Anwendbarkeit der Mindestsätze der HOAI im Verhältnis zwischen Privatpersonen
Leitsatz
1. Aus dem Unionsrecht folgt keine Verpflichtung, das gegen verstoßende verbindliche der HOAI (1996/2002) , BauR 2022, 527 = NZBau 2022, 103 Technopark Berlin und , BauR 2022, 1515 = NZBau 2022, 530
2.§ 4 HOAI (1996/2002) kann nicht richtlinienkonform dahin ausgelegt werden, dass die Mindestsätze der HOAI im Verhältnis zwischen Privatpersonen grundsätzlich nicht mehr verbindlich sind und daher einer die unterschreitenden Honorarvereinbarung nicht entgegenstehen.
3. grundsätzlich verbindliche Mindestsatzrecht der HOAI , BauR 2022, 527 = NZBau 2022, 103 - Thelen Technopark und , BauR 2022, 1515 = NZBau 2022, 530
Gesetze: Art 49 AEUV, Art 56 AEUV, Art 288 Abs 3 AEUV, § 242 BGB, § 631 Abs 1 BGB, Art 229 § 5 S 1 BGBEG, Art 229 § 39 BGBEG, Art 15 Abs 1 EGRL 123/2006, Art 15 Abs 2 Buchst g EGRL 123/2006, Art 15 Abs 3 EGRL 123/2006, Art 43 EGVtr, Art 49 EGVtr, § 1 HOAI 2002, § 4 Abs 1 HOAI 2002, § 4 Abs 2 HOAI 2002, § 8 Abs 1 HOAI 2002, § 62 HOAI 2002, § 64 Abs 1 S 2 Nr 5 HOAI 2002, § 64 Abs 3 HOAI 2002
Instanzenzug: Az: I-5 U 222/19 Urteilvorgehend Az: 11 O 391/16
Tatbestand
1Die Klägerin, ein Ingenieurbüro, verlangt von der Beklagten, deren Unternehmensgegenstand die Projektentwicklung im Immobiliensektor ist, die Zahlung restlichen Honorars.
2Die Parteien schlossen am einen Vertrag, mit dem sich die Klägerin verpflichtete, Grundleistungen der Leistungsphasen 1 bis 5 gemäß § 64 der Verordnung über die Honorare für Architekten- und Ingenieurleistungen in der Fassung vom , geändert durch Art. 5 Neuntes Euro-Einführungsgesetz vom (im Folgenden: HOAI), für ein Bauvorhaben in D. zu erbringen. Der Vertrag sah für die einzelnen Leistungsphasen ein Pauschalhonorar vor, für die Leistungsphase 5 ein solches in Höhe von 71.000 €. Die Leistungsphasen 1 bis 4 rechnete die Klägerin mit Teilschlussrechnungen vom auf Basis des Pauschalhonorars ab. Die Beklagte bezahlte die in Rechnung gestellten Beträge. Zur Leistungsphase 5 stellte die Klägerin unter dem und unter dem Abschlagsrechnungen über 38.865,40 € und 40.555,20 €, die die Beklagte beglich. Die Abschlagsrechnung vom enthält den Hinweis auf einen Bearbeitungsstand für die Leistungsphase 5 von 94 %.
3Unter dem übersandte die Klägerin der Beklagten zur Leistungsphase 5 eine Schlussrechnung auf Basis der Mindestsätze der HOAI über insgesamt 146.841,18 € und verlangte eine weitere Zahlung von 67.420,58 €.
4Die Klägerin ist der Auffassung, ihr stehe nach den Regelungen der HOAI ein über die vereinbarte Vergütung hinausgehendes Mindestsatzhonorar für die Leistungsphase 5 nach § 64 HOAI zu, da die Honorarvereinbarung nicht wirksam sei. Zum einen sei die Honorarvereinbarung nicht schriftlich bei Auftragserteilung erfolgt und zum anderen würden die Mindestsätze der HOAI ohne rechtfertigenden Grund unterschritten.
5Die Beklagte ist der Auffassung, die Mindestsätze der HOAI verstießen gegen Europarecht, zudem sei die Klägerin nach Treu und Glauben gemäß § 242 BGB gehindert, die Klageforderung geltend machen.
6Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, da der geltend gemachte Anspruch - sein Bestehen unterstellt - verwirkt sei. Auf die hiergegen gerichtete Berufung der Klägerin hat das Berufungsgericht das landgerichtliche Urteil abgeändert und die Beklagte zur Zahlung von 67.420,58 € nebst Zinsen verurteilt. Mit der vom Berufungsgericht unbeschränkt zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.
Gründe
7Die Revision der Beklagten hat keinen Erfolg.
8Auf das Schuldverhältnis ist das Bürgerliche Gesetzbuch in der Fassung anzuwenden, die für ab dem und bis zum geschlossene Verträge gilt, Art. 229 § 5 Satz 1, § 39 EGBGB; ferner ist die mit Wirkung vom in Kraft getretene Verordnung über die Honorare für Architekten- und Ingenieurleistungen in der Fassung vom , geändert durch Art. 5 Neuntes Euro-Einführungsgesetz vom , anzuwenden.
I.
9Das Berufungsgericht hat ausgeführt:
10Der Klägerin stehe ein Anspruch auf Zahlung von 67.420,58 € aus § 4 HOAI in Verbindung mit § 631 BGB gegen die Beklagte zu. Der Vergütungsanspruch sei gemäß § 8 Abs. 1 HOAI fällig. Die ordnungsgemäße Erbringung der Leistungsphase 5 sei nicht mehr streitig. Einwände gegen die Prüffähigkeit der Schlussrechnung vom habe die Beklagte nicht erhoben.
11Einer Abrechnung nach Mindestsätzen stehe die Vereinbarung der Parteien über ein Pauschalhonorar nicht entgegen, da diese Vereinbarung nach § 4 Abs. 1 HOAI wegen Unterschreitung der geltenden Mindestsätze unwirksam sei. Die von der Klägerin zutreffend berechnete Forderung in Höhe von insgesamt 146.841,18 € stelle den Mindestsatz nach §§ 62 ff. HOAI dar.
12Anhaltspunkte für einen zur Unterschreitung der Mindestsätze berechtigenden Ausnahmefall im Sinne von § 4 Abs. 2 HOAI habe die Beklagte nicht dargelegt. Solche Anhaltspunkte lägen nicht darin, dass die Klägerin zu einem gewissen Umfang Leistungen eines Subplaners in Anspruch genommen und mit diesem nach der Behauptung der Beklagten ein Pauschalhonorar vereinbart habe. Schon aus Ziffer 4.4.5 des zwischen den Parteien geschlossenen Vertrags folge, dass das an den Subplaner gezahlte Honorar für die Vergütung der Klägerin unbedeutend sei, da der Beklagten danach kein Anspruch auf Auskunft des an den Subplaner zu zahlenden Honorars zustehen sollte.
13Ein konkludenter Verzicht der Klägerin auf eine Abrechnung nach Mindestsätzen sei nicht festzustellen. Selbst in einer Schlussrechnung, in der die Honorarforderung nicht vollständig ausgewiesen sei, liege regelmäßig kein Verzicht auf die weitergehende Forderung.
14Die Klägerin sei nicht unter dem Gesichtspunkt des widersprüchlichen Verhaltens an einer Abrechnung nach Mindestsätzen gehindert. Die Beklagte habe nicht auf die Wirksamkeit der Preisabrede vertrauen dürfen, da ihr das zwingende Preisrecht der HOAI bekannt gewesen sei, was bereits aus ihrem Geschäftszweck folge. Zudem sei nicht ersichtlich, dass sich die Beklagte auf die unwirksame Honorarvereinbarung eingerichtet hätte und ihr die Zahlung des Differenzbetrages unzumutbar sei.
15Entgegen der Ansicht des Landgerichtes sei nicht von einer Verwirkung der Honorarforderung auszugehen. Es fehle jedenfalls an einem Umstandsmoment. Ab dem Zeitpunkt der Schlussrechnungsreife sei kein Verhalten der Klägerin ersichtlich, welches ein Vertrauen der Beklagten dahingehend habe begründen können, dass es nicht mehr zu einer Schlussrechnung kommen werde.
