BGH Beschluss v. - VI ZB 16/22

Zulässigkeit einer Rechtsbeschwerde durch vollmachtlosen Vertreter

Leitsatz

1. Gemäß § 80 Satz 1 ZPO ist die Vollmacht schriftlich zu den Gerichtsakten einzureichen. Wurde die Prozessvollmacht nicht unmittelbar von der Partei bzw. deren gesetzlichem Vertreter erteilt, muss die Vollmachtkette lückenlos in der Form des § 80 ZPO nachgewiesen werden. Dabei muss grundsätzlich auch die behauptete Generalvollmacht eines Bevollmächtigten zu den Gerichtsakten gegeben werden. Der Nachweis der schriftlichen Vollmacht kann nur durch Einreichung der Originalurkunde - gegebenenfalls in beglaubigter Form - geführt werden, die Vorlage von Kopien oder ein urkundlicher Nachweis irgendwelcher Art genügen nicht.

2. Für die Bestimmung des Inhalts einer Rechtsmittelschrift sind nur die Erkenntnisquellen für das Berufungsgericht maßgeblich, die ihm zum Zeitpunkt des Ablaufs der Rechtsmittelfrist vorliegen. Die Rechtsmittelschrift muss entweder für sich allein betrachtet oder mit Hilfe weiterer Unterlagen bis zum Ablauf der Rechtsmittelfrist eindeutig erkennen lassen, wer Rechtsmittelführer und wer Rechtsmittelgegner sein soll.

Gesetze: § 80 S 1 ZPO, § 519 Abs 2 ZPO

Instanzenzug: Az: 28 U 7859/21 Bauvorgehend LG München I Az: 5 O 1860/19

Gründe

I.

1Die Parteien streiten über Schadensersatzansprüche der Kläger gegen die Beklagten wegen angeblich wahrheitswidriger Tatsachenbehauptungen und Falschaussagen der Beklagten in mehreren Vorverfahren.

2Das Landgericht hat die Klage mit Teilendurteil betreffend die Klägerin zu 1 und mit Teilversäumnisurteil betreffend die Kläger zu 2 und 3 abgewiesen. Das Urteil wurde dem damaligen Prozessbevollmächtigten der Kläger, der zugleich der Kläger zu 2 ist, am zugestellt. Dieser legte mit Schriftsatz vom "namens und in Vollmacht der Kläger zu 1) - 3) Berufung gegen das Urteil vom " ein. Mit Schriftsatz vom beantragte er "für die Kläger zu 1) - 3) […], die Frist zur Begründung der Berufung um einen Monat, mithin bis zu verlängern". Die Berufungsbegründungsfrist wurde antragsgemäß verlängert. Mit Schriftsatz vom , beim Berufungsgericht per Fax eingegangen am selben Tag, hat der Kläger zu 2 die Berufung für die Klägerin zu 1 begründet.

3Mit Vorsitzendenverfügung vom hat das Berufungsgericht darauf hingewiesen, dass die Berufung unzulässig sei, da die Berufungsbegründung vom nicht gemäß § 130d ZPO in der dort vorgeschriebenen Form eingereicht worden sei. Hierauf hat sich mit per beA übersandten Schriftsatz vom ein weiterer Prozessbevollmächtigter für die "Berufungskläger zu 1 bis 3" bestellt und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand unter erneuter Einreichung einer Berufungsbegründung beantragt.

4Das Berufungsgericht hat den Antrag der Kläger vom auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Frist zur Einreichung der Berufungsbegründung abgelehnt und die Berufung der Kläger gegen das Teilversäumnis- und Teilendurteil vom als unzulässig verworfen.

