BAG Urteil v. - 9 AZR 227/23

AGB - Rückzahlung von Studienkosten

Instanzenzug: Az: 7 Ca 750/22 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz Az: 7 Sa 249/22 Urteil

Tatbestand

1Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Rückzahlung von Studienkosten in Anspruch.

2Unter dem schlossen die Parteien einen „Ausbildungs- und Studienvertrag nach dem TVAöD - Allgemeiner und Besonderer Teil BBiG - und der Richtlinie des Bundes für ausbildungsintegrierte duale Studiengänge“ (Ausbildungs- und Studienvertrag), der ua. folgende Bestimmungen vorsieht:

3Nr. 9 Abs. 2 der von den Parteien vertraglich in Bezug genommenen Richtlinie vom (Rundschreiben des Bundesministeriums des Innern vom , GMBl. S. 1102) enthält eine Rückzahlungsklausel, die der in § 9 des Ausbildungs- und Studienvertrags im Wesentlichen entspricht.

4Die Beklagte schloss den Ausbildungsteil am ab. Mit Schreiben vom , der Klägerin am zugegangen, kündigte sie den Ausbildungs- und Studienvertrag zum nächstmöglichen Zeitpunkt. Unter dem forderte die Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen die Beklagte erfolglos auf, Ausbildungskosten iHv. 8.122,14 Euro zu erstatten.

5Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, die Beklagte sei gemäß § 9 Abs. 2 Buchst. b des Ausbildungs- und Studienvertrags zur Erstattung der Studienkosten verpflichtet.

6Die Klägerin hat - soweit für die Revision von Bedeutung - beantragt,

7Die Beklagte hat die Abweisung der Klage mit der Begründung beantragt, die Erstattungsregelung in § 9 Abs. 2 Buchst. b des Ausbildungs- und Studienvertrags benachteilige sie unangemessen und sei deshalb gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam.

8Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin gegen dieses Urteil zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihr Klageziel weiter. In der Revisionsinstanz stützt sie ihr Klagebegehren erstmals auch auf § 18 Abs. 2 Buchst. b des Tarifvertrags für Studierende in ausbildungsintegrierten dualen Studiengängen im öffentlichen Dienst vom (TVSöD).

Gründe

9Die Revision der Klägerin ist teilweise unzulässig, im Übrigen ist sie nicht begründet.

10I. Soweit die Klägerin ihr Zahlungsbegehren in der Revisionsinstanz erstmals auf die tarifvertragliche Bestimmung des § 18 Abs. 2 Buchst. b TVSöD stützt, handelt es sich um eine unzulässige Klageerweiterung in der Revisionsinstanz.

111. Nach § 559 Abs. 1 ZPO ist eine Klageänderung in der Revisionsinstanz grundsätzlich ausgeschlossen. Deshalb können im Revisionsverfahren neue prozessuale Ansprüche in der Regel nicht zur gerichtlichen Entscheidung gestellt werden. Der Schluss der mündlichen Verhandlung in zweiter Instanz bildet nicht nur bezüglich des tatsächlichen Vorbringens, sondern auch hinsichtlich der Anträge der Parteien die Entscheidungsgrundlage für das Revisionsgericht. Aus prozessökonomischen Gründen hat das Bundesarbeitsgericht hiervon Ausnahmen in Fällen zugelassen, in denen sich der geänderte Sachantrag auf einen in der Berufungsinstanz festgestellten oder von den Parteien übereinstimmend vorgetragenen Sachverhalt stützen kann, sich das rechtliche Prüfprogramm nicht wesentlich ändert und die Verfahrensrechte der anderen Partei durch eine Sachentscheidung nicht verkürzt werden (vgl.  - Rn. 31, BAGE 178, 75).

122. Der Klageantrag ist durch das Abstellen auf § 18 Abs. 2 Buchst. b TVSöD um einen zusätzlichen Lebenssachverhalt erweitert worden. Hierbei handelt es sich um die Einführung eines neuen Streitgenstands, über den der Senat nicht zu entscheiden befugt ist.

