Fusionskontrollverfahren im Energiesektor; Vorliegen von Grundsatzfragen
Gesetze: § 36 Abs 1 S 1 GWB, § 36 Abs 1 S 2 Nr 1 GWB, § 40 Abs 2 S 1 GWB, § 54 Abs 2 Nr 3 GWB, § 73 Abs 2 GWB, § 77 Abs 2 GWB, § 78 Abs 3 GWB, § 78 Abs 4 GWB, § 78 Abs 5 GWB
Instanzenzug: Az: VI-Kart 9/22 (V)
Gründe
1I. Die Beigeladene, ein zu einem Fusionskontrollverfahren beigeladenes Energieversorgungsunternehmen, wendet sich gegen die Entscheidung des Bundeskartellamts, ein Zusammenschlussvorhaben der Betroffenen mit Nebenbestimmungen freizugeben.
2Die Betroffene zu 1 ist ein regionales Energieversorgungsunternehmen, das Kunden in Köln und Umgebung versorgt. Die Betroffene zu 2, eine Tochtergesellschaft der E.ON SE, ist ein regionaler Energiedienstleister und Infrastrukturanbieter; sie hält einen Anteil an der Betroffenen zu 1. Die Betroffene zu 3 ist ebenfalls ein regionales Energieversorgungsunternehmen, dessen Anteile von den Betroffenen zu 1 und 2 gehalten werden. Sie beliefert in ihrem regionalen Versorgungsgebiet etwa 120.000 Kunden und in Teilbereichen bundesweit etwa 30.000 weitere Kunden mit Strom, Gas, Wärme und Wasser. Die Beteiligten zu 4 bis 27 sind Stadtwerke und regionale Versorger oder die diese kontrollierenden Unternehmen.
3Das Bundeskartellamt hat das Zusammenschlussvorhaben, das im Wesentlichen die Erhöhung der von der Betroffenen zu 2 an den Betroffenen zu 1 und 3 gehaltenen Anteile und die Einbringung verschiedener Beteiligungen der Betroffenen zu 1 und 2 in die Betroffene zu 3 mit dem Ziel deren gemeinsamer Beherrschung umfasst, durch Beschluss vom unter Bedingungen und Auflagen freigegeben. Die Freigabe ist unter anderem an die Veräußerung einer bestimmten Mindestanzahl von Heizstrom-Kundenverträgen aus bestimmten Gebieten an einen einzelnen unabhängigen Erwerber und die Übertragung der für die Belieferung dieser Kunden für die Dauer eines Jahres erforderlichen Großhandels-Strommenge auf den Erwerber geknüpft.
4Die gegen den Freigabebeschluss gerichtete Beschwerde der Beigeladenen, die unter anderem bundesweit als Anbieterin von Heizstrom tätig ist, hat das Beschwerdegericht zurückgewiesen. Die Rechtsbeschwerde hat es nicht zugelassen. Dagegen wendet sich die Beigeladene mit der Nichtzulassungsbeschwerde.
5II. Die gemäß § 78 Abs. 3 bis 5 GWB zulässige Nichtzulassungsbeschwerde ist nicht begründet. Weder ist eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung zu entscheiden, noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs (§ 77 Abs. 2 GWB).
