BVerwG Beschluss v. - 2 B 4/24

Leitsatz

1. Die Fürsorgepflicht des Dienstherrn begründet keine Erstattungspflicht für eine Rehabilitierungsmaßnahme, deren Eignung zur Wiederherstellung der Dienstfähigkeit nicht vorab festgestellt worden ist.

2. Eine mit dem Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs nicht zu vereinbarende Überraschungsentscheidung liegt nicht schon deshalb vor, weil das Berufungsgericht die Berufung wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zugelassen, sodann aber die Berufung zurückgewiesen hat.

Instanzenzug: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Az: 24 B 22.2261 Urteilvorgehend VG Regensburg Az: RN 12 K 20.608

Gründe

1Der Rechtsstreit betrifft die Kostenübernahme für eine ohne Anordnung des Dienstherrn durchgeführte Rehabilitationsmaßnahme.

21. Der 1961 geborene Kläger stand bis zu seiner Versetzung in den Ruhestand im Jahr 2021 als Polizeihauptmeister im Dienst des Beklagten. Ab September 2017 war er dienstunfähig erkrankt. Im Sommer 2019 begab sich der Kläger - eigeninitiativ und ohne vorherige Anordnung des Dienstherrn - in eine stationäre Rehabilitationsbehandlung. Im Herbst 2019 nahm er seinen Dienst im Rahmen einer Wiedereingliederung wieder auf. Die für die Rehabilitationsmaßnahme entstandenen Kosten in Höhe von 5 511,22 € erstattete die Beihilfestelle in Höhe von 2 755,61 € und damit vollständig im Rahmen des dem Kläger zustehenden Bemessungssatzes, die private Krankenversicherung des Klägers jedoch nur in Höhe von 1 143,30 €. Den auf Erstattung des Differenzbetrags in Höhe von 1 612,31 € gerichteten Antrag des Klägers lehnte der Beklagte ab.

3Klage und Berufung sind ohne Erfolg geblieben. Das Berufungsgericht hat zur Begründung ausgeführt, für die begehrte Kostenerstattung sei weder in den einschlägigen Verwaltungsvorschriften des Beklagten noch im einfachen Gesetzesrecht eine Rechtsgrundlage ersichtlich, auch aus Verfassungsrecht ergebe sich derartiges nicht.

42. Die gegen die Nichtzulassung der Revision gerichtete Beschwerde des Klägers hat keinen Erfolg. Sie hat weder eine grundsätzliche bedeutsame Rechtsfrage (a) noch einen Verfahrensmangel der angegriffenen Entscheidung (b) dargelegt.

5a) Die Revisionszulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 i. V. m. § 133 Abs. 3 VwGO setzt voraus, dass die Beschwerde eine im konkreten Fall entscheidungserhebliche Frage des revisiblen Rechts benennt, die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Rechtsfortbildung in einem Revisionsverfahren geklärt werden muss (vgl. bereits 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91>). Ein derartiger Klärungsbedarf besteht nicht, wenn die Rechtsfrage auf der Grundlage der bestehenden Rechtsprechung mit Hilfe der anerkannten Auslegungsregeln auch ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens eindeutig beantwortet werden kann (vgl. etwa 2 B 107.13 - NVwZ 2014, 1174 Rn. 9 m. w. N.).

6aa) Die mit der Beschwerde benannte Frage,

"würde es gegen die hergebrachten Grundsätze verstoßen, vom betroffenen Beamten alle Anstrengungen zur Erhaltung seiner Dienstfähigkeit zu fordern, ihm hierfür aber nicht die zur Durchführung der Maßnahme gebotene angemessene wirtschaftliche Absicherung zu gewähren",

würde sich in einem Revisionsverfahren nicht stellen, weil die in Rede stehende Rehabilitationsmaßnahme nicht vom Kläger "gefordert" worden ist. Dass eine Kostenerstattung im Fall der "Anordnung" der Maßnahme gewährt worden wäre, ist vielmehr unstreitig. Kern und Hintergrund des Rechtsstreits ist gerade der Umstand, dass der Kläger die streitige Rehabilitierungsmaßnahme eigenständig und ohne vorherige Abstimmung mit dem Dienstherrn veranlasst hat. Damit bestand für den Dienstherrn keine Möglichkeit, die Erfolgsaussicht der Maßnahme vorab zu prüfen, was gemäß Ziffer 4.3.1 der Verwaltungsvorschriften zum Beamtenrecht (VV-BeamtR) vom (FMBl. 2009, 190) notwendige Voraussetzung für die Kostenübernahme ist.

