Instanzenzug: LG Dresden Az: 2 T 6/25vorgehend AG Dresden Az: 405 XVII 53/24
Gründe
I.
1Die Betroffene wendet sich gegen die gerichtliche Genehmigung einer ärztlichen Zwangsmaßnahme.
2Die Betroffene, die an einer paranoiden Schizophrenie leidet, war seit 2021 mehrfach nach öffentlich-rechtlichen Vorschriften untergebracht. Am errichtete sie eine Patientenverfügung, in der es unter anderem heißt: „Weitere Verfügung zur allgemeinen Medikamentengabe auch ohne bevorstehenden Sterbeprozess: Aufgrund einer fraglich diagnostizierten Vorerkrankung (ohne standardisierte Erkennungsmerkmale) lehne ich grundsätzlich die Einnahme von Neuroleptika und Antidepressiva ab, außer im Fall von später diagnostiziertem Parkinson“.
3Mit Beschluss vom (XII ZB 547/24 - juris) stellte der Senat fest, dass der die Einwilligung der Betreuerin in frühere, bis längstens dauernde ärztliche Zwangsmaßnahme genehmigende Beschluss des Amtsgerichts Dresden und die Beschwerde hiergegen zurückweisende landgerichtliche Beschluss die Betroffene in ihren Rechten verletzt haben.
4Mit Beschluss vom hat das Amtsgericht die Einwilligung der Betreuerin in eine ärztliche Zwangsmedikation bis längstens genehmigt. Das Landgericht hat die Beschwerde der Betroffenen zurückgewiesen. Hiergegen wendet sie sich mit der Rechtsbeschwerde.
II.
5Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt nach der in der Rechtsbeschwerdeinstanz entsprechend anwendbaren Norm des § 62 FamFG (st. Rspr., vgl. etwa Senatsbeschluss vom - XII ZB 498/22 - FamRZ 2023, 1234 Rn. 2 mwN) hinsichtlich der zeitlich abgelaufenen Entscheidungen über die ärztliche Zwangsmaßnahme zu der von der Rechtsbeschwerde beantragten Rechtswidrigkeitsfeststellung.
61. Die Rechtsbeschwerde beanstandet zu Recht, dass die Instanzgerichte die Einwilligung der Betreuerin zur Durchführung der ärztlichen Zwangsmaßnahme genehmigt haben, ohne dabei die Patientenverfügung der Betroffenen vom ausreichend zu berücksichtigen.
7a) Nach § 1832 Abs. 1 Nr. 3 BGB kann der Betreuer in eine ärztliche Zwangsmaßnahme nur dann einwilligen, wenn diese dem nach § 1827 BGB zu beachtenden Willen des Betreuten entspricht. Eine Patientenverfügung iSv § 1827 Abs. 1 Satz 1 BGB steht deshalb der Einwilligung des Betreuers in eine ärztliche Zwangsmaßnahme entgegen, wenn die Patientenverfügung wirksam errichtet wurde, eine Regelung zu Zwangsbehandlungen enthält und auch in der konkreten Behandlungssituation Geltung beanspruchen soll (vgl. Senatsbeschluss vom - XII ZB 232/21 - FamRZ 2023, 1059 Rn. 15 zu Art. 6 BayMRVG).
8b) Das Beschwerdegericht hat in der angegriffenen Entscheidung die Bindungswirkung der Patientenverfügung der Betroffenen vom erneut verneint. Da für den Zeitraum September 2022 ausgeschlossen werden könne, dass die Betroffene geschäftsunfähig gewesen sei, müsse die Patientenverfügung zwar als wirksam erachtet werden. Sie sei aber kein Ergebnis rationaler Überlegung, weil die Betroffene nicht in der Lage sei, die Frage der Behandlung rational abzuwägen. Zudem negiere die Betroffene ihre Krankheit, weshalb sie nicht erkennen könne, dass eine Heilung notwendig sei.
