BGH Beschluss v. - 1 StR 53/23

Steuerhinterziehung: Notwendige Urteilsfeststellungen bei Einziehung des Wertes von Taterträgen

Gesetze: § 73 Abs 1 Alt 1 StGB, § 73c S 1 StGB, § 370 AO

Instanzenzug: LG München I Az: 6 KLs 301 Js 141439/19

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung in 21 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und zwei Monaten verurteilt. Zudem hat es gegen den Angeklagten die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe der verkürzten Einkommensteuer inklusive Solidaritätszuschlag mit einem Betrag von 1.233.621,81 € angeordnet. Die gegen seine Verurteilung gerichtete Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts beanstandet, hat mit der Sachrüge den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist sein Rechtsmittel unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

21. Nach den Feststellungen des Landgerichts betrieb der Angeklagte u.a. im Tatzeitraum von 2009 bis 2015 sowohl mit der           O.      GmbH als auch mit der           A.      GmbH jeweils ein Restaurant; beide Gesellschaften waren neben weiteren GmbHs in eine ertrag- und umsatzsteuerliche Organschaft mit der           H.     GmbH & Co. KG als Organträgerin eingebunden. Deren alleiniger Kommanditist war der Angeklagte, der zugleich Geschäftsführer der genannten GmbHs und der Komplementär-GmbH war.

3Der nichtrevidierende Mitangeklagte W.        programmierte ein „Tool“, mit dem der Angeklagte im Restaurant „O.     “ den jeweiligen täglichen Kassenbestand um einen beliebigen Geldbetrag kürzen konnte; nach Entnahme entsprechender Bargeldbeträge erstellte der Angeklagte jeweils einen weiteren Z-Bon, den er in die Buchhaltung gab. Auf diese Weise bezog der Angeklagte im Tatzeitraum 2.039.011,05 € an verdeckten Gewinnausschüttungen von der           O.      GmbH. Auch die mit dem Restaurant „S.             “ erzielten Betriebseinnahmen kürzte er, indem er nachträglich nahezu täglich – mit Ausnahme von 61 Tagen – Rechnungen löschte, und zwar eine Anzahl von – ausschließlich bar bezahlten – 5.402; er entnahm entsprechende Bargeldbeträge und vereinnahmte von der           A.       GmbH in den Jahren 2010 bis 2014 insgesamt 2.178.380,98 € an verdeckten Gewinnausschüttungen, die er wie die von der           O.      GmbH bezogenen in seinen Einkommensteuererklärungen nicht offenlegte.

4Der Angeklagte verschwieg in den Körperschaftsteuererklärungen der beiden GmbHs sowie nachfolgend in den Erklärungen der Organträgerin zur einheitlichen und gesonderten Feststellung von Grundlagen für die Einkommensbesteuerung die vorgenannten verdeckten Gewinnausschüttungen; in den Feststellungsbescheiden blieben daher Betriebseinnahmen in Höhe von 201.170,48 € (2009), 789.168,52 € (2010), 414.219,34 € (2011), 772.143,90 € (2012) und 619.084,61 € (2013) unberücksichtigt (jeweils ohne Umsatzsteuer; fünf Taten). Zugunsten der           H.      GmbH & Co. KG verkürzte der Angeklagte durch Abgabe unvollständiger Gewerbesteuererklärungen an Gewerbesteuer rund 135.000 € (2010), 123.000 € (2012) und 56.000 € (2013) bzw. erzielte er für den Veranlagungszeitraum 2011 einen nicht gerechtfertigten Steuervorteil in Höhe von 414.219,34 € (vier Taten). Durch Einreichen der unvollständigen Umsatzsteuerjahreserklärungen für die Besteuerungszeiträume 2010 bis 2015 hinterzog der Angeklagte zugunsten der Organträgerin insgesamt rund 635.000 € (sechs Taten).

5Bezüglich der Veranlagungszeiträume 2014 und 2015 stellte das Finanzamt gemäß der neuen Rechtslage (§ 14 Abs. 5 KStG; § 2 Abs. 2 Satz 2 GewStG) bereits auf die von den Organgesellschaften abgegebenen Körperschaft- und Gewerbesteuererklärungen hin die der Organträgerin zuzurechnenden Einkommen fest. Auf die Erklärungen des Angeklagten für die         O.      GmbH blieben daher Betriebseinnahmen in Höhe von jeweils 313.748,54 € (Körperschaft- und Gewerbesteuer 2014) sowie 352.416,75 € (Körperschaft- und Gewerbesteuer 2015), auf seine Erklärungen für die           A.      GmbH jeweils 224.240,41 € (Körperschaft- und Gewerbesteuer 2014) unberücksichtigt (sechs Taten).