7Die "Eignung" der Rehabilitationsmaßnahme, die auch in dem gesetzlich geregelten Fall der bereits wegen Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzten Beamten nach § 29 Abs. 4 BeamtStG (sowie in der von der Beschwerde herangezogenen Parallelvorschrift in § 46 Abs. 4 Satz 1 BBG) vorausgesetzt wird, war damit nicht festgestellt. Sie hätte nach den tatsächlichen Feststellungen im Berufungsurteil (UA Rn. 34) auch nicht festgestellt werden können, weil die eigeninitiativ vom Kläger geplante Maßnahme in den polizeiärztlichen Stellungnahmen aus fachlicher Sicht nicht als zur Wiederherstellung der Dienstfähigkeit geeignet angesehen worden ist. Verfahrensrügen hiergegen hat die Beschwerde nicht erhoben (vgl. § 137 Abs. 2 VwGO).

8bb) Auch die in der Sache aufgeworfene Frage,

ob bei "Lücken" im Rahmen der Beihilfevorschriften des Dienstherrn für die Gesundheitsvorsorge ein unmittelbarer Anspruch des Beamten aus der Fürsorgepflicht folgt,

bedarf nicht der Klärung in einem Revisionsverfahren. Es ist in der Rechtsprechung geklärt, dass die verfassungsrechtlich verankerte Fürsorgepflicht des Dienstherrn jedenfalls dann keine unmittelbaren Ansprüche von Beamten begründet, wenn der Regelungsbereich durch spezialgesetzliche Bestimmungen abschließend normiert ist. Neuen oder zusätzlichen Klärungsbedarf hierzu zeigt die Beschwerde nicht auf.

9Die zu den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums i. S. v. Art. 33 Abs. 5 GG zählende Fürsorgepflicht verpflichtet den Dienstherrn, die wohlverstandenen Interessen des Beamten in gebührender Weise zu berücksichtigen (vgl. bereits - BVerfGE 43, 154 <165> sowie zuletzt etwa Kammerbeschluss vom - 2 BvR 754/07 - NVwZ 2008, 547 <548> m. w. N.). In welcher Weise der Dienstherr dieser Verpflichtung nachkommt, bleibt von Verfassungs wegen seiner Entscheidung überlassen ( - BVerfGE 106, 225 <232>). Es ist daher in erster Linie Sache des Dienstherrn, für einzelne Regelungsbereiche die ihm aus der Fürsorgepflicht dem Beamten gegenüber obliegenden Verpflichtungen zu konkretisieren. Dabei steht ihm ein weiter Gestaltungsspielraum zu ( - BVerfGE 83, 89 <100>).

10Hat der zuständige Beamtengesetzgeber unter Abwägung aller Belange, insbesondere der wohlverstandenen Interessen der Beamten, eine abstrakt-generelle Regelung getroffen, darf diese nicht unter Berufung auf die allgemeine Fürsorgepflicht überspielt und eine von der gesetzlichen Regelung abweichende Rechtsfolge angenommen werden (vgl. 2 C 22.16 - NVwZ-RR 2017, 546 Rn. 22 und vom - 2 C 9.19 - BVerwGE 167, 351 Rn. 30 m. w. N.). Im Hinblick auf die Krankheitsvorsorge des Beamten ist die Fürsorgepflicht grundsätzlich abschließend durch die Beihilferegelungen konkretisiert (vgl. 2 C 39.99 - BVerwGE 112, 308 <310>). Dies gilt auch in Anbetracht des Umstands, dass durch die Beihilfe nicht alle krankheitsbedingten Aufwendungen berücksichtigt werden, sondern - etwa durch Kostendämpfungspauschalen o. ä. - Lücken verbleiben. Verfassungsrechtliche Bedenken ergeben sich insoweit erst, wenn die Leistungen des Dienstherrn insgesamt den Beamten nicht mehr in die Lage versetzen, auch im Fall von Krankheit, Pflegebedürftigkeit und Ähnlichem einen amtsangemessenen Lebensstandard verwirklichen zu können ( u. a. - NJW 2008, 137 Rn. 28). Derartiges hat die Beschwerde nicht vorgetragen und ist im Hinblick auf den streitigen Betrag auch nicht ersichtlich.