5Zur Begründung hat das Berufungsgericht ausgeführt, der Wiedereinsetzungsantrag der Kläger zu 2 und 3 sei bereits unzulässig, da die versäumte Prozesshandlung - die formgerechte Einreichung einer Berufungsbegründung - nicht nachgeholt worden sei. Zudem sei ihre Berufung unstatthaft, da gegen sie ein Versäumnisurteil ergangen sei. Der Wiedereinsetzungsantrag der Klägerin zu 1 sei hingegen zwar zulässig, aber unbegründet, da die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist auf einem Verschulden des Prozessbevollmächtigten der Klägerin zu 1 beruhe. Hiergegen wenden sich die Kläger mit der Rechtsbeschwerde und machen geltend, allein die Klägerin zu 1 habe Berufung gegen das Urteil des Landgerichts eingelegt, weshalb der gegen die Kläger zu 2 und 3 ergangene kostenpflichtige Verwerfungsbeschluss unrechtmäßig gewesen sei. Der Antrag der Klägerin zu 1 auf Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsbegründungsfrist sei zu Unrecht abgelehnt worden.

6Der Beklagte zu 4 hat im Rechtsbeschwerdeverfahren das Vorliegen einer wirksamen Prozessvollmacht zur Vertretung der Klägerin zu 1 gerügt. Die Klägerin zu 1 hat in der Folge das Original einer schriftlichen Bestätigung der nach ihrem Vortrag zunächst mündlich vom Kläger zu 2 erteilten Prozessvollmacht vorgelegt, welche dieser im Rahmen einer Generalvollmacht vom für die Klägerin zu 1 dem als Rechtsanwalt beim Bundesgerichtshof zugelassenen Prozessbevollmächtigten Prof. Dr. S. für die dritte Instanz erteilt habe. Auf den mit Beschluss vom erfolgten Hinweis des Senats, dass auch die Vollmacht vom im Original vorzulegen sei, hat Prof. Dr. S. mitgeteilt, die der Erteilung der Prozessvollmacht zugrundeliegende Generalvollmacht der Klägerin zu 1 für den Kläger zu 2 sei nicht mehr auffindbar. Es sei nur eine Kopie dieser Vollmacht gefunden worden. Auf dieser habe der damalige Geschäftsführer der Klägerin seine damals geleistete Unterschrift nunmehr wiederholt.

II. Rechtsbeschwerde der Klägerin zu 1

7Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde der Klägerin zu 1 ist unzulässig, weil ein vollmachtloser Vertreter sie eingelegt hat und die Einlegung durch die Klägerin zu 1 nicht genehmigt worden ist.

81. Die Klägerin zu 1 hat den Nachweis der Bevollmächtigung ihres Prozessbevollmächtigten in dritter Instanz bereits nicht in der gesetzlich vorgeschriebenen Weise erbracht, nachdem das Vorliegen einer wirksamen Prozessbevollmächtigung durch den Gegner gerügt worden und daher vom Senat zu prüfen ist (§ 80 Satz 1, § 88 ZPO). Es kann daher dahinstehen, ob die Vollmachtserteilung - wie die Beschwerdeerwiderung meint - aus materiell-rechtlichen Gründen unwirksam ist.

9a) Gemäß § 80 Satz 1 ZPO ist die Vollmacht schriftlich zu den Gerichtsakten einzureichen. Wurde die Prozessvollmacht nicht unmittelbar von der Partei bzw. deren gesetzlichem Vertreter erteilt, muss die Vollmachtkette lückenlos in der Form des § 80 ZPO nachgewiesen werden (vgl. , NJW-RR 1986, 1252, juris Rn. 15; Beschluss vom - III ZB 43/00, NJW-RR 2002, 933, juris Rn. 8 mwN; OLG Braunschweig, Beschluss vom - 3 W 6/18, BeckRS 2020, 12173 Rn. 72; OLG München, OLGZ 1993, 223; Anders/Gehle/Becker, ZPO, 81. Aufl., § 80 Rn. 16 und 19; BeckOK ZPO/Piekenbrock, Stand , § 80 Rn. 12; MüKoZPO/Toussaint, 6. Aufl., § 80 Rn. 12; Musielak/Voit/Weth, ZPO, 20. Aufl., § 80 Rn. 13; Zöller/Althammer, ZPO, 34. Aufl., § 80 Rn. 7; Saenger/Bendtsen, ZPO, 10. Aufl., § 80 Rn. 9). Dabei muss grundsätzlich auch die behauptete Generalvollmacht eines Bevollmächtigten zu den Gerichtsakten gegeben werden (vgl. , NJW-RR 1986, 1252, juris Rn. 15). Der Nachweis der schriftlichen Vollmacht kann nur durch Einreichung der Originalurkunde - gegebenenfalls in beglaubigter Form (§§ 415, 435 ZPO) - geführt werden, die Vorlage von Kopien oder ein urkundlicher Nachweis irgendwelcher Art genügen nicht (vgl. , BGHZ 126, 266, 267 f., juris Rn. 9 f.; Beschlüsse vom - IX ZR 37/19, juris Rn. 3; vom - III ZB 43/00, NJW-RR 2002, 933, juris Rn. 8 mwN).