61. Das Beschwerdegericht hat im Wesentlichen ausgeführt, die Beschwerde sei zulässig, da die Beigeladene formell und hinsichtlich der Heizstrommärkte materiell beschwert sei. Sie sei Wettbewerberin der Betroffenen im Bereich Heizstrom und auf den vom Zusammenschlussverfahren betroffenen Märkten tätig. Die Verstärkung der marktbeherrschenden Stellung einer Wettbewerberin auf diesen Märkten könne sich nachteilig auf ihre Wettbewerbschancen auswirken. Die Beschwerde sei aber nicht begründet. Es könne nur geprüft werden, ob die Freigabe in Bezug auf die Heizstrommärkte gerechtfertigt sei. Hinsichtlich der Ladestrommärkte sei die Beigeladene nicht materiell beschwert. Insoweit habe sie weder durch den Vortrag zu ihrem Schwesterunternehmen noch durch den Vortrag zu ihrem Angebot von Ladekarten nachvollziehbar dargelegt, durch die Freigabe nachteilig betroffen zu sein. Die Auswirkungen des Zusammenschlusses auf den Ladestrommärkten müssten im Beschwerdeverfahren auch nicht aufgrund einer von der Beigeladenen angenommenen Verklammerung der Nebenbestimmungen untersucht werden. Zwar solle die Veräußerung der Heizstrom-Kundenverträge die nachteiligen Auswirkungen des Zusammenschlusses nicht nur auf den Heizstrom-, sondern auch auf den Ladestrommärkten ausgleichen. Die Beigeladene sei aber durch die Freigabe nicht beschwert, wenn die Veräußerungsverpflichtung lediglich die Nachteile auf den Heizstrommärkten und nicht auch diejenigen auf den Ladestrommärkten ausgleiche.
7Das Bundeskartellamt habe die Freigabevoraussetzungen zutreffend festgestellt. Die sachliche Marktabgrenzung, wonach der Heizstrommarkt vom Markt für gewöhnlichen Haushaltsstrom abzugrenzen sei, sei nicht zu beanstanden. Gleiches gelte für die räumliche Marktabgrenzung, bei der auf das Netzgebiet des mit dem Stromvertriebsunternehmen verbundenen Netzbetreibers abzustellen sei, in dem das Vertriebsunternehmen die Stellung des Grundversorgers ausübt und Heizstrom anbietet. Das Bundeskartellamt habe zunächst - ohne Berücksichtigung der Verpflichtungszusagen - zutreffend für zwölf Heizstrommärkte die Untersagungsvoraussetzungen angenommen. Entgegen der Ansicht der Beigeladenen sei dies auf drei weiteren Heizstrommärkten nicht der Fall. Nicht zu beanstanden sei auch die Prognose des Bundeskartellamts, dass die Untersagungsvoraussetzungen durch die Nebenbestimmungen zur Freigabeentscheidung abgewendet würden. Diese seien geeignet, die erwarteten nachteiligen wettbewerblichen Wirkungen des Vorhabens auf drei der zwölf Heizstrommärkte zu vermeiden (diese drei nachfolgend auch: Verbesserungsmärkte) und ließen eine wettbewerbsfördernde Veränderung der Marktstrukturen erwarten. Denn Kernstück der Nebenbestimmungen sei eine Veräußerungsverpflichtung, die darauf gerichtet sei, in den drei Verbesserungsmärkten und einem weiteren räumlichen Heizstrommarkt mehr Heizstromkundenverträge an einen unabhängigen Drittwettbewerber abzugeben, als über das Gemeinschaftsunternehmen der Betroffenen nach der Prognose hinzugewonnen werden. Beanstandungsfrei lege das Bundeskartellamt dem die Erwartung zugrunde, dass die Veräußerung der ausbedungenen Zahl an Kundenverträgen an einen einzigen und von den Betroffenen unabhängigen Erwerber nicht nur den voraussichtlichen fusionsbedingten Marktanteilszuwachs der Betroffenen in den von der Veräußerungsverpflichtung betroffenen Heizstrommärkten vorwegnehmend kompensieren werde, sondern darüber hinaus eine Verbesserung der Wettbewerbsbedingungen und damit der Marktstruktur herbeiführen werde.
82. Die Nichtzulassungsbeschwerde zeigt nicht auf, dass die Entscheidung des Beschwerdegerichts nach den dafür geltenden Maßgaben (vgl. , juris Rn. 8 mwN) eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufwirft.
