BFH Urteil v. - XI R 18/20

Steuerfreie ambulante Heilbehandlungen durch ein Krankenhaus in Räumen eines anderen Krankenhauses (als Subunternehmer)

Leitsatz

1. NV: Unschädlich für die Steuerbefreiung einer Heilbehandlung im Bereich der Humanmedizin ist, dass eine durch ein Krankenhaus mittels der bei ihm angestellten Ärzte erbrachte Operationsleistung gegenüber einem anderen Krankenhaus in dessen Räumen erbracht wird.

2. NV: Die vorinstanzliche Sachverhaltswürdigung bindet den Bundesfinanzhof nur, wenn sie frei von Verfahrensfehlern ist und weder Widersprüche noch einen Verstoß gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze enthält und eine Vertragsauslegung nach den Grundsätzen der §§ 133, 157 des Bürgerlichen Gesetzbuchs zumindest möglich ist; das Revisionsgericht prüft, ob das Finanzgericht die für die Vertragsauslegung bedeutsamen Begleitumstände erforscht und rechtlich zutreffend gewürdigt hat.

Gesetze: UStG § 4 Nr. 14 Buchst. a Satz 1; MwStSystRL Art. 132 Abs. 1 Buchst. c; FGO § 118 Abs. 2

Instanzenzug: ,

Tatbestand

I.

1 Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine GmbH, betrieb in den Besteuerungszeiträumen 2010 bis 2015 (Streitjahre) in E ein nach § 30 der Gewerbeordnung (GewO) konzessioniertes Krankenhaus, das nicht nach § 108 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) zugelassen war. Das Krankenhaus war weder nach den landesrechtlichen Vorschriften als Hochschulklinik anerkannt noch war es als Plankrankenhaus in den Krankenhausplan des Landes Nordrhein-Westfalen aufgenommen noch hatte es einen Versorgungsvertrag mit den Landesverbänden der Krankenkassen oder mit den Verbänden der Ersatzkassen abgeschlossen.

2 In den Streitjahren führte die Klägerin durch ein Ärzteteam, unterstützt von OP-Pflegekräften, Pflegefachkräften, medizinisch-technischen Fachkräften, Verwaltungskräften und externen Personaldienstleistungen (Honorarärzten, Bereitschaftsdienst, Facility Management und andere), in ihrer Klinik Operationen durch. Diese Leistungen rechnete die Klägerin gegenüber den Patienten in Anlehnung an das gesetzlich vorgesehene Diagnosis Related Groups (DRG)-Fallpauschalenverfahren ab. Die Kosten für die Eingriffe wurden in Höhe der entsprechenden DRG-Fallpauschale (netto) regelmäßig von den privaten Krankenversicherungen und den Beihilfestellen übernommen. Von Januar 2010 bis Mitte 2013 wies die Klägerin in ihren Rechnungen an die Privatpatienten über DRG-Umsätze (einschließlich Wahlleistungen) die Umsatzsteuer gesondert aus; später berief sich die Klägerin gegenüber dem Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt —FA—) auf die Steuerbefreiung nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL). Der deshalb von der Klägerin gemäß § 14c des Umsatzsteuergesetzes (UStG) geschuldete Betrag steht zwischen den Beteiligten nicht im Streit.

3 Von Patienten in Anspruch genommene ärztliche Wahlleistungen wurden durch die bei der Klägerin angestellten Ärzte nach der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) abgerechnet. Der Erlös aus den ärztlichen Wahlleistungen floss der Klägerin zu, wovon der jeweilige behandelnde Arzt die in seinem Arbeitsvertrag mit der Klägerin vereinbarte Beteiligung an der Vergütung erhielt. Die Klägerin meldete die sogenannten GOÄ-Umsätze als steuerfrei an.

4 Ab dem Jahr 2013 nahm die Klägerin auch bei gesetzlich versicherten Patienten, soweit die Krankenkassen eine Einzelfallzusage erteilt hatten, Eingriffe vor. Diese wurden gemäß den DRG-Fallpauschalen, die auch ein Plankrankenhaus in Rechnung gestellt hätte, mit der jeweiligen gesetzlichen Krankenversicherung abgerechnet. Diese sogenannten GKV-Umsätze meldete die Klägerin ebenso wie die damit zusammenhängenden Wahlleistungen (Einzelzimmerzuschlag, Implantate) als steuerfreie Umsätze an.

5 Von plastischen Chirurgen gezahlte OP-Benutzungspauschalen geringen Umfangs im Bereich „Health & Beauty“ meldete die Klägerin ebenso wie die in der Betriebsstätte X getätigten Umsätze als steuerpflichtig an; Letztere standen zwischen den Beteiligten nicht im Streit.

