Instanzenzug: LG Aurich Az: 13 KLs 16/21
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten S. A. wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 240 Fällen, davon in drei Fällen in zwei tateinheitlichen und in einem Fall in fünf tateinheitlichen Fällen, bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 89 Fällen sowie wegen Handeltreibens mit und Abgabe von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln außerhalb einer Apotheke zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 13 Jahren verurteilt. Den Angeklagten A. A. hat es des bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 106 Fällen, davon in drei Fällen in zwei tateinheitlichen Fällen, in einem Fall in drei tateinheitlichen Fällen, in einem Fall in vier tateinheitlichen Fällen sowie in einem Fall tateinheitlich mit bandenmäßigem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in drei Fällen, des bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 24 Fällen, davon in einem Fall in zwei tateinheitlichen Fällen, sowie des Handeltreibens mit und der Abgabe von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln außerhalb einer Apotheke schuldig gesprochen und mit einer Jugendstrafe von sechs Jahren und neun Monaten belegt. Zudem hat es hinsichtlich beider Angeklagten Einziehungsentscheidungen getroffen und die Anrechnung in den Niederlanden erlittener Auslieferungshaft angeordnet.
2Gegen das Urteil wenden sich die Angeklagten mit ihren jeweils auf die Rügen der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revisionen. Die Rechtsmittel haben nach Verfahrensteileinstellung und Verfahrensbeschränkung (§ 154 Abs. 2 StPO, § 421 Abs. 1 Nr. 3 StPO) den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen sind sie unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
I.
31. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
4Die Angeklagten schlossen sich in den Niederlanden mit weiteren gesondert verfolgten Personen ab spätestens September 2018 zu einer Gruppierung mit dem Ziel zusammen, fortlaufend und unter arbeitsteiligem Zusammenwirken in wechselnder Besetzung grenzüberschreitende Betäubungsmittelstraftaten zu begehen. Vereinbarungsgemäß betrieben sie in der Zeit vom bis zum einen professionell organisierten Handel mit Kokain, Heroin, Marihuana, Haschisch, Ecstasy, Crystal Meth sowie dazugehörigen Streckmitteln in der Absicht, sich durch den gewinnbringenden Weiterverkauf an über 30 Abnehmer im nordwestdeutschen Raum eine dauerhafte Einnahmequelle zu verschaffen und hierdurch ihren Lebensunterhalt und denjenigen ihrer Familien zu finanzieren. Die Drogen wurden überwiegend in den Niederlanden erworben oder selbst hergestellt. Nach Eingang der entsprechenden Bestellungen durch die deutschen Abnehmer, für welche die Gruppierung um die Angeklagten zur jederzeitigen telefonischen Erreichbarkeit ein Geschäftstelefon eingerichtet hatte, wurden die Rausch- und Streckmittel verpackt und durch wechselnde Kurierfahrer nach Deutschland ausgeliefert oder an einzelne Abnehmer in verschiedenen Anlaufwohnungen sowie an unterschiedlichen Treffpunkten in der Provinz G. gegen Bezahlung des Kaufpreises übergeben.
5Innerhalb der Gruppierung oblag dem Angeklagten S. A. gemeinsam mit seinem gesondert verfolgten Zwillingsbruder die Organisation und Durchführung der Drogengeschäfte. Er nahm Bestellungen der Abnehmer über das Geschäftstelefon entgegen, wobei er sich mit seinem Zwillingsbruder wechselseitig vertrat, kümmerte sich um den Einkauf der Rauschmittel und deren Anbau beziehungsweise Herstellung, verwahrte die für die Gruppe infolge des gewinnbringenden Verkaufs eingenommenen Gelder in einer gemeinsamen Kasse und verwaltete diese im Rahmen des eingespielten Erwerbs- und Absatzsystems.
6Der Angeklagte A. A. war maßgeblich für das Abwiegen, Verpacken und Ausliefern der Drogen zuständig. Auf entsprechende Vorgabe der Zwillingsbrüder führte er die jeweilige Handlung entweder selbst aus oder beauftragte weitere Mitglieder der Gruppierung. Zugleich empfing er in den verschiedenen Anlaufwohnungen die Abnehmer, die in die Niederlande fuhren, um die Drogen selbst über die Grenze nach Deutschland zu verbringen. Daneben war er für die Entgegennahme des von den Abnehmern für die Rausch- und Streckmittel gezahlten Bargeldes zuständig. Er reichte es vereinbarungsgemäß an den Angeklagten S. A. weiter, der es in die Gemeinschaftskasse überführte.
7In Umsetzung der gemeinsamen Abrede kam es zu einer Vielzahl von Drogengeschäften, an denen die beiden Angeklagten in unterschiedlichem Umfang mitwirkten.
82. In rechtlicher Hinsicht hat das Landgericht die festgestellten Taten je nach Beteiligung der Angeklagten und Umfang der durchgeführten Geschäfte als Bandenhandel mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§ 30a Abs. 1 BtMG), Bandenhandel mit Betäubungsmitteln (§ 30 Abs. 1 Nr. 1 BtMG) sowie - in einem Fall - Handeltreiben mit und Abgabe von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln außerhalb einer Apotheke (§ 95 Abs. 1 Nr. 4 AMG) gewürdigt.
II.
9Die Verfahrensbeanstandungen der beiden Angeklagten dringen aus den in den Antragsschriften des Generalbundesanwalts dargelegten Gründen nicht durch. Näherer Erörterung bedürfen nur die von den Angeklagten inhaltsgleich erhobenen Rügen, mit denen sie die hinreichende Bestimmtheit der Anordnungen des Vorsitzenden zum Selbstleseverfahren nach § 249 Abs. 2 StPO beanstanden.
