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BVerwG Beschluss v. - 4 B 31.24

Einzelhandelsausschluss in sektoralem Bebauungsplan

Gesetze: § 34 Abs 1 BauGB, § 34 Abs 3 BauGB, § 9 Abs 2a BauGB, § 11 Abs 6 Nr 11 BauGB, § 1 Abs 7 BauGB

Instanzenzug: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Az: 8 S 2499/22 Urteilvorgehend Az: 13 K 2249/13 Urteil

Gründe

1Die Klägerin begehrt die Erteilung eines Bauvorbescheids über die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit eines Getränkemarkts (790 m² Verkaufsfläche) im Erdgeschoss eines bestehenden Parkhauses. Das Vorhabengrundstück liegt im Geltungsbereich eines (sektoralen) Bebauungsplans, der Einzelhandelsbetriebe generell für unzulässig erklärt. Nach dem Urteil der Vorinstanz sind dieser Bebauungsplan sowie ältere, das Vorhabengrundstück erfassende Bebauungspläne unwirksam; das streitgegenständliche Vorhaben sei gemessen an § 34 Abs. 1 und 3 BauGB planungsrechtlich zulässig.

2Der Verwaltungsgerichtshof hat die Revision nicht zugelassen. Die dagegen gerichtete, auf sämtliche Zulassungsgründe nach § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Beschwerde der Beklagten hat keinen Erfolg.

31. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), die ihr die Beschwerde beimisst.

4Grundsätzlich bedeutsam ist eine Rechtssache, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zugrundeliegenden Einzelfall hinausgehenden, klärungsbedürftigen und entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) zu erwarten ist. In der Beschwerdebegründung muss dargelegt (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO), also näher ausgeführt werden, dass und inwieweit eine bestimmte Rechtsfrage des revisiblen Rechts im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig und warum ihre Klärung in dem beabsichtigten Revisionsverfahren zu erwarten ist (stRspr, vgl. 4 B 19.24 - juris Rn. 3).

5Die von der Beschwerde aufgeworfene Frage,

ob es für eine rechtmäßige Abwägung ausreichend ist, wenn eine Gemeinde bei Anwendung des § 9 Abs. 2a BauGB in einem Bebauungsplan nur aufgrund einer in einem Einzelhandels- und Zentrenkonzept gem. § 1 Abs. 6 Nr. 11 BauGB enthaltenen Sortimentsliste auch nicht-zentrenrelevanten Einzelhandel vollständig ausschließt, um zentrale Versorgungsbereiche zu stärken, selbst wenn diese noch in der Entwicklung sind,

rechtfertigt die Zulassung der Revision nicht.

6In der Rechtsprechung des Senats ist geklärt, dass die Frage, ob und inwieweit ein - insbesondere nicht-zentrenrelevante Sortimente einbeziehender - Einzelhandelsausschluss zur Erhaltung oder Entwicklung zentraler Versorgungsbereiche geeignet ist, schon die - der Abwägung vorgelagerte - Erforderlichkeit eines sektoralen Bebauungsplans betrifft. Einer auf § 9 Abs. 2a BauGB gestützten einzelhandelsbeschränkenden Festsetzung muss nach den konkreten Gegebenheiten im Plangebiet und den hiernach realistischerweise zu erwartenden Entwicklungen ein Förderpotenzial hinsichtlich des normativ vorgegebenen Ziels der Erhaltung oder Entwicklung zentraler Versorgungsbereiche zukommen; dies muss in der Begründung des Bebauungsplans dargelegt werden ( 4 CN 1.24 - NVwZ 2025, 343 Rn. 12). Soweit abhängig von der konkreten Planungssituation ein umfassender Einzelhandelsausschluss der Erhaltung oder Entwicklung zentraler Versorgungsbereiche dienlich sein kann, darf eine solche Festsetzung, die mit der Förderung der Konzentration von Einzelhandelsansiedlungen in Zentren begründet wird, nicht weiter gehen, als eine Ansiedlung von Einzelhandelsbetrieben dort überhaupt in Betracht kommt. Vor diesem Hintergrund bedarf die städtebauliche Rechtfertigung eines Ausschlusses von Einzelhandel mit nicht-zentrenrelevantem Sortiment einer eingehenderen Begründung des Plangebers ( 4 CN 1.24 - NVwZ 2025, 343 Rn. 20 m. w. N.).