9a) Keine grundsätzliche Bedeutung kommt der Frage zu, ob das Fehlen einer materiellen Beschwer des Beschwerdeführers hinsichtlich einzelner zusammenschlussbetroffener Märkte die gerichtliche Überprüfbarkeit dahingehend beschränkt, dass wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen in diesen Märkten bei einer Abwägung nach § 36 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 GWB außer Betracht bleiben müssen. Sie ist bereits geklärt und daher nicht klärungsbedürftig.
10aa) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann das Beschwerdegericht, das über die von einem Dritten gegen eine Freigabeverfügung nach § 40 Abs. 2 Satz 1 GWB eingelegte Beschwerde zu entscheiden hat, die angefochtene Verfügung nur insoweit überprüfen, als eine Beeinträchtigung der geschützten Interessen des Beschwerdeführers in Betracht kommt. Denn der als Beigeladener grundsätzlich gemäß § 73 Abs. 2, § 54 Abs. 2 Nr. 3 GWB beschwerdebefugte Dritte muss durch die Freigabeverfügung formell und materiell beschwert sein. Gleichzeitig beschränkt die Beschwer den Gegenstand der Überprüfung durch das Beschwerdegericht. Wird der Beschwerdeführer nur auf einem von mehreren in Rede stehenden Märkten nachteilig betroffen, muss er dartun, dass die Freigabe gerade in Bezug auf diesen Markt nicht gerechtfertigt erscheint (, BGHZ 155, 214 Rn. 18 - HABET/Lekkerland; vgl. auch , WuW 2024, 117 Rn. 11 f.).
11bb) Von diesen Grundsätzen ist das Beschwerdegericht zu Recht ausgegangen und hat sie zutreffend angewendet. Die gerichtliche Überprüfung ist auf die Frage beschränkt, ob die Freigabe in Bezug auf die Heizstrommärkte gerechtfertigt erscheint. Darauf, ob durch die mit der Veräußerungsverpflichtung erzielten Verbesserungen auch die nachteiligen Auswirkungen auf den Ladestrommärkten ausgeglichen werden, kommt es im vorliegenden Verfahren nicht an, weil die Beigeladene durch den Zusammenschluss auf diesen Märkten nicht betroffen ist. Soweit die Nichtzulassungsbeschwerde meint, das Gewicht der Verbesserungen der Wettbewerbsbedingungen werde zwangsläufig überschätzt, weil die Abwägung nur hinsichtlich einer Behinderung des Wettbewerbs in solchen Märkten überprüft werde, in denen eine materielle Beschwer gegeben sei, trifft das nicht zu. Die Beschwerdeerwiderung weist zutreffend darauf hin, dass das Beschwerdegericht bereits im Hinblick auf die Heizstrommärkte überwiegende Verbesserungen festgestellt hat, durch die die auf diesen Märkten entstehenden Nachteile (mehr als) ausgeglichen werden.
12b) Keine Grundsatzbedeutung hat die Frage, ob angesichts einer bereits sehr starken marktbeherrschenden Stellung des Erwerbers allein aufgrund der geringen Größe des zusammenschlussbedingten Marktanteilszuwachses eine Behinderung wirksamen Wettbewerbs auszuschließen ist. Diese Frage ist bereits geklärt.
