BGH Beschluss v. - 6 StR 86/24

Elektronischer Rechtsverkehr: Fristwahrender Eingang einer per beA versandten Revisionsbegründung bei Gericht

Gesetze: § 32a Abs 5 S 1 StPO, § 32a Abs 5 S 2 StPO, § 345 Abs 1 StPO

Instanzenzug: Az: 2 KLs 21/22vorgehend Az: 2 KLs 21/22

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Fahren ohne Fahrerlaubnis zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Mit Beschluss vom hat das Landgericht die dagegen gerichtete Revision als unzulässig verworfen. Der Antrag des Angeklagten auf Entscheidung des Revisionsgerichts nach § 346 Abs. 2 StPO ist zulässig, aber unbegründet.

21. Folgender Verfahrensgang liegt zugrunde:

3Nach Zustellung der schriftlichen Urteilsgründe am hat der Verteidiger mit Schriftsatz vom die zuvor form- und fristgemäß eingelegte Revision begründet und das Dokument am selben Tag mittels des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs (beA) an das Landgericht versandt. Das anschließend von seiner Softwareanwendung generierte Prüfprotokoll („beA-Nachricht        “) hat als Empfänger das Landgericht Göttingen, als „Übermittlungscode“ die Zahlenfolge „9710“ und als „Meldetext“ die Mitteilung „Interner Fehler des Suppliers bei der Zertifikatsprüfung“ ausgewiesen. Die Spalten „OSCI-Nachrichten-ID“, „Zugegangen“ und „Übermittlungsstatus“ waren nicht ausgefüllt.

4Mit Beschluss vom hat das Landgericht die Revision als unzulässig verworfen, weil die Frist zur Begründung der Revision nicht gewahrt sei. Eine Revisionsbegründung sei bis zum Ablauf der Frist nach § 345 Abs. 1 StPO nicht beim Landgericht eingegangen. Gegen diesen Beschluss hat der Verteidiger binnen Wochenfrist die Entscheidung des Revisionsgerichts beantragt und ausgeführt, dass der fristgerechte Zugang der Rechtsmittelbegründung vor dem Hintergrund des dem Antrag beigeschlossenen beA-Prüfprotokolls nicht zweifelhaft sein könne.

52. Das Landgericht hat die Revision mit Recht als unzulässig verworfen. Die Revisionsbegründungsfrist wurde nicht gewahrt.

6a) Nach § 32a Abs. 5 Satz 1 StPO ist ein elektronisches Dokument bei Gericht eingegangen, sobald es auf dem für dieses eingerichteten Empfänger-Intermediär im Netzwerk für das elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) gespeichert ist; unerheblich ist, ob es von dort aus rechtzeitig an andere Rechner innerhalb des Gerichtsnetzes weitergeleitet oder von solchen Rechnern abgeholt werden konnte (vgl. ; entsprechend zu § 130a Abs. 5 Satz 1 ZPO, Beschlüsse vom – VI ZB 25/20; vom – VII ZR 94/21, NJW 2021, 3471 Rn. 9; vom – VIII ZB 9/20; vom – III ZB 13/22, NJW 2023, 1737 Rn. 10 mwN; siehe auch MüKo-StPO/Beller/Gründler/Kindler/Rochner, 2. Aufl., § 32a Rn. 45; BT-Drucks. 18/9416 S. 47). Die Eingangsbestätigung nach § 32a Abs. 5 Satz 2 StPO, die der Justizserver bei ordnungsgemäßem Zugang der Nachricht automatisch generiert und deren Inhalt von der Justizverwaltung dem Absender mittels strukturiertem Datensatz im XML-Format zur Verfügung gestellt wird (vgl. Fritzsche, NZFam 2022, 1, 6), soll dem Absender unmittelbar und ohne weiteres Zutun von Justizbediensteten Gewissheit darüber verschaffen, ob die Übermittlung an das Gericht erfolgreich war oder weitere Bemühungen zur erfolgreichen Übermittlung des elektronischen Dokuments erforderlich sind (vgl. BGH, Beschlüsse vom – XI ZB 14/22, NJW 2022, 3715 Rn. 7 und vom – XI ZB 18/21, NJW-RR 2022, 1069). Sie wird durch das beA-System in die gesendete Nachricht eingebettet und kann nach deren Öffnen vom Absender in der Nachrichtenansicht der beA-Webanwendung auf dem Computerbildschirm anhand des Meldetextes „Request executed“, dem Eingangsdatum und dem Übermittlungsstatus „Erfolgreich“ optisch wahrgenommen werden (vgl. , NJW-RR 2022,1069 mwN).