11Im Übrigen sind die Kosten der Rehabilitationsmaßnahme von der Beihilfe im Rahmen des dem Kläger zustehenden Erstattungssatzes von 50 % vollständig übernommen worden. Der noch offene Restbetrag resultiert allein daraus, dass die private Krankenversicherung des Klägers die Kosten nicht vollständig erstattet hat.

12cc) Soweit die Beschwerde schließlich thematisiert,

inwieweit "grundsätzliche Vorgaben der Verfassung und der hierauf ergangenen Gesetze" durch Verwaltungsvorschrift eingeschränkt werden können,

geht sie von einem unzutreffenden Ausgangspunkt aus. Denn wie dargelegt besteht keine unmittelbar durch die Fürsorgepflicht begründete Erstattungspflicht des Dienstherrn für eine Rehabilitierungsmaßnahme, deren Eignung zur Wiederherstellung der Dienstfähigkeit nicht vorab festgestellt worden ist. Derartiges folgt weder aus den verfassungsrechtlichen Vorgaben - sodass es auch an einem Anknüpfungspunkt für die geforderte Bindung des Landesgesetzgebers fehlt - noch aus einer gesetzlichen Norm.

13Auch die mit der Beschwerde vorgebrachten Bedenken gegen die Bestimmtheit der in Ziffer 4.3.1 VV-BeamtR getroffenen Regelung zur Kostentragung gehen fehl. Eine Kostentragung ist dort ausdrücklich nur für angeordnete Rehabilitationsmaßnahmen vorgesehen. Aus den in Ziffer 4.4 VV-BeamtR enthaltenen Bestimmungen zum Verfahren, die im Übrigen ausdrücklich die Anordnung der Maßnahmen betreffen, folgt nichts anderes.

14b) Die Beschwerde legt auch keinen Verfahrensmangel dar, auf dem die angegriffene Entscheidung beruhen kann (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Ein mit dem Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs nicht zu vereinbarendes Überraschungsurteil liegt nicht vor.

15Der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs aus Art. 103 Abs. 1 GG und § 108 Abs. 2 VwGO soll sicherstellen, dass ein Verfahrensbeteiligter Einfluss auf den Gang des gerichtlichen Verfahrens und dessen Ausgang nehmen kann. Zu diesem Zweck muss er Gelegenheit erhalten, sich zu allen tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkten zu äußern, die entscheidungserheblich sein können. Zwar korrespondiert mit diesem Äußerungsrecht keine umfassende Frage-, Aufklärungs- und Hinweispflicht des Gerichts. Vielmehr kann regelmäßig erwartet werden, dass die Beteiligten von sich aus erkennen, welche Gesichtspunkte Bedeutung für den Fortgang des Verfahrens und die abschließende Sachentscheidung des Gerichts erlangen können, und entsprechend vortragen. Jedoch verlangt der Schutz vor einer Überraschungsentscheidung, dass das Gericht nicht ohne vorherigen Hinweis auf einen rechtlichen Gesichtspunkt abstellt, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen braucht (stRspr, vgl. zuletzt - NJW 2022, 3413 Rn. 28; 2 B 31.21 - juris Rn. 29).

16aa) Ausgehend hiervon liegt nicht schon deshalb eine Überraschungsentscheidung vor, weil das Berufungsgericht die Berufung wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils zugelassen, sodann aber die Berufung zurückgewiesen hat.