13a) Nach dem für das arbeitsgerichtliche Urteilsverfahren geltenden zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriff wird der Gegenstand eines gerichtlichen Verfahrens durch den gestellten Antrag (Klageantrag) und den ihm zugrunde liegenden Lebenssachverhalt (Klagegrund), aus dem die begehrte Rechtsfolge hergeleitet wird, bestimmt. Zum Anspruchsgrund sind alle Tatsachen zu rechnen, die bei einer natürlichen, vom Standpunkt der Parteien ausgehenden und den Sachverhalt seinem Wesen nach erfassenden Betrachtung zu dem zur Entscheidung gestellten Tatsachenkomplex gehören, den der Kläger zur Stützung seines Rechtsschutzbegehrens dem Gericht vorträgt (vgl.  - Rn. 18).

14aa) Danach handelt es sich bei (arbeits-)vertraglichen Ansprüchen auf der einen und tarifvertraglichen Ansprüchen, die aus einer vertraglichen Bezugnahme resultieren, auf der anderen Seite regelmäßig um verschiedene Streitgegenstände (vgl.  - Rn. 25 zu einem vertraglich vereinbarten Anspruch auf ein 13. Gehalt einerseits und dem durch eine Bezugnahmeklausel im Arbeitsvertrag vermittelten Anspruch auf tarifvertragliche Sonderzahlungen in gleicher Höhe; ähnlich  - Rn. 15). Während ein vertraglicher Anspruch regelmäßig allein eine entsprechende Regelung im (Arbeits-)Vertrag verlangt, bestehen tarifliche Ansprüche nur, wenn weitere Tatsachen erfüllt sind (vgl.  - Rn. 14 zum Verhältnis zwischen gesetzlichem und tarifvertraglichem Urlaub).

15bb) Streitgegenstand des Berufungsverfahrens und damit der seitens des Landesarbeitsgerichts zugelassenen Revision war ausschließlich ein vertraglicher Anspruch der Klägerin aus § 9 Abs. 2 Buchst. b des Ausbildungs- und Studienvertrags. Sowohl in der ersten als auch in der Berufungsinstanz hat die Klägerin ihr Rückzahlungsbegehren allein auf diese Klausel gestützt. Sowohl das Arbeits- als auch das Landesarbeitsgericht haben deshalb einzig über den vertraglichen Anspruch der Klägerin entschieden. Ausweislich der Revisionsbegründung leitet die Klägerin den erhobenen Anspruch in der Revisionsinstanz - erstmalig - auch aus der mit § 9 Abs. 2 Buchst. b des Ausbildungs- und Studienvertrags im Wesentlichen vergleichbaren tarifvertraglichen Regelung in § 18 Abs. 2 Buchst. b TVSöD her.

16b) Dieser neue Streitgegenstand bedingt eine wesentliche Änderung des materiell-rechtlichen Prüfprogramms. Während die formularvertragliche Regelung einer AGB-Kontrolle anhand der §§ 305 ff. BGB unterliegt, findet eine solche bei tarifvertraglichen Ansprüchen nicht statt (§ 310 Abs. 4 Satz 1 BGB). Die Tarifvertragsparteien haben im Unterschied zu den Arbeitsvertragsparteien eine weitgehende Gestaltungsfreiheit. Tarifverträge sind deshalb allein daraufhin zu untersuchen, ob sie gegen die Verfassung, anderes höherrangiges zwingendes Recht oder die guten Sitten verstoßen ( - zu III 1 der Gründe, BAGE 81, 5). Zudem wäre § 18 Abs. 2 Buchst. b TVSöD vorliegend an den Grundsätzen zu messen, die für die Rückwirkung von Tarifverträgen gelten (vgl. hierzu  - Rn. 44 ff.), und gegebenenfalls eine Günstigkeitsprüfung nach § 4 Abs. 1 TVG veranlasst. Eine solche Änderung des Prüfprogramms steht einer Klageänderung in der Revisionsinstanz entgegen (vgl.  - Rn. 30).