6 Am schloss die Klägerin mit der A-Krankenhaus gGmbH, die ein nach § 108 Nr. 2 SGB V zugelassenes Plankrankenhaus unterhielt, einen Kooperationsvertrag. In diesem war —auszugsweise— geregelt:

„Präambel

Die [Klägerin] betreibt in [E] eine nach § 30 [GewO] konzessionierte Privatklinik. .

Die [Klägerin] will am Standort des [A-Krankenhauses] Operationen durchführen.

Hierzu will sie die bestehende Infrastruktur des [A-Krankenhauses] nutzen und medizinische, organisatorische Leistungen durch ihre Fachärzte erbringen. .

§ 1 Vertragspflichten

Das [A-Krankenhaus] stellt der [Klägerin] die erforderlichen Einrichtungen (OP-Saal, Patientenbetten, Personal usw.) und Arbeitsmittel im Rahmen der jeweils geltenden Vorschriften zur Verfügung, damit den Ärzten der [Klägerin] die Erbringung ambulanter und stationärer Operationen in dem [A-Krankenhaus] möglich ist. Der Umfang der Nutzung durch die [Klägerin] richtet sich nach den jeweils freien Kapazitäten des [A-Krankenhauses]. Umfasst sind alle Leistungen, die unter Berücksichtigung der Leistungsfähigkeit des [A-Krankenhauses] im Einzelfall nach Art und Schwere der Erkrankung des Patienten für die medizinisch zweckmäßige und ausreichende Versorgung notwendig sind (sogenannte Allgemeine Krankenhausleistungen).

Der Geschäftsführer der [Klägerin] und der Geschäftsführer des [A-Krankenhauses] stimmen den Aufgabenbereich ab.

§ 2 Nutzung von Einrichtungen und Personal

Das [A-Krankenhaus] stellt sicher, dass den Ärzten der [Klägerin] die erforderliche Medizintechnik und das notwendige Personal zur Verfügung stehen. Einzelheiten werden nach Feststellung des Bedarfs zwischen den Parteien abgesprochen und gemeinschaftlich entschieden. Darüber hinaus ist die [Klägerin] berechtigt, Personal (Anästhesieschwestern, OP-Schwestern, Pflegepersonal) zur Erfüllung der medizinischen Aufgaben bei dem [A-Krankenhaus] anzufordern.

§ 3 Finanzielle Regelung

Aus der Möglichkeit, an dem oben genannten Standort ihre Leistungen anzubieten, erwachsen dem [A-Krankenhaus] keine Ansprüche gegenüber der [Klägerin].

Die Beteiligung des [A-Krankenhauses] an den Einnahmen der Ärzte regeln die jeweiligen Konsiliar-/Honorararztverträge. .

Die [Klägerin] erhält eine pauschale Fallvergütung in Höhe von 25 %. Dieser Satz bezieht sich auf das Abrechnungsentgelt gemäß [dem Krankenhausentgeltgesetz] KHEntgG, § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1: 'Fallpauschalen nach dem auf Bundesebene vereinbarten Entgeltkatalog' oder alternativ auf die Nr. 5 (noch nicht vereinbarte Entgelte) oder Nr. 6 (NUB). .

Mit dieser Fallvergütung sind die Ansprüche der [Klägerin] und deren Mitarbeiter abgegolten. Insbesondere sehen etwaige einzelvertragliche Konsiliar-/Honorararztverträge keine weitere Vergütung durch das [A-Krankenhaus] für die Ärzte vor.

§ 4 Abschluss Beleg-/Konsiliararztverträge

Das [A-Krankenhaus] sichert zu, soweit keine sachlichen Gründe dagegen stehen, mit jedem Arzt, der durch die [Klägerin] angezeigt wird, einen Honorar- bzw. Konsiliararztvertrag abzuschließen. Dieser regelt die Rechte und Pflichten der ärztlichen Tätigkeit. .“

7 Das A-Krankenhaus schloss mit den bei der Klägerin angestellten Ärzten jeweils einen Honorar-/Konsiliararztvertrag ab. Dort heißt es auszugsweise:

„§ 1 Vertragszweck

1. Der Arzt ist für eingewiesene Patienten der [Klägerin] im Fachgebiet Orthopädische Chirurgie zuständig. Ihm obliegt insbesondere die operative Tätigkeit dieses Patientengutes.

2. Honorar- und konsiliarärztliche Leistungen im Sinne dieses Vertrages sind: a) .

.

e) die operative Behandlung des Patienten.