101. Dem liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:
11a) Während der insgesamt 26 Hauptverhandlungstermine ordnete der Strafkammervorsitzende 13 Selbstleseverfahren an. Die Anordnungen beinhalteten jeweils eine Liste von Blattzahlen aus den Sachaktenbänden. Diese Aufstellungen betrafen eine Vielzahl von Einzelurkunden und Urkundenkonvoluten im Umfang von insgesamt deutlich über 9.000 Seiten, bei denen es sich ganz überwiegend um verschriftete und in die deutsche Sprache übersetzte Gesprächsprotokolle der Telekommunikationsüberwachung sowie zwischen den Angeklagten und gesondert Verfolgten gewechselte Textnachrichten handelte. Darüber hinaus bezogen sich die Verzeichnisse - in geringerer Anzahl - unter anderem auf von Polizeibeamten erstellte Auswertevermerke, Durchsuchungs- und Beschlagnahmeprotokolle der niederländischen Strafverfolgungsbehörden, Identifizierungsvermerke zu den Abnehmern, Gesprächsprotokolle in fremder Sprache, Observationsberichte und behördliche Gutachten mit Lichtbildern sowie Urteilsabschriften.
12b) Im Hauptverhandlungstermin am ordnete der Vorsitzende der Strafkammer das Selbstleseverfahren I an. Die Anordnung lautete auszugsweise wie folgt: „Folgende Urkunden sowie Erklärungen von Behörden und Sachverständigen sollen gemäß § 249 Abs. 2 StPO in Verbindung mit § 256 Abs. 1 Nr. 5 StPO Gegenstand des Selbstleseverfahrens werden. Soweit Vernehmungsinhalte in den Urkunden wiedergegeben werden, sind diese Inhalte vom Selbstleseverfahren ausgenommen. …“
13Beide Angeklagte widersprachen der Anordnung unverzüglich und machten geltend, dass sich in den Urkunden Lichtbilder und Texte in niederländischer Sprache ohne Übersetzung befanden. Die Strafkammer bestätigte die Entscheidung durch Beschluss und ergänzte sie dahin, dass Lichtbilder und Texte in niederländischer Sprache - ebenso wie Vernehmungsinhalte - vom Selbstleseverfahren ausgenommen sind. Konkretisierungen, Streichungen, Klammerungen oder andere Markierungen nahm das Landgericht in den jeweiligen zur Einsicht überlassenen Selbstleseordnern nicht vor.
14Im Hauptverhandlungstermin am stellte der Vorsitzende fest, dass alle in das Selbstleseverfahren einbezogenen Ordner und Fallakten in der Zeit zwischen den beiden Terminen für die Kammermitglieder und alle übrigen Verfahrensbeteiligten zur Einsichtnahme bereitlagen, die Richter und Schöffen vom Wortlaut der entsprechenden Urkunden Kenntnis genommen sowie die Angeklagten, ihre Verteidiger und die Staatsanwaltschaft Gelegenheit hierzu hatten.
15c) Im selben Hauptverhandlungstermin ordnete der Vorsitzende entsprechend der vorangegangenen bestätigten Anordnung das Selbstleseverfahren II zu weiteren Urkunden an, dem die Verteidiger der Angeklagten erneut widersprachen. In ihren Widerspruchsbegründungen beanstandeten sie nunmehr - über das bisherige Vorbringen hinaus - erstmals, dass die abstrakt formulierten Einschränkungen des Vorsitzenden auch im Hinblick auf die Negativausnahme von Vernehmungsinhalten nicht hinreichend bestimmt seien, weil dies in unzulässiger Weise den Mitgliedern des Spruchkörpers die Entscheidung über den Umfang der Selbstlesung übertrage.
16Die Strafkammer wies die Widersprüche mit Beschluss vom selben Tage zurück und bestätigte die Anordnung. Schließlich stellte der Vorsitzende den Abschluss auch des Selbstleseverfahrens II fest.
17d) Hinsichtlich der weiteren Selbstleseverfahren III bis XIII liegt den Rügen ein gleiches Verfahrensgeschehen zugrunde.
182. Den Verfahrensbeanstandungen bleibt der Erfolg versagt.
19a) Die Rügen sind zulässig. Sie richten sich gegen die von der Strafkammer durchgeführten Selbstleseverfahren unter dem Gesichtspunkt der unzureichenden Bezeichnung der Urkunden in den - durch den jeweiligen Gerichtsbeschluss bestätigten und ergänzten - Anordnungen des Vorsitzenden, weil die bloße Herausnahme von Vernehmungsinhalten, Lichtbildern und Texten in fremder Sprache nicht den Bestimmtheitsanforderungen genüge. Mit dieser Angriffsrichtung wird das Selbstleseverfahren selbst beanstandet, indem geltend gemacht wird, die Anordnungen des Vorsitzenden seien verfahrensfehlerhaft ergangen (vgl. , BGHR StPO § 249 Abs. 2 Selbstleseverfahren 9 Rn. 13-16). Der hierfür maßgebende Sachverhalt, insbesondere die Anordnungen, der gemäß § 249 Abs. 2 Satz 2 StPO jeweils erforderliche Widerspruch sowie der darauffolgende Gerichtsbeschluss, ist jeweils vollständig vorgetragen worden (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO).
20b) Die Rügen erweisen sich allerdings als unbegründet.
