BGH Urteil v. - XI ZR 51/23

Instanzenzug: LG Mühlhausen Az: 1 S 37/21 Urteilvorgehend AG Heiligenstadt Az: 1 C 518/20

Tatbestand

1Die Klägerin begehrt unter anderem die Feststellung des Fortbestandes eines mit der Beklagten geschlossenen Sparvertrags.

2Die Parteien schlossen am einen Sparvertrag mit variabler Verzinsung. In dem Vertragsformular "S-Vorsorgesparen/Aktion" heißt es auszugsweise wie folgt:

"Sie zahlen monatlich ab den Betrag von EUR 100,00 ein.

[…]

Die Spareinlage wird variabel, z.Zt. mit 1,5% p.a. verzinst.

[…]

Daneben zahlt die Sparkasse am Ende eines Sparjahres eine verzinsliche S-Prämie gemäß der nachfolgenden Prämienstaffel auf die vertragsgemäß geleisteten Sparbeiträge des jeweils abgelaufenen Sparjahres.

Die Prämie (p.a.) beträgt nach dem

[…]

Es wird ausdrücklich darauf hingewiesen, daß neben unseren derzeit geltenden Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) sowie den Bedingungen für den Sparverkehr (einschl. SB-Sparverkehr) ergänzend die Sonderbedingungen für den Sparverkehr Vertragsbestandteil sind. Die AGB, die Bedingungen für den Sparverkehr (einschl. SB-Sparverkehr), die Sonderbedingungen für den Sparverkehr und die Bedingungen für das Dauerauftragsverfahren hängen/liegen in den Kassenräumen der Sparkasse aus."

3Nr. 26 Abs. 1 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten enthält folgende Regelung:

"Soweit weder eine Laufzeit noch eine abweichende Kündigungsregelung vereinbart sind, können der Kunde - und bei Vorliegen eines sachgerechten Grundes auch die Sparkasse - die gesamte Geschäftsbeziehung oder einzelne Geschäftszweige jederzeit ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist kündigen."

4Mit Schreiben vom kündigte die Beklagte den Sparvertrag unter Hinweis auf die Niedrigzinsphase mit Wirkung zum .

5Die Klägerin hat begehrt festzustellen, dass der Sparvertrag nicht durch die Kündigung der Beklagten zum beendet sei, sondern darüber hinaus fortbestehe (Antrag zu 1), dass die Beklagte verpflichtet sei, der Klägerin jeglichen Schaden zu ersetzen, der ihr dadurch entstehe, dass die Beklagte in Bezug auf den Sparvertrag über den hinaus die Annahme der monatlichen Sparraten verweigere (Antrag zu 2), und die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten zu zahlen (Antrag zu 3).

6Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben. Die Berufung der Beklagten hatte keinen Erfolg. Mit der - vom Berufungsgericht zugelassenen - Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.

Gründe

7Die Revision hat Erfolg. Sie führt unter Aufhebung des angefochtenen Urteils und Abänderung des amtsgerichtlichen Urteils zur Abweisung der Klage.

I.

8Das Berufungsgericht (LG Mühlhausen, Urteil vom - 1 S 37/21, juris) hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:

9Die Klage sei begründet. Ein objektiver Empfänger der Allgemeinen Geschäftsbedingungen habe die vorliegende Prämienstaffel so verstehen können, dass bis zum 25. Sparjahr jedenfalls durch die Beklagte keine ordentliche Kündigung erfolgen könne, mithin ein konkludenter Ausschluss der ordentlichen Kündigung bis zum 25. Sparjahr vereinbart sei.