6Die Bindungswirkung der Feststellungs- bzw. Ertragsteuerbescheide kam dem Angeklagten bei der Festsetzung seiner Einkommensteuer zu Gute. Er verkürzte nach den vom Landgericht für die Veranlagungszeiträume 2009 bis 2015 mitgeteilten Ergebnissen der tatsächlich festgesetzten und der nach Prüfung festzusetzenden Einkommensteuern insgesamt einen – unter Abzug einer Zahlung in Höhe von 150 € abgeschöpften – Betrag in Höhe von 1.233.771,81 €.

72. Die Revision ist teilweise begründet.

8a) Die Einziehung des Wertes von Taterträgen (§ 73 Abs. 1 Alternative 1, § 73c Satz 1 StGB) hält mitsamt den zugehörigen Feststellungen der sachlichrechtlichen Nachprüfung nicht stand.

9aa) Hinsichtlich der sieben Fälle der Einkommensteuerhinterziehung fehlt es an einer Berechnungsdarstellung einschließlich der zugehörigen Besteuerungsgrundlagen. Bei einer Verurteilung wegen Steuerhinterziehung müssen aber die steuerlich erheblichen Tatsachen festgestellt sein. Andernfalls ist dem Revisionsgericht die Prüfung verwehrt, ob das Tatgericht den Verkürzungsumfang rechtsfehlerfrei bestimmt hat (BGH, Beschlüsse vom – 1 StR 101/22 Rn. 6; vom – 1 StR 159/19 Rn. 8 und vom – 1 StR 111/18 Rn. 13; Urteil vom – 1 StR 718/08, BGHR StPO § 267 Abs. 1 Steuerhinterziehung 1 Rn. 13; je mwN). Hier hat das Landgericht weder den Inhalt der Einkommensteuererklärungen festgestellt noch – mit Ausnahme der Einkommen der beiden GmbHs einschließlich der verdeckten Gewinnausschüttungen – alle weiteren Parameter, die für die zutreffende Festsetzung der Einkommensteuerschulden relevant sind. Der ersten – rudimentären – Tabelle auf UA S. 23 sind lediglich die jährlich erklärten Gesamteinkünfte und die tatsächlich festgesetzten Einkommensteuern nebst Solidaritätszuschlag zu entnehmen. Insbesondere fehlen die Einkünfte aus den anderen Organgesellschaften.

10bb) Indes ist die Einziehung dem Grunde nach gerechtfertigt, sodass nicht auf deren vollständiges Entfallen analog § 354 Abs. 1 StPO zu erkennen ist. Die Einkommensteuerersparnis ist „durch“ die Abgabe der Feststellungserklärungen für die Organträgerin in den Jahren 2009 bis 2013 bzw. „durch“ die Abgabe der Ertragsteuererklärungen auf der Ebene der Organgesellschaften in den Jahren 2014 und 2015 erlangt (§ 73 Abs. 1 Alternative 1 StGB).

11(a) Die Erklärungen zur gesonderten und einheitlichen Feststellung von Besteuerungsgrundlagen sowie die nachfolgende Einkommensteuererklärung sind eine einzige materiellrechtliche Tat, und zwar im Wege einer Bewertungseinheit. Dies folgt aus der Bindungswirkung des vom Betriebsstättenfinanzamt erlassenen Feststellungsbescheids für das Wohnsitzfinanzamt bei der Festsetzung der Einkommensteuer hinsichtlich der gewerblichen Einkünfte (§ 171 Abs. 10, § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a, § 182 Abs. 1 Satz 1 AO). Das für die Einkommensbesteuerung der Anteilseigner zuständige Wohnsitzfinanzamt, dem von Amts wegen die Feststellung mitgeteilt wird, hat keine Möglichkeit, den Inhalt dieses Bescheides zu überprüfen. Etwaige Angaben des Steuerpflichtigen zu solchen gewerblichen Einkünften in seiner Einkommensteuererklärung sind bedeutungslos; die tatbestandsrelevante Falscherklärung liegt damit bereits in der vorangegangenen Feststellungserklärung bzw. in den für die Organgesellschaften abgegebenen Ertragsteuererklärungen. In diesem Sinne ist mit Erlass des Feststellungsbescheids als einem nicht gerechtfertigten Steuervorteil für den Kommanditisten die Steuerstraftat vollendet; die nachfolgende Einkommensteuererklärung und der unrichtige Einkommensteuerbescheid führen mit der Steuerverkürzung zur Tatbeendigung (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 1 StR 322/08, BGHSt 53, 99 Rn. 21-23; vom – 1 StR 154/19 Rn. 2 f.; zudem bereits Rn. 3, BGHR AO § 370 Abs. 1 Konkurrenzen 11).

