BVerfG Urteil v. - 1 BvQ 11/24

Erfolgloser Eilantrag bzgl versammlungsrechtlicher Auflagen (Untersagung der Projektion von Bildern und Videos auf ein Botschaftsgebäude) - Folgenabwägung - Projektion als potentieller Verstoß gegen Art 22 Abs 2 WÜD (RIS: DiplBezÜbk)

Gesetze: Art 8 Abs 1 GG, § 32 Abs 1 BVerfGG, § 903 BGB, Art 22 Abs 2 DiplBezÜbk, § 14 Abs 1 VersammlFrhG BE

Gründe

I.

1Der Antragsteller begehrt einstweiligen Rechtsschutz gegen eine versammlungsrechtliche Auflage, mit der ihm untersagt worden ist, im Zuge einer am von 17:30 bis 18:30 Uhr geplanten Versammlung Bilder und Videos an die Fassade der Botschaft der Russischen Föderation in Berlin zu projizieren, um auf durch den russischen Krieg gegen die Ukraine verursachtes Leid hinzuweisen.

2Der Antrag des Antragstellers auf verwaltungsgerichtlichen Eilrechtsschutz blieb erfolglos.

II.

3Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat keinen Erfolg.

41. a) Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Dabei haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsakts vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es sei denn, die Verfassungsbeschwerde erwiese sich von vornherein als unzulässig oder offensichtlich unbegründet (vgl. BVerfGE 112, 284 <291>; 121, 1 <14 f.>; stRspr).

5b) Bei einem offenen Ausgang der Verfassungsbeschwerde sind die Folgen, die eintreten würden, wenn die einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber später Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abzuwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde jedoch der Erfolg versagt bliebe (vgl. BVerfGE 131, 47 <55>; 132, 195 <232>; stRspr). Wegen der meist weittragenden Folgen, die eine einstweilige Anordnung in einem verfassungsgerichtlichen Verfahren auslöst, ist bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 32 Abs. 1 BVerfGG ein strenger Maßstab anzulegen (vgl. BVerfGE 131, 47 <55>; 132, 195 <232>; stRspr).

62. Nach diesen Maßstäben kommt der Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht in Betracht. Ob die - noch zu erhebende - Verfassungsbeschwerde unzulässig oder offensichtlich unbegründet wäre, bedarf hier keiner Entscheidung (dazu a). Jedenfalls geht eine Folgenabwägung zum Nachteil des Antragstellers aus (dazu b).

7a) aa) Die auf § 14 Abs. 1 Versammlungsfreiheitsgesetz Berlin (im Folgenden: VersFG BE) gestützte Auflage, deren Außervollzugsetzung der Antragsteller begehrt, hat die Versammlungsbehörde - von den Fachgerichten unbeanstandet - auf eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit gestützt, die sich aus einem drohenden Verstoß gegen die in Art. 22 Abs. 2 des Wiener Übereinkommens über diplomatischer Beziehungen - WÜD (BGBl II 1964 S. 957) normierte Pflicht des Empfangsstaates ergibt, alle geeigneten Maßnahmen zu treffen, um zu verhindern, dass unter anderem der Friede der Mission gestört oder ihre Würde beeinträchtigt wird.

8Soweit der Antragsteller einen Verstoß gegen Art. 22 Abs. 2 WÜD mit der Begründung in Abrede stellt, die Projektion stelle nur eine geringfügige und kurzzeitige Eigentumsbeeinträchtigung dar, die die Schwelle zur Störung des Friedens oder zur Beeinträchtigung der Würde der Mission nicht überschreite, begegnet das erheblichen Zweifeln:

9Nicht zu überzeugen vermag es, wenn der Antragsteller eine Verletzung von Art. 22 Abs. 2 WÜD in Abrede stellt, weil die einstündige Projektion von Bildern und Filmen, die weder Mitglieder der Mission noch die Russische Föderation diffamiere, nur einen geringfügigen Eigentumseingriff darstelle. Die angerufenen Fachgerichte haben ausführlich dargelegt, dass der mit der Projektion verbundene - vom Antragsteller selbst eingeräumte - Eingriff in das bürgerlich-rechtliche Eigentum im Sinne des § 903 BGB keine Bagatelle darstelle, weil er sich nicht in bloßen Geräusch- oder Lichtimmissionen auf ein Botschaftsgelände erschöpfe. Das gelte ungeachtet des Umstandes, dass der Zugang zur Botschaft und die Arbeitsabläufe in der Botschaft mutmaßlich nicht gestört würden, die Fassade selbst nicht in ihrer Substanz verändert werde und die Projektion nur eine Stunde dauern solle. Denn gerade durch die Nutzung der Fassade als Projektionsfläche solle das Erscheinungsbild der Botschaft verändert werden, wobei auch damit zu rechnen sei, dass diese Veränderung durch Bild- und Videoaufnahmen eine die einstündige Versammlungszeit überdauernde, längerfristige Wirkung haben könne. Überdies könne durch die Projektion am Botschaftsgebäude der Eindruck erweckt werden, die Auslandsvertretung der Russischen Föderation billige die Nutzung ihres Gebäudes als Projektionsfläche für die entsprechende Meinung. Dem ist der Antragsteller nicht substantiiert entgegengetreten.