21aa) Ordnet der Vorsitzende die Selbstlesung von Urkunden nach § 249 Abs. 2 StPO an, muss deren - aus dem Hauptverhandlungsprotokoll ersichtliche (§ 273 Abs. 1 StPO) - Bezeichnung so genau sein, dass sie identifizierbar sind. Bei umfangreichen Konvoluten kann eine zusammenfassende und pauschale Benennung der Dokumente genügen. Durch das Bestimmtheitserfordernis soll sichergestellt werden, dass über Gegenstand und Umfang der Beweisverwendung kein Zweifel entstehen kann. Die Urkunden sind daher dergestalt zu bezeichnen, dass sie ohne Weiteres individualisiert werden können und keine Missverständnisse auftreten. Die Verfahrensbeteiligten sollen so darauf hingewiesen werden, dass der außerhalb der Hauptverhandlung in der Sonderform des § 249 Abs. 2 StPO gewonnene Beweisstoff dennoch als Inbegriff der Hauptverhandlung im Sinne des § 261 StPO der Überzeugungsbildung des Gerichts zugrunde gelegt werden kann. Können sie nach dem Wortlaut der Anordnung die Urkunden leicht identifizieren, die zum Gegenstand der Beweisaufnahme gemacht werden, ist die Anordnung hinreichend bestimmt (s. , BGHR StPO § 249 Abs. 2 Selbstleseverfahren 6 Rn. 6 f.; Urteil vom - 3 StR 462/17, BGHR StPO § 249 Abs. 2 Selbstleseverfahren 9 Rn. 17-18, 20; Beschlüsse vom - 5 StR 243/21, BGHR StPO § 249 Abs. 2 Selbstleseverfahren 10 Rn. 12; vom - 5 StR 47/22, juris Rn. 14; LR/Mosbacher, StPO, 27. Aufl., § 249 Rn. 58, 67; MüKoStGB/Kreicker, 2. Aufl., § 249 Rn. 54).
22Wird der Umfang des Selbstleseverfahrens anhand rechtlicher und tatsächlicher Kriterien in abstrakter Form eingeschränkt, kann dies zur Folge haben, dass die eingeführten Urkunden(teile) nicht eindeutig identifiziert und individualisiert werden können. Dies kann etwa der Fall sein, wenn - über eine zulässige zusammenfassende und pauschale Benennung der zu verlesenen Schriftstücke hinaus - den Mitgliedern des Spruchkörpers und den anderen Verfahrensbeteiligten für die Ermittlung des Umfangs der Selbstlesung eine eigene Subsumtion unter unbestimmte Begriffe sowie unter rechtlich im Einzelnen umstrittene Verlesungsvorschriften der Strafprozessordnung überantwortet wird, so dass das Ergebnis der Subsumtion nicht feststellbar ist und damit unklar bleibt. Dann ist nicht ausgeschlossen, dass die Spruchkörpermitglieder Urkunden(teile) in unterschiedlichem Umfang zum Gegenstand der Selbstlesung und mithin zur Urteilsgrundlage gemacht haben; insbesondere aber kann hierdurch bei den anderen Verfahrensbeteiligten Zweifel über den Gegenstand und Umfang der Beweisverwendung entstehen, so dass die Selbstleseanordnung ihre dargestellte Hinweiswirkung verfehlt (vgl. , BGHR StPO § 249 Abs. 2 Selbstleseverfahren 10 Rn. 14).
23bb) An diesem Maßstab gemessen begegnen die Anordnungen über die Durchführung der Selbstleseverfahren I bis XIII teilweise rechtlichen Bedenken. Im Einzelnen:
24(1) Hinreichend bestimmt sind die vom Vorsitzenden getroffenen, teils auf Widerspruch gemäß § 249 Abs. 2 Satz 2 StPO durch entsprechenden Kammerbeschluss geänderten Anordnungen im Hinblick auf die Herausnahme von Lichtbildern. Etwaige Unklarheiten, welche konkreten Beweismittel mit dieser Sammelbezeichnung gemeint sind, sind nicht ersichtlich. Lichtbilder können schon begrifflich nicht gelesen werden; sie können nicht Gegenstand des Urkundenbeweises sein.
25(2) Soweit in den Anordnungen Schriftstücke ausgenommen wurden, die Texte in niederländischer Sprache ohne Übersetzung betrafen, genügt dies ebenfalls dem Bestimmtheitserfordernis. Denn für die Verfahrensbeteiligten war hinreichend deutlich, dass Texte in fremder Sprache nicht vom Selbstleseverfahren erfasst waren, sondern allein die deutsche Übersetzung zur Grundlage der tatrichterlichen Überzeugungsbildung wurde. Unklarheiten waren insoweit nicht zu besorgen.
26(3) Auf rechtliche Bedenken stößt allerdings die Benennung von Urkunden mit dem Ausschluss von Vernehmungsinhalten.