§ 2 Rechtliche Stellung und Erbringung der Leistung

1. Der Arzt erbringt seine Leistungen selbständig und höchstpersönlich unter Wahrung des Facharztstandards und unter Beachtung der Hygienerichtlinien des Krankenhauses.

2. Der Arzt steht zum [A-Krankenhaus] weder in einem Anstellungsverhältnis noch in einem arbeitnehmerähnlichen Verhältnis.

§ 3 Durchführung der konsiliarischen und operativen Leistungen

1. Der Arzt kann bei der Erbringung konsiliarärztlicher Leistungen nach § 1 Abs. 2 im [A-Krankenhaus] dessen Räume und Einrichtungen in Anspruch nehmen und im Zuge der operativen Tätigkeit nach § 1 Abs. 2 e) ärztliches und pflegerische Personal der chirurgischen Klinik und der Abteilung Anästhesie nach Absprache mit den jeweiligen Leitenden Ärzten der Betroffenenabteilungen hinzuziehen. .

§ 4 Abrechnung der konsiliarischen und operativen Leistungen

1. Die im Rahmen dieses Vertrages erbrachten allgemeinen Krankenhausleistungen und nichtärztlichen Wahlleistungen werden einheitlich und ausschließlich vom Krankenhaus gegenüber dem Patienten oder den Kostenträgern abgerechnet.

Darüber hinaus berechnet der Arzt das Entgelt für seine operativen und konsiliarärztlichen Leistungen bei Patienten, die gem. § 17 KHEntgG wahlärztliche Leistungen mit dem Krankenhaus vereinbart haben, gegenüber dem Patienten.

2. .

§ 6 Nutzungsentgelt

Soweit operative und konsiliarärztliche Leistungen unter Inanspruchnahme des Krankenhauses erbracht werden, hat der Arzt in den Fällen des § 4 Abs. 1, Satz 2 dem Krankenhaus die dadurch entstandenen Kosten zu erstatten bzw. den erhaltenen Vorteil auszugleichen. Das Nutzungsentgelt wird pauschaliert. Es beträgt zwischen 10 % und 30 % der gemäß GOÄ geminderten Bruttohonorareinnahmen des Arztes aus den Abrechnungen nach § 4 Abs. 1, Satz 2.“

8 Abweichend von der Regelung in § 6 des Vertrags (Nutzungsentgelt) verzichtete das A-Krankenhaus gegenüber den Ärzten auf die Vergütung.

9 Zweck des Kooperationsvertrags war nach Angaben der Klägerin, für gesetzlich versicherte Patienten, die von ihren Krankenkassen keine Einzelfallzusage für eine Behandlung in der Privatklinik der Klägerin erhalten haben, eine Möglichkeit zu schaffen, dass diese Patienten von den Ärzten der Klägerin operiert werden können. Die betreffenden Patienten wurden durch das A-Krankenhaus stationär aufgenommen, das die gesamte allgemeine Krankenhausbehandlung (Eingriff samt hierfür benötigte Implantate, Behandlung, Unterkunft) jeweils direkt mit den gesetzlichen Krankenversicherungen abrechnete. Die Klägerin erhielt von dem A-Krankenhaus jeweils eine Vergütung in Höhe von 25 % der Fallpauschale. Diese als „Erlöse H“ bezeichneten Umsätze, meldete die Klägerin als steuerfreie Umsätze an.

10 Die gesetzlich versicherten Patienten, die stationär im A-Krankenhaus aufgenommen waren, schlossen teilweise Vereinbarungen über wahlärztliche Leistungen mit den jeweils behandelnden Ärzten ab. Diese von den bei der Klägerin angestellten Ärzten im A-Krankenhaus erbrachten Wahlleistungen wurden nach der GOÄ abgerechnet; das Entgelt floss der Klägerin zu.

11 Nach einer Außenprüfung für die Besteuerungszeiträume 2008 bis 2012 gelangte das FA zu der Auffassung, die Klägerin habe neben den „Erlösen H“ insgesamt nur steuerpflichtige Umsätze ausgeführt, da ihr Krankenhaus nicht nach § 108 SGB V zugelassen sei.

12 Die Einsprüche der Klägerin gegen die aufgrund der Außenprüfung ergangenen Änderungsbescheide über Umsatzsteuer für 2010 bis 2012 blieben in den jeweiligen Einspruchsentscheidungen vom ebenso ohne Erfolg wie die Einsprüche gegen die entsprechend ergangenen Bescheide über Umsatzsteuer für 2013 bis 2015. Während des Klageverfahrens erließ das FA am auf der Grundlage von § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung verbösernde Änderungsbescheide über Umsatzsteuer für 2013 bis 2015.

