Weitere Anwendung der Regelungen über den gesetzlichen Zinssatz (§ 233a i.V.m. § 238 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung —AO—) bis trotz Unvereinbarkeit mit dem Grundgesetz —GG—
Leitsatz
1. NV: Auch wenn das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) die Regelungen über den gesetzlichen Zinssatz in Bezug auf die Vollverzinsung (§ 233a i.V.m. § 238 Abs. 1 Satz 1 AO) für Verzinsungszeiträume ab dem für mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar erklärt hat, ist sie für Verzinsungszeiträume bis zum aufgrund der im , 1 BvR 2422/17 (BVerfGE 158, 282, Rz 237 ff.) ausgesprochenen Weitergeltungsanordnung von den Fachgerichten weiterhin anzuwenden.
2. NV: Wenn ein zunächst umfassend eingelegtes Rechtsmittel in der Rechtsmittelbegründungsschrift ausdrücklich auf einen Teil der im vorangehenden Klageverfahren angefochtenen Verwaltungsakte beschränkt wird, ist dies nicht als (kostenpflichtige) Teilrücknahme des Rechtsmittels anzusehen, sondern als von Anfang an lediglich beschränkte Anfechtung des Urteils des Finanzgerichts.
Gesetze: AO § 233a; AO § 238 Abs. 1 Satz 1; BVerfGG § 31 Abs. 1, Abs. 2 Satz 2; GG Art. 3 Abs. 1;
Instanzenzug:
Tatbestand
I.
1 Gegen die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) wurden mit Bescheid vom Nachzahlungszinsen zur Einkommensteuer 2011 in Höhe von 5.517 € festgesetzt. Der Zinslauf erstreckte sich vom bis zum . Die Zinsen wurden für 36 volle Monate (April 2013 bis März 2016) zu je 0,5 % angesetzt.
2 Die Klage blieb ohne Erfolg. Das Finanzgericht (FG) verwies auf die Weitergeltungsanordnung im , 1 BvR 2422/17 (BVerfGE 158, 282, Rz 237 ff.).
3 Mit ihrer Beschwerde begehren die Kläger die Zulassung der Revision zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung.
4 Der Beklagte und Beschwerdegegner (Finanzamt) hält die Beschwerde für unbegründet.
Gründe
II.
5 Gegenstand der Beschwerde ist das vorinstanzliche Urteil nur insoweit, als es zu den Nachzahlungszinsen zur Einkommensteuer 2011 ergangen ist.
6 Zwar bezog sich die Beschwerdeschrift vom unterschiedslos auf das gesamte Urteil, das neben den Nachzahlungszinsen in erster Linie die Einkommensteuer 2011 zum Gegenstand hatte. Wenn aber ein zunächst umfassend eingelegtes Rechtsmittel in der Rechtsmittelbegründungsschrift ausdrücklich auf einen Teil der im vorangehenden Klageverfahren angefochtenen Verwaltungsakte beschränkt wird, ist dies nicht als (kostenpflichtige) Teilrücknahme des Rechtsmittels anzusehen, sondern als von Anfang an lediglich beschränkte Anfechtung des FG-Urteils (, BFH/NV 2008, 952, unter II.1.).
III.
7 Die so ausgelegte Beschwerde ist unbegründet.
8 1. Die Revision ist nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 der Finanzgerichtsordnung —FGO—) zuzulassen, weil das FG nicht von der Rechtsprechung des BVerfG abgewichen ist.
