BGH Beschluss v. - 2 StR 16/24

Instanzenzug: LG Erfurt Az: 4 KLs 620 Js 10918/22

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten „unerlaubten“ Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, „vorsätzlichen unerlaubten“ Erwerbs von Betäubungsmitteln sowie Beihilfe zum „unerlaubten“ Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt und die Einziehung eines Mobiltelefons als Tatmittel der Tat in Fall II. 8 der Urteilsgründe angeordnet.

2Die auf die nicht ausgeführte Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten, die das Unterbleiben einer Unterbringungsanordnung nach § 64 StGB vom Rechtsmittelangriff ausgenommen hat, hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet.

I.

3Das Landgericht hat zu den abgeurteilten Taten folgende Feststellungen getroffen:

41. Zu einem nicht näher feststellbaren Zeitpunkt zwischen Juli und September 2021 bestellte der Angeklagte beim gesondert Verfolgten Z.      25 Gramm (S)-Methamphetamin für 30 Euro pro Gramm. Hiervon waren fünf Gramm für den Eigenkonsum bestimmt, für die der Angeklagte 150 Euro vom Gesamtkaufpreis in Höhe von 750 Euro selbst aufbrachte. Die übrigen 20 Gramm waren für den Konsum unbekannt gebliebener Personen bestimmt die dem Angeklagten ihren Anteil am Kaufpreis in Höhe von 600 Euro für den Erwerb der Betäubungsmittel übergeben hatten. Der Angeklagte übernahm die 25 Gramm Methamphetamin von Z.      in dem Glauben, es handele sich um (S)-Methamphetamin mit einem durchschnittlichen Wirkstoffgehalt von mindestens 70 Prozent, sodass er zumindest billigend in Kauf nahm, eine Mindestwirkstoffmenge von 17,5 Gramm (S)-Methamphetamin-Base in Besitz genommen zu haben. Tatsächlich handelte es sich jedoch um (R)-Methamphetamin, das einen Wirkstoffgehalt von rund 75 Prozent und damit eine Mindestwirkstoffmenge von etwa 18 Gramm (R)-Methamphetamin aufwies. Von dem (R)-Methamphetamin behielt der Angeklagte wie geplant fünf Gramm für seinen eigenen Konsum, die restlichen 20 Gramm gab er an unbekannt gebliebene Personen für deren Konsum weiter, wodurch er keinen Gewinn erzielte (Fall II. 4 der Urteilsgründe).

52. Zu einem nicht näher feststellbaren Zeitpunkt zwischen Juli und September 2021, kurz nach der Übernahme der 25 Gramm (R)-Methamphetamin (Fall II. 4 der Urteilsgründe), bestellt der Angeklagte beim gesondert verfolgten Z.      50 Gramm Methamphetamin zum Preis von 30 Euro je Gramm, wobei er aufgrund des vorangegangenen Konsums des (R)-Methamphetamins nunmehr wusste, dass dieses nur eine geringe Wirkung hatte. Hiervon waren 10 Gramm zum Eigenkonsum des Angeklagten bestimmt, der dementsprechend 300 Euro vom Gesamtkaufpreis in Höhe von 1.500 Euro selbst bezahlte. Die übrigen 40 Gramm waren für den Konsum unbekannt gebliebener Personen bestimmt, die ihren Anteil am Kaufpreis in Höhe von 1.200 Euro dem Angeklagten für den Erwerb des Methamphetamins übergeben hatten. Der Angeklagte übernahm die bestellten 50 Gramm (R)-Methamphetamin von Z.     , wobei er aufgrund des vorangegangenen Konsums des (R)-Methamphetamins um die geringe Wirkung wusste, sodass er – auch aufgrund des gleich gebliebenen Kaufpreises – davon ausging, dass es sich entweder um (R)-Methamphetamin oder um (S)-Methamphetamin von sehr schlechter Qualität handelte. Entsprechend der Abrede behielt der Angeklagte 10 Gramm des (R)-Methamphetamins für seinen eigenen Konsum. Die restlichen 40 Gramm gab er an unbekannt gebliebene Personen zu deren Konsum weiter, wodurch er keinen Gewinn erzielte. Das (R)-Methamphetamin hatte einen Wirkstoffgehalt von rund 75 Prozent und damit eine Mindestwirkstoffmenge von ca. 37 Gramm (R)-Methamphetamin-Base (Fall II. 5 der Urteilsgründe).