7b) Hier hat die Rechtsmittelbegründungsschrift den Empfänger-Intermediär nicht fristgerecht erreicht. Dies ist bereits aus dem vom Verteidiger vorgelegten beA-Prüfprotokoll erkennbar. Es fehlt die eine erfolgreiche Verbindung ausweisende „OSCI-Nachrichten-ID“ und das vom Empfänger-Intermediär bestätigte Eingangsdatum („Zugegangen“). Der fehlende erfolgreiche Kontakt zum Empfänger-Intermediär wird ferner belegt durch die vom Senat eingeholte – dem Verteidiger und dem Angeklagten zur Stellungnahme übersandte – Auskunft des Projektbüros der Bund-Länder-Kommission, Arbeitsgruppe IT-Standards in der Justiz vom . Hiernach weist auch der im beA-Prüfprotokoll ausgewiesene „Übermittlungscode 9710“ aus, dass es zu keinem Kontakt zum Empfänger-Intermediär kam. Eine Eingangsbestätigung nach § 32a Abs. 5 StPO wurde deshalb nicht generiert.

83. Einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand haben weder der Angeklagte noch sein Verteidiger gestellt. Es kann dahinstehen, ob der Antragsschrift im Wege der Auslegung (§ 300 StPO) zugleich ein Wiedereinsetzungsgesuch (§ 44 StPO) entnommen werden kann (vgl. MüKo-StPO/Knauer/Kudlich, § 346 Rn. 34). Ein solches wäre jedenfalls unzulässig. Gemäß § 45 StPO muss ein fristwahrendes Wiedereinsetzungsgesuch spätestens innerhalb einer Woche nach dem Wegfall des Grundes, der den Antragsteller an der rechtzeitigen Wahrnehmung einer Prozesshandlung gehindert hat, gestellt werden. Der Antragsteller muss darlegen, welche Frist er versäumt und was ihn an der Fristwahrung gehindert hat. Die hierzu erforderlichen Angaben sind ebenso wie ihre Glaubhaftmachung Zulässigkeitsvoraussetzungen (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 2 StR 177/87, BGHR StPO § 45 Abs. 2 Tatsachenvortrag 2; vom – 5 StR 304/90, BGHR StPO § 45 Abs. 2 Tatsachenvortrag 6 und vom – 1 StR 737/90, BGHR StPO § 45 Abs. 2 Tatsachenvortrag 7). Hierzu fehlt ein tragfähiger Vortrag ebenso wie die notwendige Glaubhaftmachung.

94. Für eine Wiedereinsetzung in den Stand vor Versäumung der Frist zur Begründung der Revision von Amts wegen war kein Raum. Der Senat vermag nicht zu beurteilen, ob die versäumte Handlung innerhalb der Frist des § 45 Abs. 2 Satz 2 StPO nachgeholt wurde. Es ist weder vorgetragen noch offenkundig, wann der Angeklagte Kenntnis vom Verwerfungsbeschluss der Strafkammer genommen hat, der ihm formlos bekannt gemacht wurde. Anhaltspunkte für einen ausnahmsweise zur Wiedereinsetzung von Amts wegen nötigenden „offenkundigen Mangel“ der Verteidigung (vgl. EGMR, NJW 2003, 1229; BGH, Beschlüsse vom – 3 StR 422/20, NStZ-RR 2021, 112; vom – 3 StR 165/19, NStZ-RR 2019, 349; vom – 4 StR 138/18, BGHR MRK Art. 6 III Buchst. c Beschränkung 3) liegen noch nicht vor.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:290424B6STR86.24.0

Fundstelle(n):
QAAAJ-69647