Tatbestand
1Die Beteiligten streiten im Revisionsverfahren noch über die Übernahme von Kosten für fünf weitere, in der Zeit von September 2018 bis Dezember 2019 durchgeführte Besuchsfahrten des Klägers zu seinen Eltern als Leistung der Eingliederungshilfe nach dem Sechsten Kapitel des Sozialgesetzbuchs Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII).
2Bei dem 1986 geborenen Kläger ist ein Grad der Behinderung von 100 und die Merkzeichen G, aG, H und RF festgestellt. Es besteht ua eine linkslateralisierte Tetraparese; der Kläger ist auf einen Sonder(schiebe)rollstuhl angewiesen. Er bezieht kein Einkommen und verfügt nicht über Vermögen und lebt seit 2013 in einer stationären Einrichtung der Eingliederungshilfe und besucht seit März 2014 werktags eine Tagesförderstätte. Der beklagte Landkreis war bis zum Kostenträger der Leistungen. Der Kläger verbringt etwa zweimal im Monat die Wochenenden bei seinen Eltern, die im streitgegenständlichen Zeitraum mit zwei Geschwistern rund 100 km entfernt im früheren Wohnort des Klägers im Kreisgebiet des Beklagten lebten.
3Auf den Antrag auf Kostenübernahme für ca drei monatliche Heimfahrten empfahl der Sozialdienst des Beklagten die Übernahme von zwei monatlichen Heimfahrten, um den Kontakt des Klägers zu seiner Familie zu erhalten und die Teilhabe am Leben auch in diesem Bereich sicherzustellen. Der Beklagte gewährte "Fahrtkosten für maximal zwölf Heimfahrten im Jahr (= eine Heimfahrt pro Monat)" und lehnte den weitergehenden Antrag ab, weil es sich bei einer Heimfahrt pro Monat um die höchstmögliche Anzahl von Heimfahrten für volljährige Personen in Heimen handele. Das insoweit eröffnete Ermessen sei durch frühere Entscheidungen in gleichgelagerten Fällen einer Selbstbindung der Verwaltung - orientiert am Rundschreiben des Niedersächsischen Landesamtes für Soziales, Jugend und Familie Nr 15/1999 vom - unterworfen (Bescheid vom ; Widerspruchsbescheid vom ).
4Nachdem es zu Unstimmigkeiten mit dem früheren Fahrdienst gekommen war, gab der Beklagte auf einen weiteren Antrag hin eine Kostenübernahmeerklärung für die notwendigen Fahrtkosten entsprechend dem Angebot des beigeladenen Taxiunternehmens mit dem Hinweis ab, dass der Bescheid vom in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom im Übrigen seine Gültigkeit behalte (Bescheid vom ).
5Das Sozialgericht (SG) Hildesheim hat nach Einholung von Befundberichten der behandelnden Ärzte und eines Gutachtens des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr S den Beklagten verurteilt, dem Kläger ab September 2018 Leistungen der Eingliederungshilfe in Form der Übernahme der Kosten weiterer zwölf Heimfahrten jährlich zu gewähren (Urteil vom ). Das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen hat auf die Berufung des Beklagten diesen verurteilt, die Kosten des Klägers für zwölf weitere Heimfahrten im Jahr vom bis zum zu übernehmen und die weitergehende Klage abgewiesen, sowie im Übrigen die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom ). Zur Begründung hat es ua ausgeführt, zulässiger Streitgegenstand der Klage seien lediglich die Besuchsfahrten in der Zeit vom bis zum . In dieser Zeit seien die Kosten für zwölf weitere Besuche pro Jahr im Einzelfall erforderlich, um das in Frage stehende Teilhabeziel - die Bindung des Leistungsberechtigten zu seinen Angehörigen - zu erreichen. Nur durch die Übernahme der Kosten für die weiteren Heimfahrten könne dem beim Kläger besonders ausgeprägten und als solchem zu respektierenden Kontaktbedürfnis zu seiner Familie und seinem Sozialraum hinreichend Rechnung getragen werden.