13 Das Finanzgericht (FG) gab der Klage mit —in Entscheidungen der Finanzgerichte 2021, 875 veröffentlichtem— Urteil hinsichtlich der Steuerbefreiung der DRG- und GKV-Umsätze einschließlich der damit eng verbundenen Umsätze (Zimmerzuschlag, Implantate) sowie der GOÄ-Umsätze (E und H) statt, nicht jedoch hinsichtlich der Besteuerung der Umsätze „Health & Beauty“, der von der Klägerin als steuerfrei angemeldeten Umsätze ungewissen Leistungsinhalts (sonstige Erlöse, integrierte Versorgung und andere) sowie der „Erlöse H“.

14 Die Besteuerung der „Erlöse H“ steht im Revisionsverfahren allein noch im Streit. Die Klageabweisung insoweit begründete das FG damit, dass sich für die betreffenden Leistungen eine Steuerbefreiung weder aus § 4 Nr. 14 Buchst. b i.V.m. § 3 Abs. 11 UStG noch aus Art. 132 Abs. 1 Buchst. b MwStSystRL ergebe. Dass der Kooperationsvertrag entgegen seiner Präambel nicht dazu diene, dass die Klägerin unter Nutzung der Infrastruktur des A-Krankenhauses Operationen an „ihren Patienten“ vornehme, belege die Tatsache, dass die Klägerin hierfür kein Entgelt zu zahlen habe, sondern nach § 3 der Vereinbarung die Klägerin vom A-Krankenhaus vielmehr eine Vergütung in Höhe von 25 % der Fallpauschale erhalte. Nach den Gesamtumständen des Streitfalls seien die Leistungsbeziehungen zwischen der Klägerin und dem A-Krankenhaus dahin auszulegen, dass die Klägerin dem A-Krankenhaus fachärztliches Personal zur Verfügung stelle und gesetzlich versicherte Patienten zur Behandlung im A-Krankenhaus vermittele. Sie erbringe gegenüber dem A-Krankenhaus keine Heilbehandlungen, sondern nur sonstige Leistungen eigener Art, deren Schwerpunkt in der Personalgestellung liege. Bei der Leistung der Klägerin gegenüber dem A-Krankenhaus handele es sich nicht um eine steuerfreie Krankenhausbehandlung im Wege einer Dienstleistungskommission, da das A-Krankenhaus gegenüber den gesetzlichen Krankenversicherungen im eigenen Namen und auf eigene Rechnung tätig geworden sei. Schließlich stellten die Leistungen der Klägerin gegenüber dem A-Krankenhaus keine eng mit Krankenhausbehandlungen und ärztlichen Heilbehandlungen verbundenen Umsätze dar; die Personalgestellung sei für die ärztliche Behandlung der Patienten der Klägerin in E weder erforderlich noch unerlässlich.

15 Mit der Revision wendet sich die Klägerin ausschließlich gegen die Besteuerung der „Erlöse H“ und rügt diesbezüglich die Verletzung materiellen Rechts. Entgegen der Auffassung des FG handele es sich bei den von ihr aufgrund des Kooperationsvertrags erbrachten Leistungen um solche im Rahmen einer Dienstleistungskommission. Das A-Krankenhaus habe im eigenen Namen und (auch) auf fremde Rechnung gehandelt, indem es als Plankrankenhaus anstelle der Klägerin in die Erbringung der Operationsleistungen eingetreten sei und mit dem jeweiligen Sozialversicherungsträger abgerechnet habe. Schließlich könne sie, die Klägerin, sich wegen der betreffenden Umsätze unmittelbar auf die Steuerbefreiung des Art. 132 Abs. 1 Buchst. b MwStSystRL berufen.

16 Die Klägerin beantragt sinngemäß, unter Aufhebung der Vorentscheidung sowie der Einspruchsentscheidung wegen Umsatzsteuer 2010 bis 2012 vom die Umsatzsteuerbescheide für die Jahre 2010 bis 2012 vom und für die Jahre 2013 bis 2015 vom dahin zu ändern, dass die auf dem Kooperationsvertrag mit dem A-Krankenhaus beruhenden Umsätze umsatzsteuerfrei gestellt werden.

