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BBK Nr. 18 vom Seite 843

Steuerungsrelevanz der Prozesskostenrechnung

Gegenüberstellung des Top-down- und Bottom-up-Verfahrens anhand eines Praxisfalls

Prof. Dr. Mathias Graumann

In diesem Beitrag wird die Methodik der traditionellen Zuschlagskalkulation mit derjenigen der Prozesskostenkalkulation in Bezug auf ihre Steuerungsrelevanz verglichen und anhand eines Praxisfalls illustriert. Angesichts knapper Margen und weiter ansteigender Gemeinkostenanteile werden die Mängel der Zuschlagskalkulation – insbesondere die irrige Annahme eines proportionalen Anfalls von Einzel- und Gemeinkosten und einer entsprechenden Verursachungsbeziehung – offengelegt. Unter Zugrundelegung einfacher Annahmen wird aufgezeigt, wie die Prozesskostenkalkulation eine verursachungsgerechte Zurechnung der Gemeinkosten ermöglicht. Dieser kommt eine wesentliche Bedeutung für die Steuerungsrelevanz der Produktkalkulation als Element des Kostencontrollings zu.

I. Einführung

[i]Einzel- und GemeinkostenIm traditionellen Schema der Zuschlagskalkulation wird durch Bezug der Gemeinkosten auf die Einzelkosten für jede Kostenstelle ein Zuschlagssatz in % ermittelt. Hierbei werden die Material- und Fertigungsgemeinkosten in % der jeweiligen Einzelkosten und die Verwaltungs- und Vertriebsgemeinkosten in % der Herstellkosten verrechnet. Die Begriffe Einzel- und Gemeinkosten werden dabei wie folgt differenziert:

  • Einzelkosten lassen sich den Kostenträgern unmittelbar und eindeutig zurechnen; sie bedürfen somit keiner weiteren Behandlung in der Kostenstellenrechnung, sondern gehen direkt in die Kalkulation ein.

  • Gemeinkosten können demgegenüber den Kostenträgern nicht zugerechnet werden. Sie werden auf „Umwegen“ zunächst auf (Hilfs- und Haupt-)Kostenstellen verteilt und schließlich den Einzelkosten gegenübergestellt. S. 844

[i]FehlsteuerungenEin solches Vorgehen führt allerdings zu gravierenden Fehlsteuerungen, da

  • aus einer Gesamtheit von hergestellten Produkten auf die Kostenverhältnisse eines einzelnen Produkttyps geschlossen bzw. irrigerweise angenommen wird, dass jegliche Produkttypen identische Kostenverhältnisse aufweisen,

  • die Zuschlagssätze eine Proportionalität von Einzel- und Gemeinkosten unterstellen,

  • zudem die Höhe der Gemeinkosten nicht durch die Höhe der Einzelkosten determiniert wird und insoweit das Verursachungsprinzip ignoriert wird,

  • die Höhe der Zuschlagssätze maßgeblich abhängig von der Auslastungssituation ist und bei diesbezüglichen Variationen zu fehlerhaften Ergebnissen führt.

Das Kalkulationsschema unterstellt z. B. im Materialbereich, dass die Höhe der Einzelkosten (d. h. der Materialwert) zur Höhe der Gemeinkosten (d. h. das Handling) proportional ist. Die Komplexität des Handlings (z. B. Bearbeitungsdauer, Lagervorgänge) wird ignoriert. Diese Annahmen werden der Praxis nicht gerecht.

[i]Operative Perspektive Als Lösung wird häufig die Erweiterung der Vollkostenrechnung um eine Kostenauflösung und Überführung in eine Deckungsbeitragsrechnung propagiert. Durch Weglassung der fixen Kosten (Teilkostenrechnung) soll dem Verursachungsprinzip Genüge getan werden, da fixe Kosten auch bei Nullproduktion anfallen und somit in keiner Verursachungsbeziehung zu den Produkten stehen. Zudem kann eine Proportionalitätsbeziehung zwischen variablen Kosten und Ausbringungsmenge begründet werden. Jedoch ist eine Deckungsbeitragsrechnung nur in operativer Perspektive hilfreich, da eine Aussage über die zur nachhaltigen Existenzsicherung notwendige Deckung jeglicher anfallender Kosten nicht getroffen wird.

[i]Strategische Perspektive In strategischer Perspektive liefert die Deckungsbeitragsrechnung dagegen wenig verwertbare Erkenntnisse. Der Tatbestand, dass alle Stück-Deckungsbeiträge positiv sind, verhindert keine dauerhafte Verlusterzielung. Auch wird durch die Außerachtlassung der fixen Kosten das Problem der Zurechnung der Gemeinkosten nicht gelöst, allein deshalb, da beide Begriffe weder dem Grunde noch der Höhe nach deckungsgleich sind.

II. Basisdaten des Praxisfalls

Die Smart AG fertigt hochwertige Smartphones in zwei Variationen, das Luxusmodell „Präsident“ und das Standardmodell „Executive“. Der Betriebsabrechnung und Monatsauswertung der Smart AG sind folgende Daten auf Monatsbasis jeweils in T€ zu entnehmen: Materialeinzelkosten 1.200, Materialgemeinkosten 400, Fertigungseinzelkosten 1.000, Fertigungsgemeinkosten 1.000 sowie Verwaltungs-/Vertriebsgemeinkosten 540. Die gesamten Kosten pro Monat betragen mithin 4.140 T€.