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NWB-EV Nr. 1 vom Seite 16

Anfall, Annahme und Ausschlagung der Erbschaft

Betrachtung im Zusammenspiel mit Pflichtteil, Zugewinn und Rechtswahl

Professor Dr. Dr. Thomas Gergen

Gleich „dreimal A“ beim Erbfall, gewissermaßen ein Stabreim im Erbrecht: Anfall, Annahme und Ausschlagung der Erbschaft werden seitens der §§ 1942 und 1943 BGB zusammengeklammert behandelt und müssen in der Rechtsanwendung und Beratungspraxis sorgfältig voneinander unterschieden werden. Dieser Beitrag zeigt die erbschaftsteuerlichen Möglichkeiten auf, die sich um eine gegen Abfindung erklärte Ausschlagung einer Erbschaft ranken, ohne zu vergessen, den Blick in die hauptsächlich durch den romanischen Rechtskreis geprägten Zivilgesetzbücher zu lenken, die im Vergleich zum BGB die Ausschlagung wesentlich länger zulassen, wie etwa der französische Code civil.

Überdies führt die Ausschlagung zum Pflichtteilsrecht bei Ehepartnern in eine rechtspolitisch kritisierte, gleichwohl steuerrechtlich sehr ansprechende und damit praxistaugliche Konstellation von Zugewinnausgleich und Pflichtteilsanspruch gem. § 1371 Abs. 3 BGB.

Das OLG Karlsruhe hat vor kurzem auf die Probleme bei der fristgerechten Erbausschlagung seitens eines Betreuers hingewiesen und betont, dass die Wirksamkeit der Ausschlagung erst mit der Genehmigung des Betreuungsgerichts eintritt. Damit ist die ohnehin kurze Sechs-Wochen-Frist erneut „strapaziert“; auch hier ist in der praktischen Rechtsanwendung Vorsicht geboten.

Kernaussagen
  • Die Ausschlagung ist mit ihrer sehr kurz bemessenen Sechs-Wochen-Frist ein beratungssensibler Bereich. Ist etwa ein Betreuer im Spiel, genügt zur Fristwahrung bereits dessen Antrag auf Genehmigung beim Betreuungsgericht.

  • Die Annahme ist wie die Ausschlagung der Erbschaft ein Gestaltungsrecht. Davon zu trennen ist der Anfall der Erbschaft. Eine Annahme kann explizit oder schlüssig erfolgen. Das BGB zeigt sich wegen seiner kurzen Ausschlagungsfrist und der damit einhergehenden weiten Auslegung des Merkmals der Annahme als „erbschaftsannahmefreundlich“. Sachenrechtlich gedeutet soll „Herrenlosigkeit“ (§§ 958 f. BGB) von Sachgesamtheiten vermieden werden.

  • Einen Ausweg aus der engen Frist des deutschen Rechts kann die Rechtswahl eines anderen Erbstatuts bringen.

  • Bei Beendigung der Ehe respektive des Güterstands der Gütertrennung mit Zugewinnausgleich führt die Ausschlagung über den Pflichtteilsanspruch des überlebenden Ehegatten zum steuerbegünstigten Zugewinnausgleichsanspruch. Dies empfiehlt sich insbesondere dann, falls zu Lebzeiten noch nicht von der „Güterstandsschaukel“ Gebrauch gemacht wurde.

I. BGB-Terminologie

1. „Annahmefreundlichkeit“ des BGB

Anfall und Ausschlagung sowie Annahme und Ausschlagung sind in §§ 1942, 1943 BGB paarweise (binomisch) verknüpft. So definiert § 1942 BGB den Anfall der Erbschaft (Legaldefinition) in Abhängigkeit von der Willenserklärung der Erben: (1) Die Erbschaft geht auf den berufenen Erben unbeschadet des Rechts über, sie auszuschlagen (Anfall der Erbschaft). (2) Der Fiskus kann die ihm als gesetzlichem Erben angefallene Erbschaft nicht ausschlagen. Gemäß Absatz 2 darf der Staat die Erbschaft folglich nicht von sich weisen, ist also annahmepflichtig; die Erbschaft gilt mithin als angenommen und wird mithin nicht zu einer herrenlosen Sache, denn Erbrecht ist stets auch Sachenrecht, wenn man an §§ 958, 959 BGB denkt.