17 Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

18 Es verteidigt die Vorentscheidung. Das FG habe den zwischen der Klägerin und dem A-Krankenhaus geschlossenen Kooperationsvertrag zutreffend dahingehend ausgelegt, dass zivil- und sozialversicherungsrechtlich die Operationen im A-Krankenhaus als Teil der allgemeinen Krankenhausbehandlungsleistung des A-Krankenhauses erbracht worden seien und nicht durch die Klägerin gegenüber den gesetzlich versicherten Patienten. Der jeweilige Arzt sei nach außen hin (gegenüber den Krankenversicherungen) nicht im Namen der Klägerin tätig geworden. Die von der Klägerin gewünschte weite Auslegung würde dazu führen, dass jegliche durch einen Unternehmer bezogene Subunternehmerleistung, die Eingang in eine durch den Unternehmer erbrachte Leistung findet, im Rahmen einer Dienstleistungskommission nach § 3 Abs. 11 UStG zu beurteilen wäre. Die Leistungen der Klägerin gegenüber dem A-Krankenhaus stellten schließlich auch keine eng mit Krankenhausbehandlungen und ärztlichen Heilbehandlungen verbundenen Umsätze dar. Die Personalgestellung müsse für die ärztliche Versorgung der Krankenhauspatienten erfolgen und hierfür unerlässlich sein; damit seien jedoch nur die Patienten der Klägerin in E und nicht diejenigen im A-Krankenhaus gemeint.

Gründe

II.

19 Die Revision ist begründet; sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der FinanzgerichtsordnungFGO—). Entgegen der Auffassung des FG sind die streitbefangenen, von der Klägerin auf der Grundlage des Kooperationsvertrags mit dem A-Krankenhaus ausgeführten Umsätze umsatzsteuerfrei. Die Sache ist nicht spruchreif.

20 1. Bei den von der Klägerin getätigten, von den Beteiligten als „Erlöse H“ bezeichneten und im Revisionsverfahren allein im Streit stehenden Umsätzen handelt es sich um Operationsleistungen und damit Heilbehandlungen. Diese Leistungen stellen nicht, wie vom FG zu Unrecht angenommen, sonstige Leistungen eigener Art dar, deren Schwerpunkt in der Personalgestellung liege. Auf diesem Rechtsfehler beruht die von der Klägerin angefochtene Vorentscheidung, weshalb diese keinen Bestand haben kann und nach § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO aufzuheben ist.

21 a) Zum Bereich der tatsächlichen Würdigung des FG, an die der Bundesfinanzhof (BFH) gemäß § 118 Abs. 2 FGO grundsätzlich gebunden ist, gehört auch die Auslegung von Verträgen (vgl. z.B. , BFH/NV 2016, 203, Rz 38; vom  - XI R 41/14, BFHE 255, 300, BStBl II 2017, 590, Rz 38; vom  - XI R 16/17, BFHE 263, 71, BStBl II 2021, 461, Rz 24).

22 Die vorinstanzliche Sachverhaltswürdigung bindet den BFH jedoch nur, wenn sie frei von Verfahrensfehlern ist und weder Widersprüche noch einen Verstoß gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze enthält und die Vertragsauslegung nach den Grundsätzen der §§ 133, 157 des Bürgerlichen Gesetzbuchs zumindest möglich ist. Außerdem hat der BFH im Rahmen der revisionsrechtlichen Kontrolle nachzuprüfen, ob das FG die für die Subsumtion bedeutsamen Begleitumstände erforscht und zutreffend gewürdigt hat (vgl. z.B. , BFHE 266, 387, BStBl II 2021, 961, Rz 29; vom  - XI R 24/18, BFHE 268, 351, BStBl II 2022, 191, Rz 43; jeweils m.w.N.).

23 b) Die vom FG vorgenommene Auslegung des Kooperationsvertrags als Personalgestellung durch die Klägerin widerspricht dem Vertragswortlaut und ist auch nicht durch weitere Begleitumstände gerechtfertigt.

24 aa) Ausweislich der Präambel des Kooperationsvertrags wollte die Klägerin im A-Krankenhaus Operationen durchführen, hierzu die bestehende Infrastruktur des A-Krankenhauses nutzen und medizinische, organisatorische Leistungen durch ihre Fachärzte erbringen. Gemäß § 1 des Vertrags hatte das A-Krankenhaus der Klägerin die erforderlichen Einrichtungen samt Personal und Arbeitsmittel (sogenannte Allgemeine Krankenhausleistungen) zur Verfügung zu stellen, damit den Ärzten der Klägerin das Erbringen ambulanter und stationärer Operationen im A-Krankenhaus möglich ist. Die Klägerin war nach § 2 des Vertrags berechtigt, Personal (Anästhesieschwestern, OP-Schwestern, Pflegepersonal) zur Erfüllung der medizinischen Aufgaben beim A-Krankenhaus anzufordern. Das A-Krankenhaus sicherte in § 4 des Vertrags zu, soweit keine sachlichen Gründe dagegen stehen, mit jedem Arzt, der durch die Klägerin angezeigt wird, einen Honorar-/Konsiliararztvertrag abzuschließen, aus dem sich die Rechte und Pflichten der ärztlichen Tätigkeit ergeben. Nach § 1 Abs. 1 des jeweiligen Honorar-/Konsiliararztvertrags oblag dem Arzt für von der Klägerin in das A-Krankenhaus eingewiesene Patienten insbesondere die operative Tätigkeit.

