BGH Beschluss v. - II ZR 70/23

Leitsatz

Dem Berufungsgericht ist es verwehrt, die Berufung gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen und dadurch eine Klageänderung für wirkungslos zu erachten, wenn das Erstgericht die erstinstanzliche Antragstellung durch einen Hinweis auf seine im Urteil aufgegebene Rechtsauffassung veranlasst hatte.

Gesetze: § 139 ZPO, § 522 Abs 2 ZPO

Instanzenzug: Az: 33 U 2493/21vorgehend LG München I Az: 25 O 17378/17

Gründe

I.

1Die Kläger und die Beklagten zu 1 bis 4 waren Gesellschafter der Beklagten zu 5, einer Partnerschaftsgesellschaft mit beschränkter Berufshaftung i.L., die durch Verschmelzung dreier Patentanwaltskanzleien entstanden ist. Am erklärten die Kläger und die Beklagten zu 1 bis 4, dass das Ausscheiden ersterer zur Eintragung in das "Handelsregister" angemeldet werde und erteilten dem ihre Unterschriften beglaubigenden Notar entsprechende Verfahrensvollmacht. Am wurde das Ausscheiden der Kläger aus der Beklagten zu 5 im Partnerschaftsregister eingetragen.

2Die Parteien streiten, soweit im dritten Rechtszug noch von Interesse, darüber, ob und ggf. zu welchem Zeitpunkt die Kläger aus der Beklagten zu 5 ausgeschieden sind und in welcher Höhe die Kläger deswegen abzufinden sind.

3Das Landgericht hat den Parteien den Hinweis erteilt, dass es "in einer vorläufigen Einschätzung" von einem Ausscheiden der Kläger aus der Partnerschaft zum ausgehe. Die Kläger haben im ersten Rechtszug zuletzt beantragt festzustellen, dass sie mit Ablauf des aus der Partnerschaftsgesellschaft ausgeschieden sind, und die Beklagten zu verurteilen, ein auf diesen Zeitpunkt berechnetes Auseinandersetzungsguthaben zu zahlen sowie hilfsweise dazu Stufenklage erhoben, deren erste Stufe auf die Erteilung von Auskünften in dem Zeitraum bis zum gerichtet ist.

4Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die dagegen gerichtete Berufung der Kläger hat das Berufungsgericht durch Beschluss zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde der Kläger.

II.

5Die Nichtzulassungsbeschwerde hat Erfolg und führt gemäß § 544 Abs. 9 ZPO zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Die Nichtzulassungsbeschwerde macht zu Recht geltend, dass das Berufungsgericht das Recht der Kläger auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt hat.

61. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, dass das Urteil des Landgerichts offensichtlich zutreffend sei. Das Landgericht habe die Klage zu Recht mit der Begründung abgewiesen, dass ein Ausscheiden der Kläger aus der Beklagten zu 5 mit Ablauf des nicht festgestellt werden könne. Eine Kündigung der Gesellschaft durch die Kläger vom sei nicht innerhalb einer angemessenen Frist i.S.v. § 314 Abs. 3 BGB ausgesprochen worden, nachdem sie von dem Kündigungsgrund bereits mit Vollzug einer einstweiligen Verfügung am Kenntnis erlangt hätten, mit der ihnen jegliches rechtsgeschäftliche Handeln für die Beklagte zu 5 untersagt worden sei. Die Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs sei unbegründet. Das Landgericht habe vor Urteilsfällung nicht auf seine vom erteilten Hinweis abweichende Rechtsauffassung hinweisen müssen. Ein solcher Hinweis sei vorliegend entbehrlich gewesen, weil das Landgericht seine Rechtsauffassung ausdrücklich als vorläufig bezeichnet habe und die Beklagten ihr im Folgenden inhaltlich entgegengetreten seien. Die von den Klägern im zweiten Rechtszug vorgenommenen, hilfsweise auf spätere Ausscheidenszeitpunkte abstellende Klageerweiterungen seien mit Zurückweisung der Berufung im Beschlusswege gemäß § 524 ZPO analog wirkungslos.

72. Das Berufungsgericht hat damit in entscheidungserheblicher Weise den Anspruch der Kläger auf rechtliches Gehör verletzt (Art. 103 Abs. 1 GG, § 544 Abs. 9 ZPO). Es hat trotz Unterbleibens eines im ersten Rechtszug nach § 139 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 ZPO gebotenen Hinweises den Klägern durch die Zurückweisung der Berufung durch einstimmigen Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO die Möglichkeit abgeschnitten, im Berufungsrechtszug sachdienliche, der geänderten und vom Berufungsgericht geteilten Rechtsauffassung des Landgerichts angepasste Anträge zu stellen.

