BFH Beschluss v. - III R 18/24

Abhilfebescheid während des Revisionsverfahrens

Leitsatz

1. NV: Setzt die Familienkasse während des Revisionsverfahrens Kindergeld in dem beantragten Umfang fest und hält der Kläger seinen Sachantrag aufrecht, wird die Revision wegen Wegfalls des Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig.

2. NV: Ein Rechtsschutzbedürfnis folgt nicht aus dem Hinweis der Familienkasse, dass Erstattungsansprüche von Sozialbehörden einer Auszahlung des Kindergelds an den Kindergeldberechtigten entgegenstehen könnten.

Gesetze: AO § 218 Abs. 2; EStG §§ 62 ff.; EStG § 74 Abs. 2; FGO § 90; FGO § 96 Abs. 1 Satz 2; FGO § 126; FGO § 138; SGB X §§ 102 ff.; SGB X § 104; SGB X § 107 Abs. 1

Instanzenzug:

Tatbestand

I.

1 Ursprünglich war in der Sache streitig, ob die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) einen Kindergeldanspruch gemäß §§ 62 ff. des Einkommensteuergesetzes (EStG) für ihren Sohn S hat. Der von der Klägerin im Revisionsverfahren gestellte Antrag betraf die Monate Juli 2010 bis einschließlich Juli 2014, von denen nach einer Verfahrenstrennung hier nur die Monate Mai 2012 bis einschließlich August 2012 streitgegenständlich sind.

2 Die Familienkasse X lehnte die Bewilligung von Kindergeld mit Bescheid vom ab. Einspruch (Einspruchsentscheidung vom ) und Klage waren erfolglos. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 2014, 1124 veröffentlicht.

3 Gegen das Urteil legte die Klägerin mit Schreiben vom Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision (§ 116 Abs. 1 der FinanzgerichtsordnungFGO—) ein. Mit wurde die Revision zugelassen. Das Verfahren wurde hierauf als Revisionsverfahren fortgesetzt (§ 116 Abs. 7 Satz 1 FGO), ruhte jedoch im Hinblick auf die beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) anhängigen Verfahren 2 BvL 9-14/14. Es ist während der Verfahrensruhe auf den III. Senat übergegangen (Geschäftsverteilungsplan 2023 des BFH, A., Ergänzende Regelungen, IV. Nr. 1 i.V.m. A., III. Senat, Nr. 2 Buchst. d) und wurde von diesem wieder aufgenommen, nachdem das BVerfG mit Beschlüssen vom  - 2 BvL 9-10/14 und 13-14/14 (BVerfGE 162, 277, BGBl I 2022, 1450 —Entscheidungsformel—) und vom  - 2 BvL 11-12/14, Zeitschrift für das gesamte Familienrecht 2023, 1636 —redaktioneller Leitsatz—; juris) entschieden hat. Die Beteiligten wurden hierüber im August 2023 informiert und hatten in der Folge Gelegenheit zur Stellungnahme. Es hat sich nur die Beklagte und Revisionsbeklagte (Familienkasse) in der Sache geäußert. Im Hinblick auf die Stellungnahme der Familienkasse wurde das Verfahren mit Senatsbeschluss vom  - III R 22/23 (III R 47/14) getrennt.

4 Das Revisionsverfahren wegen Festsetzung von Kindergeld für S für die Monate Juli 2010 bis April 2012 und September 2012 bis Juli 2014 wurde unter dem Aktenzeichen III R 22/23 (III R 47/14) weitergeführt. Die Revision wurde insoweit mit Beschluss vom als unzulässig verworfen.

5 In dem hier streitgegenständlichen Verfahren III R 18/24 wegen Kindergeld für S hat die Familienkasse mit Bescheid vom zugunsten der Klägerin Kindergeld für S für die Monate Mai 2012 bis einschließlich August 2012 festgesetzt; das Schreiben ging der Klägerin (beziehungsweise ihren Prozessbevollmächtigten) zeitnah zu. Mit Schreiben vom und vom hat die Familienkasse den BFH unterrichtet und erklärt, dass ihrer Auffassung nach damit der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt sei. Die Schreiben der Familienkasse wurden der Klägerin am mit Zustellungsurkunde zugestellt. Sie wurde aufgefordert, innerhalb einer Frist von zwei Wochen ab Zustellung mitzuteilen, ob sie den Rechtsstreit in der Hauptsache (gleichfalls) für erledigt erklärt. Diese Frist ist ergebnislos abgelaufen.