63. Zu einem nicht genau bestimmbaren Zeitpunkt kurz vor dem oder am beauftragte der Mitangeklagte J.     den Angeklagten, den Mitangeklagten K.      für eine Kurierfahrt zu akquirieren. Auftragsgemäß nahm der Angeklagte mit seinem Mobiltelefon am späten Abend des Kontakt zu K.      auf und erklärte diesem, dass er im Auftrag des J.     Drogenschulden einsammeln und das Geld anschließend nach B.    S.      fahren solle, was K.      zusagte. Dementsprechend übernahm K.      vor dem für J.      insgesamt 3.000 Euro Bargeld von den gesondert Verfolgten R.      und A.    Ku.    , die diese J.      schuldeten, und verbrachte das Bargeld gegen Entlohnung noch am selben Tag zu J.     . Der Angeklagte wusste, dass das Geld aus Drogengeschäften des J.      stammten, bei denen der Grenzwert zur nicht geringen Menge der Betäubungsmittel überschritten war. Außerdem war ihm bekannt, dass er durch die Akquise des K.      den Betäubungsmittelhandel des J.      förderte. Als Gegenleistung hierfür erhielt er von J.      eine geringe Menge Kokain (Fall II. 8 der Urteilsgründe).

II.

71. Der Schuldspruch bedarf in den Fällen II. 4 und II. 5 der Urteilsgründe der aus der Beschlussformel ersichtlichen Änderung.

8Anders als von der Strafkammer angenommen, hat sich der Angeklagte nach den Feststellungen nicht wegen versuchten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, sondern wegen versuchter Abgabe von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Abgabe von Betäubungsmitteln und Erwerb von Betäubungsmitteln strafbar gemacht.

9Dazu hat der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift ausgeführt:

„Auf der Grundlage seiner Vorstellung hätte der Angeklagte den Tatbestand des § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG nicht in der Variante des Besitzes, sondern in der des Abgebens von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verwirklicht. Wie von vornherein beabsichtigt, reichte er von den angekauften Betäubungsmitteln nämlich eine Teilmenge von – wie er glaubte – 20 Gramm S-Methamphetamin mit einer Wirkstoffkonzentration von mindestens 70 %, entsprechend mindestens 14 Gramm S-Methamphetaminbase, an seine nicht identifizierten ‚Bekannten‘ weiter […]. Der bei 5 Gramm liegende Grenzwert zur nicht geringen Menge wäre insoweit überschritten (vgl. , juris Rn. 19; vom – 2 StR 86/08, BGHSt 53, 89). Damit wäre der Angeklagte jedoch nicht wegen Besitzes, sondern wegen der Abgabe von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu verurteilen. Hierfür genügt es, dass der Täter seine tatsächliche Verfügungsgewalt ohne rechtsgeschäftliche Grundlage und ohne Gegenleistung an einen Dritten überträgt, der dadurch über die Betäubungsmittel frei verfügen kann (vgl. Senat, Urteil vom – 2 StR 317/19, juris Rn. 27). Der Besitz – soweit er sich auf dieselbe Menge bezieht – tritt hinter der spezielleren Begehungsform des Abgebens zurück (Patzak/Volkmer/Fabricius, BtMG, 10. Aufl., § 29a Rn. 145).

Weil es sich bei der übergebenen Menge in Wahrheit um 20 Gramm R-Methamphetamin mit einer Wirkstoffkonzentration von 75,27 %, entsprechend 15,054 Gramm R-Methamphetaminbase, handelte, hat der Angeklagte einen untauglichen Versuch des Abgebens von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge begangen. Insoweit ist die Strafkammer zutreffend davon ausgegangen, dass der Grenzwert zur nicht geringen Menge erst bei einem Wirkstoffgehalt von 50 Gramm überschritten wäre ([…] vgl. , NJW 2023, 3248).

Der untaugliche Versuch des Abgebens von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge steht in Tateinheit mit dem Abgeben von Betäubungsmitteln nach § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BtMG. Die Annahme von Idealkonkurrenz (§ 52 StGB) ist hier geboten, weil im Schuldspruch ansonsten nicht zum Ausdruck käme, dass der Grundtatbestand zur Vollendung gelangt ist (vgl. MüKo-StGB/Oğlakcıoğlu, 4. Aufl., BtMG, § 29a Rn. 82; Weber/Kornprobst/Maier, BtMG, 6. Aufl., § 29a Rn. 197). Insoweit kann in der vorliegenden Konstellation nichts anderes gelten als in sonstigen Fällen, in denen der Grundtatbestand vollendet, der Qualifikationstatbestand aber nur versucht wurde (vgl. zu § 244 Abs. 4 StGB: , NStZ 2023, 291).

Schließlich hat sich der Angeklagte tateinheitlich auch wegen Erwerbs von Betäubungsmitteln (§ 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BtMG) strafbar gemacht. Zusammen mit den für die Abgabe an seine ‚Bekannten‘ vorgesehenen 20 Gramm des vermeintlichen S-Methamphetamins hat er nämlich weitere 5 Gramm für den Eigenkonsum angekauft. Hinsichtlich dieser Eigenkonsummenge wäre der Grenzwert zur nicht geringen Menge selbst dann nicht überschritten, wenn es sich hierbei tatsächlich um S-Methamphetamin gehandelt hätte. Nach der von der Kammer zugrunde gelegten Wirkstoffkonzentration würden 5 Gramm S-Methamphetamin nämlich nur 3,5 Gramm S-Methamphetaminbase enthalten.