17II. Die Revision ist unbegründet, soweit die Klägerin ihren Erstattungsanspruch auf § 9 Abs. 2 Buchst. b des Ausbildungs- und Studienvertrags stützt. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin gegen das klageabweisende Urteil des Arbeitsgerichts zu Recht zurückgewiesen. Die Klage ist insoweit zulässig, aber nicht begründet. Die Beklagte ist nicht verpflichtet, der Klägerin Studienkosten iHv. 8.075,64 Euro zu erstatten und hierauf Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu entrichten. Die Erstattungsregelung in § 9 Abs. 2 Buchst. b des Ausbildungs- und Studienvertrags ist - wie das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt hat - gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam, da sie die Beklagte als Vertragspartnerin der Klägerin entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligt.

181. Bei den im Ausbildungs- und Studienvertrag getroffenen Abreden handelt es sich um Allgemeine Geschäftsbedingungen iSv. § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB. Das Landesarbeitsgericht hat festgestellt, bei den Bestimmungen handele es sich um von der Klägerin vorformulierte Vertragsbedingungen. Außer den persönlichen Daten der Beklagten und der Angabe des konkreten Ausbildungs- und Studienzeitraums weist der Vertrag keine individuellen Besonderheiten auf. Dies - wie auch das äußere Erscheinungsbild - begründen eine tatsächliche Vermutung dafür, dass es sich um Allgemeine Geschäftsbedingungen iSv. § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB handelt (vgl.  - Rn. 11).

192. Die im Ausbildungs- und Studienvertrag getroffenen Abreden unterliegen der Kontrolle anhand der § 305c Abs. 2, §§ 306, 307 bis 309 BGB. § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB steht dem nicht entgegen.

20a) Nach § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB gelten die Abs. 1 und 2 der Vorschrift sowie die §§ 308, 309 BGB nur für Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, durch die von Rechtsvorschriften abweichende oder sie ergänzende Regelungen vereinbart werden. Dazu gehören auch Regelungen, die die Umstände des vom Verwender gemachten Hauptleistungsversprechens ausgestalten (vgl.  - Rn. 17 mwN, BAGE 164, 316).

21b) Um eine derartige Regelung handelt es sich bei § 9 Abs. 2 Buchst. b des Ausbildungs- und Studienvertrags.

22aa) Gemäß § 6 Abs. 5 des Ausbildungs- und Studienvertrags übernimmt die Klägerin die notwendigen Studiengebühren. Diese Regelung wird durch § 9 Abs. 2 Buchst. b des Ausbildungs- und Studienvertrags modifiziert. Unter den dort genannten Voraussetzungen hat die Beklagte die in § 9 Abs. 2 des Ausbildungs- und Studienvertrags im Einzelnen bezeichneten Kosten des Studiums zu erstatten.

23bb) Soweit die Klägerin der Auffassung ist, es fehle an einer Abweichung von Rechtsvorschriften, da die Regelung in § 18 Abs. 2 Buchst. b TVSöD gemäß § 310 Abs. 4 Satz 3 BGB einer gesetzlichen Regelung gleichstehe, übersieht sie, dass zum für die AGB-Prüfung maßgeblichen Zeitpunkt des Vertragsschlusses am eine tarifvertragliche Regelung nicht existierte. Der TVSöD ist ausweislich seines § 21 Abs. 1 erst mit Wirkung zum in Kraft getreten.

24cc) Die in § 2 Abs. 2 Satz 1 des Ausbildungs- und Studienvertrags in Bezug genommene Richtlinie vom , deren Nr. 9 Abs. 2 der streitgegenständlichen Rückzahlungsklausel im Wesentlichen entspricht, stellt mangels Außenwirkung keine Rechtsvorschrift iSv. § 307 Abs. 3 BGB dar, die einer uneingeschränkten Inhaltskontrolle entgegensteht.

253. Die Regelung in § 9 Abs. 2 Buchst. b des Ausbildungs- und Studienvertrags, die den Vertragspartner mit den Kosten des dualen Studiums belastet, wenn er das Arbeitsverhältnis kündigt, ohne dass ein wichtiger Grund vorliegt, benachteiligt ihn entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen (§ 307 Abs. 1 Satz 1 BGB).