13aa) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs wird eine marktbeherrschende Stellung verstärkt, wenn rechtliche oder tatsächliche Umstände dem marktbeherrschenden Unternehmen mit einiger Wahrscheinlichkeit eine günstigere Wettbewerbsposition verschaffen würden. Dazu genügt es, wenn die Marktmacht ausgleichende Wirkung des Wettbewerbs durch eine Veränderung der markt- und unternehmensbezogenen Strukturen in noch höherem Maße eingeschränkt wird, als dies schon vor dem Zusammenschluss der Fall war. Die Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung kann insbesondere schon in der Stärkung der Fähigkeit eines Unternehmens liegen, nachstoßenden Wettbewerb abzuwehren und den von aktuellen und potentiellen Wettbewerbern zu erwartenden Wettbewerbsdruck zu mindern, um die bereits errungene Marktposition zu erhalten und zu sichern (BGH, Beschlüsse vom - KVR 2/79, BGHZ 76, 55, 73 [juris Rn. 49] - Springer/Elbe Wochenblatt I; vom - KVR 33/96, BGHZ 136, 268, 278 f., 282 f. [juris Rn. 42 bis 44, 55] - Stromversorgung Aggertal; vom - KVR 21/96, WuW DE-R 32 [juris Rn. 48] - Stadtwerke Garbsen; vom - KVR 5/05, BGHZ 166, 165 Rn. 49 - DB Regio/üstra; vom - KVR 34/20, BGHZ 228, 207 Rn. 18 - CTS Eventim/Four Artists). Auf einen bestimmten Grad an Spürbarkeit kommt es dabei nicht an. Insbesondere genügt bei Märkten mit einem hohen Konzentrationsgrad schon eine geringfügige Beeinträchtigung des verbliebenen oder potentiellen Wettbewerbs für eine Verstärkungswirkung (vgl. , BGHZ 178, 285 Rn. 61 - E.ON/Stadtwerke Eschwege, mwN). Als Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung werden danach nur solche strukturellen Veränderungen erfasst, die überhaupt eine Auswirkung auf die Wettbewerbsbedingungen erwarten lassen und in diesem Sinne qualitativ oder quantitativ marktrelevant sind. Die Anforderungen an die Verstärkungswirkung lassen sich dabei nicht abstrakt festlegen. Sie stehen vielmehr in einer Wechselbeziehung zu der Wettbewerbssituation auf dem betroffenen Markt, insbesondere dem Maß der bereits ohne das Zusammenschlussvorhaben eingetretenen Schwächung der Kontrolle der bestehenden Marktmacht durch den Wettbewerb, und sind deshalb umso niedriger, je stärker die Marktstellung des erwerbenden Unternehmens bereits ist (BGHZ 228, 207 Rn. 20 mwN - CTS Eventim/Four Artists). Für diese Betrachtung der Wettbewerbsbedingungen ist die Gesamtheit der strukturellen Wettbewerbsparameter in den Blick zu nehmen (BGHZ 228, 207 Rn. 21 - CTS Eventim/Four Artists).
14bb) Von diesen Maßgaben ist das Beschwerdegericht zutreffend ausgegangen. Dass neben den zwölf vom Bundeskartellamt als Untersagungsmärkte angesehenen Heizstrommärkten drei weitere Untersagungsmärkte anzunehmen sind, wie die Beigeladene im Beschwerdeverfahren geltend gemacht hat, hat das Beschwerdegericht verneint. Zu Recht hat es angenommen, die Bewertung des Bundeskartellamts, auf den nicht betroffenen Heizstrom-Märkten werde sich die marktbeherrschende Stellung der Betroffenen zu 2 mit sämtlichen ihrer Mehrheitsbeteiligungen sowie den Einbringungsgesellschaften der Betroffenen zu 2 (diese nachfolgend E.ON) nicht verstärken, sei nicht zu beanstanden. Zur Begründung hat es ausgeführt, es sei kein unmittelbarer Marktanteilszuwachs von E.ON gegeben. Verstärkt werde durch den Zusammenschluss daher allenfalls der Einfluss von E.ON auf die von der Betroffenen zu 1 eingebrachte Minderheitsbeteiligung an der Beteiligten zu 24. Eine Verschlechterung der Marktstruktur durch diesen Zuwachs könne aber angesichts des sehr geringen Marktanteils der Beteiligten zu 24 nicht angenommen werden. Auch der hohe Marktanteil von E.ON von [80-90] % beziehungsweise [90-100] % und die vom Bundeskartellamt angenommenen Markteintritts- und -expansionsbarrieren führten nicht zur Annahme der Verschlechterung der ohnehin bereits sehr schwierigen Wettbewerbsbedingungen auf den fraglichen Märkten. In diesem Zusammenhang hat das Beschwerdegericht sich auch damit befasst, ob eine Verschlechterung der Wettbewerbsstruktur auf den drei nicht betroffenen Heizstrom-Märkten damit begründet werden könne, dass durch den Zusammenschluss der Wettbewerbsdruck der Betroffenen zu 3 als potentiellem Wettbewerber auf diesen drei Märkten entfalle. Das hat es vor dem Hintergrund, dass dies aufgrund konkreter Tatsachen objektiv naheliegen muss (siehe etwa , NZKart 2016, 276 Rn. 28 bis 30 - Pelican/Pelikan), zutreffend verneint. Dem ist die Nichtzulassungsbeschwerde nicht entgegengetreten.