10b) Diesen Anforderungen entsprechen die zum Nachweis der Prozessvollmacht von Rechtsanwalt Prof. Dr. S. für das Rechtsbeschwerdeverfahren vorgelegten Unterlagen nicht. Zwar liegt die Vollmacht, die ihm vom Kläger zu 2 erteilt wurde, im Original vor. Die für die Klägerin zu 1 wirkende Vertretungsmacht des Klägers zu 2, die im Rechtsbeschwerdeverfahren allein auf eine vom damaligen Geschäftsführer der Klägerin zu 1 ausgestellte Vollmacht vom gestützt wird, ist jedoch auch nach dem Hinweis des Senats nicht in der von § 80 Satz 1 ZPO vorgeschriebenen Form durch Vorlage der Originalurkunde nachgewiesen worden. Die eingereichte Kopie der Vollmachtsurkunde vom genügt den vorgenannten Anforderungen nicht. Daran ändert die nachträglich auf der Kopie aufgebrachte und von einem portugiesischen Rechtsanwalt bestätigte Unterschrift des ehemaligen Geschäftsführers der Klägerin zu 1 nichts. Ebenso wie die Abgabe einer eidesstattlichen Erklärung, ein der Kopie zu Grunde liegendes Original unterzeichnet zu haben (vgl. , juris Rn. 2 f.), führt auch die spätere schriftliche Bestätigung einer nur als Fotokopie vorliegenden Vollmachtsurkunde nicht dazu, dass diese als Originalurkunde anzusehen ist. Zwar kann die Bestätigung unter Umständen als Genehmigung im Sinne des § 89 ZPO gewürdigt werden, jedoch müssen hierfür dessen Voraussetzungen erfüllt sein (vgl. Zöller/Althammer, ZPO, 35. Aufl., § 80 Rn. 8, § 89 Rn. 9). Hieran fehlt es jedoch, da der die Kopie der Vollmacht vom bestätigende V. zum Zeitpunkt der Bestätigung nicht mehr Geschäftsführer der Klägerin zu 1 war und daher keine diese bindenden Erklärungen abgeben konnte. Eine Genehmigung der Prozessführung durch den derzeitigen gesetzlichen Vertreter der Klägerin zu 1 ist nicht erfolgt.

III. Rechtsbeschwerde des Klägers zu 2

11Das Rechtsbeschwerdeverfahren des Klägers zu 2 ist gemäß § 240 ZPO unterbrochen, da über sein Vermögen am durch das Amtsgericht München (1500 IN 466/23) das Insolvenzverfahren eröffnet und noch nicht beendet worden ist. Eine Aufnahme des Rechtsbeschwerdeverfahrens nach den für das Insolvenzverfahren geltenden Vorschriften ist bislang nicht erfolgt.

IV. Rechtsbeschwerde der Klägerin zu 3

12Die statthafte (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO) Rechtsbeschwerde der Klägerin zu 3 ist unzulässig, da eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Die Rüge der Beschwerdeführerin, das Berufungsgericht habe bei seiner Annahme, die Klägerin zu 3 habe Berufung gegen das gegen sie ergangene Versäumnisurteil eingelegt, die Klägerin in ihren Ansprüchen auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) und auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip) verletzt, greift nicht durch.