9Diese Begründung, mit der das Beschwerdegericht bereits in dem vorangegangenen Verfahren eine Bindungswirkung der Patientenverfügung verneint hat, hat der Senat nach Erlass der angegriffenen Entscheidung in seinem Beschluss vom für nicht tragfähig erachtet (Senatsbeschluss vom - XII ZB 547/24 - juris Rn. 17). Wie sich bereits aus dem Wortlaut des § 1827 Abs. 1 Satz 1 BGB ergibt, ist für die Wirksamkeit einer Patientenverfügung maßgeblich, ob der Betroffene einwilligungsfähig ist. Auf die Geschäftsfähigkeit des Betroffenen im Sinne des § 104 BGB kommt es damit nicht an, sondern nur auf dessen natürliche Einsichts- und Steuerungsfähigkeit im maßgeblichen Zeitpunkt der Errichtung der Patientenverfügung (vgl. Senatsbeschluss vom - XII ZB 547/24 - juris Rn. 17 mwN). Tragfähige Feststellungen dazu, ob die Betroffene bei der Errichtung der Patientenverfügung vom einwilligungsfähig gewesen ist, hat das Beschwerdegericht auch im vorliegenden Verfahren nicht getroffen. Dies wäre schon deshalb geboten gewesen, weil die Betroffene diese Patientenverfügung nur kurze Zeit nach einer bis zum andauernden Unterbringungsmaßnahme errichtet hat.
10Hinzu kommt, dass auch in diesem Verfahren die Ausführungen des Beschwerdegerichts widersprüchlich sind. Da das Beschwerdegericht die Patientenverfügung mit der Begründung für unbeachtlich hält, diese sei kein Ergebnis rationaler Überlegung, geht es offensichtlich davon aus, dass es der Betroffenen im maßgeblichen Zeitpunkt der Errichtung der Patientenverfügung an der erforderlichen Einsichtsfähigkeit gefehlt hat. An anderer Stelle der Entscheidungsgründe führt das Beschwerdegericht hingegen aus, aufgrund der getroffenen Feststellungen sei nicht auszuschließen, dass die Betroffene zum Zeitpunkt der Errichtung der Patientenverfügung trotz ihrer Erkrankung geschäftsfähig iSv § 104 Abs. 2 BGB - und damit auch einsichtsfähig - gewesen sei.
11c) In dem amtsgerichtlichen Beschluss wird hierzu lediglich ausgeführt, die Patientenverfügung vom sei als nicht wirksam anzusehen, da davon auszugehen sei, dass ihr keine freie Willensentscheidung zu Grunde gelegen habe. Tragfähige Feststellungen für diese Annahme hat das Amtsgericht indes nicht getroffen.
122. Auf den Antrag der Betroffenen ist entsprechend § 62 Abs. 1 FamFG durch den Senat auszusprechen, dass die Entscheidungen von Amtsgericht und Landgericht die Betroffene in ihrer durch Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG grundrechtlich geschützten körperlichen Integrität und dem vom Schutz des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG mitumfassten Recht auf Selbstbestimmung hinsichtlich ihrer körperlichen Integrität verletzt haben (vgl. Senatsbeschluss vom - XII ZB 541/19 - FamRZ 2020, 1305 Rn. 18 mwN).
13Das nach § 62 Abs. 1 FamFG erforderliche berechtigte Interesse der Betroffenen daran, die Rechtswidrigkeit der - hier durch Zeitablauf erledigten - Genehmigung der Einwilligung in die ärztliche Zwangsmaßnahme feststellen zu lassen, liegt vor. Die gerichtliche Genehmigung der Einwilligung in eine Zwangsbehandlung bedeutet stets einen schwerwiegenden Grundrechtseingriff im Sinne des § 62 Abs. 2 Nr. 1 FamFG (vgl. Senatsbeschluss vom - XII ZB 541/19 - FamRZ 2020, 1305 Rn. 20 mwN).
Guhling Günter
Krüger
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:070525BXIIZB24.25.0
Fundstelle(n):
XAAAJ-95154