25 bb) Nach diesen Vereinbarungen wurde von der Klägerin keine Personalgestellung geschuldet. Vielmehr handelt es sich im Innenverhältnis der Klägerin zum A-Krankenhaus um Heilbehandlungsleistungen, die die Klägerin durch ihre Fachärzte am Ort des A-Krankenhauses erbrachte. Zu deren Durchführung hatte das A-Krankenhaus der Klägerin beziehungsweise deren Ärzten seine Infrastruktur und sein ärztliches und pflegerisches Personal zur Verfügung zu stellen. In der Gesamtschau von Kooperationsvertrag und Honorar-/Konsiliararztvertrag hatte das A-Krankenhaus den bei der Klägerin angestellten Ärzten die eigenständige und eigenverantwortliche operative Tätigkeit an den von der Klägerin in das A-Krankenhaus eingewiesenen Patienten zu ermöglichen. Diese Leistungen waren von dem betreffenden Arzt selbständig zu erbringen; dieser war gegenüber dem A-Krankenhaus nicht weisungsunterworfen und stand zum A-Krankenhaus weder in einem Anstellungsverhältnis noch in einem arbeitnehmerähnlichen Verhältnis.

26 cc) Die Motive für die Kooperation zwischen der Klägerin und dem A-Krankenhaus, nämlich dass die Klägerin als Privatklinik die Behandlung gesetzlich versicherter Patienten ohne Einzelfallzusage nicht gegenüber den gesetzlichen Krankenkassen abrechnen konnte, und dass deshalb im Außenverhältnis das A-Krankenhaus die Krankenhausbehandlung der betreffenden Patienten ausführte und gegenüber den gesetzlichen Krankenkassen abrechnete, sind nicht geeignet, eine im Innenverhältnis von der Klägerin gegenüber dem A-Krankenhaus ausgeführte Operationsleistung auszuschließen.

27 dd) Etwas anderes ergibt sich entgegen der Auffassung des FG insbesondere auch nicht aus der finanziellen Regelung in § 3 des Kooperationsvertrags. Dass danach die Klägerin vom A-Krankenhaus eine pauschale Fallvergütung in Höhe von 25 % der (durch das A-Krankenhaus in voller Höhe vereinnahmten) DRG-Fallpauschale erhielt, schließt es nicht aus, dass damit aus Sicht der Vertragsparteien die Operationsleistung der Klägerin einerseits und das Bereitstellen von Einrichtungen und Personal durch das A-Krankenhaus andererseits angemessen berücksichtigt waren. Damit ist die Auffassung des FG nicht zu vereinbaren, der Wortlaut der Vereinbarung im Kooperationsvertrag entspreche nicht den tatsächlichen Verhältnissen.

28 2. Die von der Klägerin gegenüber dem A-Krankenhaus (an den von ihr dort eingewiesenen Patienten) erbrachten Operationsleistungen sind nach § 4 Nr. 14 Buchst. a Satz 1 UStG (in der seit dem geltenden Fassung) von der Umsatzsteuer befreit.

29 a) § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG befreit die „Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin, die im Rahmen der Ausübung der Tätigkeit als Arzt, Zahnarzt, Heilpraktiker, Physiotherapeut, Hebamme oder einer ähnlichen heilberuflichen Tätigkeit durchgeführt werden“. Unionsrechtlich beruht dies auf Art. 132 Abs. 1 Buchst. c MwStSystRL. Danach sind „Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin, die im Rahmen der Ausübung der von dem betreffenden Mitgliedstaat definierten ärztlichen und arztähnlichen Berufe durchgeführt beziehungsweise bewirkt werden“, steuerfrei.