27Die Revision macht mit Recht geltend, dass durch diese anhand rechtlicher und tatsächlicher Kriterien abstrakt vorgenommene Einschränkung des Umfangs der Selbstleseverfahren die betroffenen Urkundenteile nicht eindeutig identifiziert und individualisiert werden konnten. Mag die Qualifizierung eines Vernehmungsinhalts für die Berufsrichter, die Vertreter der Staatsanwaltschaft und die Verteidiger noch vorzunehmen sein, ist dies für die - in der Regel nicht juristisch geschulten - Angeklagten, denen die Urkunden überdies durch Dolmetscher übersetzt wurden, und die Schöffen nicht ohne Weiteres möglich. Den Mitgliedern des Spruchkörpers einschließlich der Schöffen sowie den anderen Verfahrensbeteiligten war eine eigene Subsumtion unter den Begriff des Vernehmungsinhalts überantwortet. Ein solches Vorgehen ist im Rahmen der durch das Selbstleseverfahren aus der Hauptverhandlung verlagerten Beweisaufnahme verfahrensfehlerhaft, weil das Ergebnis der Subsumtion nicht feststellbar war und damit unklar blieb. Es ist nicht ausgeschlossen, dass Mitglieder des Spruchkörpers - bezogen auf Vernehmungsinhalte - Urkunden(teile) in unterschiedlichem Umfang zum Gegenstand der Selbstlesung und damit zur Urteilsgrundlage machten. Insbesondere aber konnten bei den Verfahrensbeteiligten Zweifel über Gegenstand und Umfang der Beweisverwendung entstehen, so dass die Selbst-leseanordnung hinsichtlich der Ausnahme der Vernehmungsinhalte ihre dargestellte Hinweiswirkung verfehlte.
28cc) Auf diesem Rechtsfehler beruht das Urteil jedoch nicht (§ 337 Abs. 1 StPO). Die Unbestimmtheit einer Selbstleseanordnung führt nicht zwangsläufig zu deren Unwirksamkeit im Ganzen. Vielmehr ist das Selbstleseverfahren nur insoweit von diesem Verfahrensfehler betroffen, als die Auslegungszweifel reichen können. Es kommt darauf an, ob und inwieweit die Anordnung weiterhin ihre Funktion, die für die Verfahrensbeteiligten erkennbare Bestimmung von Gegenstand und Umfang der Beweisverwendung von Urkunden, zu erfüllen vermag. In dem Ausmaß, in dem solche Zweifel nicht bestehen, wirkt sich der Verfahrensfehler - als bloßer Formalverstoß - nicht aus.
29Angesichts des erheblichen Umfangs der in Rede stehenden Selbstleseverfahren und des Umstands, dass die Strafkammer ihre Überzeugung maßgeblich auf die verschrifteten und übersetzten Inhalte der Telekommunikation zwischen den Angeklagten und den gesondert Verfolgten gestützt hat, lässt sich ausschließen, dass sie ohne den Verfahrensfehler zu einer anderen Entscheidung gelangt wäre. Die 13 Selbstleseverfahren umfassten deutlich mehr als 9.000 Seiten und hatten ganz überwiegend Gesprächsprotokolle der Telekommunikationsüberwachung sowie Textnachrichten zum Gegenstand. Es stand für alle Verfahrensbeteiligten unzweideutig fest, dass diese Inhalte keinen Bezug zu Vernehmungen einschließlich formloser Befragungen (s. , BGHR StPO § 251 Abs. 4 Gerichtsbeschluss 5 Rn. 5; ferner MüKoStPO/Krüger, 2. Aufl., § 256 Rn. 40 mwN) aufwiesen und somit von den Selbstleseanordnungen erfasst waren. Weniger als 20 polizeiliche Vermerke enthielten zu einem untergeordneten Anteil Vernehmungsinhalte, wobei sich die wiedergegebenen Angaben von Zeugen oder gesondert Verfolgten ganz überwiegend nur in einem oder zwei Sätzen erschöpften. Bleiben die Urkundenteile außer Betracht, bei denen die Qualifizierung eines Vernehmungsinhalts fraglich ist, wäre trotzdem nicht zweifelhaft, dass sich die Strafkammer von den tatsächlichen Umständen überzeugt hätte, die den Schuld- und Rechtsfolgenaussprüchen zugrunde liegen.
30Der Beschluss des 5. Strafsenates vom (5 StR 243/21, NStZ-RR 2022, 143, 144) widerspricht der hier vorgenommenen einzelfallbezogenen Differenzierung nicht. Denn die dort beurteilte Selbstleseanordnung hatte in weitaus größerem Umfang auf unbestimmte Begriffe und insbesondere mehrere Rechtsvorschriften verwiesen („schriftliche Erklärungen i.S.d. § 250 StPO“, „insoweit Gegenstand ..., als dies durch § 256 Abs. 1 Nr. 1, 5 StPO gestattet wird“). Dementsprechend wird sie in dem Beschluss als insgesamt rechtlich defizitär bewertet und besteht kein Anhalt dafür, dass von ihr Urkunden(teile) erfasst gewesen sein könnten, bei denen gleichwohl keine Auslegungszweifel vorhanden waren und die - gegebenenfalls in Verbindung mit weiteren Beweisergebnissen - den Schuldspruch hätten tragen können.
III.
31Sachrüge des Angeklagten S. A.
321. Auf Antrag des Generalbundesanwalts stellt der Senat das Verfahren hinsichtlich des Angeklagten S. A. in den Fällen II. 02-003, 02-010, 03-004, 03-006, 07-001, 07-013, 07-027, 07-038, 07-053, 08-005, 08-006, 08-007, 10-073, 14-001, 17-105 und 18-010 der Urteilsgründe, in denen aufgrund der getroffenen Feststellungen nach neuer Rechtslage (auch) das Konsumcannabisgesetz anwendbar ist, und im Fall II. 13-003 der Urteilsgründe, in dem der Angeklagte nach dem Arzneimittelgesetz verurteilt worden ist, nach § 154 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 StPO - insoweit mit der Kostenfolge des § 467 Abs. 1 StPO - aus prozessökonomischen Gründen ein.
332. Der Senat ändert den Schuldspruch angesichts der Teileinstellung des Verfahrens, einer modifizierten rechtlichen Würdigung des Falls II. 25-164 sowie im Hinblick auf eine gebotene abweichende konkurrenzrechtliche Beurteilung wie aus der Beschlussformel ersichtlich.