Da sich die rechtliche Einordnung nach der Zweckbestimmung der jeweiligen Teilmenge richtet, steht der nach § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BtMG strafbare Erwerb der Eigenkonsummenge mit den im Hinblick auf die Abgabemenge verwirklichten Tatbeständen (versuchte Abgabe von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Abgabe von Betäubungsmitteln) in Idealkonkurrenz (vgl. Senat, Beschluss vom – 2 StR 30/11, juris Rn. 4).

Die Tat im Fall II. 5 der Urteilsgründe hat die Strafkammer als Erwerb von Betäubungsmitteln (§ 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BtMG) bewertet […]. Diesen Tatbestand hat der Angeklagte jedoch wiederum nur im Hinblick auf die für den Eigenkonsum bestimmte Teilmenge von 10 Gramm des von ihm angekauften (nunmehr zutreffend als solches erkannten) R-Methamphetamins erfüllt. Soweit er 40 Gramm R-Methamphetamin – wie von vornherein geplant – an seine ‚Bekannten‘ weitergereicht hat, hat er tateinheitlich den Tatbestand der Abgabe von Betäubungsmitteln (§ 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BtMG) verwirklicht. Hinsichtlich dieser abgegebenen Teilmenge tritt der Tatbestand des Erwerbs zurück (vgl. MüKo-StGB/Oğlakcıoğlu, a.a.O., § 29 Rn. 867; Weber, a.a.O., § 29 Rn. 1142, 1100). Somit muss der Schuldspruch im Fall II. 5 auf Abgabe von Betäubungsmitteln in Tateinheit mit Erwerb von Betäubungsmitteln lauten. Dagegen ist der Qualifikationstatbestand des § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG hier nicht erfüllt, weil beide Teilmengen auch in ihrer Summe nicht den Grenzwert zur nicht geringen Menge erreichen.

Der Schuldspruch in den Fällen II. 4 und II. 5 der Urteilsgründe ist daher entsprechend abzuändern. § 265 StPO ist nicht berührt, weil sich der geständige Angeklagte nicht anders als geschehen hätte verteidigen können. Das Verschlechterungsverbot des § 358 Abs. 2 Satz 1 StPO steht der Verböserung des Schuldspruchs nicht entgegen (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 3 StR 132/20, NJW 2021, 869 [871]; vom – 3 StR 313/19, juris Rn. 13).“

10Dem schließt sich der Senat an.

112. Soweit das Landgericht den Angeklagten in Fall II. 8 der Urteilsgründe wegen Beihilfe zum „unerlaubten“ Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verurteilt hat, kann der Schuldspruch im Hinblick auf § 34 des am in Kraft getretenen Konsumcannabisgesetzes, das der Senat gemäß § 2 Abs. 3 StGB, § 354a StPO als das dem Angeklagten günstigere Recht anzuwenden hat, keinen Bestand haben.

12Weder aus den Feststellungen zum Tatgeschehen noch aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe ergibt sich, welche Rauschmittel die Geschäfte des Mitangeklagten J.      betrafen, zu denen der Angeklagte Beihilfe geleistet hat. Es kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass sie sich ganz oder teilweise auf Cannabis i.S.d. § 1 Nr. 8, § 2 Abs. 1 Nr. 4 KCanG bezogen. In diesem Fall wäre das Tatgeschehen – auch bei Vorliegen einer „nicht geringen Menge“ – insoweit als Beihilfe zum Handeltreiben mit Cannabis gemäß § 34 Abs. 1 Nr. 4 KCanG, § 27 StGB zu würdigen (vgl. , Rn. 7).

133. Die Aufhebung der Verurteilung in Fall II. 8 der Urteilsgründe entzieht der Einziehungsentscheidung und dem Gesamtstrafenausspruch die Grundlage. Im Hinblick darauf, dass über Fall II. 8 der Urteilsgründe neu zu entscheiden ist, ist die vom Generalbundesanwalt unter anderen Prämissen beantragte Entscheidung gem. § 421 Abs. 1 Nr. 2 StPO nicht geboten (vgl. auch , Rn. 5).

144. Eine Erstreckung auf den Mitangeklagten J.      nach § 357 Satz 1 StPO kommt nicht in Betracht. Die Aufhebung der Verurteilung in Fall II. 8 der Urteilsgründe beruht ausschließlich auf dem Inkrafttreten des Cannabisgesetzes nach Erlass des angefochtenen Urteils (§ 354a StPO), nicht auf einer Gesetzesverletzung beim Erlass des Urteils (vgl. , Rn. 3 mwN).

Menges                              Appl                              Zeng

                      Grube                            Schmidt

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:070524B2STR16.24.0

Fundstelle(n):
MAAAJ-75346