30 b) Die Vorschrift des § 4 Nr. 14 Buchst. a Satz 1 UStG ist vor dem Hintergrund des Art. 132 Abs. 1 Buchst. c MwStSystRL (vormals: Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern —Richtlinie 77/388/EWG—) unionsrechtskonform auszulegen (vgl. z.B. , BFHE 267, 571, BStBl II 2023, 984, Rz 14; vom  - XI R 12/19, BFHE 273, 334, Rz 21). Weil Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 77/388/EWG sowie Art. 132 Abs. 1 Buchst. c MwStSystRL in gleicher Weise auszulegen sind, kann auch die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) zu Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 77/388/EWG weiterhin zur Auslegung herangezogen werden (vgl. EuGH-Urteile Future Health Technologies vom  - C-86/09, EU:C:2010:334, Rz 27; Peters vom  - C-700/17, EU:C:2019:753, Rz 18).

31 c) Die in Art. 132 Abs. 1 Buchst. b beziehungsweise c MwStSystRL verwendeten Begriffe „ärztliche Heilbehandlungen“ beziehungsweise „Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin“ erfassen Leistungen, die zur Diagnose, Behandlung und, so weit wie möglich, Heilung von Krankheiten oder Gesundheitsstörungen dienen (vgl. EuGH-Urteile L.u.P. vom  - C-106/05, EU:C:2006:380, Rz 27; CopyGene vom  - C-262/08, EU:C:2010:328, Rz 28; Peters vom  - C-700/17, EU:C:2019:753, Rz 20; , BFHE 267, 571, BStBl II 2023, 984, Rz 16; vom  - XI R 12/19, BFHE 273, 334, Rz 23).

32 d) Danach handelt es sich bei den von der Klägerin mittels ihrer Ärzte am Ort des A-Krankenhaus durchgeführten, medizinisch indizierten Operationen um steuerfreie Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin im Sinne von § 4 Nr. 14 Buchst. a Satz 1 UStG, Art. 132 Abs. 1 Buchst. c MwStSystRL.

33 aa) Der Steuerbefreiung steht nicht entgegen, dass die betreffenden Heilbehandlungsleistungen, die die Klägerin erbracht hat, in den Räumen eines Krankenhauses ausgeführt wurden (vgl. EuGH-Urteil Peters vom  - C-700/17, EU:C:2019:753, Rz 27; , BFHE 267, 571, BStBl II 2023, 984, Rz 19 ff.). Unschädlich für die Steuerbefreiung ist auch, dass das Leistungsaustauschverhältnis, das den Operationsleistungen zugrunde lag, nicht zwischen der Klägerin und dem einzelnen Patienten, sondern zwischen ihr und dem A-Krankenhaus bestand, und die Heilbehandlung durch die Klägerin in Subunternehmerstellung an das A-Krankenhaus erbracht wurde (vgl. EuGH-Urteil Finanzamt D vom  - C-657/19, EU:C:2020:811, Rz 39 zu Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL; , BFHE 273, 334, Rz 34).

34 bb) Ebenso wenig wird die Steuerbefreiung dadurch ausgeschlossen, dass den durch Operationsleistungen erbrachten Heilbehandlungsleistungen kein Vertrauensverhältnis zwischen der Klägerin (einer GmbH) und dem jeweiligen Patienten zugrunde lag. Denn die darin vorgesehene Steuerbefreiung hängt nicht von der Voraussetzung ab, dass die betreffende Heilbehandlungsleistung im Rahmen eines Vertrauensverhältnisses zwischen dem Patienten und dem Behandelnden erbracht wird (vgl. EuGH-Urteil Peters vom  - C-700/17, EU:C:2019:753, Rz 42; , BFHE 267, 571, BStBl II 2023, 984, Rz 22 ff.; vom  - XI R 12/19, BFHE 273, 334, Rz 33).

35 Ohne Bedeutung in diesem Zusammenhang ist, dass die Klägerin als solche ohne für sie handelnde Personen keine Operationsleistung erbringen kann. Der Grundsatz der steuerlichen Neutralität verbietet es insbesondere, dass Wirtschaftsteilnehmer, die gleichartige Umsätze bewirken, bei der Mehrwertsteuererhebung unterschiedlich behandelt werden. Dieser Grundsatz wäre verletzt, wenn die Möglichkeit einer Berufung auf die Steuerbefreiung für Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin von der Rechtsform abhinge, in der der Steuerpflichtige seine Tätigkeit ausübt (vgl. z.B. EuGH-Urteile Kügler vom  - C-141/00, EU:C:2002:473, Rz 30 zu Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 77/388/EWG; Sonaecom vom  - C-42/19, EU:C:2020:913, Rz 62; Finanzamt für Körperschaften Berlin vom  - C-868/19, EU:C:2021:285, Rz 65; , BFHE 264, 95, BStBl II 2019, 457, Rz 29; jeweils m.w.N.). Die Steuerbefreiung ist deshalb nicht auf die natürliche Person des jeweiligen Berufsträgers beschränkt (vgl. z.B. , BFHE 273, 334, Rz 35, m.w.N.).