15cc) Danach besteht keine Klärungsbedürftigkeit der von der Nichtzulassungsbeschwerde benannten Rechtsfrage. Letztlich wendet sich die Nichtzulassungsbeschwerde lediglich gegen die Beurteilung des Beschwerdegerichts im vorliegenden Einzelfall.
16c) Keine grundsätzliche Bedeutung zeigt die Nichtzulassungsbeschwerde auch hinsichtlich der weiteren von ihr aufgeworfenen Rechtsfrage auf, ob an die Eintrittswahrscheinlichkeit zusammenschlussbedingter Verbesserungen der Wettbewerbsbedingungen gemäß § 36 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 GWB geringere Anforderungen zu stellen sind als an eine zusammenschlussbedingte Behinderung des Wettbewerbs gemäß § 36 Abs. 1 Satz 1 GWB. Diese Frage stellt sich vorliegend nicht. Insbesondere hat das Beschwerdegericht einen entsprechenden von der Nichtzulassungsbeschwerde behaupteten Rechtssatz weder "stillschweigend" aufgestellt noch seiner Entscheidung zugrunde gelegt.
17aa) Zu den von ihm bejahten Voraussetzungen des § 36 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 GWB hat das Beschwerdegericht ausgeführt, dass die Nebenbestimmungen eine Verstärkung der marktbeherrschenden Stellung der Betroffenen zu 3 auf den Verbesserungsmärkten vermieden. Die Veräußerungsverpflichtung werde auf der Grundlage der Marktbetrachtung des Bundeskartellamts auf diesen drei Märkten zum Hinzutreten eines neuen Wettbewerbers führen, dessen Bedeutung diejenige der bisherigen Wettbewerber der Betroffenen zu 3 erheblich übersteige. Dieser neue Wettbewerber werde deutlich größere Marktanteile erreichen, als sich durch die jeweiligen zusammenschlussbedingten Marktanteilszuwächse der Betroffenen ergäben. Damit führe die Veräußerungsverpflichtung zur Etablierung eines in dieser Marktstellung zuvor noch nicht vorhandenen Marktakteurs mit den Ressourcen und dem Potential zur wettbewerblichen Weiterentwicklung in den jeweiligen Verbesserungsmärkten wie auch der gesamten, auch die Untersagungsmärkte umspannenden Region. Das veräußerte Kundenpaket übersteige den durch den Zusammenschluss bedingten Marktanteilszuwachs über alle zwölf Heizstrom-Untersagungsmärkte, also auch diejenigen, auf denen die Verbesserungen einträten, selbst im ungünstigsten Fall um den Faktor 1,5, und somit ganz erheblich. Das Beschwerdegericht hat die eintretenden Verbesserungen durch das wegen der Veräußerungsverpflichtung als sicher anzunehmende Hinzutreten eines bedeutenden Wettbewerbers mit einem die räumlich relevanten Märkte überspannenden Marktanteil von [10-20] % seiner Entscheidung maßgeblich und tragend zugrunde gelegt. Lediglich ergänzend zieht es die Erwägung heran, dass mit der Stärkung eines neuen Marktakteurs in den drei Verbesserungsmärkten ein Anreiz auch zum Ausbau von dessen Markttätigkeit in der Region und die zuvor nicht (beziehungsweise nicht aussichtsreich) vorhandene Möglichkeit zu einem wettbewerblichen Entwicklungsprozess in der Region besteht.