6Hiergegen wendet sich der Beklagte mit seiner Revision und macht eine Verletzung von § 54 Abs 2 SGB XII aF geltend. Es sei nach dem Tenor des Urteils bereits unklar, ob in 2018 und 2019 jeweils zwölf weitere Fahrten zu übernehmen sind, oder ein monatlicher Bezug herzustellen sei. Es bestehe aber auch in der Sache kein Anspruch auf Kostenübernahme für mehr als zwölf Besuchsfahrten zu den Eltern pro Jahr. Es würden sich keine Teilhabedefizite ergeben, die eine zweite Heimfahrt pro Monat erforderlich machen würden. Es liege weder ein Ermessensdefizit noch ein Fall der Ermessensreduzierung auf Null vor.
7Der Beklagte beantragt,das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom abzuändern, das Urteil des Sozialgerichts Hildesheim vom aufzuheben und die Klage insgesamt abzuweisen.
8Der Kläger beantragt,die Revision zurückzuweisen.
9Er macht noch die Kostenübernahme für fünf weitere, bereits durchgeführte Fahrten geltend und hält die Entscheidungen der Vorinstanzen insoweit für zutreffend.
Gründe
10Die zulässige Revision ist unbegründet (§ 170 Abs 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz <SGG>). Der Kläger hat gegen den Beklagten einen Anspruch auf den weitergehenden Beitritt zu seiner Schuld gegenüber dem Beigeladenen für die tatsächlich durchgeführten Besuchsfahrten zu den Eltern im Zeitraum vom bis , auf die er die Klage im Revisionsverfahren beschränkt hat.
11Gegenstand der Klage ist der Bescheid vom in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom (vor dessen Erlass eine beratende Beteiligung sozial erfahrener Dritter nach § 116 Abs 2 SGB XII erfolgt ist), soweit der Beklagte eine Kostenübernahme von mehr als einer Heimfahrt pro Monat abgelehnt hat. Streitgegenstand ist im Revisionsverfahren noch die Verpflichtung zur Übernahme von Fahrtkosten für die Zeit vom bis zum . Da nur der Beklagte das Urteil des LSG angegriffen hat, ist die Klageabweisung für die Zeit ab dem rechtskräftig geworden. Der Kläger hat sein Begehren im Revisionsverfahren ausdrücklich auf fünf weitere, in dieser Zeit tatsächlich durchgeführte Fahrten begrenzt (eine Besuchsfahrt im November 2018 und vier Besuchsfahrten im Zeitraum vom bis ).
12Dabei ist der Bescheid vom , der nach Erlass des Widerspruchsbescheides ergangen ist, nicht nach § 96 SGG Gegenstand des Verfahrens geworden (zur Abgrenzung von § 96 SGG zu § 86 SGG nur Klein in jurisPK-SGG, 2. Aufl, § 96 RdNr 24, Stand ; Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Aufl 2023, § 96 RdNr 3a). Der Bescheid vom trifft keine neue Regelung über den Anspruch auf (weitere) Besuchsfahrten zu den Eltern dem Grunde nach. Er ersetzt (nach Änderung der Verhältnisse) den Bescheid vom ausschließlich hinsichtlich der Entscheidung über die Art der Leistungserbringung (nunmehr Schuldbeitritt gegenüber dem Beigeladenen, statt gegenüber dem zuvor genutzten Fahrdienst). Die vorliegend allein streitbefangene Entscheidung wegen der Anzahl der Fahrten, die die Leistungsberechtigung dem Grunde nach betrifft, wird im Bescheid vom lediglich unter ausdrücklicher Bezugnahme auf den Bescheid vom in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom wiederholt. Der Kläger hat folglich in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat klargestellt, dass er sich gegen den Bescheid vom nicht wendet.
13Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage gemäß § 54 Abs 1 iVm § 56 SGG zulässig. Sie ist gerichtet auf die Abänderung der ablehnenden Entscheidung und die ausdrückliche Übernahme der Fahrtkosten durch Verwaltungsakt, durch den eine Mitschuld des Beklagten gegenüber dem beigeladenen Fahrdienst begründet werden soll (vgl Bundessozialgericht <BSG> vom - B 8 SO 29/07 R - BSGE 103, 39 = SozR 4-2800 § 10 Nr 1, RdNr 11). Nachdem der Beklagte bereits alle Fahrten im streitigen Zeitraum an den Beigeladenen bezahlt hat, scheidet eine Leistungsklage aus. Der vom Senat geänderte Tenor macht diese prozessuale Situation deutlich.
14Der Umstand, dass der Beklagte nach Erlass des Urteils des SG sämtliche Rechnungen des Beigeladenen für den streitigen Zeitraum beglichen hat, berührt die Zulässigkeit der Klage nicht. Nach dem Gesamtzusammenhang steht für den Senat fest, dass der Beklagte lediglich vorläufig (ohne Erlass eines Bescheides) an den Beigeladenen gezahlt hat. Die Zahlung der entstandenen Kosten durch den Beklagten unmittelbar an den Leistungserbringer lässt die Notwendigkeit des begehrten Verwaltungsaktes hier nicht entfallen; mit nur vorläufigen Regelungen treten bezogen auf den Streitgegenstand keine wesentlichen Änderungen ein. Gerade weil vorläufige Entscheidungen mit der endgültigen Entscheidung ihre Rechtswirkungen verlieren (vgl B 8/9b SO 20/06 R - SozR 4-3500 § 90 Nr 1 RdNr 12 mwN), bedarf es einer Verurteilung zum Erlass eines (endgültigen) Verwaltungsaktes mit Drittwirkung (Schuldbeitritt), der im Verhältnis aller an der Leistungsverschaffung Beteiligter einen (endgültigen) Rechtsgrund für die Zahlung schafft (vgl -, RdNr 12). Auch aus Sicht des Leistungserbringers steht erst nach einem endgültigen Schuldbeitritt fest, dass der Beklagte als weiterer Schuldner geleistet hat. Dies gilt auch, wenn - wie hier - eine Zahlung ohne Bewilligungsbescheid erfolgt und deshalb für die Zahlungen kein Rechtsgrund besteht, sodass eine Erstattung nach § 50 Abs 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) im Raum steht (vgl auch Bundesgerichtshof <BGH> vom - III ZR 267/15 - RdNr 25).
15Von Amts wegen zu berücksichtigende Verfahrensmängel liegen nicht vor. Zutreffend hat das LSG den Fahrdienst beigeladen (echte notwendige Beiladung, § 75 Abs 2 1. Alt SGG), weil sich die begehrte Übernahme der Fahrtkosten im sozialhilferechtlichen Dreiecksverhältnis zwischen Hilfeempfänger, Sozialhilfeträger und Leistungserbringer als Beitritt des Sozialhilfeträgers zu einer schuldrechtlichen Leistungsverpflichtung des Hilfeempfängers gegenüber dem Leistungserbringer darstellt, über die nur einheitlich entschieden werden kann (kumulativer Schuldbeitritt; vgl - BSGE 103, 39 = SozR 4-2800 § 10 Nr 1, RdNr 13 mwN).
16Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten. Der Kläger hat in den Jahren 2018 und 2019 im Grundsatz einen Anspruch auf die begehrte Kostenübernahme für mehr als zwölf - hier auf Grundlage der Feststellungen des LSG bis zu vierundzwanzig - Besuchsfahrten zu den Eltern jährlich gehabt. Wie ausgeführt ist allerdings die Verpflichtung zum Schuldbeitritt für die Vergangenheit begrenzt auf die Anzahl der tatsächlich durchgeführten Besuchsfahrten, weil darüber hinaus kein Bedarf für die Leistung der Eingliederungshilfe mehr besteht.