34a) Das Handeln des Angeklagten im Fall II. 25-164 erfüllt - anders als das Landgericht meint - lediglich den Tatbestand des § 30 Abs. 1 Nr. 1 BtMG und nicht den Tatbestand des § 30a Abs. 1 BtMG, da die nicht geringe Menge insgesamt nicht überschritten wird.
35b) Die Beurteilung der Konkurrenzen durch das Landgericht hält in folgenden Fällen sachlichrechtlicher Nachprüfung nicht stand:
36aa) Die Annahme von zwei selbstständigen Taten des Bandenhandels mit Betäubungsmitteln (§ 30 Abs. 1 Nr. 1 BtMG, § 53 StGB) in den Fällen II. 19-073 und 19-074 der Urteilsgründe wird von den Urteilsfeststellungen nicht getragen. Vielmehr liegt ausschließlich eine Tat des Bandenhandels mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§ 30a Abs. 1 BtMG) vor.
37Nach den zu diesen Fällen getroffenen Feststellungen erweiterte der Angeklagte die von einer Abnehmerin am gegen 20:39 Uhr abgegebene Bestellung noch am gleichen Abend in einem mit ihr darauffolgend geführten Telefonat um 21:07 Uhr auf eine größere Gesamtmenge von insgesamt 3,5 Gramm Heroin sowie 2 Gramm Kokain (Wirkstoffgehalt von 1,55 Gramm HHCl bzw. 1,79 Gramm KHCl).
38Die festgestellten Handlungen werden zu einer Bewertungseinheit verbunden. Eine einheitliche Tat des Handeltreibens ist immer dann anzunehmen, wenn ein und derselbe Güterumsatz Gegenstand der strafrechtlichen Bewertung ist. Die innerhalb dieses Rahmens aufeinanderfolgenden Teilakte werden schon vom gesetzlichen Tatbestand selbst in dem pauschalisierenden, verschiedenartige Tätigkeiten einschließenden Begriff des Handeltreibens zu einer Tat zusammengefasst. Dabei ist entscheidend, ob sich die Bemühungen des Täters - wie hier - auf dieselbe Rauschgiftmenge beziehen (vgl. , BGHR BtMG § 29 Bewertungseinheit 19 mwN).
39bb) Die rechtliche Würdigung des Landgerichts zu den Fällen II. 17-058 und 25-148 der Urteilsgründe, deren konkurrenzrechtliches Verhältnis zueinander es als in Tatmehrheit stehend beurteilt hat, ist nicht frei von einem Rechtsfehler. Denn es sind zwei tateinheitliche Fälle des Bandelhandels mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§ 30a Abs. 1 BtMG, § 52 StGB) gegeben.
40Nach den zu diesen Fällen getroffenen Feststellungen veräußerte der Angeklagte am um 12:11 Uhr im Laufe desselben von ihm geführten Telefonats gewinnbringend Rauschgift an zwei verschiedene Abnehmer, zunächst an den einen 10 Gramm Heroin und 8,5 Gramm Kokain (Wirkstoffgehalt 4,45 Gramm HHCl bzw. 7,6 Gramm KHCl), unmittelbar anschließend an den anderen in gleicher Weise 2 Gramm Heroin und 2,5 Gramm Kokain (Wirkstoffgehalt 0,89 Gramm HHCl bzw. 2,24 Gramm KHCl).
41Der Angeklagte entfaltete danach einheitliche Handelsbemühungen im Rahmen zweier Umsatzgeschäfte. Zwischen den Tatbestandsverwirklichungen besteht somit Teilidentität der Ausführungshandlungen; dies begründet Idealkonkurrenz (vgl. , BGHSt 63, 1; Patzak/Fabricius, BtMG, 11. Aufl., § 29 Rn. 482 f. jeweils mwN).
42c) Danach hat sich der Angeklagte wegen Bandenhandels mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 224 Fällen und Bandenhandels mit Betäubungsmitteln in 87 Fällen strafbar gemacht. Soweit diesbezüglich zum Tenor des angefochtenen Urteils nach Berücksichtigung der Teileinstellung gemäß § 154 Abs. 2 StPO und der dargelegten rechtlichen Bewertung Divergenzen ver-bleiben, beruhen diese auf Zählfehlern der Strafkammer. Der Senat ändert den Schuldspruch daher entsprechend § 354 Abs. 1 StPO. § 265 StPO steht dem nicht entgegen, weil sich der Angeklagte bei zutreffender konkurrenzrechtlicher Bewertung des Tatgeschehens nicht wirksamer als geschehen hätte verteidigen können. Bei der Fassung des Schuldspruchs sieht der Senat gemäß § 260 Abs. 4 Satz 5 StPO wegen des Gebots der Klarheit und Verständlichkeit des Tenors davon ab, in der Beschlussformel die gleichartige Tateinheit zum Ausdruck zu bringen (vgl. , juris Rn. 3 mwN).
433. Hinsichtlich der Einzelstrafen ergibt sich Folgendes:
44a) Der Senat lässt infolge der Schuldspruchänderung aufgrund der geänderten konkurrenzrechtlichen Bewertung die in Fall II. 19-074 der Urteilsgründe verhängte Einzelfreiheitsstrafe entfallen und setzt diejenige in Fall II. 19-073 der Urteilsgründe in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO auf drei Jahre - anstatt zwei Jahre und sechs Monate - fest. Grundlage dafür ist, dass nunmehr der Strafrahmen aus § 30a Abs. 1 BtMG Anwendung findet. Angesichts des Seriencharakters der Taten und der im Rahmen der Strafzumessung vom Landgericht vorgenommenen am Grenzwert der nicht geringen Menge orientierten Strafmaßstaffelung ist mit Sicherheit anzunehmen, dass es auf die verhängte Einzelstrafe erkannt hätte.