18bb) Vor diesem Hintergrund hatte das Beschwerdegericht weder Anlass, sich zu den Prognosemaßstäben für die Eintrittswahrscheinlichkeit zusammenschlussbedingter Verbesserungen zu äußern, noch sind diese entscheidungserheblich und damit klärungsfähig. Zu Recht hat das Beschwerdegericht nämlich das Hinzutreten eines neuen Wettbewerbers wegen der entsprechenden Veräußerungsverpflichtung und die damit unmittelbar verbundenen Verbesserungen in der Marktstruktur als sicher angenommen. Die von der Nichtzulassungsbeschwerde behauptete Abweichung der insoweit angewendeten Maßstäbe von denjenigen, die für die Beurteilung etwaiger Behinderungen des Wettbewerbs durch das Zusammenschlussvorhaben gelten (siehe oben unter Rn. 12 bis 14), liegt daher nicht vor. Soweit die Nichtzulassungsbeschwerde sie aus den Ausführungen des Beschwerdegerichts dazu abzuleiten sucht, dass die Prognose des Bundeskartellamts in regionaler Hinsicht die Schaffung einer mittelbaren wettbewerblichen Anreizsituation zum Gegenstand hat, ist dem kein Erfolg beschieden. Die Nichtzulassungsbeschwerde lässt außer Acht, dass die vom Beschwerdegericht als sicher angenommenen Verbesserungen der Marktstruktur auf den Verbesserungsmärkten nach seiner Entscheidung bereits die Annahme einer überwiegenden Verbesserung der Marktstruktur rechtfertigen. Die von der Nichtzulassungsbeschwerde herangezogenen Ausführungen betreffen demgegenüber die vom Beschwerdegericht - dem Bundeskartellamt folgend - lediglich ergänzend angenommene und zuvor nicht vorhandene Möglichkeit eines weiteren wettbewerblichen Entwicklungsprozesses in der Region.
19d) Dass schließlich die vom Zusammenschluss unabhängigen Wettbewerbsbedingungen bei Abwägung der zusammenschlussbedingten Verbesserungen gemäß § 36 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 GWB ebenso wie bei der Beurteilung der zusammenschlussbedingten Behinderung des Wettbewerbs gemäß § 36 Abs. 1 Satz 1 GWB zu berücksichtigen sind, ergibt sich, wie das Bundeskartellamt zu Recht geltend macht, bereits aus dem Gesetz und ist einhellige Meinung (, WuW/E BGH 2425 [juris Rn. 37] - Anzeigenblätter; OLG Düsseldorf, WuW/E DE-R 1845 [juris Rn. 63, 64]; Thomas in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 6. Aufl., § 36 GWB Rn. 617; Christiansen/Knebel in MüKoWettbewerbsR, 4. Aufl., § 36 GWB Rn. 235; Bechtold/Bosch, GWB, 10. Aufl., § 36 Rn. 37). Die Nichtzulassungsbeschwerde ist nicht etwa anderer Ansicht; sie zeigt auch keine Gegenstimmen auf, die eine Klärungsbedürftigkeit begründen könnten. Sie meint vielmehr, der Beschwerdeentscheidung liege unausgesprochen der Obersatz zugrunde, zusammenschlussunabhängige Wettbewerbsbedingungen seien für die Abwägung zusammenschlussbedingter Verbesserungen der Wettbewerbsbedingungen nach § 36 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 GWB grundsätzlich unbeachtlich. Sie nimmt aus diesem Grund an, die Beschwerdeentscheidung stelle eine Gegenstimme dar, die die Klärungsbedürftigkeit begründe. Das trifft aber nicht zu.