6 Die Klägerin beantragt sinngemäß,

das Urteil des und den Bescheid vom in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom der Familienkasse X aufzuheben, soweit diese den Kindergeldanspruch der Klägerin für S für die Monate Mai 2012 bis einschließlich August 2012 betreffen, und die Familienkasse zu verpflichten, für diese Monate Kindergeld für S festzusetzen.

7 Die Familienkasse beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Gründe

II.

8 Der Senat kann ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da er gemäß § 126 Abs. 1 FGO durch Beschluss und nicht durch Urteil entscheidet (§ 90 Abs. 1 Satz 2 FGO); überdies haben sich die Beteiligten mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 90 Abs. 2 FGO).

III.

9 Die Revision ist, soweit sie den Kindergeldanspruch der Klägerin für S für die Monate Mai 2012 bis einschließlich August 2012 betrifft, gemäß § 126 Abs. 1 FGO durch Beschluss als unzulässig zu verwerfen. Es fehlt am Rechtsschutzbedürfnis, weil der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt ist.

10 1. a) Erledigt sich die Hauptsache während des Revisionsverfahrens durch einen Abhilfebescheid und erklärt nur die beklagte Behörde als Revisionsbeklagte die Erledigung, während der Kläger seinen Sachantrag aufrechterhält, so wird die Klage und damit auch die Revision wegen Wegfalls des Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig (vgl. , BFH/NV 2016, 1457, Rz 18 ff. und , BFHE 234, 531, BStBl II 2014, 81, Rz 46 ff.).

11 b) Ein Rechtsstreit ist in der Hauptsache erledigt, wenn ein Ereignis, das nach Rechtshängigkeit eingetreten ist —zum Beispiel der Erlass eines Abhilfebescheids—, alle streitbefangenen Sachfragen gegenstandslos gemacht hat (, BFH/NV 2016, 1457, Rz 19; , BFHE 234, 531, BStBl II 2014, 81, Rz 46 ff., 50).

12 c) Dies ist vorliegend der Fall.

13 aa) Die Familienkasse hat dem Klageantrag in der Hauptsache für die hier (III R 18/24) streitgegenständlichen Monate vollumfänglich entsprochen. Der ursprüngliche Bescheid vom in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom , mit dem unter anderem die Festsetzung von Kindergeld für S für die streitgegenständlichen Monate Mai 2012 bis einschließlich August 2012 abgelehnt worden war, wurde durch den Bescheid vom ersetzt, mit dem die Familienkasse zugunsten der Klägerin Kindergeld für S für diese Monate festgesetzt hat.

14 bb) Ein Rechtsschutzbedürfnis für ein zumindest teilweises Aufrechterhalten des Revisionsantrags folgt auch nicht daraus, dass die Familienkasse im Bescheid vom nachrichtlich mitgeteilt hat, dass vor einer Auszahlung des Kindergelds Vorleistungen anderer Stellen und hieraus resultierende, einer Auszahlung des Kindergelds an die Klägerin entgegenstehende Erstattungsansprüche der Träger von Sozialleistungen zu prüfen seien. Die Frage, ob der Klägerin das festgesetzte Kindergeld auszuzahlen ist, gehört nicht zum Festsetzungs- sondern zum Erhebungsverfahren. Sollte die Auszahlung des festgesetzten Kindergelds wegen eines Erstattungsanspruchs streitig werden (vgl. § 74 Abs. 2 EStG i.V.m. §§ 102 ff., § 104, § 107 Abs. 1 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch; , BFH/NV 2023, 35 und vom  - III R 36/21, BFHE 279, 443, BStBl II 2023, 711), wäre darüber zunächst in einem Abrechnungsbescheid gemäß § 218 Abs. 2 der Abgabenordnung zu entscheiden. Vorher wäre ein die Auszahlung des festgesetzten Kindergelds betreffender Klage- oder Revisionsantrag mangels Verwaltungs- und Vorverfahrens unzulässig. Es entspricht deshalb nicht den Interessen der Klägerin, ihren Antrag dahin zu deuten, dass er auch auf Auszahlung des festgesetzten Kindergelds gerichtet gewesen sei.

15 2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BFH:2024:B.100724.IIIR18.24.0

Fundstelle(n):
AO-StB 2024 S. 325 Nr. 11
AO-StB 2024 S. 325 Nr. 11
BB 2024 S. 1942 Nr. 35
BB 2024 S. 2656 Nr. 46
BFH/NV 2024 S. 1178 Nr. 10
NJW 2024 S. 10 Nr. 37
RAAAJ-73652