher begründete Auffassung des Landgerichts ist unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar.

30cc) Dass das Landgericht ausweislich des Eingangssatzes zur Beschlussformel "auf die Beschwerde des Verletztenbeistands" entschieden hat, führt zu keiner abweichenden Beurteilung. Diese Formulierung steht bereits im Widerspruch zu der weiteren Aussage im angegriffenen Beschluss, der Beschwerdeführer habe die Beschwerde "namens und in Vollmacht" des Geschädigten erhoben. Schließlich verbleibt bei der Ermittlung des Kostenschuldners im Sinne des § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO auch für die Berücksichtigung materieller Gesichtspunkte - wie hier etwa des Umfangs des Akteneinsichtsrechts eines nichtanwaltlichen Verletztenbeistands - kein Raum.

V.

31Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerfG:2025:rk20250724.2bvr042424

Fundstelle(n):
HAAAJ-97378