BGH Beschluss v. - XII ZR 103/21

Instanzenzug: Az: 8 U 1340/20vorgehend LG München II Az: 10 O 557/19

Gründe

1Die Beschwerde ist nicht begründet. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO).

21. Soweit die Beschwerde die Behandlung des vom Kläger nach dem Hinweisbeschluss eingereichten Schriftsatzes vom durch das Berufungsgericht beanstandet, vermag sie weder in Bezug auf den klägerischen Vortrag zur Unzuverlässigkeit der Beklagten bei der Führung des Betreueramtes noch im Hinblick auf das Vorbringen des Klägers zur (fehlenden) Rechtsmissbräuchlichkeit seines Rechnungslegungsverlangens einen entscheidungserheblichen Gehörsverstoß darzulegen.

3a) Im Ausgangspunkt ist es zwar richtig, dass das Landgericht den neuen Vortrag der Beklagten aus ihrem nicht verfahrensordnungsgemäß nachgelassenen Schriftsatz vom ohne Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung nicht hätte berücksichtigen dürfen. In diesem Zusammenhang ist dem Berufungsgericht aber kein Gehörsverstoß zum Nachteil des Klägers unterlaufen.

4aa) In der Berücksichtigung neuen Vorbringens entgegen §§ 156, 296 a ZPO ist regelmäßig ein wesentlicher Mangel des erstinstanzlichen Verfahrens im Sinne von § 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO zu sehen (vgl. - juris Rn. 2 ff.; LG Braunschweig WuM 1977, 10, 11 f.; Wieczorek/Schütze/Assmann ZPO 5. Aufl. § 296 a Rn. 15; Musielak/Voit/Huber ZPO 20. Aufl. § 296 a Rn. 6; MünchKommZPO/Prütting 6. Aufl. § 296 a Rn. 10; Katzenstein ZZP 121 [2008], 41, 57; Geisler AnwBl. 2006, 524, 529). Ob das Berufungsgericht ausnahmsweise von der Möglichkeit der Zurückverweisung der Sache an das erstinstanzliche Gericht Gebrauch macht, steht indessen in seinem pflichtgemäßen Ermessen. Will das Berufungsgericht - wie es dem gesetzlichen Regelfall entspricht (§ 538 Abs. 2 ZPO) - stattdessen eine eigene Sachentscheidung treffen, ist zwar streitig, ob das entgegen § 296 a ZPO verwertete Vorbringen im zweiten Rechtszug ohne weiteres berücksichtigt werden muss (vgl. OLG Hamm VersR 2005, 1444, 1445; BeckOK ZPO/Bacher [Stand: ] § 296 a Rn. 9; ähnlich wohl Wieczorek/Schütze/Assmann ZPO 5. Aufl. § 296 a Rn. 26 [keine Zurückweisung nach § 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO]) oder ob es sich dabei unbeschadet seiner Verwertung durch das erstinstanzliche Gericht um „neuen“ Vortrag handelt, der (nur) unter den Voraussetzungen des § 531 Abs. 2 ZPO im Berufungsverfahren zugelassen werden kann (vgl. Katzenstein ZZP 121 [2008], 41, 57).

5Aber unabhängig von der Entscheidung dieses Meinungsstreits muss der Berufungsführer jedenfalls damit rechnen, dass das von dem erstinstanzlichen Gericht unter Verstoß gegen §§ 156, 296 a ZPO verwertete Vorbringen der Gegenpartei im Berufungsverfahren berücksichtigt wird. Er hat deshalb Anlass, sich nicht auf die bloße Rüge des Verfahrensverstoßes zu beschränken, sondern seine gegen den - in erster Instanz verfahrensordnungswidrig verwerteten - Vortrag der Gegenpartei gerichteten Angriffs- und Verteidigungsmittel bereits mit der Berufungsbegründung vorzubringen. Unterlässt der Berufungsführer dies, beruht die Annahme, dass er nachträglich mit diesen Angriffs- und Verteidigungsmitteln gemäß §§ 530, 520 Abs. 3 ZPO ausgeschlossen ist, jedenfalls nicht auf einer offenkundig fehlerhaften (vgl. BGH Beschlüsse vom - VI ZR 191/22 - NJW-RR 2023, 1356 Rn. 7 mwN und vom - V ZR 203/22 - ZfIR 2024, 42 Rn. 4 mwN) Anwendung von Präklusionsvorschriften, die einen Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) begründen könnte.

