Leitsatz
Zum Wegfall des Feststellungsinteresses bei einem Klageantrag auf Feststellung der Ersatzpflicht für zukünftige materielle Schäden nach einem Verkehrsunfall.
Gesetze: § 256 Abs 1 ZPO
Instanzenzug: Az: 1 S 91/23vorgehend Az: 424 C 1698/19
Tatbestand
1Die Parteien streiten nach einem Verkehrsunfall um restlichen Schadensersatz. Gegenstand der Revision ist ein Feststellungsantrag.
2Der Pkw des Klägers wurde bei einem Verkehrsunfall am durch einen vom Beklagten gesteuerten Pkw beschädigt. Die volle Haftung des Beklagten dem Grunde nach steht außer Streit. Zur Ermittlung des Schadens an seinem Fahrzeug holte der Kläger ein Sachverständigengutachten ein und forderte auf dieser Grundlage Ersatz von Reparaturkosten, außerdem eine Unkostenpauschale, Sachverständigenkosten, außergerichtliche Rechtsanwaltskosten und eine "titelersetzende Feststellungserklärung". Der Kfz-Haftpflichtversicherer des Beklagten beglich die geforderten Beträge bis auf einen Teil der Reparatur- und Rechtsanwaltskosten. Der Kläger veräußerte sein Fahrzeug während des Rechtsstreits in erster Instanz.
3Mit seiner Klage hat der Kläger Zahlung restlicher Reparaturkosten auf Gutachtenbasis sowie außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten gefordert und beantragt festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtlichen weiteren Schaden aus diesem Verkehrsunfall zu ersetzen. Das Amtsgericht hat den Beklagten nach einer Beweisaufnahme zur Zahlung weiterer Reparatur- und außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten verurteilt. Es hat die Klage hinsichtlich eines geringen Teils der Reparaturkosten und in Bezug auf den Feststellungsantrag abgewiesen, den es für unzulässig gehalten hat.
4Die Berufung des Klägers, mit der er nur noch den Feststellungsantrag geltend gemacht hat, hat das Landgericht im schriftlichen Verfahren gemäß § 128 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Feststellungsbegehren weiter.
Gründe
I.
5Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:
6Das Amtsgericht habe die Feststellungsklage zu Recht als unzulässig abgewiesen. Der Kläger habe ein rechtlich schützenswertes Interesse an der beantragten Feststellung nicht nachgewiesen. Die Rechtsprechung verneine ein berechtigtes Interesse im Sinne von § 256 Abs. 1 ZPO, wenn aus Sicht des Klägers bei verständiger Würdigung kein Grund bestehe, mit dem Eintritt eines Schadens wenigstens zu rechnen. Maßgebender Zeitpunkt sei der Schluss der mündlichen Verhandlung. Der Feststellungsantrag werde unzulässig, wenn das Feststellungsinteresse vorher wegfalle. In einem Rechtsstreit, in dem der Feststellungsantrag allein auf mögliche weitere Schäden (vorliegend: Reparaturkosten, Mehrwertsteuer, Nutzungsausfall bzw. etwaige Mietwagenkosten im Reparaturzeitraum, Rückstufungsschaden der Kaskoversicherung etc.) bei nicht abgeschlossener Schadensentstehung gerichtet sei, das Fahrzeug im Laufe des Rechtsstreits aber verkauft werde, ohne dass sich solche Schäden wenigstens teilweise realisiert hätten, falle das Feststellungsinteresse durch den Verkauf des unreparierten Fahrzeugs weg. Der darlegungs- und beweisbelastete Kläger habe nicht nachweisen können, dass er das Fahrzeug in repariertem Zustand veräußert habe.
II.
7Die zulässige Revision bleibt in der Sache ohne Erfolg. Das Berufungsgericht hat zu Recht ein Feststellungsinteresse des Klägers nach § 256 Abs. 1 ZPO verneint.
81. Nach § 256 Abs. 1 ZPO kann auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses Klage erhoben werden, wenn der Kläger ein rechtliches Interesse daran hat, dass das Rechtsverhältnis alsbald festgestellt werde. Ein solches Interesse ist gegeben, wenn dem konkreten vom Feststellungsantrag betroffenen Recht des Klägers eine gegenwärtige Gefahr der Unsicherheit droht und der erstrebte Feststellungsausspruch geeignet ist, diese Gefahr zu beseitigen (vgl. Senatsurteil vom - VI ZR 136/20, NJW-RR 2022, 23 Rn. 15 mwN). Werden nach Verletzung eines absoluten Rechts weitere zukünftige materielle Schäden befürchtet, genügt für das Feststellungsinteresse die Möglichkeit, dass diese Schäden eintreten (Senatsurteil vom - VI ZR 10/24, BGHZ 242, 180 Rn. 48 mwN). Welche weiteren Schäden zu befürchten sind, hat der Kläger darzulegen (vgl. Senatsurteil vom - VI ZR 136/20, NJW-RR 2022, 23 Rn. 28 mwN). An der Möglichkeit weiterer Schäden fehlt es, wenn aus Sicht des Klägers bei verständiger Würdigung kein Grund besteht, mit dem Eintritt eines weiteren Schadens wenigstens zu rechnen (vgl. Senatsurteil vom - VI ZR 136/20, NJW-RR 2022, 23 Rn. 28 mwN). Maßgeblicher Zeitpunkt, in dem das Feststellungsinteresse vorliegen muss, ist die letzte mündliche Tatsachenverhandlung (vgl. , NZBau 2022, 20 Rn. 23 mwN). Da das Berufungsgericht hier das schriftliche Verfahren angeordnet hat, entspricht der vom Berufungsgericht bestimmte Zeitpunkt nach § 128 Abs. 2 Satz 2 ZPO dem Schluss der mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz (vgl. BVerfG, NJW 2020, 142 Rn. 10; MüKoZPO/Fritsche, 7. Aufl., § 128 Rn. 36).
92. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hat das Berufungsgericht ohne Rechtsfehler angenommen, dass ein Feststellungsinteresse des Klägers zwar bei Klageerhebung vorgelegen hat, aber für den vom Berufungsgericht nach § 128 Abs. 2 Satz 2 ZPO angeordneten Zeitpunkt, der dem Schluss der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung entspricht, nicht mehr bejaht werden kann. Denn der Kläger hat sein Fahrzeug bereits während des Rechtsstreits in erster Instanz veräußert. Er hat nicht nachweisen können, dass es bis dahin repariert worden ist.
10a) Zwar hat im Zeitpunkt der Klageerhebung ein Feststellungsinteresse des Klägers nach § 256 Abs. 1 ZPO vorgelegen. Da der Kläger seinen Schaden fiktiv abgerechnet hat, hat die von ihm dargelegte Möglichkeit des Eintritts eines weiteren Schadens für den Fall der zukünftigen Reparatur des Fahrzeugs nach Klageerhebung bestanden.
11aa) Der Geschädigte eines Kraftfahrzeugsachschadens hat bei Ausübung der Ersetzungsbefugnis des § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB die Wahl, ob er fiktiv nach den Feststellungen eines Sachverständigen oder konkret nach den tatsächlich aufgewendeten Kosten abrechnet (vgl. , NJW 2025, 1346 Rn. 12; vom - VI ZR 513/19, NJW 2022, 543 Rn. 17 ff.; vom - VI ZR 146/16, NJW 2017, 1664 Rn. 6 mwN). Allerdings kann der Geschädigte, wenn er seinen Fahrzeugschaden zunächst fiktiv abgerechnet hat, später - im Rahmen der rechtlichen Voraussetzungen für eine solche Schadensabrechnung und der Verjährung - grundsätzlich zur konkreten Schadensabrechnung übergehen und Ersatz der tatsächlich angefallenen Kosten einschließlich Mehrwertsteuer verlangen (vgl. unter II. 2., zVb; vom - VI ZR 513/19, NJW 2022, 543 Rn. 20, 25; jeweils mwN). Berechnet der Geschädigte seinen Schaden zulässigerweise auf der Grundlage der von dem Sachverständigen ermittelten Kosten fiktiv, also ohne Durchführung der Reparatur und damit insbesondere ohne Umsatzsteuer, hat er - schon um der drohenden Verjährung zu begegnen - ein Interesse im Sinne von § 256 Abs. 1 ZPO an der Feststellung der Ersatzpflicht für zukünftige Schäden (vgl. zu Mängelbeseitigungskosten , NJW-RR 2024, 542 Rn. 25 mwN).
12bb) Im Streitfall hat der Kläger mit seiner Klage Zahlung von Schadensersatz auf der Grundlage einer fiktiven Schadensabrechnung verlangt. Sein Feststellungsinteresse im Sinne von § 256 Abs. 1 ZPO hat er mit Schäden begründet, die im Fall einer zukünftigen Reparatur des Unfallschadens anfallen könnten, nämlich u.a. mit Reparaturkosten, Mehrwertsteuer, Nutzungsausfall bzw. etwaigen Mietwagenkosten im Reparaturzeitraum.
13b) Das Feststellungsinteresse des Klägers ist allerdings vor dem nach § 128 Abs. 2 Satz 1 ZPO bestimmten Zeitpunkt weggefallen. Der Kläger kann sein Fahrzeug nicht mehr reparieren lassen, nachdem er es veräußert hat. Im Übrigen hat der Kläger - nach den von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts - nicht nachweisen können, dass er sein Fahrzeug vor der Veräußerung repariert hat. Entgegen der Ansicht des Klägers kann ein bei Klageerhebung zunächst vorliegendes Feststellungsinteresse im Laufe des Rechtsstreits nicht nur durch eine "titelersetzende Feststellungserklärung" der Gegenseite wegfallen, sondern auch aus anderen Gründen. So liegt es hier, da die Möglichkeit des Eintritts von Zukunftsschäden nicht mehr besteht.
Seiters Müller Klein
Allgayer Linder
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:250325UVIZR277.24.0
Fundstelle(n):
LAAAJ-95158