36 3. Dem Erfolg der Revision steht schließlich nicht das Saldierungsgebot entgegen.

37 a) Streitgegenstand im finanzgerichtlichen Verfahren gegen eine Steuerfestsetzung ist nicht das einzelne Besteuerungsmerkmal, sondern die Rechtmäßigkeit des die Steuer festsetzenden Steuerbescheids. Zwar ist das Gericht gemäß §§ 96 Abs. 1 Satz 2, 121 Satz 1 FGO an einer Schlechterstellung des Klägers gehindert (Verböserungsverbot). Es ist aber nicht nur berechtigt, sondern verpflichtet, einen den Kläger begünstigenden Fehler des FA oder des FG im Rahmen der Klageanträge zu seinen Lasten zu berücksichtigen (vgl. Beschluss des Großen Senats des , BFHE 129, 117, BStBl II 1980, 99, unter C.II.1.; , BFHE 273, 237, Rz 83 f.).

38 b) Ein solcher Fehler des FA oder FG liegt indes nicht vor.

39 aa) Das FG ist zutreffend davon ausgegangen, dass sich die Klägerin hinsichtlich der DRG- und GKV-Umsätze unmittelbar auf die Steuerbefreiung des Art. 132 Abs. 1 Buchst. b MwStSystRL berufen kann, und ist dabei den Rechtsgrundsätzen der BFH-Rechtsprechung gefolgt (vgl. Urteile vom  - V R 20/14, BFHE 248, 376, BStBl II 2016, 785; vom  - XI R 38/13, BFHE 249, 380, BStBl II 2016, 793). Dies entspricht im Übrigen der Rechtsprechung des EuGH (vgl. Urteil I (Exonération de TVA des prestations hospitalières) vom  - C-228/20, EU:C:2022:275).

40 bb) Auch dass das FG die GOÄ-Umsätze der Klägerin nach § 4 Nr. 14 Buchst. a i.V.m. § 3 Abs. 11 UStG als steuerfrei angesehen hat, ist vom FA zu Recht nicht angegriffen.

41 4. Allerdings ist die Sache nicht spruchreif.

42 Die bisherigen tatsächlichen Feststellungen reichen nicht aus, um die Höhe der festzusetzenden Umsatzsteuer (Höhe der Besteuerungsgrundlagen, abziehbare Vorsteuerbeträge, Vorsteueraufteilung und Vorsteuerberichtigung) zu ermitteln. Die Steuererklärungen der Klägerin waren teilweise unvollständig und das dem FG überlassene, von der Klägerin wiederholt korrigierte Zahlenmaterial wich teilweise von den Zahlen laut Jahresabschluss ab, so dass die Gesamtumsätze teilweise höher waren als die ursprünglich erklärten. Dies ist vom FG unter Heranziehung der Klägerin (§ 76 Abs. 1 Satz 2 FGO) weiter aufzuklären. Das FG legte seiner Entscheidung die zuletzt korrigierte Version des Zahlenwerks zugrunde, weil diese „der Wirklichkeit am nächsten kommen dürfte“, und schätzte die Höhe der nach § 15a UStG durchzuführenden Vorsteuerberichtigungen. Auch diese Schätzungen hat es, soweit sie erforderlich bleiben, auf Basis der Rechtsauffassung des Senats insgesamt zu überprüfen.

43 5. Die Übertragung der Kostenentscheidung auf das FG folgt aus § 143 Abs. 2 FGO.

Diese Entscheidung steht in Bezug zu

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BFH:2023:U.181023.XIR18.20.0

Fundstelle(n):
BB 2024 S. 1430 Nr. 25
BFH/NV 2024 S. 927 Nr. 8
DStR-Aktuell 2024 S. 8 Nr. 24
DStRE 2024 S. 847 Nr. 14
DStRE 2024 S. 852 Nr. 14
NWB-Eilnachricht Nr. 25/2024 S. 1690
NWB-Eilnachricht Nr. 25/2024 S. 1691
StuB-Bilanzreport Nr. 14/2024 S. 565
StuB-Bilanzreport Nr. 14/2024 S. 565
UR 2024 S. 542 Nr. 14
UStB 2024 S. 237 Nr. 8
UStB 2024 S. 238 Nr. 8
WAAAJ-68699