10In der Entscheidung vom (XI ZR 345/18, BGHZ 222, 74) habe der Bundesgerichtshof einen konkludenten Kündigungsausschluss der Beklagten in der Prämienstaffelangabe bis zum 15. Sparjahr gesehen, wobei im 15. Sparjahr die höchste Prämienstufe erreicht worden sei. Vorliegend sei zwar auch die höchste Prämienstufe im 15. Sparjahr erreicht, jedoch seien die weiteren Prämien für die Sparjahre bis zum 25. Sparjahr ausdrücklich für jedes weitere Jahr gleichbleibend mit 50% angegeben. Wenn der Bundesgerichtshof einen Ausschluss des ordentlichen Kündigungsrechts der Bank bis zum Erreichen der höchsten Prämienstufe annehme, wenn keine weiteren Sparjahre angegeben würden, dann müsse auch ein Kündigungsausschluss bis zum 25. Sparjahr angenommen werden, wenn die nachfolgenden Sparjahre 15 bis 25 im Einzelnen angegeben würden, auch wenn bereits die höchste Prämienstufe erreicht worden sei.

11Auch sei der Prämienanreiz nicht mit Erreichen der Höchststufe für den Sparer erfüllt. Auch in den Sparjahren 15 bis 25 sei noch ein Sparanreiz für den Sparer gegeben, wenn er die Prämie von 50% weiterhin erhalte. Es sei kein Grund ersichtlich, weshalb die Beklagte die Folgejahre nach Erreichen der höchsten Prämienstufe ausdrücklich hätte abdrucken sollen, wenn sie nicht hierdurch einen weiteren Sparanreiz durch die Prämienzahlungen bei ihren Kunden habe erwecken wollen. Damit sei eine ordentliche Kündigung vor Ablauf des 25. Sparjahres durch die Beklagte konkludent ausgeschlossen worden.

12Es gelte § 305c Abs. 2 BGB als allgemeiner Auslegungsgrundsatz für alle Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Vorliegend könnte man die Allgemeinen Geschäftsbedingungen im Sinne der Beklagten dahin verstehen, dass diese immer bei Vorliegen eines sachlichen Grundes nach Erreichen der höchsten Prämienstufe kündigen könne. Man könne sie aber auch so verstehen, dass die Kündigung der Beklagten aus sachlichem Grund erst möglich sein solle, wenn die in der Prämienstaffel abgedruckten Sparjahre erreicht worden seien. Wenn mehrere mögliche objektive Auslegungen verblieben, die wie hier nicht zur Unwirksamkeit der Klausel führten, sei hiernach derjenigen der Vorzug zu geben, die kundenfreundlicher sei.

II.

13Diese Ausführungen halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Die Kündigung ist wirksam und die Klage damit unbegründet.

141. Der Antrag zu 1 ist auf die Feststellung des Fortbestandes des Sparvertrags über den hinaus gerichtet und so verstanden auch zulässig.

15Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann das Revisionsgericht die Würdigung prozessualer Erklärungen einer Partei uneingeschränkt nachprüfen und Erklärungen selbst auslegen (, WM 2017, 1258 Rn. 11 und vom - XI ZR 221/22, BGHZ 238, 47 Rn. 18, jeweils mwN). Die Auslegung darf auch im Prozessrecht nicht am buchstäblichen Sinn des Ausdrucks haften, sondern hat den wirklichen Willen der Partei zu erforschen. Bei der Auslegung von Prozesserklärungen ist der Grundsatz zu beachten, dass im Zweifel dasjenige gewollt ist, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und der wohlverstandenen Interessenlage entspricht ( aaO und vom , aaO, jeweils mwN).

16Hiernach ist das Begehren der Klägerin allein auf die Feststellung des zwischen den Parteien streitigen Fortbestandes des Sparvertrags über den hinaus gerichtet. Denn während der (Fort-)Bestand eines Vertrags der Feststellung nach § 256 Abs. 1 ZPO zugänglich ist, kann die Wirksamkeit einer Kündigungserklärung nicht Gegenstand einer allgemeinen Feststellungsklage gemäß § 256 Abs. 1 ZPO sein, weil es sich hierbei lediglich um eine Vorfrage über den Bestand eines feststellungsfähigen Rechtsverhältnisses handelt (Senatsurteil vom - XI ZR 221/22, BGHZ 238, 47 Rn. 19 mwN). Trotz der Bezugnahme auf die Kündigung der Beklagten vom ist das Klagebegehren bei verständiger Auslegung daher nicht auf die Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigungserklärung gerichtet, sondern dahin zu verstehen, dass Streitgegenstand der Feststellungsklage allein der Fortbestand des mit der Beklagten geschlossenen Sparvertrags über den hinaus ist (vgl. , WM 2023, 2137 Rn. 16 und vom - XI ZR 88/23, WM 2024, 69 Rn. 28).