17Rechtsgrundlage für die begehrte Leistung gegen den (ausgehend vom gewöhnlichen Aufenthalt des Klägers im Kreisgebiet des Beklagten vor Aufnahme in die Einrichtung) örtlich und sachlich zuständigen Beklagten als örtlichen Träger der Sozialhilfe (vgl §§ 3 Abs 2 S 1, 97 Abs 1, Abs 4, 98 Abs 2 SGB XII iVm § 1 Abs 2 Satz 1, 2 Niedersächsisches Gesetz zur Ausführung des Zwölften Buchs des Sozialgesetzbuchs <Nds AG SGB XII>) ist § 19 Abs 3 SGB XII iVm §§ 53, 54 Abs 2 SGB XII (jeweils in der bis unverändert gebliebenen Fassung des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom <BGBl I 2003, 3022>; im Folgenden alte Fassung <aF>). Erhalten behinderte oder von einer Behinderung bedrohte Menschen in einer stationären Einrichtung Leistungen der Eingliederungshilfe, können ihnen oder ihren Angehörigen danach zum gegenseitigen Besuch Beihilfen geleistet werden, soweit es im Einzelfall erforderlich ist.
18Der Kläger gehört zum anspruchsberechtigten Personenkreis. Nach § 53 Abs 1 SGB XII aF erhalten Personen, die durch eine Behinderung iS von § 2 Abs 1 Satz 1 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch - Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen - (<SGB IX> in der Fassung des Gesetzes zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen - Bundesteilhabegesetz - <BTHG> vom , BGBl I 3234) wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt oder von einer solchen wesentlichen Behinderung bedroht sind, Leistungen der Eingliederungshilfe, wenn und solange nach den Besonderheiten des Einzelfalls, insbesondere nach Art oder Schwere der Behinderung, Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann. Der Kläger ist mit einem GdB von 100 und den Merkzeichen G, H, aG und RF schwer behindert und damit wesentlich in seiner Fähigkeit eingeschränkt, an der Gesellschaft teilzuhaben (vgl § 1 Nr 1 Eingliederungshilfe-VO idF von Art 13 Nr 2 des Gesetzes vom ). Er ist iS des § 54 Abs 2 SGB XII aF in einer stationären Einrichtung (vgl § 13 Abs 2, Abs 1 Satz 1 SGB XII idF des Gesetzes vom ) untergebracht und erhält vom Beklagten dort Leistungen der Eingliederungshilfe.
19Die Beihilfen für die im streitbefangenen Zeitraum durchgeführten Besuche sind als Leistung der Teilhabe auf Grundlage der nicht mit durchgreifenden Rügen angegriffenen Feststellungen des LSG ausgehend von Art und Schwere der Behinderung und den hieraus resultierenden Einschränkungen im vorliegenden Einzelfall auch erforderlich. Zutreffend hat das LSG die Notwendigkeit der Leistungen (vgl § 4 Abs 1 SGB IX idF des BTHG) an dem mit ihr verfolgten, eigenständigen Ziel beurteilt, die Verbindung zu den Angehörigen aufrechtzuerhalten. Die Entscheidung über die Bewilligung der Besuchsbeihilfe ist auf Grundlage seiner Feststellungen auf eine (gebundene) Entscheidung reduziert.