7Unter welchen Voraussetzungen ein auf § 9 Abs. 2a BauGB gestützter und auf ein bestehendes Einzelhandels- und Zentrenkonzept aufsattelnder Bebauungsplan mit einem umfassenden (nicht-zentrenrelevante Sortimente einschließenden) Einzelhandelsausschluss dem Abwägungs- und/oder dem Ermittlungs- und Bewertungsgebot (§ 1 Abs. 7, § 2 Abs. 3 BauGB) genügt, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls und ist daher einer rechtsgrundsätzlichen Klärung nicht zugänglich. Das gilt auch, soweit ein sektoraler Bebauungsplan der Stärkung eines noch in der Entwicklung befindlichen zentralen Versorgungsbereichs dienen soll. Soweit die Beschwerde vorbringt, die Vorinstanz fordere für eine ordnungsgemäße Abwägung, "dass in einem neu geplanten zentralen Versorgungsbereich bereits gegenwärtig die Möglichkeit bestehen muss, nicht zentrenrelevanten Einzelhandel, der nach seiner Auffassung auch regelmäßig flächenintensiv sei, ansiedeln zu können", geht sie am Inhalt des angegriffenen Urteils vorbei. Eine solche Prämisse hat der Verwaltungsgerichtshof nicht aufgestellt. Er ist vielmehr davon ausgegangen, dass in einem bestimmten (neuen), noch zu entwickelnden zentralen Versorgungsbereich derzeit und bis auf Weiteres weder nennenswerter nicht-zentrenrelevanter Einzelhandel noch ein im Berufungsverfahren thematisierter großflächiger Lebensmittelmarkt angesiedelt werden könnten. Aufgrund dieser besonderen Umstände hat er angenommen, dass die Beklagte der Entwicklungsförderung dieses künftigen Versorgungsbereichs ein zu hohes Gewicht beigemessen habe und dass die Planung deshalb zudem - mit Blick auf gegenläufige Eigentumsbelange - an einem materiellen Abwägungsfehler leide (vgl. UA S. 16, S. 21 f., S. 28).

82. Die Revision ist nicht wegen Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) zuzulassen.

9Nach dieser Vorschrift ist die Revision zuzulassen, wenn das Urteil von einer Entscheidung (u. a.) des Bundesverwaltungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Diese Abweichung setzt einen Widerspruch in einem abstrakten Rechtssatz voraus, also einen prinzipiellen Auffassungsunterschied über den Bedeutungsgehalt einer bestimmten Rechtsvorschrift oder eines Rechtsgrundsatzes. In der Beschwerdebegründung muss nach § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO die Entscheidung bezeichnet werden, von der das Urteil abweicht. Der Beschwerde obliegt es, aus einer Entscheidung des Divergenzgerichts einen tragenden, abstrakten Rechtssatz zu einer revisiblen Rechtsvorschrift zu benennen und darzulegen, dass die Entscheidung der Vorinstanz auf einem abweichenden abstrakten Rechtssatz zu derselben Rechtsvorschrift beruht (stRspr, vgl. 4 B 20.24 - juris Rn. 13). Diese Anforderungen erfüllt die Beschwerde nicht.

10a) Die Beschwerde rügt, der Verwaltungsgerichtshof hätte unter Vornahme der in den Urteilen des Senats vom - 4 C 23.86 - (BVerwGE 84, 322) und vom - 4 C 77.73 - (Buchholz 406.11 § 34 BBauG Nr. 45) genannten Prüfungsschritte den benachbarten großflächigen Verbrauchermarkt als nicht prägenden Fremdkörper bewerten und in der Folge die - zudem nicht näher umgrenzte - nähere Umgebung als faktisches Gewerbegebiet einstufen müssen. Mit diesem Vorbringen wird kein Rechtssatzwiderspruch i. S. v. § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO dargelegt, sondern lediglich geltend gemacht, dass Rechtssätze aus der Senatsrechtsprechung fehlerhaft bzw. gar nicht angewandt worden seien. Das führt nicht auf eine Divergenz (vgl. 4 B 9.24 - BauR 2025, 208 <209> m. w. N.).