172. Das Berufungsgericht hat den so verstandenen Klageantrag zu 1 jedoch zu Unrecht als begründet erachtet. Die Beklagte hat den Sparvertrag wirksam zum gekündigt.

18a) Der Sparvertrag unterliegt dem Recht der unregelmäßigen Verwahrung und damit § 700 BGB.

19aa) Die Abgrenzung zu einem Darlehensvertrag (§§ 488 ff. BGB) hat anhand des vertraglichen Pflichtenprogramms zu erfolgen. Voraussetzung für einen unregelmäßigen Verwahrungsvertrag gemäß § 700 Abs. 1 Satz 1 BGB ist, dass vertretbare Sachen in der Art hinterlegt werden, dass das Eigentum auf den Verwahrer übergehen und dieser verpflichtet sein soll, Sachen von gleicher Art, Güte und Menge zurückzugewähren. Insoweit ist der unregelmäßige Verwahrungsvertrag im Grundsatz einseitig verpflichtend. Der Hinterleger geht keine Verpflichtung zur Hinterlegung ein; ihm kommt es in der Regel in erster Linie auf eine sichere Aufbewahrung der überlassenen Sache und daneben auf die jederzeitige Verfügbarkeit darüber an. Eine unregelmäßige Verwahrung scheidet daher aus, wenn der Sparer zur Erbringung der Spareinlage verpflichtet sein soll; denn die Verpflichtung, einen Geldbetrag in der vereinbarten Höhe zur Verfügung zu stellen, ist gemäß § 488 Abs. 1 Satz 1 BGB die vertragstypische Pflicht des Darlehensgebers bei einem Darlehensvertrag (, BGHZ 222, 74 Rn. 26 mwN, vom - XI ZR 221/22, BGHZ 238, 47 Rn. 24, vom - XI ZR 72/22, WM 2023, 2137 Rn. 20 und vom - XI ZR 88/23, WM 2024, 69 Rn. 32).

20bb) Nach diesen Maßgaben ist der Sparvertrag als unregelmäßiger Verwahrungsvertrag zu qualifizieren, weil sich die Klägerin gegenüber der Beklagten nicht zur Zahlung der monatlichen Sparbeiträge verpflichtet hat.

21Bei dem Vertragsformular handelt es sich um einen Vordruck der Beklagten und damit um Allgemeine Geschäftsbedingungen, die der Senat selbst auslegen kann (vgl. , BGHZ 222, 74 Rn. 28 mwN und vom - XI ZR 221/22, BGHZ 238, 47 Rn. 26). Allgemeine Geschäftsbedingungen sind ausgehend von den Verständnismöglichkeiten eines rechtlich nicht gebildeten Durchschnittskunden so auszulegen, wie sie von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der regelmäßig beteiligten Kreise verstanden werden (Senatsurteil vom , aaO mwN).

22Wie der Senat bereits für vergleichbare Sparverträge entschieden hat, lässt sich dem Wortlaut des Vertragsformulars keine Pflicht zur Zahlung des monatlichen Sparbeitrags entnehmen. Die Formulierung "Sie zahlen monatlich … ein." enthält eine solche Verpflichtung nicht; eine solche wäre auch nicht interessengerecht (vgl. Senatsurteil vom - XI ZR 345/18, BGHZ 222, 74 Rn. 29 f.).

23b) Der Beklagten stand nach Erreichen der höchsten Prämienstufe ein Recht zur ordentlichen Kündigung aus Nr. 26 Abs. 1 AGB-Sparkassen zu.

24aa) Die nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts in den Vertrag einbezogene Klausel begegnet keinen Wirksamkeitsbedenken nach § 307 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB. Sie macht nach Maßgabe des Senatsurteils vom (XI ZR 214/14, BGHZ 205, 220 Rn. 10 ff.) die Wirksamkeit einer Kündigung der Beklagten, einer Anstalt des öffentlichen Rechts, vom Vorliegen eines sachlichen Grundes abhängig (Senatsurteil vom - XI ZR 345/18, BGHZ 222, 74 Rn. 34).