10Zwar ergibt sich aus Art. 22 Abs. 2 WÜD keine Pflicht des Empfangsstaates, die Mission des Entsendestaates vor der Wahrnehmbarkeit von Kritik und entsprechenden Meinungsäußerungen zu schützen und friedliche Demonstrationen vor diplomatischen Vertretungen zu unterbinden (vgl. auch BayVGH, Beschluss vom - 24 CS 03.1636 -, juris, Rn. 9; Richtsteig, Wiener Übereinkommen über diplomatische und konsularische Beziehungen, 1. Aufl. 1994, S. 48). Ausweislich der nachvollziehbaren Ausführungen der Fachgerichte zielt die behördliche Auflage indes nicht darauf, die von der Versammlung ausgehende Kommunikation gegenüber der Botschaft zu verhindern, sondern eine in das Eigentumsrecht nach § 903 BGB eingreifende Inanspruchnahme der Fassade des Botschaftsgebäudes zum Zwecke dieser Kommunikation zu unterbinden. Dass die Rechtsauffassung, die in Art. 22 Abs. 2 WÜD normierte Schutzpflicht umfasse auch den Schutz vor einem Eigentumszugriff, durch den ein Botschaftsgebäude für eine Meinungsäußerung Dritter instrumentalisiert werden soll, grundrechtliche Wertungen verkennen würde, liegt nicht nahe, kann vorliegend aber letztlich offen bleiben.

11bb) Auch die Verhältnismäßigkeit der behördlichen Auflage hat der Antragsteller nicht substantiiert in Zweifel gezogen. Insbesondere setzt er sich nicht hinreichend mit den nachvollziehbaren Ausführungen der Fachgerichte auseinander, wonach die Auflage nicht - isoliert - dem Schutz von Eigentumsrechten diene, sondern dem Schutz der in Art. 22 Abs. 2 WÜD genannten Rechtsgüter des Friedens und der Würde der diplomatischen Vertretung, die nicht zuletzt auch im Interesse des Empfangsstaats die unverzichtbare institutionelle Mindestvoraussetzung für das diplomatische Verhältnis souveräner Staaten darstellten. Die Ausführungen der Fachgerichte, die für das Versammlungsanliegen unerlässliche Kontextualisierung der Projektion sei auch noch hinreichend gegeben, wenn die vorgesehenen Bilder und Videos auf der Straße vor dem Botschaftsgebäude auf einer Leinwand gezeigt würden, hat der Antragsteller nicht substantiiert in Zweifel gezogen.

12b) Wenn die einstweilige Anordnung nicht erginge, sich aber nach Durchführung eines Hauptsacheverfahrens herausstellte, dass die Auflage verfassungswidrig war, wäre der Antragsteller in seinen Grundrechten verletzt. Erginge demgegenüber eine einstweilige Anordnung und würde sich später herausstellen, dass das Verbot zur Verhinderung der von den Fachgerichten angenommenen Gefahren, die nicht in verfassungsrechtlich relevanter Weise in Zweifel gezogen sind, rechtmäßig war, so wären der von Art. 22 Abs. 2 WÜD geschützte Frieden und die Würde der diplomatischen Vertretung der Russischen Föderation verletzt und das diplomatische Verhältnis zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Russischen Föderation dadurch beeinträchtigt. Bei Abwägung der berührten Interessen ist insbesondere zu beachten, dass nach der - hier zu Grunde zu legenden - Würdigung des Oberverwaltungsgerichts die Versammlung auch durch die Projektion auf eine Leinwand auf der Straße vor dem Botschaftsgebäude vor der Russischen Botschaft, die diese der Wahrnehmung aussetzt, noch einen hinreichenden Beachtungserfolg zu erzielen vermag.

13Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerfG:2024:qk20240223.1bvq001124

Fundstelle(n):
NJW 2024 S. 1028 Nr. 15
NJW 2024 S. 1029 Nr. 15
BAAAJ-63758