20Der von der Beschwerdeführerin behauptete unausgesprochene Obersatz ist der Entscheidung nicht zu entnehmen. Das Beschwerdegericht hat bei der Abwägung gemäß § 36 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 GWB eine Gesamtbetrachtung vorgenommen, und sich mit den Einwänden der Beigeladenen umfänglich auseinandergesetzt. Es stellt nicht allein auf die Marktanteilsverschiebung ab, sondern berücksichtigt auf der Grundlage der Marktbetrachtung des Bundeskartellamts die Bedeutung des hinzutretenden Wettbewerbers, seine nach der Veräußerungsverpflichtung vorausgesetzten Erfahrungen und Ressourcen, sein wirtschaftliches Gewicht in der Region und seine hinreichende Überlebensfähigkeit. Entgegen der Ansicht der Nichtzulassungsbeschwerde hatte das Beschwerdegericht bei der Abwägung weder Veranlassung, sich (erneut) mit dem von der Beigeladenen behaupteten Wegfall eines wesentlichen Wettbewerbers zu befassen, nachdem es diesen Einwand bereits verworfen hatte (siehe oben Rn. 14), noch auf die bestehenden Marktzutritts- und -expansionsbarrieren einzugehen, nachdem diese durch die Veräußerungsverpflichtung und das Hinzutreten eines ausreichend starken neuen Wettbewerbers nach den getroffenen Feststellungen gerade überwunden werden. Soweit das Beschwerdegericht ferner annimmt, der Fortbestand der aufgrund der Grundversorgerposition der Betroffenen zu 1 bestehenden Wettbewerbsvorteile stehe der Annahme struktureller Verbesserungen nicht entgegen, weil es gemäß § 36 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 GWB nicht erforderlich sei, die unabhängig vom Zusammenschluss bestehende Position als Grundversorger anzugreifen, lässt sich auch daraus der behauptete Obersatz nicht ableiten. Es stellt lediglich eine nicht zu beanstandende Bewertung des Beschwerdegerichts bei der ihm obliegenden Abwägung dar.
213. Aus dem letzteren Gesichtspunkt (Rn. 19 f.) ist entgegen der Auffassung der Nichtzulassungsbeschwerde die Zulassung der Rechtsbeschwerde auch nicht gemäß § 77 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 GWB wegen der behaupteten Divergenz zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich. Wie sich aus den Ausführungen zur grundsätzlichen Bedeutung ergibt (Rn. 19 f.) liegt bereits keine Divergenz zur Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs vor.
224. Schließlich liegt auch der in Bezug auf die unter 2 genannten Rechtsfragen geltend gemachte Zulassungsgrund der Fortbildung des Rechts (§ 77 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 GWB) nicht vor. Es fehlt insoweit - wie sich aus den Ausführungen unter 2 ergibt - weder an einer richtungweisenden Orientierungshilfe noch ist Entscheidungserheblichkeit gegeben (vgl. , WuW 2024, 45 Rn. 11 - Fusionskontrolle im Möbel-einzelhandel).
235. Die Kostenentscheidung folgt aus § 71 Satz 1 und 2 GWB. Es entspricht der Billigkeit, der Beigeladenen neben den notwendigen Auslagen des Bundeskartellamtes auch diejenigen der Betroffenen zu 1 und 2 aufzuerlegen, da diese das gerichtliche Verfahren durch Anträge und schriftsätzliche Ausführungen zu den vorgetragenen Zulassungsgründen - für die Betroffene zu 3 ist kein Antrag gestellt worden - gefördert haben (vgl. BGH, Beschlüsse vom - KVR 4/88, BGHZ 110, 371 [juris Rn. 79 bis 83] - Sportübertragungen; vom - EnVR 77/20, ZNER 2022, 605 Rn. 127 - REGENT). Die Festsetzung des Gegenstandswerts beruht auf § 50 Abs. 1 Nr. 1 GKG, § 3 ZPO.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:280524BKVR81.23.0
Fundstelle(n):
VAAAJ-70207