26a) Unangemessen ist jede Beeinträchtigung eines rechtlich anerkannten Interesses des Vertragspartners, die nicht durch begründete und billigenswerte Interessen des Verwenders gerechtfertigt ist oder durch gleichwertige Vorteile ausgeglichen wird. Die Feststellung einer unangemessenen Benachteiligung setzt eine wechselseitige Berücksichtigung und Bewertung rechtlich anzuerkennender Interessen der Vertragspartner voraus. Dabei bedarf es einer umfassenden Würdigung der beiderseitigen Positionen unter Berücksichtigung des Grundsatzes von Treu und Glauben. Bei der Beurteilung der Unangemessenheit ist ein genereller, typisierender, vom Einzelfall losgelöster Maßstab anzulegen. Abzuwägen sind die Interessen des Verwenders gegenüber den Interessen der typischerweise beteiligten Vertragspartner. Im Rahmen der Inhaltskontrolle sind Art und Gegenstand, Zweck und besondere Eigenart des jeweiligen Geschäfts zu berücksichtigen ( - Rn. 24).

27b) Vereinbarungen über die Beteiligung des Vertragspartners an den Kosten einer vom Verwender finanzierten Ausbildung benachteiligen den Vertragspartner nicht generell unangemessen (vgl.  - Rn. 27). Zahlungsverpflichtungen des Vertragspartners, die an eine von diesem ausgesprochene Kündigung des Vertragsverhältnisses anknüpfen, können jedoch im Einzelfall gegen Treu und Glauben verstoßen. So ist es nicht zulässig, die Rückzahlungspflicht schlechthin an das Ausscheiden aufgrund einer Eigenkündigung des Vertragspartners zu knüpfen. Vielmehr muss nach dem Grund des vorzeitigen Ausscheidens unterschieden werden (vgl.  - Rn. 21). Verpflichtet eine Klausel den Vertragspartner auch in den Fällen zur Erstattung von Schulungskosten, in denen der Grund für die Eigenkündigung aus der Sphäre des Verwenders stammt, liegt hierin eine unangemessene Benachteiligung (vgl.  - Rn. 38).

28c) Davon ausgehend differenziert § 9 Abs. 2 Buchst. b des Ausbildungs- und Studienvertrags nicht hinreichend. Die Regelung sieht eine Erstattungspflicht auch in den Fällen vor, in denen der Vertragspartner das Vertragsverhältnis aus einem Grund kündigt, den der Verwender zu verantworten hat. Der in die Rückzahlungsklausel aufgenommene Ausnahmetatbestand, dem zufolge die Rückzahlungsverpflichtung (nur) bei Vorliegen eines wichtigen Grundes entfällt, ist zu eng, da sie nur Gründe iSd. § 626 Abs. 1 BGB, nicht aber andere Gründe ausnimmt, die in der Sphäre des Verwenders angesiedelt sind. § 9 Abs. 2 Buchst. b des Ausbildungs- und Studienvertrags verpflichtet den Vertragspartner zur Rückzahlung der Studienkosten ua. in den Fällen, in denen er den Ausbildungs- und Studienvertrag kündigt, ohne dass diese Kündigung gemäß § 626 Abs. 1 BGB gerechtfertigt ist. Die Rückzahlungspflicht soll somit auch dann eintreten, wenn die Kündigung durch Umstände veranlasst worden ist, die zwar in der Sphäre des Verwenders liegen, aber nicht das Gewicht eines wichtigen Grundes haben. Die Bestimmung unterscheidet nicht danach, ob der Grund für die Eigenkündigung der Sphäre des Verwenders oder des Vertragspartners zuzuordnen ist. Eine Rückzahlungspflicht soll nur entfallen, wenn der Vertragspartner infolge eines wichtigen Grundes berechtigt ist, den Ausbildungs- und Studienvertrag zu kündigen. Im Übrigen sieht die Klausel eine Ausnahme von der Rückzahlungspflicht nicht vor. Dies gilt insbesondere für den nicht fernliegenden Fall, dass die Beendigung des Vertragsverhältnisses durch ein vertragswidriges Verhalten des Verwenders veranlasst wurde, das zwar nicht die Schwere eines wichtigen Grundes erreicht, dem Vertragspartner aber das Festhalten am Vertrag unzumutbar macht (zB Zahlungsverzug mit einem erheblichen Teil des nach § 6 Abs. 4 des Ausbildungs- und Studienvertrags geschuldeten Studienentgelts oder Verletzung dem Vertragspartner gegenüber obliegender Schutzpflichten).