20Bei der Besuchsbeihilfe, die in § 54 Abs 2 SGB XII aF geregelt war, handelt es sich - entgegen der Auffassung des Beklagten - um eine eigenständige Leistung der Eingliederungshilfe. Gegen eine Leistung, die nur als Annex zu der stationären Leistung der Eingliederungshilfe zu zahlen ist, ohne dass mit ihr eigenständige Teilhabeziele verbunden wären, spricht zunächst die systematische Stellung der Norm. Bedarfe für den Lebensunterhalt - vor allem der Bedarf für Mobilität, aber auch Übernachtungskosten als Bedarfe für Beherbergungsdienstleistungen -, die außerhalb des institutionellen Angebots einer Einrichtung liegen, sind im Grundsatz unter Berücksichtigung des Wunsch- und Wahlrechts Bestandteil des in einer Einrichtung zu gewährenden weiteren notwendigen Lebensunterhalts nach § 27b Abs 1 Satz 2 iVm Abs 2 SGB XII (hier in der Fassung des Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom , BGBl I 453; dazu zuletzt - SozR 4-3500 § 30 Nr 7 RdNr 18 ff). Schon durch die Stellung der Besuchsbeihilfen im Sechsten Kapitel stellt der Gesetzgeber demgegenüber klar, dass mit dieser Leistung über die Bedarfe des Lebensunterhalts hinaus ein spezifischer eingliederungshilferechtlicher Zweck verfolgt wird, ohne dass es vorliegend auf eine abschließende Abgrenzung ankommt (vgl bereits - SozR 4-1500 § 77 Nr 1 RdNr 21). Der Gesetzgeber hat dies mit der Aufzählung in § 113 Abs 2 Nr 9 SGB IX idF des BTHG verdeutlicht und hat die Regelung - abgesehen von der der notwendig gewordenen Anbindung an die Betreuung über Tag und Nacht durch Anbieter der Eingliederungshilfe - im Übrigen inhaltlich unverändert als § 115 SGB IX ins neue Recht übernommen (vgl BT-Drucks 18/9522, S 285 f).
21Die Besuchsbeihilfe nach § 54 Abs 2 SGB XII aF ist zwar an das Leben des behinderten Menschen in einer stationären Einrichtung geknüpft und die Leistung stellt sich insoweit als unselbständig dar. Die Besuchsbeihilfe verfolgt aber als eigenständiges Teilhabeziel iS des § 53 Abs 3 SGB XII aF die Aufrechterhaltung der Bindungen zu engen Bezugspersonen; ihr liegt das Bedürfnis nach der Pflege naher (in erster Linie verwandtschaftlicher) Beziehungen zugrunde. (Wehrhahn in jurisPK-SGB XII, 2. Aufl 2014, § 54 RdNr 68; Voelzke in Hauck/Noftz, SGB XII, § 54 RdNr 57, Stand 6/2016). Die Besuchsbeihilfe soll die sozialen Auswirkungen der Behinderung, die bei stationärer Unterbringung durch den Verlust des bisherigen Umfelds entstehen, abmildern bzw überwinden. Das Ziel der Besuchsbeihilfe besteht damit unabhängig von dem mit der stationären Unterbringung verfolgten Ziel, auch wenn sie mit der stationären Leistung in Wechselwirkung steht.
22Auch mit der Besuchsbeihilfe als Leistung zur Stärkung des familiären Zusammenhalts, die nicht auf die Teilnahme am öffentlichen und kulturellen Leben gerichtet ist, wird die Möglichkeit zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft eröffnet (anders - RdNr 42). Die Förderung der Begegnung und des Umgangs mit nichtbehinderten Menschen, durch den die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft insbesondere gekennzeichnet wird (vgl auch § 58 Abs 1 Nr 1 SGB IX aF), beschränkt sich zwar nicht auf die Familie und die Nachbarschaft; dieser Kernbereich der zwischenmenschlichen Beziehungen ist aber vom Leben in der Gemeinschaft nicht ausgeklammert, wie der Beklagte meint (vgl nur - BSGE 103, 171 = SozR 4-3500 § 54 Nr 5, RdNr 17; - RdNr 67; Schmeller in Mergler/Zink, SGB XII, § 53 SGB XII RdNr 38, Stand 46. Lieferung; Bieback in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 6. Aufl 2018, § 54 RdNr 24). Die Kontaktpflege zur Aufrechterhaltung der familiären Bindungen und zur Vermeidung von Isolation und Vereinsamung ist ein zentrales Anliegen des Eingliederungshilferechts, insbesondere im Bereich der Teilhabe (Oppermann in Hauck/Noftz, SGB IX, § 115 RdNr 1, Stand 10/2024). Grundsätzlich ist gerade das Aufrechterhalten dieses Kontakts für die Persönlichkeitsentwicklung des Menschen mit Behinderung notwendig (vgl bereits - SozR 4-1500 § 77 Nr 1 RdNr 21).