17Eine inhaltliche Bindungswirkung des Zulassungsbeschlusses für das Berufungsverfahren, wie von der Beschwerde angenommen, besteht nach geltendem Prozessrecht nicht. Der Zulassungsbeschluss ist vielmehr allein darauf gerichtet, die Sachprüfung in einem Berufungsverfahren überhaupt erst zu ermöglichen. Er nimmt diese aber nicht vorweg. Ernstliche Zweifel sind dabei bereits dann anzunehmen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung der erstinstanzlichen Entscheidung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt worden sind ( - NJW 2009, 3642).

18Der Zulassungsbeschluss beinhaltet damit allein die Aussage, dass die Entscheidung eines Verwaltungsgerichts in einem Berufungsverfahren nachzuprüfen ist (vgl. § 124a Abs. 5 Satz 3 VwGO). Er enthält aber keinerlei Vorgaben zur inhaltlichen Ausgestaltung der nachfolgenden Berufungsentscheidung. Das Berufungsgericht ist daher auch im Falle der Berufungszulassung wegen ernstlicher Richtigkeitszweifel nicht daran gehindert, nach Sachprüfung im Berufungsverfahren die Zweifel für ausgeräumt zu halten (BVerwG, Beschlüsse vom - 2 B 62.12 - juris Rn. 8 ff. und vom - 2 B 105.15 - Buchholz 310 § 124 VwGO Nr. 35 Rn. 5 f.; vgl. auch Beschluss vom - 3 BN 1.17 - juris Rn. 28 f. für vorangegangene Beschlüsse im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes).

19bb) Aus dem richterlichen Hinweis der Vorsitzenden Richterin des Berufungsgerichts vom ergibt sich nichts anderes.

20Vielmehr ist dort ausdrücklich ausgeführt, dass im bayerischen Landesrecht eine Rechtsgrundlage für die begehrte Kostenerstattung nicht ersichtlich sei. Die in Aussicht gestellte Prüfung, "ob die vom Kläger begehrte Kostenerstattung sich aus der Fürsorgepflicht ergibt und ggf. durch die Verwaltungsvorschriften wirksam beschränkt werden kann", enthält nicht einmal die Äußerung einer vorläufigen Rechtsauffassung. Sie war daher in keinem Fall geeignet, eine Prozesssituation hervorzurufen, bei der ein gewissenhafter Prozessbeteiligter nicht mehr mit der Verneinung möglicher Ansprüche zu rechnen brauchte.

21Im Übrigen ist durch das Berufungsgericht unter dem ein weiterer Hinweis erfolgt, in dem ausdrücklich darauf hingewiesen wurde, dass den vorliegenden Unterlagen nicht entnommen werden könne, ob die vom Kläger durchgeführte Rehabilitationsmaßnahme zur Wiederherstellung seiner Dienstfähigkeit geeignet gewesen sei, was möglicherweise eine Anspruchsvoraussetzung darstelle. Dass die tatsächliche und rechtliche Würdigung des Rechtsstreits damit offen war und sich erst nach Durchführung der mündlichen Verhandlung aufgrund der abschließenden Beratung ergeben würde, musste sich danach jedem Prozessbeteiligten aufdrängen (vgl. hierzu auch BVerwG, Beschlüsse vom - 2 B 26.19 - Buchholz 316 § 48 VwVfG Nr. 145 Rn. 35 und vom - 2 B 8.21 - juris Rn. 25).

22Dementsprechend ließ auch die den Beteiligten vorab übersandte Gliederung für die mündliche Verhandlung keinerlei Vorfestlegung erkennen. Vielmehr waren dort alle möglichen Anspruchsgrundlagen ausdrücklich mit Fragezeichen versehen und die Frage der Geeignetheit der Rehabilitationsmaßnahme als weiterer Gliederungspunkt aufgenommen.

233. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i. V. m. § 52 Abs. 3 Satz 1 GKG.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2024:130524B2B4.24.0

Fundstelle(n):
DAAAJ-68782