BGH Beschluss v. - 1 StR 101/22

Strafverfahren wegen Steuerhinterziehung und Vorenthaltens von Sozialversicherungsbeiträgen: Anforderungen an die Feststellung der vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge und hinterzogenen Steuern in einer Vielzahl von Fällen der Beschäftigung von "Schwarzarbeitern" durch eine GmbH

Gesetze: § 261 StPO, § 267 StPO, § 370 AO, § 46 StGB, § 53 StGB, § 266a StGB

Instanzenzug: LG Essen Az: 56 KLs 10/19

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung in 67 Fällen, versuchter Steuerhinterziehung in drei Fällen sowie wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in 16 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Gegen die Einziehungsbeteiligte A.           GmbH hat es die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 49.007,71 Euro, gegen die Einziehungsbeteiligte P.                  GmbH in Höhe von 22.500 Euro angeordnet. Gegen seine Verurteilung richtet sich die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten. Sein Rechtsmittel hat, unter Erstreckung auf die beiden Einziehungsbeteiligten, den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

21. Nach den Feststellungen des Landgerichts war der Angeklagte im Tatzeitraum von Januar 2014 bis Juni 2017 faktischer Geschäftsführer der A.            GmbH sowie der P.                  GmbH. Gegenstand der beiden Unternehmen war der Betrieb von Gaststätten, Spielhallen sowie die Wartung und Reparatur von Spielgeräten einschließlich der Aufstellung von Automaten. Der Angeklagte verfügte bei beiden Gesellschaften über eine Generalvollmacht der formellen Geschäftsführerin und trat nach außen als deren verantwortlicher Geschäftsführer auf.

3Für beide Gesellschaften beschäftigte der Angeklagte Arbeitnehmer in den Spielhallen, überwiegend als Spielhallenaufsicht, die er ganz oder teilweise „schwarz“ bezahlte. Für die A.          GmbH wurden im Tatzeitraum von Januar 2014 bis April 2015 Beiträge zur Sozialversicherung in Höhe von insgesamt 33.335,75 Euro nicht abgeführt (Taten 1 bis 16 der Urteilsgründe) sowie im Zeitraum von Juni 2015 bis Juni 2017 Lohnsteuer in Höhe von insgesamt 30.875,77 Euro verkürzt (Taten 17 bis 31 der Urteilsgründe). Zugunsten der P.                 GmbH hinterzog der Angeklagte im Zeitraum von Dezember 2014 bis Juni 2017 Lohnsteuer in Höhe von insgesamt 21.341,66 Euro (Taten 32 bis 62 der Urteilsgründe).

4Zudem gab der Angeklagte regelmäßig Erträge und Umsätze beider Gesellschaften gegenüber dem Finanzamt entweder zu niedrig oder überhaupt nicht an, so dass in der Folge Umsatz-, Gewerbe- und Körperschaftsteuer für die Besteuerungszeiträume von 2014 bis Juni 2017 zu niedrig oder überhaupt nicht festgesetzt wurden (Taten 63 bis 86 der Urteilsgründe). Um die Unvollständigkeit seiner Erklärungen zu verschleiern, manipulierte er die von den Spielgeräten erstellten Kassenstreifen.

52. Der Schuldspruch hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung nur teilweise stand. Die Verurteilung des Angeklagten in den Fällen 1 bis 62 der Urteilsgründe wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt sowie wegen Steuerhinterziehung weist keine Rechtsfehler auf (§ 349 Abs. 2 StPO); in den Fällen 63 bis 86 der Urteilsgründe ist die Verurteilung des Angeklagten wegen Steuerhinterziehung bzw. versuchter Steuerhinterziehung durchgreifend rechtsfehlerhaft.

6a) Bei einer Verurteilung wegen Steuerhinterziehung müssen die steuerlich erheblichen Tatsachen festgestellt sein. Dazu gehören insbesondere diejenigen Parameter, die maßgebliche Grundlage für die Steuerberechnung sind (Besteuerungsgrundlagen; vgl. Rn. 13; Urteil vom – 1 StR 718/08, BGHR StPO § 267 Abs. 1 Steuerhinterziehung 1 Rn. 13). Die auf den festgestellten Besteuerungsgrundlagen aufbauende Steuerberechnung ist Rechtsanwendung und Aufgabe des Tatgerichts (vgl. aaO Rn. 20 mwN).

7b) Diesen Anforderungen trägt das Urteil des Landgerichts in den Fällen 63 bis 86 der Urteilsgründe nicht Rechnung. Die Feststellungen des Landgerichts zu der hinterzogenen Umsatz-, Körperschaft- sowie Gewerbesteuer der A.           GmbH und der P.                  GmbH sind für den Senat nicht nachvollziehbar.

8Das Landgericht legt zwar schlüssig dar, wie es anhand der durch Auslesen der Spielgeräte für einen Teil des verfahrensgegenständlichen Zeitraums ermittelten tatsächlichen Spielergebnisse („Saldo 2“) auf den gesamten Zeitraum hochgerechnet hat (UA S. 13 bis 21). Der Senat vermag jedoch nicht zu erkennen, nach welchen Grundsätzen die Strafkammer anhand dieses Zahlenwerks und möglicherweise zusätzlicher Feststellungen die Besteuerungsgrundlagen für die einzelnen Steuerarten ermittelt hat. Insbesondere bei der Körperschaftsteuer und dem Gewerbemessbetrag geht das Landgericht zwar zurecht davon aus (UA S. 40), dass vorenthaltene Sozialversicherungsbeiträge und hinterzogene Umsatzsteuer gewinnmindernd einzustellen sind ( Rn. 28 und vom – 1 StR 328/19 Rn. 59). Dem Urteil ist aber mangels Berechnungsdarstellung nicht zu entnehmen, ob die Strafkammer dies tatsächlich in der gebotenen Weise getan hat. Entsprechendes gilt für die „Schwarzlöhne“ als durch die Scheinrechnungen verschleierte Betriebsausgabe auf der Strafzumessungsebene (vgl. Rn. 22 mwN). Um dem nunmehr zur Entscheidung berufenen Tatgericht insgesamt widerspruchsfreie Feststellungen zu ermöglichen, hebt der Senat unter den hier gegebenen Umständen vorsorglich alle Verurteilungen in den Ertrag- und Umsatzsteuerfällen auf.

93. Die Aufhebung der vorgenannten Schuldsprüche bedingt auch die Aufhebung des Gesamtstrafenausspruchs sowie unter Erstreckung auf die Einziehungsbeteiligten entsprechend § 357 Satz 1 StPO auch die Aufhebung der Entscheidung über die Einziehung des Wertes von Taterträgen (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 3 StR 286/18 Rn. 15 mwN und vom – 1 StR 614/16 Rn. 10). Das Landgericht hat die Einziehung nach einer entsprechenden Verfahrensbeschränkung (§ 421 Abs. 1 Nr. 3 StPO) nur noch auf die von der Aufhebung umfassten Fälle 66 und 80 der Urteilsgründe gestützt.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:220922B1STR101.22.0

Fundstelle(n):
BFH/NV 2023 S. 367 Nr. 3
IAAAJ-29808