23Wie bei jeder Eingliederungsmaßnahme ist auch bei der Besuchsbeihilfe das Merkmal der Notwendigkeit (§ 4 Abs 1 SGB IX) zu prüfen (vgl - RdNr 15). Die Leistungen richten sich dabei nach den Besonderheiten des Einzelfalles, insbesondere nach der Art des Bedarfs, den örtlichen Verhältnissen sowie den eigenen Kräften und Mitteln unter Würdigung der Wohnform (vgl § 9 Abs 1 SGB XII). In welchem Maß und durch welche Aktivitäten ein behinderter Mensch am Leben in der Gemeinschaft teilnimmt, ist abhängig von seinen individuellen Bedürfnissen unter Berücksichtigung seiner angemessenen Wünsche (§ 9 Abs 2 Satz 1 SGB XII). Es ist nicht nur eine Grundversorgung sicherzustellen, sondern eine der Situation nichtbehinderter Menschen vergleichbare angemessene Lebensführung ( - SozR 4-5910 § 39 Nr 1). Maßgeblich sind im Ausgangspunkt die Wünsche des behinderten Menschen ( - SozR 4-5910 § 39 Nr 1, RdNr 26). Es gilt ein individueller, personenzentrierter Maßstab, der regelmäßig einer pauschalierenden Betrachtung des Hilfefalls entgegensteht ( - RdNr 15).
24Die Erforderlichkeit der Besuchsbeihilfen und deren Häufigkeit bestimmt sich demnach anhand des konkreten eingliederungshilferechtlichen Bedarfs, also auch den medizinischen und pädagogischen Umständen (vgl Kaiser in BeckOK SozR, § 54 SGB XII RdNr 17, Stand ). Bei seiner Entscheidung hat der Träger insbesondere die persönlichen und finanziellen Verhältnisse des behinderten Menschen und seiner Angehörigen zu berücksichtigen (Scheider in Schellhorn/Hohm/Scheider, SGB XII, 19. Aufl 2015, § 54 RdNr 80). Zu den Angehörigen gehören jedenfalls die Eltern des Klägers. Welche weiteren engen Bezugspersonen das Gesetz in Bezug nimmt, kann hier offenbleiben (vgl zur denkbaren Einbeziehung von Pflegeeltern, Mitgliedern einer Wahlfamilie oder engen Bezugspersonen Kaiser in BeckOK SozR, § 54 SGB XII RdNr 17, Stand ; Scheider in Schellhorn/Hohm/Scheider, SGB XII, 19. Aufl 2015, § 54 RdNr 79; Bieback in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 6. Aufl 2018, § 54 RdNr 74; Oppermann in Hauck/Noftz, SGB IX, § 115 RdNr 10, Stand 10/2024; Zinsmeister in LPK-SGB IX, 6. Aufl 2022, § 115 SGB IX; enger die Gesetzesbegründung zum BTHG BT-Drucks 18/9522 S 286 - "Herkunftsfamilie")
25Die begehrte Kostenübernahme für mehr als die bereits bestandskräftig bewilligten zwölf Besuche des Klägers pro Jahr im elterlichen Haushalt ist entgegen der Ansicht des Beklagten auf der Grundlage der nicht mit durchgreifenden Rügen angegriffenen Feststellungen des LSG erforderlich, also geeignet und notwendig gewesen, um die Teilhabeziele zu erreichen. Sie stellen keinen unangemessenen Wunsch des Klägers im Vergleich zu einem nichtbehinderten, gleichaltrigen Menschen dar, der außerhalb seiner Herkunftsfamilie lebt. Das LSG hat auf Grundlage des im Laufe des Verfahrens eingeholten Gutachtens und der Entwicklungsberichte im Einzelnen ausgeführt, es bestehe beim Kläger ein besonders ausgeprägtes und als solches zu respektierendes Kontaktbedürfnis zu seiner Familie und seinem Heimatort, dem nur durch die Übernahme der