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BVerfG Urteil v. - 2 BvR 64/25

Erfolgloser Eilantrag im Verfassungsbeschwerdeverfahren auf Aussetzung des weiteren Vollzugs einer lebenslangen Freiheitsstrafe - Zur Folgenabwägung, wenn auch ein eA-Erlass nicht zur Freilassung des inhaftierten Antragstellers führen würde

Gesetze: Art 2 Abs 2 S 2 GG, § 32 Abs 1 BVerfGG, § 38 Abs 1 Alt 2 StGB, § 211 Abs 1 StGB, § 112 Abs 2 Nr 2 StPO, § 112 Abs 3 StPO

Instanzenzug: Az: 2 StR 521/24 Beschlussvorgehend Az: 101 Ks 3/24 Urteil

Gründe

I.

11. a) Das Landgericht Köln verurteilte den Beschwerdeführer am wegen Anstiftung zum Mord und dazu in Tatmehrheit stehender Verstöße gegen das Waffengesetz zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe. Der Verurteilung wegen Anstiftung zum Mord lagen Feststellungen des Landgerichts zugrunde, wonach der Beschwerdeführer den gesondert Verfolgten (Z) damit beauftragt habe, den Geschädigten (X) zu töten, wobei dieser Auftrag von (Z) und dem ebenfalls gesondert verfolgten (Y) gemeinsam habe ausgeführt werden sollen. In Ausführung dieses Auftrags sei (X) am von den hinter ihm gehenden (Z) und (Y) erschossen worden, wobei nicht aufzuklären gewesen sei, wer von ihnen die Schüsse abgegeben habe. (Z) und (Y) hätten sich unmittelbar nach der Tatbegehung in die Türkei begeben.

2b) Im Rahmen der von ihm gegen seine Verurteilung geführten Revision beanstandete der Beschwerdeführer mit der Verfahrensrüge, das Landgericht habe sein Beweisantragsrecht sowie die strafprozessuale Aufklärungspflicht verletzt. Die Strafkammer habe verkannt, dass sie einen Beweisantrag der Verteidigung auf zeugenschaftliche Einvernahme des sich zwar im Ausland befindlichen, aber über audiovisuelle Vernehmung zur Verfügung stehenden und aussagebereiten (Y), der zur Entlastung des den Tatvorwurf bestreitenden Beschwerdeführers benannt worden sei, angesichts der Schwere des Tatvorwurfs sowie einer nicht hinreichend gesicherten Beweisgrundlage nicht mit der Begründung hätte ablehnen dürfen, jeglicher Erkenntniswert für die Sachaufklärung könne sicher ausgeschlossen werden.

3c) Mit Beschluss vom verwarf der Bundesgerichtshof die Revision des Beschwerdeführers gemäß § 349 Abs. 2 StPO als offensichtlich unbegründet.

42. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung seines Rechts auf ein faires Verfahren aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG. Er macht unter näheren Darlegungen geltend, das Landgericht habe mit der Ablehnung des Beweisantrags und dem Verzicht auf eine Vernehmung des (Y), eines mutmaßlichen Haupttäters, den an die Mindestanforderungen der Wahrheitserforschung zu stellenden verfassungsrechtlichen Maßstab verkannt. Die Verwerfungsentscheidung des Bundesgerichtshofs habe diesen Verfassungsverstoß perpetuiert.

53. Mit seinem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung begehrt der Beschwerdeführer die Aussetzung des weiteren Vollzugs der gegen ihn verhängten Freiheitsstrafe.

II.

6Der in der Sache auf die sofortige Haftentlassung gerichtete Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist abzulehnen.

71. Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Bei der Prüfung, ob die Voraussetzungen des § 32 Abs. 1 BVerfGG gegeben sind, ist wegen der weitreichenden Folgen einer einstweiligen Anordnung regelmäßig ein strenger Maßstab anzulegen (BVerfGE 143, 65 <87 Rn. 34>; stRspr).