294. Die Härtefallregelung in § 9 Abs. 5 des Ausbildungs- und Studienvertrags, dem zufolge auf die Erstattungsverpflichtung verzichtet werden kann, soweit sie eine besondere Härte bedeuten würde, rechtfertigt es nicht, abweichend zu entscheiden. Selbst wenn der Senat zugunsten der Klägerin davon ausgeht, die Klausel genügte den Transparenzanforderungen des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB (vgl. dazu  - Rn. 39), führt die Härtefallregelung nicht zur Angemessenheit der Erstattungsregelung in § 9 Abs. 2 Buchst. b des Ausbildungs- und Studienvertrags.

30a) Härtefallklauseln wie die vorliegende sollen verhindern, dass die Anwendung der Erstattungsregelungen in besonders gelagerten und nicht vorhersehbaren Einzelfällen zu Ergebnissen führt, die unangemessen erscheinen und nicht dem Sinn der Regelung entsprechen (vgl. zu Härtefallklauseln in Ruhegeldordnungen  - Rn. 41). Dabei geht es nur um die Abmilderung der Rechtsfolgen in Grenzfällen (vgl.  - zu I 2 der Gründe). Härtefallklauseln sind nicht dazu bestimmt, eine generelle Korrektur der Erstattungsgrundsätze zu ermöglichen (vgl.  - Rn. 49, BAGE 146, 200).

31b) Nach diesen Maßstäben ist die Klausel nicht geeignet, die unangemessene Benachteiligung zu beseitigen.

32aa) Die Härtefallregelung in § 9 Abs. 5 des Ausbildungs- und Studienvertrags lässt die benachteiligende Erstattungsregelung in § 9 Abs. 2 Buchst. b des Ausbildungs- und Studienvertrags dem Grunde nach unberührt. Es verbleiben damit Fälle, in denen der Vertragspartner - ohne dass eine besondere Härte vorliegt - zur Kostenerstattung verpflichtet ist, obwohl die von ihm ausgesprochene Kündigung auf Umständen beruht, die zwar nicht einen wichtigen Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB bilden, aber im Verantwortungskreis des Verwenders angesiedelt sind.

33bb) Hinzu kommt, dass die Klausel den Verzicht auf Rückzahlung in das Ermessen des Verwenders stellt („kann“) und sich gegebenenfalls nicht auf die Gesamtsumme, sondern nur auf einen Teil der Summe erstreckt („teilweise“).

34cc) Wollte man sämtliche Fälle, in denen die Erstattungsregelung in § 9 Abs. 2 Buchst. b des Ausbildungs- und Studienvertrags eine unangemessene Benachteiligung des Vertragspartners darstellt, als besonderen Härtefall iSd. § 9 Abs. 5 begreifen, liefe dies auf eine salvatorische Klausel hinaus. Eine solche ist in Allgemeinen Geschäftsbedingungen (vgl.  - Rn. 16, BGHZ 205, 220) und insbesondere in Regelungen, die Erstattungstatbestände und -rechtsfolgen regeln, unzulässig (vgl.  - Rn. 20).

355. Für die Beurteilung der Wirksamkeit der Rückzahlungsklausel ist es unerheblich, welche Gründe die Beklagte vorliegend veranlasst haben, das Arbeitsverhältnis zu kündigen. Die §§ 305 ff. BGB missbilligen bereits das Stellen inhaltlich unangemessener Formularklauseln (§ 305 Abs. 1 Satz 1, § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB), nicht erst deren unangemessenen Gebrauch im konkreten Fall. Der Rechtsfolge der Unwirksamkeit sind auch solche Klauseln unterworfen, die in zu beanstandender Weise ein Risiko regeln, das sich im Entscheidungsfall nicht realisiert hat ( - Rn. 31).