11b) Auch soweit die Beschwerde eine Abweichung von der Rechtsprechung des Senats moniert, wonach für den Fall der Änderung einer baulichen Anlage i. S. v. § 29 BauGB Gegenstand der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeitsprüfung das Gesamtvorhaben in seiner geänderten Gestalt sein muss (vgl. 4 C 17.91 - Buchholz 406.11 § 34 BauGB Nr. 158 S. 100 f. und vom - 4 C 23.95 - Buchholz 406.11 § 35 BauGB Nr. 329 S. 92; Beschluss vom - 4 B 106.99 - Buchholz 406.11 § 29 BauGB Nr. 64 S. 7 f.), bezeichnet sie keinen entscheidungstragenden abstrakten Rechtssatz der Vorinstanz, der zu dem genannten Rechtssatz in Widerspruch steht. Das Berufungsurteil hat die Senatsrechtsprechung im Rahmen der Prüfung des § 34 Abs. 3 BauGB ausdrücklich berücksichtigt (UA S. 30 f.), in diesem Zusammenhang aber die Betrachtung von (geplantem) Getränkemarkt und (vorhandenem) Verbrauchermarkt als Gesamtvorhaben mangels Entscheidungserheblichkeit offen gelassen ("ohne dass es hierauf entscheidend ankäme") sowie die Einstufung als zusammenwachsendes Einkaufszentrum als fernliegend verneint. Die Beschwerdebegründung erschöpft sich auch hier in der für die Darlegung einer Divergenz nicht ausreichenden Behauptung, ein Rechtssatz des Bundesverwaltungsgerichts sei fehlerhaft angewandt worden.

123. Die Revision ist nicht wegen eines Verfahrensfehlers zuzulassen (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).

13Mit der Rüge, der Verwaltungsgerichtshof habe aufgrund unzureichender Ermittlungen möglicher schädlicher Auswirkungen i. S. v. § 34 Abs. 3 BauGB seine Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) verletzt, dringt die Beschwerde nicht durch.

14Eine Aufklärungsrüge kann nur Erfolg haben, wenn substantiiert dargetan wird, welche Tatsachen auf der Grundlage des materiell-rechtlichen Standpunkts des Tatsachengerichts aufklärungsbedürftig waren, welche für geeignet und erforderlich gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen hierfür in Betracht kamen, welche tatsächlichen Feststellungen dabei voraussichtlich getroffen worden wären und inwiefern das unterstellte Ergebnis zu einer dem Beschwerdeführer günstigeren Entscheidung hätte führen können (stRspr, vgl. 4 BN 6.24 - juris Rn. 10). Die Aufklärungsrüge dient nicht dazu, Versäumnisse eines juristisch sachkundig vertretenen Verfahrensbeteiligten in der Tatsacheninstanz zu kompensieren und insbesondere Beweisanträge zu ersetzen, die ein Beteiligter in zumutbarer Weise hätte stellen können, jedoch zu stellen unterlassen hat (vgl. 4 B 32.21 - juris Rn. 33). Hat der Beschwerdeführer nicht bereits im Verfahren vor dem Tatsachengericht, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung hingewirkt, deren Unterbleiben nunmehr beanstandet wird, muss dargelegt werden, dass sich dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken von sich aus hätten aufdrängen müssen (vgl. 4 BN 15.22 - juris Rn. 19 m. w. N.). Das leistet die Beschwerde nicht.

15Hinzu kommt, dass sich die Beschwerde mit der von der Klägerin im Berufungsverfahren vorgelegten Auswirkungsanalyse eines Sachverständigenbüros vom und den Erwägungen des Verwaltungsgerichtshofs hierzu (vgl. UA S. 32, 34) nicht auseinandersetzt. Liegt bereits ein Gutachten zu einer entscheidungserheblichen Tatsache vor, steht es nach § 98 VwGO in entsprechender Anwendung des § 412 Abs. 1 ZPO im Ermessen des Tatsachengerichts, ob es zusätzliche Sachverständigengutachten einholt. Das Tatsachengericht kann sich dabei ohne Verstoß gegen seine Aufklärungspflicht auf Gutachten oder gutachterliche Stellungnahmen stützen, die von einer Behörde oder von einem anderen Beteiligten erst während des gerichtlichen Verfahrens eingeholt und als Parteivortrag in das Verfahren eingeführt werden (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom - 4 B 14.20 - juris Rn. 21 und vom - 7 B 15.21 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 403 Rn. 25). Ein Verfahrensmangel liegt in dieser Situation nur dann vor, wenn sich dem Tatsachengericht die Einholung eines weiteren Gutachtens hätte aufdrängen müssen, weil die vorliegenden Gutachten objektiv ungeeignet sind, ihm die für die richterliche Überzeugungsbildung notwendigen sachlichen Grundlagen zu vermitteln. Ungenügend sind Auskünfte und Gutachten insbesondere dann, wenn sie erkennbare Mängel aufweisen, etwa unvollständig, widersprüchlich oder sonst nicht überzeugend sind, wenn das Gutachten von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht oder wenn der Gutachter erkennbar nicht sachkundig ist bzw. Zweifel an seiner Unparteilichkeit bestehen ( a. a. O. Rn. 26 m. w. N.). Derartige Mängel werden von der Beschwerde nicht dargetan.

16Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2025:020625B4B31.24.0

Fundstelle(n):
CAAAJ-95161