BVerwG Beschluss v. - 2 AV 2/24

Negativer Kompetenzkonflikt zwischen Verwaltungsgerichten aus verschiedenen Bundesländern

Leitsatz

Eine Klage eines Richters auf Bescheidung seiner Dienstaufsichtsbeschwerde stellt eine Klage aus dem Richterverhältnis dar, für die der Gerichtsstand der besonderen Pflichtenverhältnisse gemäß § 52 Nr. 4 VwGO gilt.

Instanzenzug: Az: 5 K 59/24 Beschluss

Gründe

I

1Die in München wohnhafte Klägerin erhob im Dezember 2020 beim Verwaltungsgericht München Klage auf Verpflichtung der Beklagten, über ihre im Oktober 2020 zum Bundesministerium der Justiz erhobene Dienstaufsichtsbeschwerde zu entscheiden. Die Dienstaufsichtsbeschwerde richtet sich gegen verschiedene Maßnahmen mehrerer richterlicher Mitglieder und mehrerer Gremien des Bundesfinanzhofs, dem die Klägerin zum damaligen Zeitpunkt als Richterin angehörte.

2Das Verwaltungsgericht München hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom abgewiesen. Nachdem die Klägerin die Durchführung der mündlichen Verhandlung beantragt hatte, hat sich das Verwaltungsgericht München mit Beschluss vom für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Verwaltungsgericht Berlin verwiesen. Dessen Zuständigkeit ergebe sich aus § 52 Nr. 5 VwGO. Es liege keine beamtenrechtliche oder dem Recht der Richter zuzuordnende Streitigkeit vor, die nach dem Geschäftsverteilungsplan des Verwaltungsgerichts München der dafür zuständigen Kammer zuzuweisen sei. Weder das Beamtenrecht noch das Richterdienstgesetz treffe spezielle Regelungen zu von Richtern erhobenen Dienstaufsichtsbeschwerden. Bei der Dienstaufsichtsbeschwerde handele es sich um eine Petition nach der allgemeinen Regelung des Art. 17 GG. Solche Streitigkeiten unterfielen nach dem Geschäftsverteilungsplan des Verwaltungsgerichts München der für Sonstiges zuständigen Kammer. Folglich scheide eine örtliche Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts München nach § 52 Nr. 4 VwGO aus.

3Das Verwaltungsgericht Berlin hat sich mit Beschluss vom für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit dem Bundesverwaltungsgericht zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt. Das Verwaltungsgericht München sei gemäß § 52 Nr. 4 Satz 1 VwGO das örtlich zuständige Verwaltungsgericht. Der Klagegegenstand betreffe das (frühere) Richterverhältnis der Klägerin. Der Verweisungsbeschluss des Verwaltungsgerichts München sei nicht mehr verständlich und entfalte deshalb keine Bindungswirkung.

II

41. Das Bundesverwaltungsgericht ist für die Entscheidung des negativen Kompetenzkonflikts zwischen dem Verwaltungsgericht Berlin und dem Verwaltungsgericht München gemäß § 53 Abs. 1 Nr. 5 VwGO zuständig. Nach dieser Vorschrift wird, wenn verschiedene Verwaltungsgerichte, von denen eines für den Rechtsstreit zuständig ist, sich rechtskräftig für unzuständig erklärt haben, das zuständige Gericht von dem nächsthöheren Gericht bestimmt (vgl. 6 AV 3.20 - NVwZ-RR 2020, 854 Rn. 19). Das ist im vorliegenden Fall eines negativen Kompetenzkonflikts zwischen zwei Verwaltungsgerichten aus verschiedenen Bundesländern das beiden beteiligten Gerichten übergeordnete Bundesverwaltungsgericht.

52. Über die auf Bescheidung der Dienstaufsichtsbeschwerde gerichtete Klage hat das Verwaltungsgericht München zu entscheiden. Das Verwaltungsgericht München war bei Klageerhebung nach § 52 Nr. 4 Satz 1 VwGO örtlich zuständig (a). Seine örtliche Zuständigkeit ist durch den gemäß § 83 Satz 2 VwGO unanfechtbaren Verweisungsbeschluss vom an das Verwaltungsgericht Berlin nicht entfallen. Der Verweisungsbeschluss erweist sich als offensichtlich unhaltbar, sodass die gesetzlich angeordnete Bindungswirkung wegen des verfassungsrechtlich gewährleisteten gesetzlichen Richters entfällt. Das Verwaltungsgericht München ist zuständig geblieben (b).

6a) Gemäß § 52 Nr. 4 Satz 1 VwGO ist für alle Klagen aus einem gegenwärtigen oder früheren Beamten-, Richter-, Wehrpflicht-, Wehrdienst- oder Zivildienstverhältnis und für Streitigkeiten, die sich auf die Entstehung eines solchen Verhältnisses beziehen, das Verwaltungsgericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk der Kläger seinen dienstlichen Wohnsitz oder in Ermangelung dessen seinen Wohnsitz hat. Der besondere Gerichtsstand gilt, wenn der Streitgegenstand der Klage Rechte und Pflichten aus den besonderen Statusverhältnissen betrifft (vgl. II C 67.65 - BVerwGE 30, 172 <174> und vom - VII C 51.70 - BVerwGE 38, 105 <106>). Eine Klage eines Richters auf Bescheidung seiner Dienstaufsichtsbeschwerde stellt danach eine Klage aus dem Richterverhältnis dar. Die in § 125 Abs. 1 BBG i. V. m. § 46 DRiG vorgesehene Dienstaufsichtsbeschwerde bezieht sich gerade auf die Rechtsstellung als Richter und dessen dienstliche Tätigkeit. Der zur Entscheidung berufene Vorgesetzte hat darüber auch auf der Grundlage der für das Richterverhältnis bestehenden besonderen Vorschriften zu befinden.