45Das Verschlechterungsverbot (§ 358 Abs. 2 Satz 1 StPO) steht dem nicht entgegen. Bei der gegebenen Sachlage darf lediglich die neu festgesetzte Einzelstrafe die Summe der bisherigen Einzelstrafen nicht überschreiten (vgl. , BGHR StPO § 358 Abs. 2 Nachteil 12 mwN).
46b) Die Tateinheit zwischen den Fällen II. 17-058 und 25-148 der Urteilsgründe führt zum Wegfall der niedrigeren der beiden Einzelstrafen. Die für den Fall II. 17-058 der Urteilsgründe verhängte Einzelstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten hat dagegen ungeachtet der Schuldspruchänderung Bestand. Denn es ist auszuschließen, dass die Strafkammer eine mildere Einzelstrafe für die beiden idealkonkurrierenden Fälle festgesetzt hätte.
47c) Entsprechend dem Antrag des Generalbundesanwalts reduziert der Senat die Einzelfreiheitsstrafe in Fall II. 10-022 der Urteilsgründe auf fünf Jahre und sechs Monate.
48d) Soweit das Landgericht unter dem Gesichtspunkt tateinheitlicher Verknüpfung die in Fall II. 18-030 der Urteilsgründe bis zum nachfolgenden vier Betäubungsmittelgeschäfte dem Angeklagten zugerechnet hat, ohne dass insofern ein individueller Tatbeitrag bei den weiteren Taten festgestellt ist, fehlt es an einer Grundlage für die konkurrenzrechtliche Zusammenfassung (vgl. , NJW 2004, 2840, 2841). Der Senat setzt daher, um jegliche Beschwer des Angeklagten zu vermeiden, die Einzelstrafe in diesem Fall analog § 354 Abs. 1 StPO - entsprechend der vom Landgericht vorgenommenen Strafmaßstaffelung - auf das Mindestmaß und damit auf drei Jahre Freiheitsstrafe fest. Das Verschlechterungsverbot (§ 358 Abs. 2 Satz 1 StPO) steht dem nicht entgegen (vgl. , juris Rn. 4 mwN).
49e) Zudem hat die für Fall II. 16-006 der Urteilsgründe verhängte Einzelstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO zu entfallen. Das Landgericht hat in diesem Fall festgestellt, dass der Angeklagte an eine Abnehmerin Ende September 2019 mindestens 10 Gramm Heroin und 100 Gramm Streckmittel gewinnbringend veräußerte, wenngleich, wie in den Urteilsgründen ausdrücklich klargestellt ist, die Tat nicht angeklagt und deshalb vom Schuldspruch nicht umfasst war. Dennoch hat die Strafkammer hierfür eine Einzelfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten festgesetzt.
50f) Die Teileinstellung des Verfahrens und der Wegfall der für die Fälle II. 16-006, 19-074 und II. 25-148 der Urteilsgründe verhängten Strafen (§ 349 Abs. 4 StPO) lassen den Ausspruch über die Gesamtstrafe unberührt. Es ist namentlich mit Blick auf die verbleibende Einsatzfreiheitsstrafe von acht Jahren aus Fall II. 01-010 der Urteilsgründe sowie die weiteren zahlreichen Einzelstrafen, welche die Strafkammer eng zusammengezogen hat, ausgeschlossen, dass sie ohne die weggefallenen Einzelstrafen auf eine niedrigere Gesamtstrafe erkannt hätte (§ 337 Abs. 1 StPO).
514. Von der erweiterten Einziehung des sichergestellten Bargelds sieht der Senat ab und beschränkt die Verfolgung der Taten auf die übrigen Rechtsfolgen (§ 421 Abs. 1 Nr. 3 StPO). Die Einziehung des Wertes von Taterträgen ist im Übrigen dem Grunde nach gerechtfertigt, bedarf jedoch wie aus der Beschlussformel ersichtlich in ihrer Höhe der Korrektur und hinsichtlich der Anordnung gesamtschuldnerischer Haftung der Ergänzung. Die weitere Einziehung der sichergestellten Dose und der sichergestellten Betäubungsmittel hat hingegen keinen Bestand. Dagegen ist die Einziehung des Notizbuches und des Mobiltelefons aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
52a) Mit Zustimmung des Generalbundesanwalts sieht der Senat beim Angeklagten von der erweiterten Einziehung (§ 73a StGB) des sichergestellten Bargelds in Höhe von 1.400 € und von weiteren 173.740 € gemäß § 421 Abs. 1 Nr. 3 StPO aus prozessökonomischen Gründen ab. Allerdings wird im Vollstreckungsverfahren eine Verrechnung in Betracht zu ziehen sein (vgl. auch , BGHR StGB § 73c Satz 1 Unmöglichkeit 1 Rn. 6). Die Verfahrensbeschränkung ist unter zwei rechtlichen Gesichtspunkten veranlasst.
53Die Strafkammer hat die Einziehung der - bei der Durchsuchung der Wohnung des Zwillingsbruders am im Besitz des Angeklagten sichergestellten - Gelder auf § 73a Abs. 1 StGB gestützt, weil sie nicht hat feststellen können, dass es sich um Erträge aus den verfahrensgegenständlichen Betäubungsmittelverkäufen handelte. Zur weiteren Begründung hat sie dargelegt, eine legale Herkunft der Gelder liege angesichts der beschränkten wirtschaftlichen Verhältnisse des Angeklagten fern. Vielmehr sprächen die Auffindesituation, Verpackung und Stückelung des Bargelds für eine Herkunft der Mittel aus Drogengeschäften.