12(b) Nichts anderes gilt für die Veranlagungszeiträume 2014 und 2015. Nach § 14 Abs. 5 Satz 1, 2 KStG – eingefügt durch das Gesetz zur Änderung und Vereinfachung der Unternehmensbesteuerung und des steuerlichen Reisekostenrechts (BGBl. I 2013, 285) – i.V.m. § 17 KStG sind bereits die die Organgesellschaften betreffenden Bescheide die Grundlagenbescheide, die die relevante Bindungswirkung entfalten (vgl. , BFHE 263, 131 Rn. 18 und vom – I R 25/14, BFHE 254, 326 Rn. 12).

13cc) Der Senat schließt aus (§ 354 Abs. 1 StPO analog), dass sich die fehlenden Berechnungsdarstellungen einschließlich vollständiger Besteuerungsgrundlagen hinsichtlich der Einkommensteuerverkürzungen auf die Strafzumessung ausgewirkt haben. Denn den tatbestandlichen ungerechtfertigten Steuervorteilsumfang auf der Ebene der Organträgerin (2009 bis 2013) bzw. der Organgesellschaften (2014 und 2015) hat das Landgericht rechtsfehlerfrei bestimmt. In den drei Fällen der Verkürzung von Gewerbesteuer (2010, 2012 und 2013) und in den sechs Fällen der Umsatzsteuerhinterziehung hat das Landgericht die Einkommensteuerverkürzung ohnehin außer Betracht gelassen.

14Auch wenn dem Senat hier eine exakte, der Einziehung genügende Überprüfung der Einkommensteuerverkürzung verwehrt ist (vgl. auch Rn. 28), steht jedenfalls fest, dass die vom Landgericht ausgeworfenen Verkürzungsbeträge sich im Bereich von den Angeklagten nicht beschwerenden Mindestschuldumfängen bewegen: Die sieben Einzelbeträge in der Spalte „Einkommensteuer neu“ (UA S. 23) liegen weit unter dem Grundtarif (§ 32a Abs. 1 EStG), mithin unter der an sich zu erwartenden Anwendung des Spitzensteuersatzes und lassen sich am ehesten mit einer Steuerermäßigung für gewerbliche Einkünfte (§ 35 EStG) erklären. Sowohl die verhängten Einzelstrafen als auch die Gesamtstrafe erweisen sich unabhängig von der exakten Bezifferung der verschuldeten Auswirkungen der Taten (§ 46 Abs. 2 Satz 1 StGB) bereits wegen des Ausmaßes der ungerechtfertigten Steuervorteilserlangung, des Volumens an verdeckten Gewinnausschüttungen von über 4,2 Mio. € und der nahezu täglichen Manipulation der Kassen über einen Tatzeitraum von sieben Jahren, wobei die das Restaurant „O.     “ betreffende infolge der eigens hierfür entwickelten Software (vgl. auch § 269 StGB) nicht sofort zu erkennen war, als maßvoll.