16Der Anwendbarkeit von § 4 Abs. 1 HOAI stehe nicht Europarecht entgegen. Das gelte für Art. 15 der Richtlinie 2006/123/EG über Dienstleistungen im Binnenmarkt schon deshalb, da die Bundesrepublik Deutschland bis zum Zeit gehabt habe, die Richtlinie umzusetzen. Der zwischen den Parteien im Dezember 2008 geschlossene Vertrag falle damit nicht in den zeitlichen Geltungsbereich der Dienstleistungsrichtlinie. Ein Verstoß gegen die Dienstleistungsrichtlinie könne deshalb nur angenommen werden, wenn diese nach Ablauf der Umsetzungsfrist rückwirkend für alle Verträge seit ihrem Inkrafttreten gelten würde, was nicht der Fall sei.
17Des Weiteren stehe das europäische Primärrecht in Form der Dienstleistungsfreiheit oder der Niederlassungsfreiheit der Anwendung von § 4 Abs. 1 HOAI nicht entgegen. Dies sei deshalb ausgeschlossen, weil der vorliegende Fall keinen grenzüberschreitenden Bezug aufweise. Beide Parteien seien Inländer. Das Bauprojekt sei nicht öffentlich ausgeschrieben. Auch im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht sei die Möglichkeit eines grenzüberschreitenden Sachverhalts ausgeschlossen. Stelle ein ausländischer Architekt fest, dass er sich einerseits mit günstigen Angeboten den Zugang zu dem deutschen Markt erschließen und andererseits doch auf ein Mindesthonorar zurückgreifen könne, habe dies keine Wirkung, die den Markteintritt behindere.
II.
18Das hält der rechtlichen Überprüfung stand.
19Das Berufungsgericht hat zu Recht entschieden, dass die Pauschalhonorarvereinbarung der Parteien unwirksam ist, dem Kläger deshalb auf Grundlage der Mindestsätze der HOAI ein Anspruch auf Zahlung von weiteren 67.420,58 € aus § 631 Abs. 1 BGB in Verbindung mit §§ 1, 4 und §§ 62 ff. HOAI zusteht (1.) und der Anwendung der Mindestsätze das Recht der Europäischen Gemeinschaften/Europäischen Union nicht entgegensteht (2.).
201. Nach §§ 1, 4 Abs. 1 HOAI richtet sich das Honorar für die Leistungen der Ingenieure, soweit sie von den Leistungsbildern oder anderen Bestimmungen der HOAI erfasst sind, nach der schriftlichen Vereinbarung, die die Vertragsparteien bei Auftragserteilung im Rahmen der durch die HOAI festgesetzten Mindest- und Höchstsätze treffen. Unterschreitet die vereinbarte Vergütung das sich aus den Mindestsätzen ergebende Honorar, hat der Ingenieur einen Vergütungsanspruch in Höhe der Mindestsätze. Dieser Anspruch ist nach § 8 Abs. 1 HOAI fällig, wenn die Leistung vertragsgemäß erbracht und eine prüffähige Honorarschlussrechnung überreicht worden ist.
21a) Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts hat die Klägerin die unter Bezugnahme auf § 64 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5, Abs. 3 HOAI vereinbarten und deshalb geschuldeten Grundleistungen vertragsgemäß erbracht und der Beklagten eine prüffähige Honorarschlussrechnung überreicht. Zudem unterschreitet das zwischen den Parteien vereinbarte Pauschalhonorar für die Leistungsphase 5 - um die es im Rechtsstreit allein geht - das sich bei Anwendung der Mindestsätze gemäß §§ 62 ff. HOAI ergebende Honorar deutlich im Umfang der Klageforderung. Das lässt insgesamt Rechtsfehler nicht erkennen und wird von der Revision hingenommen.
22b) Ein Ausnahmefall gemäß § 4 Abs. 2 HOAI, wonach die in der HOAI festgesetzten Mindestsätze durch schriftliche Vereinbarung unterschritten werden können, liegt nicht vor. Der Vortrag der Beklagten zur Vereinbarung eines Pauschalhonorars der Klägerin mit deren Subplaner rechtfertigt die Anwendung von § 4 Abs. 2 HOAI nicht.
23Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind bei der Bestimmung eines Ausnahmefalls der Zweck von § 4 Abs. 2 HOAI und die berechtigten Interessen der Beteiligten zu berücksichtigen. Die zulässigen Ausnahmefälle dürfen einerseits nicht dazu führen, dass der Zweck der Mindestsatzregelung gefährdet wird, einen ruinösen Preiswettbewerb unter Architekten und Ingenieuren zu verhindern. Andererseits können alle die Umstände eine Unterschreitung der Mindestsätze rechtfertigen, die das Vertragsverhältnis in dem Sinne deutlich von den üblichen Vertragsverhältnissen unterscheiden, dass ein unter den Mindestsätzen liegendes Honorar angemessen ist (, BGHZ 136, 1, juris Rn. 21; Urteil vom - VII ZR 163/10 Rn. 15, BauR 2012, 271 = NZBau 2012, 174; vgl. zudem Rn. 14, BGHZ 225, 297).
24Auf dieser Grundlage kann eine möglicherweise getroffene Vereinbarung über ein Pauschalhonorar zwischen der Klägerin und ihrem Subplaner bereits deshalb einen Ausnahmefall nicht begründen, weil diese Vereinbarung nicht das Vertragsverhältnis der Parteien betrifft. Die Parteien haben vielmehr, worauf das Berufungsgericht zutreffend hingewiesen hat, durch Ziffer 4.4.5 ihres Vertrags mittelbar geregelt, dass die Honorierung des Subplaners ohne Auswirkung auf den Vergütungsanspruch der Klägerin gegen die Beklagte ist.
25c) Der Vortrag der Beklagten zur Vereinbarung eines die Mindestsätze unterschreitenden Pauschalhonorars der Klägerin mit deren Subplaner führt zudem - entgegen der Ansicht der Revision unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Senats zur werkvertraglichen Leistungskette - nicht dazu, die Honorarforderung der Klägerin als rechtsmissbräuchlich und treuwidrig anzusehen mit der Folge, dass der Klageforderung § 242 BGB entgegensteht.
26aa) Die Rechtsprechung des Senats zur werkvertraglichen Leistungskette befasst sich mit der Frage, welche Bedeutung bei mangelhaften Bauleistungen des Nachunternehmers dem Umstand zukommt, dass der Hauptunternehmer von seinem Auftraggeber nicht oder nur in beschränktem Umfang in Anspruch genommen wird ( Rn. 17, BauR 2008, 1877 = NZBau 2009, 34). Vor diesem Hintergrund hat der Senat nach dem Rechtsgedanken der Vorteilsausgleichung dem Hauptunternehmer nach Treu und Glauben verwehrt, Schadensersatzansprüche auf der Basis fiktiver Mängelbeseitigungskosten gegen den Nachunternehmer geltend zu machen, obwohl feststeht, dass er selbst nicht mehr in Anspruch genommen wird (vgl. Rn. 17 ff., BGHZ 173, 83), oder im Umfang fiktiver Mängelbeseitigungskosten die Vergütung des Nachunternehmers zu mindern (vgl. BGH, Versäumnisurteil vom - VII ZR 75/11 Rn. 17 ff., 24, BGHZ 198, 150). Diese - vor Aufgabe der Rechtsprechung des Senats zur Bemessung von kleinem Schadensersatz und Minderung nach fiktiven Mängelbeseitigungskosten (, BGHZ 218, 1; vgl. auch Rn. 48 ff., BauR 2021, 225 = NZBau 2021, 29) ergangenen - Entscheidungen beruhen auf der normativen, von Treu und Glauben geprägten schadensrechtlichen Wertung, dass dem Hauptunternehmer, jedenfalls dann, wenn er wegen des Mangels nicht mehr in Anspruch genommen werden kann, ungerechtfertigte, ihn bereichernde Vorteile zufließen, wenn er gleichwohl als Schadensersatz die fiktiven Mängelbeseitigungskosten vom Nachunternehmer fordern oder dessen Vergütung in Höhe der fiktiven Mängelbeseitigungskosten mindern kann (vgl. Rn. 35, BGHZ 208, 372).