6bb) Gemessen daran hätte das Landgericht das Vorbringen der Beklagten aus ihrem Schriftsatz vom , in dem sie insbesondere erläuterte, inwieweit die (luxuriösen) Ausgaben für Kleidung, Blumen, Kosmetika, Süßwaren und Möbel der Hilfeempfängerin zuzuordnen sein sollen, zwar ohne Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung nicht verwerten dürfen. Insbesondere das gegen die Glaubhaftigkeit dieser Angaben gerichtete und auf Angaben der Heimleiterin über den Lebenszuschnitt der (späteren) Hilfeempfängerin gestützte Vorbringen des Klägers aus seinem Schriftsatz vom hätte jedoch bereits in der Berufungsbegründung erfolgen müssen und durfte deshalb durch das Oberlandesgericht zurückgewiesen werden, ohne damit Verfahrensgrundrechte des Klägers zu verletzen.

7Die vom Landgericht abweichende Rechtsauffassung des Oberlandesgerichts zu den anspruchsbegründenden Voraussetzungen und zur Verteilung der Darlegungs- und Beweislast ändert daran nichts. Denn die Beurteilung der Frage, ob die Beklagte den Verbleib der unstreitig vom Konto der Hilfeempfängerin vereinnahmten Geldbeträge plausibel erklären konnte, war sowohl nach dem Rechtsstandpunkt des Landgerichts (im Hinblick auf die Erfüllung einer bei der Beklagten verorteten sekundären Darlegungslast für die Verwendung des Geldes) als auch nach dem Rechtsstandpunkt des Oberlandesgerichts (im Hinblick auf mögliche Zweifel an der Zuverlässigkeit der Beklagten) von Bedeutung.

8b) Darüber hinaus ist es zwar zutreffend, dass das Oberlandesgericht neues Vorbringen des Klägers in der Berufungsinstanz insoweit nicht zurückweisen durfte, als es den rechtlichen Gesichtspunkt der Rechtsmissbräuchlichkeit des klägerischen Rechnungslegungsverlangens betraf. Denn insoweit war ergänzendes Vorbringen des Klägers erst durch den und die darin enthaltenen Hinweise zu seiner vom Landgericht abweichenden Rechtsauffassung veranlasst. Soweit die Beschwerde in diesem Zusammenhang auf den Vortrag aus dem klägerischen Schriftsatz von verweist, wonach der Beklagten schon unmittelbar nach Beginn des Sozialhilfebezuges im Jahre 2013 aufgrund der vom Kläger eingeleiteten Ermittlungen bewusst gewesen sei, über die im Rahmen der Führung der Betreuung vom Konto der Hilfeempfängerin entnommenen Beträge gegenüber dem Kläger Rechenschaft ablegen zu müssen, erweist sich ein etwaiger Gehörsverstoß aus der maßgeblichen Sicht des Berufungsgerichts aber nicht als entscheidungserheblich. Denn das Berufungsgericht stützt seine Annahme, dass die Beklagte aufgrund langjähriger Übung nicht mehr mit einer nachträglichen Inanspruchnahme auf Rechnungslegung rechnen musste, gerade auf den Ablauf des Zeitraums zwischen ihrer Bestellung zur Betreuerin am und der Stellung des Sozialhilfeantrages am .

92. Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird gemäß § 544 Abs. 6 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:210224BXIIZR103.21.0

Fundstelle(n):
OAAAJ-66350