BFH-Entscheidung zu niederländischer 30 %-Regelung
Aufwandsentlastende Steuerfreistellung im DBA-Recht
Arbeitet ein in Deutschland Ansässiger nichtselbständig im DBA-Ausland, wird sein Gehalt in den meisten Fällen im Tätigkeitsstaat besteuert und in Deutschland unter Progressionsvorbehalt freigestellt. Diese Methodik ist gemeinhin Grundsatz der deutschen Abkommenspolitik, gepaart mit der bekannten 183-Tage-Regelung und ergänzt durch so manche Sondervorschriften etwa für bestimmte Vergütungsarten, spezielle Berufsgruppen oder für Grenzgänger in einigen DBA mit unseren Nachbarstaaten.
Bei Anwendung des Grundsatzes kann der Teufel aber durchaus im Detail stecken, wie der vom in der Sache VI R 29/22 entschiedene Fall zeigt. Geklagt hatte dort ein (ausschließlich) in Deutschland wohnhafter und bei einem Arbeitgeber in den Niederlanden beschäftigter Steuerpflichtiger. Er übte seine Tätigkeit im Streitjahr 2019 an 157 Tagen in den Niederlanden sowie an 80 Tagen in Deutschland aus. Ihm wurden vom Arbeitgeber 30 % des Lohns steuerfrei ausgezahlt. Hintergrund ist eine Regelung des niederländischen Lohnsteuerrechts, nach der Arbeitnehmern, die zur Aufnahme einer Tätigkeit in die Niederlande umziehen oder die – wie im Streitfall – täglich vom Ausland in die Niederlande reisen, unter bestimmten Voraussetzungen durch den Aufenthalt in den Niederlanden entstehende Mehrkosten steuerfrei erstattet werden können. Zu diesen sog. extraterritorialen Kosten zählen etwa Belastungen aufgrund eines höheren Preisniveaus in den Niederlanden oder Kosten für Sprachkurse. Dem Arbeitgeber ist dabei ein Wahlrecht eingeräumt, entweder die wirklich entstandenen und nachgewiesenen Kosten zu erstatten oder dem Mitarbeiter pauschal 30 % des Arbeitslohns steuerfrei auszuzahlen (30 %-Regelung). Das Wohnsitzfinanzamt allerdings erhöhte in seiner Einkommensteuerfestsetzung die in Deutschland steuerbaren Einkünfte des Klägers um den auf die Tätigkeitstage in den Niederlanden entfallenden Teil des nach der 30 %-Regelung steuerfrei verbliebenen Arbeitslohns. Die dagegen erhobene Klage wies das Finanzgericht ab, die Revision jedoch war erfolgreich. Entscheidend für die Frage der Steuerfreistellung in Deutschland war dabei, ob der steuerfrei belassene Anteil des Arbeitslohns zu jenen Einkünften aus den Niederlanden zählt, die dort „tatsächlich [...] besteuert werden“ (Art. 22 Abs. 1 Buchst. a DBA Niederlande). Hierzu befand der BFH, dass es sich bei der 30 %-Regelung nicht um eine persönliche oder sachliche Steuerbefreiung, die eine tatsächliche Nichtbesteuerung bewirkt, sondern um die pauschalierte Erstattung von steuererheblichen Aufwendungen handelt. Tatsächliche Besteuerung ist auch gegeben, wenn ausländische Vorschriften zur Einkünfteermittlung oder die steuerfreie Erstattung von Aufwendungen wie eine partielle Nichtbesteuerung wirken, ebenso, soweit sich Einkünfte steuerlich nicht auswirken, etwa weil Freibeträge gewährt oder Verluste verrechnet werden. Maßgebend ist eine Einbeziehung in die Bemessungsgrundlage im anderen Vertragsstaat; eine Steuer(zahl)last muss dadurch nicht entstehen. Unerheblich bleibt ferner, ob das deutsche Recht einen vergleichbaren Abzugs- oder Erstattungstatbestand kennt, ob die Regelung vermuteten Aufwand vermeintlich „überkompensiert“ oder wie sie verfahrensrechtlich im Einzelnen ausgestaltet ist. Damit stärkt der BFH die individuelle Steuerhoheit und Autonomie der Vertragsstaaten.
Lukas Hilbert
Fundstelle(n):
NWB 2025 Seite 2161
FAAAJ-96602