54Zum einen bleibt nach den Urteilsgründen unklar, ob die sichergestellten Geldmittel zum Zeitpunkt der Begehung der Anlasstaten gegenständlich bei dem Angeklagten vorhanden waren. Angesichts des deutlichen Zeitabstands zwischen der letzten festgestellten Tat des Angeklagten und dem Sicherstellungszeitpunkt drängt sich dies jedenfalls nicht auf. Für die erweiterte Einziehung des Wertes von Taterträgen nach § 73a Abs. 1, § 73c StGB ist anerkannt, dass sie nur angeordnet werden kann, wenn das durch eine nicht konkretisierbare andere rechtswidrige Tat Erlangte bei Begehung der Anlasstat im Vermögen des Angeklagten gegenständlich oder in Gestalt eines Surrogats vorhanden war (vgl. BGH, Beschlüsse vom - 5 StR 447/20, BGHR StGB § 73c neue Fassung Anwendungsbereich 1 Rn. 10; vom - 3 StR 158/21, BGHR StGB § 73a Abs. 1 Wertersatz 1 Rn. 13 ff., jeweils mwN). Ob dieses Erfordernis angesichts des Wortlauts der Norm und des gesetzgeberischen Willens sowie nach Sinn und Zweck des Gesetzes auf die erweiterte Einziehung des gegenständlich Erlangten selbst nach § 73a Abs. 1 StGB zu übertragen ist, ist noch nicht abschließend geklärt (s. , BGHR StGB § 73a Abs. 1 Einziehung 3 Rn. 13 mwN).
55Zum anderen ist das Landgericht nach Ausschöpfung aller Beweismittel zu der Überzeugung gelangt, dass das sichergestellte Bargeld aus rechtswidrigen, nicht konkret zuzuordnenden Taten herrührt. Dabei hat es nicht ausschließen können, dass es auch aus den abgeurteilten Taten stammt. In diesem Fall scheidet die Einziehung des Wertes von Taterträgen nach § 73 Abs. 1, § 73c Satz 1 StGB neben der erweiterten Einziehung des sichergestellten Bargelds (§ 73a Abs. 1 StGB) aus. Denn ansonsten käme es möglicherweise zu einer unzulässigen doppelten Inanspruchnahme des Angeklagten (vgl. BGH, Beschlüsse vom - 3 StR 175/22, wistra 2023, 22 Rn. 11; vom - 3 StR 419/22, juris Rn. 3 mwN).
56b) Das Landgericht ist im rechtlichen Ansatz zutreffend davon ausgegangen, dass der Angeklagte diejenigen Erträge durch die Taten erlangte, welche die Abnehmer als Kaufpreis für die veräußerten Betäubungsmittel zahlten, und nur deren Wert nach § 73 Abs. 1, § 73c StGB einzuziehen war, weil konkrete - unvermengte - Barmittel den Taten nicht haben zugeordnet werden können.
57Der Ausspruch über die Wertersatzeinziehung unterliegt jedoch der Änderung der Höhe nach. Der Wert der vom Angeklagten aus den gegenständlichen Taten erzielten Erträge bemisst sich unter Abzug der Beträge, welche die gemäß § 154 Abs. 2 StPO ausgeschiedenen Fälle betreffen (vgl. BGH, Beschlüsse vom - 5 StR 327/21, juris Rn. 4; vom - GSSt 1/23, BGHSt 67, 295 Rn. 59 mwN), sowie nach den vom Landgericht festgestellten Verkaufspreisen, die es allerdings nicht durchgängig seiner Berechnung zugrunde gelegt hat, auf insgesamt 285.802 €. Daher ist der Einziehungsbetrag analog § 354 Abs. 1 StPO zu reduzieren.
58Zudem haftet der Angeklagte nicht nur in Höhe von 81.395 €, sondern hinsichtlich aller erwirtschafteten und aus der Beschlussformel ersichtlichen Erträge als Gesamtschuldner. Nach den getroffenen Feststellungen hatte der Angeklagte in Anbetracht der von ihm verwalteten Gemeinschaftskasse faktische (Mit-)Verfügungsgewalt an den zunächst anderen Bandenmitgliedern zugeflossenen Beträgen. Die gesamtschuldnerische Haftung ist in die Urteilsformel aufzunehmen, um das mehrfache Einziehen des Tatertrages zu verhindern. Der namentlichen Benennung anderer Gesamtschuldner bedarf es dabei nicht (s. , juris Rn. 2 mwN). Der Senat holt diesen Ausspruch in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO ebenfalls nach.
59c) Keinen Bestand hat die angeordnete Einziehung der anlässlich der Wohnungsdurchsuchung sichergestellten „getapte[n] Dose“ sowie der „sichergestellten Betäubungsmittel“. Wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift zutreffend dargetan hat, fehlt es an hinreichenden Feststellungen dazu, ob beziehungsweise inwieweit diese Gegenstände in einem Bezug zu den abgeurteilten Taten standen, etwa Tatmittel oder Tatobjekte im Sinne des § 74 Abs. 1 und 2 StGB waren (vgl. , juris Rn. 27 mwN).
605. Die sachlichrechtliche Überprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung hat im Übrigen keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
IV.
61Sachrüge des Angeklagten A. A.
