Voraussetzungen einer Strafmilderung beim Betäubungsmittelhandel: Verzicht auf die Betäubungsmittel; staatliche Überwachung des Handels
Gesetze: § 30 Abs 1 BtMG, § 46 Abs 1 StGB, § 51 Abs 1 S 1 StGB, § 64 StGB
Instanzenzug: Az: 538 KLs 14/21
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge sowie wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in zwei Fällen unter Einbeziehung dreier rechtskräftiger Einzelstrafen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und neun Monaten verurteilt, seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB und die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 92.440 Euro angeordnet. Hiergegen richtet sich die mit der Sachrüge geführte Revision des Angeklagten. Die vom Generalbundesanwalt vertretene Revision der Staatsanwaltschaft bemängelt sachlich-rechtliche Fehler bei der Strafzumessung und – insoweit zu Gunsten des Angeklagten – bei der Maßregelentscheidung. Sie hat umfassenden Erfolg, während die Revision des Angeklagten lediglich zur Aufhebung der Unterbringungsentscheidung führt.
I.
21. Nach den Feststellungen des Landgerichts schloss sich der mehrfach und auch einschlägig vorbestrafte sowie hafterfahrene Angeklagte mit den gesondert Verfolgten Ju. und A. F. zu einer Bande zusammen, um Betäubungsmittelgeschäfte in erheblichem Umfang zu begehen und hierdurch seinen Lebensunterhalt sowie seinen Drogenkonsum zu finanzieren. Die Betäubungsmittelstraftaten wurden im Zeitraum von Februar bis Juli 2020 zunächst aus der „E. -Bar“ in B. heraus begangen, später aus einem in der Nähe gelegenen Ladengeschäft. Der Angeklagte nahm beim Drogenverkauf eine übergeordnete Stellung ein. Ihm gehörte das gehandelte Kokain, er warb für den Verkauf „Läufer“ an und dirigierte das Geschäft telefonisch.
3a) Zwischen dem 4. und dem verkaufte der Angeklagte einen Vorrat von 1.081,08 g Kokain mit einem Wirkstoffgehalt von 900,9 g Cocain-Hydrochlorid mit Hilfe von in einem achtstündigen Dreischicht-System eingesetzten „Läufern“ (77 Schichten) und erzielte hierdurch einen Erlös von mindestens 92.400 Euro. Bei einer Durchsuchung der Bar am wurden in einem Mülleimer knapp über 11 g Kokain mit etwas über 9 g Wirkstoff gefunden, die zum Verkauf in 44 Mikroreagenzgefäße verpackt waren.
4b) Angesichts der Schließung der Bar im Rahmen der Corona-Pandemie wurde der Kokainverkauf in ein nahes Ladengeschäft verlagert. Hier führten der Angeklagte, Ju. sowie der als Läufer tätige A. F. das Kokaingeschäft weiter. In diesem Rahmen kam es am zum Verkauf von zwei Kleinmengen Kokain an zwei Käufer für je 20 Euro (0,244 g mit 0,18 g Wirkstoff und 0,152 g Kokain mit 0,11 g Wirkstoff). Bei den Käufern wurden die Betäubungsmittel sichergestellt.
5c) Am kam es im Rahmen der Bandenabrede zu zwei weiteren Verkäufen von Kleinmengen Kokain für je 20 Euro (jeweils 0,206 g mit 0,15 g Wirkstoff). A. F. hielt zum gewinnbringenden Verkauf weitere vier Mikroreagenzgefäße mit gleichem Inhalt sowie Handelserlöse in Höhe von 275 Euro vorrätig, die bei einer Durchsuchung sichergestellt wurden.
62. Ihre Überzeugung von den Tatbeiträgen des Angeklagten hat die Strafkammer insbesondere auf sein Geständnis, Durchsuchungsergebnisse und Erkenntnisse aus einer Telekommunikationsüberwachung gestützt. Die Wirkstoffgehalte hat sie Wirkstoffgutachten entnommen oder auf der Grundlage einer Analyse der sichergestellten Kokainmengen geschätzt.