27bb) Über diese Fälle hinaus hat es der Senat abgelehnt, dem Hauptunternehmer Einwendungen gegen den Vergütungsanspruch des Nachunternehmers zu verwehren, weil der Hauptunternehmer selbst nicht mehr vom Auftraggeber in Anspruch genommen werden kann (zum Leistungsverweigerungsrecht wegen Mängeln der Werkleistung des Nachunternehmers BGH, Versäumnisurteil vom - VII ZR 75/11, BGHZ 198, 150; zum Minderungsrecht des Architekten gegenüber dem Honoraranspruch des von ihm beauftragten Planers wegen Mängeln der von diesem erbrachten Planungsleistungen , BGHZ 208, 372). Diese Rechtsprechung des Senats beruht auf dem Grundsatz der Relativität der Schuldverhältnisse. Liegen mehrere Schuldverhältnisse vor, sind diese grundsätzlich selbständig zu beurteilen und scheiden Einwendungen aus fremden Schuldverhältnissen grundsätzlich aus (vgl. Rn. 36, BGHZ 208, 372; Staudinger/Olzen, BGB, 2019, § 241 Rn. 312; MünchKommBGB/Bachmann, 9. Aufl., BGB, § 241 Rn. 14; Grüneberg/Grüneberg, BGB, 81. Aufl., v. § 241 Rn. 5; Makowsky, Einwendungen aus fremdem Schuldverhältnis, 2019, S. 30 ff.).
28cc) Auf dieser Grundlage ist der Vergütungsanspruch der Klägerin gegen die Beklagte unabhängig davon zu beurteilen, in welchem Umfang die Klägerin ihrem Subplaner ein Honorar schuldet. Es kommt deshalb auch nicht darauf an, ob der Subplaner der Klägerin dieser gegenüber berechtigt ist, nach den Mindestsätzen der HOAI abzurechnen. Anders als die Revision meint, liegt in dem von ihr vorgetragenen Verhalten der Klägerin kein Rechtsmissbrauch, der zu einer von der Rechtsordnung nicht tolerierten Bereicherung der Klägerin führt und deshalb die Anwendung von § 242 BGB rechtfertigt. Vielmehr obliegt es nach den Regelungen des Schuldrechts zur Vertragsfreiheit und zur Relativität der Schuldverhältnisse den Parteien der jeweiligen Verträge im Rahmen einer Leistungskette, unabhängig voneinander Regelungen zur Vergütung zu treffen.
29d) Die Ausführungen des Berufungsgerichts zum Einwand widersprüchlichen Verhaltens der Klägerin, zum Nichtzustandekommen eines Erlassvertrags und zum Einwand der Verwirkung lassen Rechtsfehler nicht erkennen und werden von der Revision hingenommen.
302. Dem so gegebenen Vergütungsanspruch der Klägerin gegen die Beklagte auf der Grundlage der Mindestsätze der HOAI steht das Recht der Europäischen Gemeinschaften/Europäischen Union nicht entgegen. Weder aus der Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt (im Folgenden: Dienstleistungsrichtlinie) noch aus dem europäischen Primärrecht ergibt sich im Streitfall eine Verpflichtung, das verbindliche Mindestsatzrecht der HOAI unangewendet zu lassen.
31a) Die Dienstleistungsrichtlinie steht dem Anspruch der Klägerin nicht als unmittelbar für das Vertragsverhältnis der Parteien geltendes Recht entgegen, und zwar unabhängig davon, ob auf den zwischen den Parteien am geschlossenen Vertrag die Dienstleistungsrichtlinie Anwendung findet.
32aa) Der Gerichtshof der Europäischen Union hat mit Urteil vom festgestellt, dass die Bundesrepublik Deutschland dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 15 Abs. 1, Abs. 2 Buchst. g) und Abs. 3 der Dienstleistungsrichtlinie verstoßen hat, dass sie verbindliche Honorare für die Planungsleistungen von Architekten und Ingenieuren beibehalten hat (, BauR 2019, 1624= NZBau 2019, 511 - Kommission/Deutschland).
33bb) Die Bundesrepublik Deutschland war verpflichtet, die Dienstleistungsrichtlinie vom bis zum umzusetzen. Vor diesem Hintergrund streiten die Parteien darüber, ob auf den zwischen ihnen zwar nach Erlass, aber vor Ablauf der Umsetzungsfrist der Dienstleistungsrichtlinie geschlossene Vertrag diese Anwendung findet. Darauf kommt es indes nicht an, da der Gerichtshof der Europäischen Union nach Verkündung des Berufungsurteils eine unmittelbare Wirkung der Dienstleistungsrichtlinie zwischen Privaten verneint hat.