7Vorliegend betrifft die Dienstaufsichtsbeschwerde, deren Verbescheidung die Klägerin begehrt, Vorgänge aus ihrem früheren Richterverhältnis. Sie hat die Dienstaufsichtsbeschwerde in ihrer Eigenschaft als Richterin am Bundesfinanzhof zur obersten Dienstbehörde erhoben. Sie hat sich damit gegen ihre richterliche Tätigkeit betreffende Maßnahmen von richterlichen Mitgliedern des Bundesfinanzhofs (u. a. Präsident, Vizepräsident, Präsidialrichter und Senatsvorsitzende) sowie von mehreren Gremien des Gerichts (Präsidium, Richterrat und Gleichstellungsbeauftragte) gewandt.

8Dies führt dazu, dass bei Klageerhebung das Verwaltungsgericht München gemäß § 52 Nr. 4 Satz 1 VwGO örtlich zuständig war. Der dienstliche Wohnsitz eines Richters beurteilt sich unter Heranziehung der in § 15 Abs. 1 Satz 1 BBesG enthaltenen Legaldefinition nach dem Sitz der Behörde oder nach dem Sitz der ständigen Dienststelle ( 2 AV 1.19 - Buchholz 310 § 52 VwGO Nr. 42 Rn. 8). Sitz des Bundesfinanzhofs, an dem die Klägerin im Zeitpunkt der Klageerhebung als Richterin tätig war, ist gemäß § 2 Halbs. 2 FGO München.

9b) Die bei Klageerhebung bestehende örtliche Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts München ist nicht durch dessen Verweisungsbeschluss vom an das Verwaltungsgericht Berlin übergegangen.

10Ein Beschluss, durch den sich ein Verwaltungsgericht für sachlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das nach seiner Auffassung zuständige Gericht verweist, hat für das Gericht, an das verwiesen worden ist, zwar grundsätzlich bindende Wirkung (§ 83 Satz 1 VwGO i. V. m. § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG). Die gesetzliche Bindungswirkung eines gemäß § 83 Satz 2 VwGO unanfechtbaren Verweisungsbeschlusses kann aber ausnahmsweise bei extremen Rechtsverstößen durchbrochen werden, etwa wenn sich die Verweisung bei der Auslegung und Anwendung der Zuständigkeitsnormen so weit von dem diese beherrschenden verfassungsrechtlichen Grundsatz des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) entfernt hat, dass sie schlechthin nicht mehr zu rechtfertigen ist (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom - 2 BvR 48/70 - BVerfGE 29, 45 <48 f.>, vom - 2 BvR 1107, 1124/77 und 195/79 - BVerfGE 58, 1 <45> und vom - 2 BvR 121/90 - NJW 1992, 359 <361>). Hiervon ist auszugehen, wenn die Entscheidung bei verständiger Würdigung nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist (BVerwG, Beschlüsse vom - 9 AV 1.94 - Buchholz 300 § 17a GVG Nr. 13 S. 6, vom - 7 VR 1.04 - Buchholz 310 § 50 VwGO Nr. 23 S. 11 und vom - 6 AV 11.19 - Buchholz 310 § 53 VwGO Nr. 41 Rn. 10).

11Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Der Verweisungsbeschluss des Verwaltungsgerichts München ist grob fehlerhaft. Die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts, dass Dienstaufsichtsbeschwerden zu den Petitionen i. S. d. Art. 17 GG gehören, trifft zwar zu ( VII B 101.75 - Buchholz 310 § 42 VwGO Nr. 67). Der daraus gezogene entscheidungstragende Schluss, deshalb richte sich bei einer darauf bezogenen Klage die örtliche Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts nach § 52 Nr. 5 VwGO, ist aber schlechthin nicht mehr zu rechtfertigen. Das Verwaltungsgericht München hat außer Acht gelassen, dass es sich um eine sog. Dienstpetition nach § 125 Abs. 1 BBG i. V. m. § 46 DRiG handelt, die ungeachtet ihrer restriktiven einfachgesetzlichen Ausgestaltung einen Vorgang im Richterverhältnis betrifft und damit - für die Begründung des besonderen Gerichtsstands i. S. d. § 52 Nr. 4 Satz 1 VwGO maßgebend - ihren Grund in einem besonderen Statusverhältnis hat. Unerheblich ist, welche Regelungen der Geschäftsverteilungsplan des Präsidiums über die gerichtsinterne Zuteilung der im Geschäftsjahr anfallenden Dienstgeschäfte an die jeweiligen Spruchkörper des Verwaltungsgerichts vorsieht. Der Geschäftsverteilungsplan des Präsidiums ist ein Organisationsakt der gerichtlichen Selbstverwaltung ( VII C 47.73 - BVerwGE 50, 11 <16>), der für die Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte nach § 52 VwGO ohne Relevanz ist.

12Angesichts dessen kommt dem unanfechtbaren Verweisungsbeschluss des Verwaltungsgerichts München keine Bindungswirkung zu.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2024:110624B2AV2.24.0

Fundstelle(n):
TAAAJ-70105