366. Diese Grundsätze gelten unabhängig davon, dass zwischen den Parteien kein Arbeitsverhältnis vereinbart war. Nach § 9 Abs. 2 Buchst. c des Ausbildungs- und Studienvertrags trifft den Vertragspartner die Pflicht zur Erstattung der Studienkosten auch in den Fällen, in denen er im Anschluss an das erfolgreich absolvierte Studium das Angebot des Verwenders ablehnt, entsprechend der mit dem Studienteil erworbenen Abschlussqualifikation ein Beschäftigungsverhältnis zu begründen. Begründet er ein solches Beschäftigungsverhältnis, ist er verpflichtet, an diesem für die Dauer von fünf Jahren festzuhalten. Durch die Kombination beider Vertragsbestimmungen wird auf den Vertragspartner ein Abschluss- und Bleibedruck ausgeübt, der die durch Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG gewährleistete arbeitsplatzbezogene Berufswahlfreiheit einschränkt (vgl.  - Rn. 21).

377. Die Unwirksamkeit von § 9 Abs. 2 Buchst. b des Ausbildungs- und Studienvertrags lässt die vertragliche Grundlage für einen Rückzahlungsanspruch der Klägerin entfallen. Die Aufrechterhaltung der Klausel mit einem zulässigen Inhalt scheidet ebenso aus wie eine ergänzende Vertragsauslegung.

38a) Eine geltungserhaltende Reduktion, mit der eine einheitliche und damit auch einer einheitlichen AGB-Kontrolle unterliegende Klausel durch das Gericht in einen zulässigen und einen unzulässigen Teil getrennt und in ihrem rechtlich nicht zu beanstandenden Teil aufrechterhalten wird (vgl.  - Rn. 34 f., BAGE 158, 81), ist im Rechtsfolgensystem des § 306 BGB nicht vorgesehen ( - Rn. 31, BAGE 164, 316).

39b) Die Voraussetzungen einer ergänzenden Vertragsauslegung (vgl. hierzu  - Rn. 37 ff. mwN) sind nicht gegeben. Der Wegfall der Erstattungspflicht stellt sich nicht als unzumutbare Härte iSd. § 306 Abs. 3 BGB für die Klägerin dar. Bei Vertragsschluss im März 2018 konnte sie kein schützenswertes Vertrauen darauf in Anspruch nehmen, die von ihr gewählte Vertragsgestaltung könne einer Inhaltskontrolle standhalten. Zu diesem Zeitpunkt war in der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung anerkannt, dass eine in einem Formulararbeitsvertrag gestellte Klausel unwirksam ist, nach welcher der Vertragspartner vom Verwender getragene Aus- und Fortbildungskosten bei Beendigung des Vertragsverhältnisses durch Eigenkündigung auch dann zurückzuerstatten hat, wenn der Kündigungsgrund aus der Sphäre des Verwenders stammt (vgl. nur  - Rn. 20).

40III. Unterstellt man zugunsten der Klägerin, die Richtlinie wäre über § 2 Abs. 2 des Ausbildungs- und Studienvertrags Bestandteil des Vertrags geworden, wäre deren Nr. 9 Abs. 2, die eine im Wesentlichen mit § 9 Abs. 2 Buchst. b des Ausbildungs- und Studienvertrags vergleichbare Regelung enthält, aus denselben Gründen unwirksam wie die vertragliche Regelung selbst.

41IV. Die Klägerin kann die Klageforderung auch nicht mit Erfolg auf bereicherungsrechtliche Vorschriften stützen, die ihrer Auffassung nach gemäß § 306 Abs. 2 BGB an die Stelle der unwirksamen Erstattungsregelung in § 9 Abs. 2 Buchst. b des Ausbildungs- und Studienvertrags treten. Insbesondere hat sie keinen Anspruch auf Erstattung der Studienkosten nach § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 oder Alt. 2, § 818 Abs. 2 BGB. Die Klägerin hat der Beklagten das duale Studium nicht ohne rechtlichen Grund ermöglicht. Der rechtliche Grund besteht in dem - mit Ausnahme der Rückzahlungsklausel - gemäß § 306 Abs. 1 BGB wirksamen Ausbildungs- und Studienvertrag (vgl.  - Rn. 33 ff., BAGE 143, 30).

42V. Die Klägerin hat die Kosten der Revision zu tragen (§ 97 Abs. 1 ZPO).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2024:090724.U.9AZR227.23.0

Fundstelle(n):
RAAAJ-78869