BGH Beschluss v. - 4 StR 19/24

Instanzenzug: Az: 105 Ks 3/23

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung und fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sieben Monaten verurteilt. Zudem hat es die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt und Maßregeln nach §§ 69, 69a StGB angeordnet. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision. Mit ihrer zuungunsten des Angeklagten eingelegten und ebenfalls auf die Sachrüge gestützten Revision erstrebt die Staatsanwaltschaft im Fall II. 2. a) der Urteilsgründe eine tateinheitlich hinzutretende Verurteilung des Angeklagten wegen versuchten Mordes.

I. Revision des Angeklagten

21. Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Sachrüge hat zum Schuld- und Strafausspruch keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler ergeben.

32. Die Anordnung der Maßregel nach § 64 StGB hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand, denn den Urteilsgründen ist zumindest der notwendige symptomatische Zusammenhang zwischen einem Hang des Angeklagten, alkoholische Getränke im Übermaß zu sich zu nehmen, und der Anlasstat nicht zu entnehmen.

4a) Der Senat hat der revisionsrechtlichen Überprüfung § 64 StGB in der Fassung vom (BGBl. I Nr. 203, S. 2) zugrunde zu legen, die am in Kraft getreten ist. Da keine entsprechende Übergangsvorschrift ergangen ist, ergibt sich dies aus § 2 Abs. 6 StGB, § 354a StPO (vgl. Rn. 14; Beschluss vom – 6 StR 405/23 Rn. 6). Nach § 64 Satz 1 StGB nF müssen die Anlasstaten „überwiegend“ auf den Hang – d.h. eine Substanzkonsumstörung, infolge derer eine dauernde und schwerwiegende Beeinträchtigung der Lebensgestaltung, der Gesundheit, der Arbeits- oder der Leistungsfähigkeit eingetreten ist und fortdauert – zurückgehen. Eine bloße Mitursächlichkeit des Hangs für die Tat reicht nur noch dann aus, wenn sie andere Ursachen quantitativ überwiegt. Das Vorliegen eines solchen Kausalzusammenhangs ist durch das Tatgericht ggf. unter sachverständiger Beratung positiv festzustellen (vgl. BT-Drucks. 20/5913 S. 69 f.; Rn. 3).

5Bei seiner Entscheidung hat das Landgericht diesen strengeren Anordnungsmaßstab noch nicht anwenden können. Nach den Feststellungen wollte sich der stark alkoholisierte Angeklagte an der Nebenklägerin dafür rächen, dass sie seine ehemalige Lebensgefährtin bei der Trennung von ihm unterstützt und zum Kontaktabbruch mit seiner Tochter beigetragen hatte. Die Strafkammer hat diese die Maßregel tragende Tat im Fall II. 2. a) der Urteilsgründe als Ausdruck eines „hangbedingten Trennungsmusters“ bewertet. Damit ist zwar eine nach § 64 StGB aF für die Unterbringung ausreichende Mitursächlichkeit seines erheblichen Alkoholkonsums für die Straftat des Angeklagten dargetan, jedoch fehlt eine Aussage zu der nunmehr entscheidenden Frage, inwieweit dieser Konsum – und nicht etwa das hiervon losgelöste Rachemotiv – die überwiegende Ursache für die Anlasstat war.

6b) Die Sache bedarf daher im Maßregelausspruch neuer Verhandlung und Entscheidung. Der Senat hebt auch die zugehörigen Feststellungen auf (§ 353 Abs. 2 StPO), um insgesamt widerspruchsfreie neue Feststellungen zu ermöglichen.

II. Revision der Staatsanwaltschaft

71. Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft, das wirksam auf den Schuld- und Strafausspruch hinsichtlich der Tat zum Nachteil der Nebenklägerin (Fall II. 2. a) der Urteilsgründe), den Gesamtstrafenausspruch sowie die an die angefochtene Tat anknüpfende Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt beschränkt ist, deckt keinen Rechtsfehler zum Vorteil des Angeklagten auf. Dies gilt – bei einer von der Staatsanwaltschaft mit der Abschlussverfügung vorgenommenen Verfahrensbeschränkung hinsichtlich Waffendelikten (§ 154a Abs. 1 StPO) – insbesondere für den unterbliebenen Schuldspruch wegen eines versuchten Heimtückemordes.

8Nach den Feststellungen gab der Angeklagte im Außenbereich sieben Schüsse aus einer Pistole auf die anfänglich arg- und wehrlose Nebenklägerin ab, die er am Oberschenkel sowie am Fußknöchel traf. Sodann ließ er aus autonomen Gründen von ihr ab, obwohl er wusste, dass sich noch eine Patrone in der Waffe befand. Dabei ging er davon aus, die weiter flüchtende Nebenklägerin noch nicht tödlich verletzt zu haben, aber noch in der Lage zu sein, ihr einen tödlich wirkenden Schuss zu versetzen. Hiernach ist der Angeklagte strafbefreiend vom unbeendeten Mordversuch zurückgetreten (§ 24 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 StGB). Die dem zugrundeliegende Beweiswürdigung der Strafkammer ist – unter Berücksichtigung des beschränkten revisionsrechtlichen Prüfungsmaßstabs (st. Rspr.; vgl. nur Rn. 3 mwN) – aus den in der Zuschrift des Generalbundesanwalts vom genannten Gründen nicht zu beanstanden. Anknüpfend an die Einlassung des Angeklagten, die Verwendung seiner eigenen Waffe und die Tatplanung hat das Landgericht tatsachenbasiert mögliche Schlüsse auf den Ladezustand der Pistole wie auch auf den Rücktrittshorizont des Angeklagten gezogen.

92. Die angeordnete Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt unterliegt zu seinen Gunsten (§ 301 StPO) auch auf das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft mit den zugehörigen Feststellungen der Aufhebung.

III.

10Der Senat verweist die Sache entsprechend § 354 Abs. 3 StPO an eine allgemeine Strafkammer zurück, da ein die Zuständigkeit des Schwurgerichts begründender Tatvorwurf nicht mehr besteht (vgl. Rn. 10 mwN; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 354 Rn. 42).

11Das neue Tatgericht wird auch die weiteren Anordnungsvoraussetzungen für die Maßregel nach § 64 StGB, insbesondere das Vorliegen eines Hangs und den zu erwartenden Erfolg der Unterbringung, an den Vorgaben des neuen Rechts zu messen haben (vgl. näher hierzu Rn. 5 ff. mwN; Beschluss vom – 3 StR 455/23 Rn. 18).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:260324B4STR19.24.0

Fundstelle(n):
TAAAJ-66344