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WP Praxis Nr. 3 vom Seite 85

Die Folgen von Bilanzskandalen aus Sicht der Abschlussprüfung

Warum Bilanzskandale zum Vertrauensverlust eines gesamten Berufsstands führen können

Kristina Stutte

Der Fall „Wirecard“ hat den Berufsstand der Wirtschaftsprüfer in den Fokus der Öffentlichkeit rücken lassen. Es entbrannte in den Medien eine Debatte über ein mögliches Versagen von Regierung, BaFin und nicht zuletzt – den Wirtschaftsprüfern. Nicht nur die ordnungsgemäße Aufgabenerfüllung einzelner Prüfer oder Prüfungsgesellschaften wurde als unsicher bezeichnet, sondern vereinzelt auch die Vertrauenswürdigkeit des gesamten Berufsstands infrage gestellt. Um den Gründen dieser Attribution nachzugehen, verspricht vor allem die Rolle der Medien interessante Erkenntnisse.

Lentfer/Weber, Erwartungslücke, infoCenter, NWB UAAAE-13064

Kernaussagen
  • Die Nachfrage von Abschlussprüfungen geht mit der Zuschreibung von Vertrauen einher.

  • Bilanzskandale können eine akute Erwartungslücke hervorrufen. Ein Skandal tritt beim kumulativen Vorliegen der Konstituenten Normenverstoß, Veröffentlichung und öffentliche Empörung auf.

  • Die mediale Berichterstattung kann in diesem Zusammenhang unmittelbaren Einfluss auf die Attribution der Verantwortlichkeit des Abschlussprüfers haben.

I. Bedeutung und Aktualität des Themas

Der Fall „Wirecard“ hat den Berufsstand der Wirtschaftsprüfer in den Fokus der Öffentlichkeit rücken lassen. Er gilt als einer der größten Bilanzskandale der deutschen Wirtschaftsgeschichte. Das einstige DAX-Unternehmen „Wirecard“ hatte im Sommer 2020 eingeräumt, dass 1,9 Mrd. €, die auf Treuhandkonten liegen sollten, nicht mehr aufzufinden seien. Im Anschluss entbrannte in den Medien eine Debatte über das mögliche Versagen von Regierung, BaFin und nicht zuletzt– den Wirtschaftsprüfern. Vorrangig richtete sich die Kritik dabei gegen die mit der Jahresabschlussprüfung beauftragten Wirtschaftsprüfer von EY, obgleich auch KPMG durch eine Sonderprüfung in den Fall verwickelt war und sich zeitweise ebenso mit öffentlichen Vorwürfen auseinandersetzen musste. Im Dezember 2020 titelte das Handelsblatt dann online „Enttäuschung des Jahres – Der Skandal um Wirecard bringt die gesamte Branche der Wirtschaftsprüfer in Misskredit“ . Es wurde nicht mehr die ordnungsgemäße Aufgabenerfüllung einzelner Prüfer oder Prüfungsgesellschaften als unsicher deklariert, sondern die Vertrauenswürdigkeit des gesamten Berufsstands bzw. der gesamten Branche angezweifelt.

Fraglich ist, warum individuelle Einzelfälle – wie sie Bilanzskandale mitunter darstellen – dazu führen können, dass sich ein gesamter Berufsstand plötzlich mit einem Vertrauensverlust der Öffentlichkeit konfrontiert sieht. Dazu ist es zunächst erforderlich zu klären, welche Bedeutung Vertrauen im Rahmen der Jahresabschlussprüfung hat. Dabei stellt die Wahrnehmbarkeit der Jahresabschlussprüfung eine besondere Herausforderung dar. Anschließend müssen zunächst die Konstituenten eines Bilanzskandals erörtert werden, um dann der Frage nachgehen zu können, warum die Attribution der Verantwortlichkeit im Rahmen von Bilanzskandalen auftritt und sich mit zunehmender Debatte auf einen gesamten Berufsstand ausweiten kann.