9 Zwar hat das BVerfG mit dem von den Klägern angeführten Beschluss vom - 1 BvR 2237/14, 1 BvR 2422/17 (BVerfGE 158, 282, Rz 100 ff.) die —auch im gegen die Kläger ergangenen Zinsbescheid angewendete— Norm des § 233a i.V.m. § 238 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung (AO) für mit Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) unvereinbar erklärt, soweit der Zinsberechnung für Verzinsungszeiträume ab dem ein Zinssatz von monatlich 0,5 % zugrunde gelegt wird. Es hat nachfolgend jedoch ausführlich begründet, weshalb es die angegriffene Norm —anders als für Verzinsungszeiträume ab dem — nicht für unanwendbar erklärt (Rz 237 ff. der zitierten Entscheidung) und ausdrücklich die Fortgeltung für Verzinsungszeiträume vom bis zum angeordnet hat, ohne dass der Gesetzgeber verpflichtet wäre, auch für diesen Zeitraum rückwirkend eine verfassungsgemäße Neuregelung zu schaffen (Rz 249 ff. der zitierten Entscheidung). Dementsprechend hat das BVerfG im Ausgangsverfahren, soweit Verzinsungszeiträume vom bis zum betroffen waren, zwar festgestellt, dass die Verfassungsbeschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG verletzt wird, von einer Aufhebung der die Zinsfestsetzung bestätigenden fachgerichtlichen Entscheidungen aber ausdrücklich abgesehen (Rz 261).
10 Zwar weisen die Kläger —wenn auch ohne Nennung einer konkreten Norm— im Ergebnis zu Recht darauf hin, dass Entscheidungen des BVerfG gemäß § 31 Abs. 1 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes (BVerfGG) unter anderem alle Gerichte binden. Darüber hinaus haben die Entscheidungen sogar Gesetzeskraft, wenn das BVerfG —wie hier— ein Gesetz als mit dem Grundgesetz unvereinbar erklärt (§ 31 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG). Gleichwohl ist das BVerfG befugt —was es in dem von den Klägern angeführten Beschluss vom - 1 BvR 2237/14, 1 BvR 2422/17 (BVerfGE 158, 282, Rz 237 ff.) ausführlich begründet hat—, in Abwägung mit anderen verfassungsrechtlich relevanten Gesichtspunkten die vorübergehende Weitergeltung eines Gesetzes anzuordnen, das es für mit dem allgemeinen Gleichheitssatz unvereinbar hält.
11 Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des BFH, dass steuerrechtliche Normen, zu denen das BVerfG zwar eine Unvereinbarkeit mit Art. 3 Abs. 1 GG festgestellt, deren Weitergeltung es aber für einen bestimmten Zeitraum angeordnet hat, für diesen Zeitraum von den Fachgerichten weiter anzuwenden sind (vgl. zu den Bewertungsungleichheiten im Erbschaftsteuerrecht bis 1995 BFH-Entscheidungen vom - II R 37/03, BFHE 208, 429, BStBl II 2005, 360, unter II.2. und vom - II B 120/04, BFHE 208, 451, BStBl II 2005, 370, unter II.b; zum Sonderausgabenabzug für Altersvorsorgeaufwendungen bis 2004 , BFHE 216, 47, BStBl II 2007, 574, unter B.II.3.c und vom - X R 57/06, BFHE 225, 421, BStBl II 2009, 1000, unter II.3.; zur unterschiedlichen Besteuerung von Renten und Pensionen bis 2004 Senatsbeschluss vom - X B 57/10, BFH/NV 2011, 1128; zum Sonderausgabenabzug für Krankenversicherungsbeiträge bis 2004 Senatsurteil vom - X R 6/08, BFHE 227, 137, BStBl II 2010, 282, unter B.II.2.c; ausführlich Senatsurteil vom - X R 15/09, BFHE 236, 69, BStBl II 2012, 325, Rz 13 ff.). Dieses Verständnis der verfassungsgerichtlich ausgesprochenen Weitergeltungsanordnungen ist vom BVerfG selbst bestätigt worden (Beschluss vom - 2 BvR 1220/04, 2 BvR 410/05, BVerfGE 120, 169, unter B.I.1.).
12 Dementsprechend ist auch im vorliegenden Fall die Vorschrift des § 233a i.V.m. § 238 Abs. 1 Satz 1 AO für Verzinsungszeiträume bis zum von den Fachgerichten weiter anzuwenden.
13 2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.
14 3. Von einer weiteren Darstellung des Sachverhalts sowie einer weiteren Begründung sieht der Senat gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 FGO ab.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BFH:2023:B.300823.XB23.23.0
Fundstelle(n):
BB 2023 S. 2197 Nr. 39
BFH/NV 2023 S. 1331 Nr. 11
UAAAJ-48810