Gesetze: EStG 2018 § 2 Abs. 1 S. 2, EStG 2018 § 2 Abs. 2, EStG 2018 § 22 Nr. 1 S. 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa und, EStG 2018 § 22 Nr. 1 S. 3 Buchst. a Doppelbuchst. bb, EStG 2018 § 22 Nr. 5 S. 2 Buchst. a, GG Art. 3 Abs. 1, GG Art. 20 Abs. 3, BGB § 242, SGB VI § 63 Abs. 2
Rentenbesteuerung: Verfassungsmäßigkeit
Voraussetzungen und Berechnung einer unzulässigen Doppelbesteuerung
kein Verstoß von § 22 EStG gegen den Grundsatz der Normenklarheit
Leitsatz
1. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung liegt eine verfassungsrechtlich unzulässige doppelte Besteuerung von Renten
dann nicht vor, wenn die Summe der voraussichtlich steuerfrei bleibenden Rentenzuflüsse mindestens ebenso hoch ist wie die
Summe der aus versteuertem Einkommen aufgebrachten Altersvorsorgeaufwendungen, wobei die erforderliche Vergleichs- und Prognoserechnung
auf der Grundlage des Nominalwertprinzips vorzunehmen ist. Die Feststellungslast für das Vorliegen einer etwaigen verfassungswidrigen
doppelten Besteuerung im Einzelfall liegt beim Steuerpflichtigen, wobei allerdings gewisse Darlegungserleichterungen gelten
können und auch ergänzende Schätzungen nicht ausgeschlossen sind.
2. Ein Vergleich des relativen Anteils von aus versteuerten Beiträgen erdienten Renten-Entgeltpunkten gem. § 63 Abs. 2 SGB
VI und dem gesetzlich angeordneten Steuerfreistellungsanteil der Rente kann keine geeignete Methode zur Berechnung einer eventuellen
doppelten Besteuerung darstellen (vgl. (AdV), BFH/NV 2021, 1571; , EFG 2021, 1107).
3. Weder werden durch § 22 EStG Steuerpflichtige bei gleicher Leistungsfähigkeit unterschiedlich besteuert (horizontale Steuergerechtigkeit),
noch ist (in vertikaler Richtung) die Besteuerung höherer Einkommen im Vergleich mit der Steuerbelastung niedrigerer Einkommen
unangemessen.
4. Auch wenn der der Besteuerung zugrunde gelegte Ertragsanteil nach § 22 EStG höher sein sollte als ein nach mathematischen
Formeln unter Berücksichtigung eines Zinseszinseffekts berechneter individueller „Zinsanteil”, liegt darin kein Verstoß gegen
den Grundsatz der Folgerichtigkeit oder der Besteuerung nach der finanziellen Leistungsfähigkeit.
5. Es steht dem Gesetzgeber frei, den Ertragsanteil typisierend pauschal zu berechnen. Welchen Zinsfuß er dabei zugrunde legt,
fällt dabei in seinen gesetzgeberischen Gestaltungsspielraum, zumal zu berücksichtigen ist, dass es sich angesichts der über
Jahrzehnte andauernden Ansparphase regelmäßig um einen pauschalen Zinsfuß handeln muss, der nicht dem ständigen Kapitalmarktzins
entsprechen kann. Selbst wenn sich bei einer Vielzahl von Steuerpflichtigen der Ertragsanteil nach § 22 EStG im Vergleich
zu ihrem individuellen, am Kapitalmarkt orientierten Zinsertrag als zu hoch erweisen sollte, verstößt dies nicht gegen den
gesetzgeberischen Gestaltungsspielraum und führt insbesondere nicht zu einer doppelten Besteuerung der Renten anhand der Grundsätze
der höchstrichterlichen Rechtsprechung.
6. Den Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung fehlt nicht die Einkunftserzielungsabsicht. Ihre Besteuerung verstößt
auch nicht gegen das objektive oder subjektive Nettoprinzip. Die erhöhte Besteuerung von Renten, die aufgrund der zum vorgenommenen Rechtsänderungen eingetreten ist, verstößt auch nicht gegen das Rückwirkungsverbot oder den Grundsatz des
Vertrauensschutzes.
7. § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa und bb EStG verstoßen nicht insoweit gegen den Grundsatz der Normenklarheit,
als die dort genannten Ertragsanteile nicht mittels mathematischer Berechnung nachvollziehbar sind, weil Rechtsbegriffe wie
„voraussichtliche Lebenszeit” zu unbestimmt seien, der Norm der Kalkulationszinssatz nicht zu entnehmen sei sowie unterschiedliche
Definitionen des Kapitalwerts möglich seien, welche dann unterschiedliche Ertragsanteile zur Folge hätten.
Fundstelle(n): VAAAJ-67632
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