34cc) Der Gerichtshof der Europäischen Union (Urteil vom - C-261/20, BauR 2022, 527 = NZBau 2022, 103 - Thelen Technopark Berlin) hat auf Vorlage des Senats in einem Rechtsstreit, in dem die HOAI 2013 Anwendung fand (, BGHZ 225, 297), entschieden, dass ein nationales Gericht, bei dem ein Rechtsstreit anhängig ist, in dem sich ausschließlich Privatpersonen gegenüberstehen, nicht allein aufgrund dieses Rechts verpflichtet ist, eine nationale Regelung unangewendet zu lassen, die unter Verstoß gegen Art. 15 Abs. 1, Abs. 2 Buchst. g und Abs. 3 der Dienstleistungsrichtlinie Mindesthonorare für die Leistungen von Architekten und Ingenieuren festsetzt und die Unwirksamkeit von Vereinbarungen vorsieht, die von dieser Regelung abweichen.
35Der Gerichtshof der Europäischen Union hat insoweit festgestellt, dass der Dienstleistungsrichtlinie eine unmittelbare Wirkung in einem Rechtsstreit zwischen Privatpersonen nicht zukommt ( Tz. 31-37, BauR 2022, 527 = NZBau 2022, 103 - Thelen Technopark Berlin). Er hat ferner ausgeführt, dass die zuständigen nationalen Gerichte nicht allein aufgrund eines gemäß den Art. 258 bis 260 AEUV erlassenen Urteils verpflichtet sind, im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Privatpersonen eine nationale Regelung, die gegen die Bestimmung einer Richtlinie verstößt, unangewendet zu lassen ( Tz. 38-40, BauR 2022, 527 = NZBau 2022, 103 - Thelen Technopark Berlin).
36b) Die Dienstleistungsrichtlinie steht dem Anspruch der Klägerin des Weiteren nicht als im Wege der richtlinienkonformen Auslegung der HOAI mittelbar für das Vertragsverhältnis der Parteien geltendes Recht entgegen, und zwar ebenfalls unabhängig davon, ob auf den zwischen den Parteien am geschlossenen Vertrag die Dienstleistungsrichtlinie Anwendung findet.
37aa) Nach dem Grundsatz der richtlinienkonformen Auslegung müssen die mit der Auslegung des nationalen Rechts betrauten nationalen Gerichte bei dessen Anwendung sämtliche nationalen Rechtsnormen berücksichtigen und die im nationalen Recht anerkannten Auslegungsmethoden anwenden, um die Auslegung eines Gesetzes so weit wie möglich am Wortlaut und Zweck der fraglichen Richtlinie auszurichten, damit das von dieser festgelegte Ergebnis erreicht und so Art. 288 Abs. 3 AEUV nachgekommen wird ( Rn. 22 m.w.N., BGHZ 225, 297).
38Allerdings findet die Verpflichtung des nationalen Richters, bei der Auslegung und Anwendung der einschlägigen Vorschriften des innerstaatlichen Rechts den Inhalt des Unionsrechts heranzuziehen, ihre Schranken in den allgemeinen Rechtsgrundsätzen und darf nicht als Grundlage für eine Auslegung contra legem des nationalen Rechts dienen. Die Auslegung des nationalen Rechts darf nicht dazu führen, dass einer nach Wortlaut und Sinn eindeutigen Norm ein entgegengesetzter Sinn gegeben oder der normative Gehalt der Norm grundlegend neu bestimmt wird. Demgemäß kommt eine richtlinienkonforme Auslegung nur in Frage, wenn eine Norm tatsächlich unterschiedliche Auslegungsmöglichkeiten im Rahmen dessen zulässt, was der gesetzgeberischen Zweck- und Zielsetzung entspricht. Die Pflicht zur Verwirklichung des Richtlinienziels im Auslegungswege findet ihre Grenzen an dem nach der innerstaatlichen Rechtstradition methodisch Erlaubten ( Rn. 23 m.w.N., BGHZ 225, 297).
39bb) Nach diesen Grundsätzen hat der Senat zur HOAI 2013 entschieden, dass eine Unverbindlichkeit der Mindestsätze und die Wirksamkeit einer die Mindestsätze unterschreitenden Honorarvereinbarung im Verhältnis zwischen Privatpersonen nicht mit einer richtlinienkonformen Auslegung begründet werden kann (vgl. Rn. 24, BGHZ 225, 297).