73. Für das bandenmäßige Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge nach § 30a Abs. 1 BtMG hat die Strafkammer eine Einzelstrafe von vier Jahren und neun Monaten verhängt. Hierbei ist sie von einem minder schweren Fall ausgegangen und hat die Strafe dem Strafrahmen des § 30a Abs. 3 BtMG entnommen, wobei sie allerdings eine Sperrwirkung der Strafuntergrenze des § 29a Abs. 1 BtMG angenommen hat. Für die beiden weiteren Taten des Bandenhandels (§ 30 Abs. 1 Nr. 1 BtMG) hat sie jeweils Einzelstrafen von zwei Jahren und drei Monaten verhängt. Unter Einbeziehung dreier Einzelstrafen von einem Jahr und sieben Monaten, einem Jahr und zwei Monaten und drei Jahren und zehn Monaten aus dem rechtskräftigen hat sie den Angeklagten schließlich zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und neun Monaten verurteilt.
84. Mit sachverständiger Hilfe hat die Strafkammer die Unterbringung des Angeklagten nach § 64 StGB in der damals geltenden Fassung angeordnet. Beim Angeklagten liege ein Missbrauchssyndrom von Kokain mit dem Risiko eines eskalierenden Übergangs zu einem Abhängigkeitssyndrom, mithin ein Hang im Sinne von § 64 StGB vor. Die abgeurteilten Taten seien auf den Hang zurückzuführen, da der Angeklagte sie „auch“ zur Befriedigung seiner Sucht begangen habe. Auch wenn der Angeklagte erst eine gewisse Zeit der selbstkritischen Analyse benötige, um Krankheits- und Behandlungseinsicht zu entwickeln, bestehe angesichts der intellektuellen Ausstattung des Angeklagten eine hinreichend konkrete Aussicht auf Behandlungserfolg. Die Dauer einer Therapie hat die Strafkammer mit zwei Jahren veranschlagt, aber angesichts der bisherigen Straf- und Untersuchungshaft „sowie der vernünftigerweise anzusetzenden Dauer bis zu seiner Überstellung in den Maßregelvollzug“ von einer Anordnung des Vorwegvollzugs von Strafe abgesehen.
II.
91. Die ausweislich ihrer Begründung wirksam auf den Strafausspruch und die Maßregelanordnung beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft (vgl. , NStZ-RR 2022, 201) führt – insoweit zu Gunsten des Angeklagten – ebenso zur Aufhebung der Unterbringungsentscheidung wie die Revision des Angeklagten.
10Die von der Strafkammer im Hinblick auf die zum Urteilszeitpunkt geltende alte Fassung von § 64 StGB getroffenen Feststellungen rechtfertigen die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nach der vom Senat gemäß § 354a StPO, § 2 Abs. 6 StGB ab anzuwendenden Neufassung des § 64 StGB nicht. Ob die Feststellungen die Annahme eines Hangs im Sinne der Neufassung von § 64 Satz 1 StGB tragen, kann dahinstehen, da jedenfalls nicht belegt ist, dass die verfahrensgegenständlichen Straftaten überwiegend auf einen solchen zurückgehen (vgl. zum neuen Maßstab BGH, Beschlüsse vom – 5 StR 246/23; vom – 5 StR 345/23). Dass der Angeklagte sie „auch“ zur Befriedigung seiner Sucht begangen hat, reicht danach nicht. Darüber hinaus lässt sich den Ausführungen der Strafkammer auch eine tatsachenbasierte konkrete Erfolgsaussicht der Maßregel nicht entnehmen (vgl. hierzu nur ).
11Die zugehörigen Feststellungen hat der Senat aufgehoben, um dem Landgericht insgesamt widerspruchsfreie neue Feststellungen zu ermöglichen. Die Frage einer Anordnung nach § 64 StGB bedarf daher unter Heranziehung eines Sachverständigen (§ 246a Abs. 1 Satz 2 StPO) insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung.
122. Die weitergehende Revision des Angeklagten zeigt keinen Rechtsfehler zu seinem Nachteil auf. Soweit die Strafkammer bei der Strafzumessung hinsichtlich der Fälle 2 und 3 den „Strafrahmen des § 30a Abs. 1 Nr. 1 BtMG“ angeführt hat, handelt es sich um einen offensichtlichen Schreibfehler, wie sich auch aus der nachfolgenden Erwähnung des § 30 Abs. 2 BtMG ergibt.
133. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft ist der Strafausspruch aufzuheben. Die Strafzumessung weist – auch eingedenk des eingeschränkten revisionsgerichtlichen Prüfungsmaßstabs (vgl. nur , NStZ-RR 2022, 204 mwN) – durchgreifende Rechtsfehler zu Gunsten des Angeklagten auf.
