BGH Urteil v. - VIa ZR 1467/22

Instanzenzug: OLG Dresden Az: 18a U 2531/21vorgehend LG Chemnitz Az: 6 O 926/20

Tatbestand

1Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.

2Er erwarb am ein von der Beklagten hergestelltes, gebrauchtes Kraftfahrzeug Mercedes-Benz V 250 BlueTEC, das mit einem von der Beklagten hergestellten Dieselmotor der Baureihe OM 651 (Schadstoffklasse Euro 6) ausgerüstet ist. Das zwischenzeitlich veräußerte Fahrzeug unterlag einem seitens des Kraftfahrt-Bundesamts (KBA) angeordneten Rückruf.

3Das Landgericht hat die gegen den Fahrzeughändler auf Zahlung von Schadensersatz, gegen die Beklagte auf Feststellung der Schadensersatzpflicht und die gegen beide auf Freistellung von Rechtsverfolgungskosten gerichtete Klage abgewiesen. Hinsichtlich der Beklagten hat es dabei die Zulässigkeit der Feststellungsklage verneint. Die Berufung des Klägers, mit der er hilfsweise die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von Schadensersatz nebst Zinsen begehrt hat (Berufungsantrag zu 4a), ist erfolglos geblieben. Das Berufungsgericht hat die Revision im Hinblick auf die nicht mehr hinreichend geklärten Folgen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung, die nicht die Voraussetzungen des § 826 BGB erfülle, zugelassen. Der Kläger verfolgt mit dem Rechtsmittel seinen Berufungsantrag zu 4a weiter.

Gründe

4Die uneingeschränkt zugelassene (vgl. VIa ZR 1031/22, juris Rn. 10 f. mwN) und auch im Übrigen zulässige Revision hat Erfolg.

I.

5Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung, soweit das für das Revisionsverfahren noch von Bedeutung ist, im Wesentlichen wie folgt begründet:

6Die Beklagte hafte nicht gemäß §§ 826, 31 BGB auf Schadensersatz. Denn der Kläger habe die Voraussetzungen einer vorsätzlich sittenwidrigen Täuschung durch die Beklagte nicht hinreichend dargetan. Die Verwendung eines Thermofensters allein könne mangels Prüfstandsbezugs nicht die Sittenwidrigkeit begründen, und der Kläger habe weder insofern weiterführende Umstände noch greifbare Anhaltspunkte für andere, in seinem Fahrzeug verwendete Abschalteinrichtungen vorgetragen. Daran ändere auch die Beanstandung seitens des KBA nichts. Denn diese beziehe sich nur auf eine sowohl den Prüfstandsbetrieb als auch den gewöhnlichen Fahrbetrieb betreffende Vorgehensweise bei der AdBlue-Dosierung.

7Ein Schadensersatzanspruch gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV komme nicht in Betracht, weil die genannten Bestimmungen der EG-FGV nicht dem Schutz des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts des Fahrzeugkäufers dienten.

II.

8Die Erwägungen des Berufungsgerichts halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.

91. Es begegnet allerdings keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die Revision erhebt insofern auch keine Einwendungen.

102. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten zu 2 nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Urteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).

11Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso , WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.

III.

12Die angefochtene Entscheidung ist demnach aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO), weil sie sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO). Insbesondere kann eine Schadensersatzhaftung der Beklagten nicht ohne weiteres gestützt auf Erwägungen zur Vorteilsausgleichung verneint werden. Denn das Berufungsgericht hat insofern keine hinreichenden Feststellungen getroffen. Die Sache ist deshalb zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

13Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom (VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245) die erforderlichen Feststellungen zu den Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben. Dabei wird auch der Gesichtspunkt der Vorteilsausgleichung (vgl. etwa VIa ZR 1248/22, NJW 2024, 496 Rn. 13) zu beachten sein.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:110624UVIAZR1467.22.0

Fundstelle(n):
GAAAJ-69740