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NWB Nr. 50 vom Seite 3562

Die Erlasse v. 4.10.2022 zur grunderwerbsteuerlichen Börsenklausel

Auslegungsgrundsätze der Finanzverwaltung zur Ausnahmeregelung bei grundbesitzenden Gesellschaften

Hans-Christoph Graessner

[i]Gleich lautende Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder v. 4.10.2022, BStBl 2022 I S. 1451Zum ist die lang diskutierte „Share-Deal“-Reform durch das Gesetz zur Änderung des Grunderwerbsteuergesetzes v.  (BGBl 2021 S. 986) umgesetzt worden. Neben der Verlängerung des Beobachtungszeitraums auf zehn Jahre und der Absenkung des Beteiligungsquorums auf mindestens 90 % wurde auch eine neue Regelung für grundbesitzende Kapitalgesellschaften eingeführt. Damit sind nun nicht mehr nur grundbesitzende Personengesellschaften, sondern auch grundbesitzende Kapitalgesellschaften verpflichtet, direkte oder indirekte Anteilsübergänge über einen Zeitraum von zehn Jahren zu überwachen und ggf. eine grunderwerbsteuerliche Anzeige einzureichen. Über eine Börse erfolgte Anteilsübergänge können dabei unter Anwendung der sog. Börsenklausel unberücksichtigt bleiben. Die obersten Finanzbehörden der Länder haben in den gleich lautenden Erlassen v.  (BStBl 2022 I S. 1451) erstmalig zur Auslegung der grunderwerbsteuerlichen Börsenklausel Stellung genommen. In dem nachfolgenden Beitrag sollen die wesentlichen Punkte dargestellt und kritisch beleuchtet werden.

I. Hintergrund

[i]Überwachung von Anteilsübergängen auf jeder Beteiligungsstufe − unabhängig von der Höhe − auch bei Immo-KapGesIn das neue GrEStG wurde insbesondere § 1 Abs. 2b GrEStG als neue Regelung für grundbesitzende Kapitalgesellschaften (nachfolgend: Immo-KapGes/KapGes) eingeführt, die im Wesentlichen dem Wortlaut des § 1 Abs. 2a GrEStG für grundbesitzende Personengesellschaften (nachfolgend: Immo-PersGes/PersGes) entspricht. Unter Berücksichtigung der weiteren Änderungen im Zuge der Reform wird nun auch bei direkten oder indirekten Anteilsübergängen von mindestens 90 % auf neue Gesellschafter eine Übertragung eines Grundstücks der Immo-KapGes auf die „neue“ Immo-KapGes fingiert. S. 3563Dementsprechend ist auch die jeweilige Immo-KapGes als Steuerschuldner verpflichtet, bei ihren unmittelbaren Anteilseignern, aber auch auf den weiteren Beteiligungsstufen, relevante Anteilsübergänge − unabhängig von der Höhe − innerhalb des Zeitraums von zehn Jahren zu überwachen. Bereits zu § 1 Abs. 2a GrEStG bestanden keine ausreichenden rechtlichen Rahmenbedingungen, um dieser Verpflichtung umfänglich nachkommen zu können. Das in der Praxis bekannte Problem wurde somit auf die Immo-KapGes ausgeweitet, ohne eine rechtliche Lösung für die betroffenen grundbesitzenden Gesellschaften und deren Geschäftsführung hinsichtlich dieses grundlegenden Compliance-Themas zu schaffen.

[i]Anteilsübergänge einer börsennotierten Gesellschaft können durch Börsenklausel unberücksichtigt bleibenAuch für über eine Börse erfolgte Anteilsübergänge besteht das Risiko, dass ein steuerbarer Erwerbsvorgang gem. § 1 Abs. 2a, Abs. 2b GrEStG ausgelöst wird. Für diese Anteilsübergänge hat der Gesetzgeber jedoch zugestanden, dass grundsätzlich andere Gründe als die Einsparung von Grunderwerbsteuer im Vordergrund stehen; regelmäßig läge daher keine missbräuchliche Gestaltung vor. Zur Vermeidung einer übermäßigen Besteuerung hat der Gesetzgeber daher mit § 1 Abs. 2c GrEStG die Börsenklausel eingeführt, die bestimmte Anteilsübergänge an der Börse für Zwecke des § 1 Abs. 2a, Abs. 2b GrEStG ausnimmt (BT-Drucks. 19/28528 S. 27 f.).

[i]Strukturelles Vollzugsdefizit?Auch wenn die Rechtsprechung bisher noch keine Verfassungswidrigkeit infolge eines strukturellen Vollzugsdefizits ausdrücklich angenommen hat, ist die Börsenklausel m. E. im Ergebnis ein Versuch, die Schwierigkeiten bei der Überwachung von direkten bzw. indirekten Anteilsübergängen abzuschwächen (zum Vollzugsdefizit − offengelassen zu § 1 Abs. 2a GrEStG: , BStBl 2013 II S. 833, am Ende; , NWB MAAAH-23200, ablehnend zu § 1 Abs. 3 Nr. 4 GrEStG).

II. Auslegung der Börsenklausel durch die Finanzverwaltung