8a) Eine zweitinstanzliche Klageerweiterung als solche hindert das Berufungsgericht nicht, bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen die Berufung durch Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen. Wird die den erstinstanzlichen Streitgegenstand betreffende Berufung durch einen einstimmigen Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen, verliert die Klageerweiterung entsprechend § 524 Abs. 4 ZPO ihre Wirkung (, NJW 2015, 251 Rn. 2; Urteil vom - III ZR 84/15, MDR 2017, 50 Rn. 14 mwN). Dem Berufungsgericht ist es aber dann verwehrt, die Berufung gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen und dadurch eine Klageänderung für wirkungslos zu erachten, wenn das Erstgericht die erstinstanzliche Antragstellung durch einen Hinweis auf seine im Urteil aufgegebene Rechtsauffassung veranlasst hatte (vgl. , NJW 2016, 2508 Rn. 11; Beschluss vom - VI ZR 85/16, NJW 2017, 2623 Rn. 14; Beschluss vom - XI ZR 199/22, juris Rn. 14).

9b) Nach diesen Grundsätzen hätte das Berufungsgericht die Berufung der Kläger nicht durch Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückweisen dürfen. Es hat rechtsfehlerhaft angenommen, dass das Landgericht nicht zu einem Hinweis auf seine geänderte Rechtsauffassung verpflichtet gewesen sei.

10aa) Erteilt das Gericht einen rechtlichen Hinweis in einer entscheidungserheblichen Frage, so darf es diese Frage im Urteil nicht abweichend von seiner geäußerten Rechtsauffassung entscheiden, ohne die Verfahrensbeteiligten zuvor auf die Änderung der rechtlichen Beurteilung hingewiesen und ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben zu haben (, NJW 2014, 2796 Rn. 5; Beschluss vom - V ZR 235/16, juris Rn. 6; Beschluss vom - IX ZR 8/19, NZI 2020, 65 Rn. 5).

11bb) Dies hat das Landgericht versäumt. Es ist in seinem Urteil abweichend von dem zuvor erteilten Hinweis davon ausgegangen, dass die Kläger nicht mit Ablauf des aus der Beklagten zu 5 ausgeschieden sind. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts war der hiernach gebotene Hinweis nicht deshalb entbehrlich, weil das Landgericht seine Rechtsauffassung in dem Hinweis ausdrücklich als vorläufig bezeichnet hatte. Hierbei handelt es sich um nichts weiter als eine Selbstverständlichkeit, insofern jede Meinungsbildung des Gerichts bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung, auf die das Urteil ergeht, vorläufigen Charakter hat. Dies ergibt sich schon daraus, dass das Gericht sich seine Überzeugung unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen zu bilden hat (§ 286 Abs. 1 ZPO). Auch der Umstand, dass die Beklagten im Folgenden der im Hinweis mitgeteilten Einschätzung des Landgerichts inhaltlich entgegengetreten sind, war hier nicht geeignet, den durch den Hinweis gesetzten prozessualen Vertrauenstatbestand zu beseitigen. Es ist nicht ersichtlich, weshalb die Kläger schon aufgrund des Beklagtenvortrags davon ausgehen mussten, dass das Gericht nicht mehr an seiner zuvor geäußerten Auffassung festhalten werde. Der Umstand allein, dass ein Gesichtspunkt streitig und entscheidungserheblich ist, genügt hierfür entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nicht.

12c) Auf dieser Verletzung des Rechts auf Gewährung rechtlichen Gehörs beruht die Entscheidung. Im Urteilsverfahren hätte das Berufungsgericht von seinem materiell-rechtlichen Standpunkt aus gesehen (kein Ausscheiden zum ) über die auf spätere Ausscheidenszeitpunkte bezogenen Hilfsanträge der Kläger entscheiden müssen. Die Antragstellung ist sachdienlich (§ 533 Nr. 1 Fall 2 ZPO) und die dazu vorgebrachten Angriffs- und Verteidigungsmittel sind, selbst wenn sie neu wären, gemäß § 533 Nr. 2, § 529 Abs. 1 Nr. 2, § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO zuzulassen, weil ihre unterbliebene Geltendmachung im ersten Rechtszug auf der Hinweispflichtverletzung des Landgerichts beruht.

133. Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass § 314 Abs. 3 BGB, anders als das Berufungsgericht zu meinen scheint ("Kündigungsfrist von drei Tagen unangemessen kurz"), keine Kündigungsfrist regelt (vgl. , NJW 1966, 2160, 2161, auch zur angemessenen Frist). Zudem wird das Berufungsgericht selbst dann, wenn es sich nicht davon überzeugen kann, dass die Kläger aufgrund einer Vereinbarung Ende Mai 2016 aus der Gesellschaft ausgeschieden sind, in Betracht zu ziehen haben, ob die Beklagten nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) noch die etwaige Unwirksamkeit der Kündigung zum geltend machen können, nachdem sie unter anderem mit Schreiben vom selbst die Wirksamkeit der Kündigung eingeräumt haben und zeitnah an der Anmeldung des Ausscheidens der Kläger zum Partnerschaftsregister mitgewirkt haben.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:160424BIIZR70.23.0

Fundstelle(n):
VAAAJ-67136