15b) Zur Inbegriffsrüge (§ 261 StPO), mit der der Beschwerdeführer beanstandet, entscheidende Urkunden zum Restaurant „S.            “ seien im Urteil verwertet worden, ohne im Wege des Strengbeweises, namentlich der Urkundenverlesung, Gegenstand der Hauptverhandlung geworden zu sein, die Inaugenscheinnahme sei unzureichend, ist auszuführen:

16Die Verfahrensrüge versagt bereits deswegen, weil das Urteil den Wortlaut der mit der Revisionsbegründung vorgelegten Unterlagen (Ausdruck „Tischinfo Montag “; Ausschnitte aus einer von der Steuerfahnderin B.        zur Verfügung gestellten Kassendatendatei; Auszüge aus einer „kammerinternen Dateiauswertung“) nicht verwertet hat. Vielmehr hat das Landgericht seine Beweisführung zu den im Betrieb der      A.      GmbH fehlenden Rechnungsnummern auf UA S. 36 ff., 45 ff. auf das (Teil-)Geständnis des Angeklagten, der das Fehlen von Rechnungen dem Grunde nach eingeräumt hat, und auf die Zeugenaussagen des Betriebsprüfers M.   s, der die täglichen Journaldateien der „S.            “ mittels eines behördlichen Datenverarbeitungsprogramms ausgewertet hat, und der Steuerfahnderin, die M.   s Ergebnisse mittels eines vom Mitangeklagten W.       überlassenen USB-Sticks verprobt hat, gestützt. An der Gründlichkeit der beiden Auswertungen hatte das Landgericht keinen Zweifel. Nur wenn die Strafkammer den (genauen) Wortlaut der Unterlagen im Urteil zitiert hätte, käme in Betracht, dass diese förmlich im Wege des Urkundenbeweises zu verlesen (vgl. insbesondere § 249 Abs. 2 Satz 1 StPO, wonach der Vorsitzende zum ordnungsgemäßen Abschluss eines Selbstleseverfahrens zu protokollieren hat, dass die Richter vom „Wortlaut“ der Urkunden Kenntnis genommen haben) und nicht in Augenschein zu nehmen waren (vgl. dazu BGH, Beschlüsse vom – 2 StR 204/22 Rn. 15 und vom – 1 StR 316/16 Rn. 5; je mwN). Hingegen werden die Ausschnitte aus der Kassendatendatei und der kammerinternen Dateiauswertung als solche in den Urteilsgründen nicht einmal erwähnt.

17Davon abgesehen hat sich der Mitangeklagte W.      , obwohl ihm die bei der           A.       GmbH verschwiegenen Einnahmen nicht zur Last gelegt worden sind, zur von ihm überlassenen „Tischinfo Montag “ geäußert, um zur Entlastung des Angeklagten darzulegen, dass das Fehlen von Rechnungen in Einzelfällen nicht auf gezielte Manipulation, sondern auf Softwarefehler zurückzuführen sein kann. Damit hat sich das Landgericht auseinandergesetzt und vornehmlich aus der Vielzahl der Tage, an denen Rechnungen fehlten, nämlich an über 1.100, und aus dem Umstand, dass nur bar bezahlte Rechnungen fehlten, rechtsfehlerfrei auf eine systematische Vorgehensweise des Angeklagten geschlossen.

18Letztendlich ist der Inhalt der „Tischinfo Montag “, namentlich, dass zwischen den Rechnungsnummern 28134 und 28136 die Rechnungsnummer 28135 fehlte, leicht fasslich. Es ist nicht ersichtlich, wieso der – zumal sachkundige – Mitangeklagte W.        solches nicht tauglich auf – nicht protokollierungspflichtigen – Vorhalt bekunden sollte (vgl. auch die Ausnahmeregelung des § 273 Abs. 3 Satz 1 Variante 2 StPO zum strikten Rekonstruktionsverbot, wonach der „Wortlaut“ einer Aussage zu protokollieren ist, was freilich so gut wie nie geboten erscheint, weil es auf deren – zu würdigenden – Inhalt ankommt). Nichts anderes gilt für die Rechnungsnummer 28120, deren Fehlen als erster zu erwartender Zahl in der Tischinfo vom sich erst aus dem Abgleich mit – ebenfalls vorgehaltenen und erörterten – Unterlagen ergab. Insoweit liegt der Fall gänzlich anders als bei Vorhalt von umfangreichen oder schwierigen Schriftstücken oder eines umfangreichen Zahlenwerks aus Tabellen an Ermittlungsbeamte (dazu BGH, Beschlüsse vom – 2 StR 204/22 Rn. 15 und vom – 3 StR 156/21 Rn. 8; je mwN).

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:130623B1STR53.23.0

Fundstelle(n):
AO-StB 2023 S. 277 Nr. 9
wistra 2023 S. 340 Nr. 8
GAAAJ-42254