131. Die Beschwerde legt keine Verletzung des sich aus Art. 103 Abs. 1 GG ergebenden Anspruchs der Klägerin zu 3 dar.

14a) Entgegen der Ansicht der Klägerin musste das Berufungsgericht bei der Auslegung des Sinngehalts der Berufungsschrift vom , nach deren Wortlaut "namens und in Vollmacht der Kläger 1) - 3)" Berufung gegen das landgerichtliche Urteil vom eingelegt werden sollte, nicht berücksichtigen, dass der Kläger zu 2 für (sich und) die Klägerin zu 3 mit Schriftsatz vom beim Landgericht bereits Einspruch gegen das gegen (ihn und) die Klägerin zu 3 ergangene Versäumnisurteil eingelegt hatte.

15Wie die Beschwerde richtig erkennt, sind für die Bestimmung des Inhalts einer Rechtsmittelschrift nur die Erkenntnisquellen für das Berufungsgericht maßgeblich, die ihm zum Zeitpunkt des Ablaufs der Rechtsmittelfrist vorliegen. Die Rechtsmittelschrift muss entweder für sich allein betrachtet oder mit Hilfe weiterer Unterlagen bis zum Ablauf der Rechtsmittelfrist eindeutig erkennen lassen, wer Rechtsmittelführer und wer Rechtsmittelgegner sein soll (vgl. nur Senatsbeschlüsse vom - VI ZB 74/22, juris Rn. 8 f.; vom - VI ZB 20/20, juris Rn. 11; , NJW 2003, 3203, juris Rn. 4; Beschlüsse vom - VII ZB 8/21, BauR 2021, 1008 Rn. 8; vom - XI ZB 16/18, MDR 2019, 240 Rn. 13; jeweils mwN).

16Die Klägerin zu 3 macht jedoch nicht geltend, dass sie das Berufungsgericht bis zum Ablauf der Berufungsfrist auf die bereits beim Landgericht erfolgte Einspruchseinlegung hingewiesen hätte. Dem Berufungsgericht lagen die Akten des Landgerichts erst nach Ablauf der Berufungsfrist vor.

17b) Soweit die Beschwerde meint, das Berufungsgericht habe vor Erlass des Verwerfungsbeschlusses darauf hinweisen müssen, dass es von einer Berufungseinlegung seitens der Klägerin zu 3 ausgehe, folgt daraus schon deshalb kein entscheidungserheblicher Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG, weil die Klägerin aufgrund der Tatsache, dass die Berufungsschrift vom am letzten Tag der Berufungsfrist einging, erst nach deren Ablauf auf einen solchen Hinweis hätte reagieren können. Nach Ablauf der Rechtsmittelfrist abgegebene "klarstellende" Parteierklärungen können bei der Auslegung des Inhalts der Berufungsschrift aber nicht berücksichtigt werden (vgl. , NJW-RR 2012, 755 Rn. 19 mwN).

182. Die Auslegung der Berufungseinlegung als Rechtsmittel - selbst wenn sie rechtsfehlerhaft gewesen wäre - verletzt die Klägerin zu 3 nicht in ihrem Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip). Dieses Verfahrensgrundrecht verbietet es, den Parteien den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigenden Weise zu erschweren (st. Rspr., vgl. nur Senatsbeschluss vom - VI ZB 44/16, NJW-RR 2018, 1210 Rn. 5, mwN). Darum geht es der Klägerin zu 3 vorliegend jedoch nicht. Sie macht nicht geltend, die Annahme des Berufungsgerichts, sie habe - unstatthafter Weise - Berufung gegen das landgerichtliche Versäumnisurteil eingelegt, habe die Verfolgung des statthaften Rechtsbehelfs, nämlich ihres bereits beim Landgericht eingelegten Einspruchs, erschwert. Ziel der Rechtsbeschwerde ist vielmehr letztlich, die mit der Verwerfung der Berufung einhergehende finanzielle Belastung der Klägerin zu 3 aufgrund der mit ihr verbundenen Kostenentscheidung zu beseitigen.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:230124BVIZB16.22.0

Fundstelle(n):
NJW 2024 S. 9 Nr. 25
QAAAJ-68234