Kosten für die weiteren Besuchsfahrten hinreichend Rechnung getragen werden könne. Soweit der Beklagte bemängelt, der Sachverständige habe die Betreuungssituation in der Einrichtung am Wochenende fehlerhaft beschrieben, stellt er zugleich dar, dass das LSG dies berücksichtigt und folglich bei seiner Würdigung auf die Betreuungssituation am Wochenende nicht entscheidungserheblich abgestellt hat. Die Annahme, dieser Mangel führe zwingend zur Unverwertbarkeit des Gutachtens insgesamt, hat der Beklagte nicht weiter belegt. Mit seinem weiteren Vortrag, das vom LSG angenommene besondere Ruhebedürfnis des Klägers und die individuelle Zuwendung durch die Eltern, die der Sachverständige und die Entwicklungsberichte darstellen, seien nicht "wesentlicher Anknüpfungspunkt" für die Feststellung der Erforderlichkeit der Leistung, anhand der vorliegenden Unterlagen sei eine Intensivierung der Kontakte vielmehr nicht erforderlich, hat der Beklagte aber nur seine eigene Beweiswürdigung an die Stelle des LSG gestellt. Dies genügt für die schlüssige Darlegung (vgl § 164 Abs 2 Satz 3 SGG) einer revisionsrechtlich relevanten Überschreitung der gesetzlichen Grenzen der freien Beweiswürdigung durch das LSG (§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG) nicht (vgl nur - SozR 4-3500 § 54 Nr 16; - SozR 4-5562 § 9 Nr 21 RdNr 12, jeweils mwN). Im Übrigen entspricht das Ergebnis auch der Empfehlung des Sozialdienstes des Beklagten.
26Soweit Besuchsbeihilfen in einer bestimmten Anzahl und/oder Art und Weise zur Erreichung des Teilhabeziels erforderlich sind, wird die Entscheidung über die Bewilligung der Besuchsbeihilfe zu einer gebundenen Entscheidung reduziert (Luthe in jurisPK-SGB IX, 4. Aufl 2023, § 115 RdNr 7; Oppermann in Hauck/Noftz § 115 RdNr 13, Stand 10/2024; Eicher, jurisPR-SozR 18/2022 Anm 5; aA Wehrhahn in jurisPK-SGB XII, 2. Aufl 2014, § 54 RdNr 68; Bieritz-Harder in LPK-SGB XII, 11. Aufl 2018, § 54 RdNr 58; Bieback in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 6. Aufl 2018, § 54 RdNr 74; unklar Voelzke in Hauck/Noftz, SGB XII, § 54 RdNr 57, Stand 6/2015). Auf das Rundschreiben des Niedersächsischen Landesamtes für Zentrale Soziale Aufgaben aus 1999, das Besuchsbeihilfen für behinderte Menschen über 21 Jahren ohnehin nicht regelt, und die vom Beklagten geltend gemachte Selbstbindung der Verwaltung kommt es insoweit nicht an.
27Im Übrigen steht die Entscheidung im pflichtgemäßen Ermessen des Trägers (§ 17 Abs 2 SGB XII). Welche Ermessensreste bei der Leistungserbringung noch denkbar sind (vgl Luthe in jurisPK-SGB IX, 4. Aufl 2023, § 115 RdNr 7), kann vorliegend offenbleiben, weil solche Aspekte - wie etwa die Auswahl des Fahrdienstes oder die Einkommens- oder Vermögenssituation des Leistungsberechtigten und der Angehörigen - hier nicht streitig sind. Es kann damit auch dahinstehen, ob bei individuell notwendigen Eingliederungshilfemaßnahmen diesbezüglich eine Selbstbindung orientiert an Rundschreiben denkbar ist.
28Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2025:270225UB8SO1023R0
Fundstelle(n):
KAAAJ-94691