BGH Urteil v. - VIa ZR 3/23

Instanzenzug: Az: 1 U 2662/22vorgehend LG Nürnberg-Fürth Az: 6 O 1679/22

Tatbestand

1Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug in Anspruch.

2Die Klägerin erwarb am einen von der Beklagten hergestellten, gebrauchten BMW 320d, der mit einem von der Beklagten hergestellten Dieselmotor der Baureihe B47 (Schadstoffklasse Euro 6) ausgerüstet ist.

3Das Landgericht hat die auf Zahlung von Schadensersatz in Höhe des Kaufpreises abzüglich des Werts der gezogenen Nutzungen nebst Zinsen und Deliktszinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs, Feststellung des Annahmeverzugs und die Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten gerichtete Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist erfolglos geblieben. Mit der vom Senat nur im Umfang der tenorierten Aufhebung zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre Berufungsanträge abgesehen von dem Deliktszinsen betreffenden Antrag weiter.

Gründe

4Die Revision der Klägerin hat Erfolg.

I.

5Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

6Der Klägerin stehe kein Anspruch aus §§ 826, 31 BGB zu. Denn bei einer im gewöhnlichen Fahrbetrieb wie auch im Betrieb auf dem Prüfstand arbeitenden Einrichtung, wie etwa dem Thermofenster, bedürfe es zur Begründung der Sittenwidrigkeit besonderer Umstände. Solche habe die darlegungspflichtige Klägerin nicht hinreichend vorgetragen, insbesondere nicht, dass die Beklagte das Kraftfahrt-Bundesamt durch bewusst falsche Angaben im Verfahren der EG-Typgenehmigung getäuscht habe.

7Ebenso wenig stehe der Klägerin ein Schadensersatzanspruch gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu, weil in den genannten Bestimmungen jedenfalls bezogen auf den hier geltend gemachten Schaden keine Schutzgesetze lägen.

II.

8Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren teilweise nicht stand.

91. Zwar begegnen die von der Klägerin angegriffenen Erwägungen, auf die das Berufungsgericht die Verneinung eines Schadensersatzanspruchs gemäß §§ 826, 31 BGB gestützt hat, mit Rücksicht auf die höchstrichterlich geklärten Maßstäbe für Einrichtungen der Emissionskontrolle ohne Prüfstandsbezug einerseits (vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom - VI ZR 433/19, NJW 2021, 921 Rn. 16 ff. und vom - VI ZR 889/20, NJW 2021, 1814 Rn. 26 ff.) und für die an den Klägervortrag zu stellenden Anforderungen andererseits (vgl. etwa , VersR 2021, 1252 Rn. 20 ff.; Beschluss vom - VII ZR 733/21, juris Rn. 20 f.) keinen revisionsrechtlichen Bedenken.

102. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Beschlusses entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).

11Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch der Klägerin auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass der Klägerin nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso , WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder der Klägerin Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.

III.

12Die Berufungsentscheidung ist demnach im tenorierten Umfang aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO), weil sie sich insoweit auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO). Die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Das Berufungsgericht wird auf der Grundlage der mit Urteil des Senats vom in der Sache VIa ZR 335/21 aufgestellten Grundsätze die erforderlichen Feststellungen zu einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben, nachdem es der Klägerin Gelegenheit gegeben hat, den Differenzschaden zu berechnen und dazu vorzutragen.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:260324UVIAZR3.23.0

Fundstelle(n):
FAAAJ-66541