25bb) Das Recht zur ordentlichen Kündigung aus Nr. 26 Abs. 1 AGB-Sparkassen war (lediglich) bis zum Erreichen der höchsten Prämienstufe ausgeschlossen, jedoch nicht darüber hinaus.

26Wie der Senat nach Erlass der Berufungsentscheidung entschieden und im Einzelnen begründet hat, ist bei einem Prämiensparvertrag, bei dem die Prämien auf die Sparbeiträge stufenweise bis zu einem bestimmten Sparjahr steigen, das Recht der Sparkasse zur ordentlichen Kündigung auch dann (nur) bis zum Erreichen der höchsten Prämienstufe ausgeschlossen, wenn in der Vertragsurkunde die Sparprämie auch für Folgejahre ausdrücklich aufgeführt ist (vgl. Senatsurteil vom - XI ZR 72/22, WM 2023, 2137 Rn. 30 ff. mwN).

27Diese Erwägungen gelten für die streitgegenständliche Prämienstaffel gleichermaßen. Die auf die Jahressparleistung von der Beklagten gewährte jährliche Prämie steigt nach dem dritten Sparjahr bis zum Ablauf des 15. Sparjahres fortlaufend bis auf 50% an. Den dadurch gesetzten besonderen Sparanreiz darf die Beklagte nicht enttäuschen, indem sie der Klägerin den Anspruch auf Gewährung der Sparprämien vor Erreichen der Höchststufe durch eine ordentliche Kündigung entzieht. Dass in dem Sparvertrag die nach dem 15. Sparjahr konstant bleibende Prämienstaffel auch für die Sparjahre 16 bis 25 aufgeführt ist, ändert hieran nichts.

28Danach verbleiben entgegen der Annahme des Berufungsgerichts auch keine Zweifel i.S.d. § 305c Abs. 2 BGB (vgl. Senatsurteil vom - XI ZR 72/22, WM 2023, 2137 Rn. 37 f.).

29c) Die tatbestandliche Kündigungsvoraussetzung eines sachgerechten Grundes i.S.d. Nr. 26 Abs. 1 AGB-Sparkassen liegt vor.

30Ein solcher ist gegeben, wenn die Umstände, die die Sparkasse zur Kündigung veranlassen, derart beschaffen und zu bewerten sind, dass ein unvoreingenommener, vernünftiger Beobachter das Verhalten der Sparkasse für eine nachvollziehbare und der Sachlage nach angemessene Reaktion halten muss (Senatsurteil vom - XI ZR 345/18, BGHZ 222, 74 Rn. 45). Ein solcher Umstand ist in dem veränderten Zinsumfeld zu sehen, das sich zwar nicht wegen des variablen Zinssatzes negativ auf das Vertragsverhältnis auswirkt, es aber der Beklagten erschwert, die Erträge zu erwirtschaften, die sie benötigt, um die jährlichen Prämienzahlungen aufzubringen (vgl. Senatsurteil vom , aaO Rn. 46).

31d) Die Kündigung ist erst für die Zeit nach dem Ablauf des 15. Sparjahres und der Auslauffrist von drei Monaten erklärt worden.

323. Damit steht der Klägerin auch kein Anspruch auf Ersatz etwaiger Schäden aus der Verweigerung der Annahme der monatlichen Sparraten (Antrag zu 2) und auf Zahlung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten (Antrag zu 3) zu.

III.

33Das Berufungsurteil ist mithin auf die Revision aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO), weil es sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig erweist (§ 561 ZPO). Da die Aufhebung des Urteils nur wegen einer Rechtsverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und keine weiteren Feststellungen erforderlich sind, sondern die Sache nach den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts zur Endentscheidung reif ist, hat der Senat eine ersetzende Sachentscheidung getroffen (§ 563 Abs. 3 ZPO). Dies führt zur Abänderung des amtsgerichtlichen Urteils und zur Abweisung der Klage.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:140524UXIZR51.23.0

Fundstelle(n):
RAAAJ-68828