8Bei der Entscheidung über die einstweilige Anordnung haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsaktes vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es sei denn, die Verfassungsbeschwerde wäre von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet (vgl. BVerfGE 143, 65 <87 Rn. 35>;BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom - 2 BvR 1974/22 -, Rn.7 m.w.N.; stRspr). Erweist sich der Ausgang des Hauptsacheverfahrens als offen, so hat das Bundesverfassungsgericht die Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abzuwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde aber der Erfolg zu versagen wäre (vgl. BVerfGE 105, 365 <371>; 106, 351 <355>; 108, 238 <246>; 125, 385 <393>; 126, 158 <168>; 129, 284 <298>; 132, 195 <232 f. Rn. 87>; 143, 65 <87 Rn. 35>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom - 2 BvR 1974/22 -, Rn. 7; stRspr).

92. Die Verfassungsbeschwerde ist weder von vornherein unzulässig noch offensichtlich unbegründet; ihre Erfolgsaussichten sind offen. Die damit erforderliche Folgenabwägung fällt aber zum Nachteil des Beschwerdeführers aus.

10a) Erginge die einstweilige Anordnung nicht, erwiese sich die Verfassungsbeschwerde später aber als begründet, so könnte die ausgesprochene Freiheitsstrafe in der Zwischenzeit weiter vollstreckt werden. Dies stellte grundsätzlich einen erheblichen, irreparablen Eingriff in das besonders gewichtige (vgl. BVerfGE 65, 317 <322>) Recht auf Freiheit der Person dar (vgl. BVerfGE 22, 178 <180>; 104, 220 <234>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom - 2 BvR 1974/22 -, Rn. 8). Vorliegend ist allerdings zu berücksichtigen, dass im Falle eines Erfolgs der Verfassungsbeschwerde und der damit einhergehenden Aufhebung der angegriffenen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs und des Landgerichts zwar die rechtskräftige Verurteilung des Beschwerdeführers zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe und damit die Grundlage für die derzeitige Vollstreckung der Strafhaft entfiele. Aus den Gründen des landgerichtlichen Urteils lässt sich aber ohne Weiteres ableiten, dass der Beschwerdeführer der ihm vom Landgericht vorgeworfenen Anstiftung zum Mord auch dann noch dringend verdächtig wäre. Angesichts der ebenfalls auf der Hand liegenden Haftgründe der Fluchtgefahr und Schwerkriminalität gemäß § 112 Abs. 3, Abs. 2 Nr. 2 StPO wäre damit jedenfalls zu erwarten, dass der Beschwerdeführer im Falle des Erfolgs seiner Verfassungsbeschwerde nicht etwa aus der Haft entlassen würde, sondern - verfassungsrechtlich unbedenklich - zur Sicherung der weiteren Strafverfolgung sofort vorläufig festgenommen und aufgrund eines neu zu erlassenden Haftbefehls in Untersuchungshaft genommen würde. Ist aber zu erwarten, dass der Beschwerdeführer auch im Falle des Erfolgs seiner Verfassungsbeschwerde bis zu einer erneuten Entscheidung des Landgerichts in Haft verbliebe, so liegt der in die vorliegend vorzunehmende Folgenabwägung einzustellende Nachteil des Beschwerdeführers im Falle, die einstweilige Anordnung erginge nicht, die Verfassungsbeschwerde hätte aber Erfolg, allein darin, dass er sich in Straf- und nicht "nur" in Untersuchungshaft befindet.

11b) Erginge die vom Beschwerdeführer beantragte einstweilige Anordnung, wäre der Verfassungsbeschwerde dann aber der Erfolg zu versagen, so könnte die rechtskräftig verhängte lebenslange Freiheitsstrafe in der Zwischenzeit nicht weiter vollstreckt werden. Hinzu kommt die sich auch in diesem Falle aufdrängende Gefahr, dass sich der Beschwerdeführer der weiteren Strafvollstreckung durch Flucht entzieht und die Vollstreckung des staatlichen Strafanspruchs dadurch vereitelt.

12c) Ist aber davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer sowohl im Falle des Erfolgs seiner Verfassungsbeschwerde als auch im Falle ihres Misserfolgs weiterhin in Haft, nämlich entweder einstweilen in Untersuchungshaft oder weiterhin in Strafhaft verbleibt, lässt die vorzunehmende Folgenabwägung für eine einstweilige Aussetzung des Vollzugs der rechtskräftig verhängten Freiheitsstrafe und eine damit verbundene Entlassung des Beschwerdeführers aus der Haft keinen Raum.

13Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerfG:2025:rk20250320.2bvr006425

Fundstelle(n):
DAAAJ-88987