14a) Die Strafkammer hat zu Unrecht bei allen Einzelstrafen zu Gunsten des Angeklagten gewertet, dass er freiwillig auf die Rückgabe sichergestellter Betäubungsmittel verzichtet hat. Der Verzicht auf Gegenstände wie etwa Betäubungsmittel, die der Angeklagte ohnehin nicht behalten darf, rechtfertigt eine Strafmilderung nicht (vgl. mwN). Zudem hat das Tatgericht entgegen den Vorgaben der ständigen Rechtsprechung die Verbüßung von Untersuchungshaft in dieser Sache insgesamt strafmildernd gewertet, ohne dass über die üblichen Beschwernisse hinausgehende Belastungen festgestellt wären (vgl. , NStZ 2014, 31). Als lückenhaft erweisen sich die Strafzumessungserwägungen zudem zu Gunsten des Angeklagten, weil die Strafkammer nicht erkennbar bedacht hat, dass der Angeklagte einschlägig erheblich vorbestraft ist.
15b) Im Fall 1 hat das Landgericht bei der Strafrahmenwahl schon übersehen, dass auch § 30 Abs. 1 BtMG eine Sperrwirkung entfalten könnte. Es hat zudem rechtsfehlerhaft zu Gunsten des Angeklagten gewichtet, dass der Angeklagte trotz der Vielzahl von Umsatzgeschäften „dennoch aber letztlich – entgegen der typischerweise in den Anwendungsbereich des § 30a BtMG fallenden Fälle – weniger als ein Kilogramm Cocain-Hydrochlorid“ umgesetzt hat. Die vom Landgericht nahezu in Art eines Erfahrungssatzes angenommene Typizität bleibt ohne Beleg und drängt sich nach der Erfahrung des Senats auch nicht auf. Dass eine regelmäßig strafschärfend zu wertende (vgl. Rn. 24 mwN) massive Überschreitung der nicht geringen Menge im konkreten Fall Anlass zu einer milderen Bewertung der Bandentat sein soll, erschließt sich auch in der Sache nicht.
16Ebenfalls zu Unrecht herangezogen hat die Strafkammer bei der Strafrahmenwahl als strafmildernde Erwägung verdeckte staatliche Überwachungsmaßnahmen wie insbesondere die Überwachung des Telefonanschlusses des Angeklagten im Tatzeitraum. Nach den Feststellungen des Landgerichts wurde im Zeitraum 4. bis zunächst in einem Verfahren gegen Unbekannt eine Telekommunikationsüberwachung geschaltet, in deren Verlauf der Unbekannte als der Angeklagte identifiziert werden konnte. Anhand der Überwachungsinhalte habe man sodann das Schichtsystem im Tatzeitraum, die Umsatzmengen, die Kaufpreise und Handelserlöse rekonstruieren sowie weitere Tatbeteiligte identifizieren können. Staatliche Überwachung von Betäubungsmittelhandel kommt indes regelmäßig nur dann als Strafmilderungsgrund in Betracht, wenn hierdurch eine tatsächliche Gefährdung des Rechtsguts Volksgesundheit ausgeschlossen war; Voraussetzung ist in aller Regel die Sicherstellung des Rauschgifts, während Straftäter keinen Anspruch darauf haben, dass Verfolgungsbehörden frühzeitig gegen sie einschreiten (vgl. ; vom – 5 StR 170/22; vom – 5 StR 9/22; vom – 5 StR 2/21, NStZ-RR 2022, 140). Im vorliegenden Fall wurde der ganz überwiegende Teil des gehandelten Rauschgifts gerade nicht sichergestellt, so dass sich die Gefahr für das durch das Betäubungsmittelgesetz geschützte Rechtsgut nahezu vollständig verwirklicht hat.
17c) Auf den Rechtsfehlern beruht der Strafausspruch (§ 337 Abs. 1 StPO). Der Senat kann nicht ausschließen, dass die Strafkammer ohne die aufgezeigten Rechtsfehler höhere Einzelstrafen und eine höhere Gesamtstrafe verhängt hätte.
18d) Der Aufhebung von Feststellungen bedarf es insoweit nicht, weil diese von den dargelegten Lücken und Wertungsfehlern nicht betroffen sind (vgl. § 353 Abs. 2 StPO).
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:170124U5STR339.23.0
Fundstelle(n):
LAAAJ-58828