621. Auf Antrag des Generalbundesanwalts stellt der Senat das Verfahren hinsichtlich des Angeklagten A. A. in den Fällen II. 02-005, 07-001, 07-027 und 07-053 der Urteilsgründe, in denen aufgrund der getroffenen Feststellungen nach neuer Rechtslage (auch) das Konsumcannabisgesetz anwendbar ist, und im Fall II. 13-003 der Urteilsgründe, in dem er nach dem Arzneimittelgesetz verurteilt worden ist, nach § 154 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 StPO - insoweit mit der Kostenfolge des § 467 Abs. 1 StPO - aus prozessökonomischen Gründen ein.
632. Der Schuldspruch ist angesichts der Teileinstellung des Verfahrens sowie im Hinblick auf eine gebotene abweichende konkurrenzrechtliche Beurteilung wie aus der Beschlussformel ersichtlich zu ändern.
64a) Das Landgericht hat die Rauschgiftlieferungen in den Fällen II. 10-049 und 20-021, II. 10-072 und 19-076, II. 17-056 und 25-146, II. 18-046 und 27-064 sowie II. 19-071 und 25-165 der Urteilsgründe jeweils als rechtlich selbstständige Taten des Bandenhandels mit Betäubungsmitteln (in nicht geringer Menge) bewertet.
65Angesichts dessen, dass bei mehreren Tatbeteiligten für jeden nach der Art seines Tatbeitrags die konkurrenzrechtliche Bewertung selbstständig zu treffen ist (vgl. , NStZ-RR 2020, 306), bilden die vorgenannten Fälle beim Angeklagten A. A. jeweils eine Tat im Sinne von § 52 Abs. 1 StGB, also insgesamt fünf anstelle von zehn Fällen. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen legen mit Blick auf den unmittelbaren zeitlichen und örtlichen Zusammenhang der von ihm vorgenommenen gleichzeitigen Auslieferungen des Kokains und Heroins an verschiedene Abnehmer nahe, dass jeweils zwei der genannten Taten zu Tateinheit verknüpft werden. Denn Überschneidungen der Ausführungshandlungen führen beim Bandenhandel mit Betäubungsmitteln zur gleichartigen Idealkonkurrenz.
66b) Danach hat sich der Angeklagte wegen Bandenhandels mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 102 Fällen und Bandenhandels mit Be-täubungsmitteln in 20 Fällen strafbar gemacht. Soweit die Anzahl der vom Landgericht ausgeurteilten Fälle abzüglich der nach § 154 Abs. 2 StPO eingestellten Fälle und die von dem Senat angenommenen Zahlen divergieren, beruht dies auf einem Zählfehler der Strafkammer. Der Schuldspruch ist daher in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO zu ändern. § 265 StPO steht dem nicht entgegen, weil sich der Angeklagte gegen den geänderten Schuldspruch nicht wirksamer als geschehen hätte verteidigen können. Auch bei diesem Angeklagten sieht der Senat von der Kennzeichnung gleichartiger Tateinheit im Schuldspruch ab.
673. Die geänderte konkurrenzrechtliche Bewertung in den zuvor genannten Fällen wirkt sich auf die verhängte Jugendstrafe nicht aus. Der Unrechts- und Schuldgehalt der Taten bleibt davon ohnehin unberührt. Auch die Teileinstellung des Verfahrens bleibt wegen ihres vergleichsweise geringen Umfangs in Anbetracht der konkreten Strafzumessungserwägungen ohne Einfluss.
684. Der Ausspruch über die Einziehung hält rechtlicher Nachprüfung nur teilweise stand.
69a) Die Einziehung des Wertes von Taterträgen ist analog § 354 Abs. 1 StPO herabzusetzen. Unter Abzug der Beträge, welche die gemäß § 154 Abs. 2 StPO ausgeschiedenen Fälle betreffen, sowie nach den vom Landgericht festgestellten Verkaufspreisen, die es allerdings nicht durchgängig seiner Berechnung zugrunde gelegt hat, ergibt sich ein Gesamtbetrag von 98.345 €, den der Angeklagte als Bezahlung für die Veräußerung der Betäubungsmittel erhielt und in die Gemeinschaftskasse einzahlte.
70Daneben bedarf der Ausspruch über die Einziehung des Wertes von Taterträgen angesichts der landgerichtlichen Feststellungen der Ergänzung dahin, dass der Angeklagte als Gesamtschuldner haftet; die individuelle Benennung der anderen Gesamtschuldner ist wiederum nicht erforderlich (vgl. , juris Rn. 3).
71b) Die Anordnung der Einziehung der sichergestellten Betäubungsmittel hat auf der Grundlage der bisherigen Urteilsgründe keinen Bestand. Die vom Landgericht auf § 74 Abs. 2 StGB in Verbindung mit § 33 BtMG gestützte Einziehungsanordnung ist betreffend die genannten Einziehungsobjekte rechtsfehlerhaft. Denn nach den getroffenen Feststellungen ist nicht ersichtlich, ob die sichergestellten Drogen in einem Bezug gerade zu den abgeurteilten Taten des Angeklagten standen und diesen als Tatobjekt zuzuordnen sind.
725. Die sachlichrechtliche Überprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung hat im Übrigen keinen dem Angeklagten nachteiligen Rechtsfehler ergeben.
V.
73Die Kostenentscheidung folgt betreffend beide Angeklagte aus § 473 Abs. 4 StPO. Der geringfügige Erfolg der Rechtsmittel lässt es nicht unbillig erscheinen, die Angeklagten jeweils mit den gesamten Kosten zu belasten.
Berg Paul Hohoff
Anstötz Voigt
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:141124B3STR289.23.0
Fundstelle(n):
DAAAJ-83595