40Für die im Streitfall anzuwendende HOAI 1996/2002 gilt im Ergebnis nicht anderes. Der Gesetz- und Verordnungsgeber hat auch mit den dort getroffenen Regelungen zur Geltung der Mindestsätze eindeutig zum Ausdruck gebracht, dass eine unterhalb der verbindlichen Mindestsätze liegende Honorarvereinbarung für Architekten- und Ingenieurleistungen - von bestimmten Ausnahmen abgesehen - unwirksam ist und sich die Höhe des Honorars in diesem Fall nach den Mindestsätzen bestimmt. Dies ergibt sich nicht nur aus dem klaren Wortlaut der betreffenden Regelungen, sondern auch aus dem mit ihnen seitens des Gesetz- und Verordnungsgebers verfolgten Sinn und Zweck, durch Mindestpreise Umfang und Qualität von Architekten- und Ingenieurleistungen zu gewährleisten und einen ungezügelten Preiswettbewerb zu vermeiden.
41c) Europäisches Primärrecht in Form der Niederlassungsfreiheit gemäß Art. 49 AEUV (= Art. 43 EGV), der Dienstleistungsfreiheit gemäß Art. 56 AEUV (= Art. 49 EGV) oder sonstiger allgemeiner Grundsätze des Gemeinschaftsrechts/Unionsrechts steht der Anwendung der in der HOAI verbindlich geregelten Mindestsätze im Streitfall ebenfalls nicht entgegen.
42aa) Der Gerichtshof der Europäischen Union hat klargestellt, dass die Bestimmungen des AEUV über die Niederlassungsfreiheit, den freien Dienstleistungsverkehr und den freien Kapitalverkehr auf einen Sachverhalt, dessen Merkmale nicht über die Grenzen eines Mitgliedstaates hinausweisen, grundsätzlich keine Anwendung finden ( Tz. 50, BauR 2022, 527 = NZBau 2022, 103 - Thelen Technopark Berlin; Urteil vom - C-544/21 Tz. 26). Ist keine Partei außerhalb der Bundesrepublik Deutschland ansässig und wird die versprochene Leistung nicht außerhalb dieses Gebiets erbracht, ist der Sachverhalt nicht durch Merkmale charakterisiert, die einen grenzüberschreitenden Bezug aufweisen (vgl. Tz. 51, BauR 2022, 527 = NZBau 2022, 103 - Thelen Technopark Berlin; Urteil vom - C-544/21 Tz. 27 f.).
43Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts weist der Streitfall sowohl im Zeitpunkt des Vertragsschlusses als auch im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht keinen grenzüberschreitenden Bezug im oben genannten Sinn auf. Auf welchen Zeitpunkt abzustellen ist, kann deshalb dahingestellt bleiben.
44bb) Soweit die Revision die Auffassung vertritt, eine grenzüberschreitende Wirkung der Mindestsatzregelungen der HOAI folge bereits daraus, dass diese Regelungen eine abschreckende Wirkung auf außerhalb des Gebiets der Bundesrepublik Deutschland tätige Architekten und Ingenieure haben könnten, sich auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland niederzulassen, ergibt sich aus diesem Umstand kein grenzüberschreitender Bezug. Die von der Revision aufgeworfene Rechtsfrage ist durch die nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist ergangenen Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Union geklärt (zur HOAI 1996/2002 Tz. 31 f.; zur HOAI 2013 Tz. 51 ff., BauR 2022, 527 = NZBau 2022, 103 - Thelen Technopark Berlin vgl. zudem Rn. 29, BauR 2022, 1515 = NZBau 2022, 530).
453. Soweit die Revision in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat die Verfassungsgemäßheit von § 4 HOAI im Hinblick auf Art. 12 Abs. 1 GG in Zweifel gezogen hat, dringt sie damit nicht durch. Die entsprechende Frage ist vom Bundesverfassungsgericht hinreichend geklärt (zur HOAI 1996/2002 , BauR 2005, 1946 = NZBau 2006, 121; zur HOAI 2009 Rn. 16, BGHZ 201, 32).
III.
46Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Fundstelle(n):
NJW 2022 S. 8 Nr. 51
NJW-RR 2023 S. 660 Nr. 10
RIW 2023 S. 157 Nr. 3
MAAAJ-28518