BGH Beschluss v. - AnwZ (Brfg) 40/21

Verwaltungsrechtliche Anwaltssache: Feststellungsinteresse bei einer Fortsetzungsfeststellungsklage nach Ablehnung der Abberufung eines Kanzleiabwicklers und Widerruf der Abwicklungsanordnung

Gesetze: § 54 BRAO, § 55 BRAO, § 91 Abs 1 VwGO, § 113 Abs 1 S 4 VwGO

Instanzenzug: Anwaltsgerichtshof Stuttgart Az: AGH 2/20 I

Gründe

I.

1Die Klägerin begehrt die Feststellung der Rechtswidrigkeit eines Bescheides der Beklagten vom . Gegenstand desselben war die Ablehnung der Abberufung des Beigeladenen als Abwickler der Anwaltskanzlei eines im November 2019 verstorbenen Rechtsanwalts, der wiederum von der Klägerin als Alleinerbin beerbt worden war.

2Die hiergegen im März 2020 erhobene Klage war ursprünglich auf die Verpflichtung der Beklagten zur Abberufung des Beigeladenen gerichtet. Nach dem Widerruf der Abwicklungsanordnung hat die Klägerin ihr Begehren umgestellt und neben der Feststellung der Rechtswidrigkeit die weitere Feststellung begehrt, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihr den Schaden zu ersetzen, der dadurch entstanden ist bzw. noch entstehen wird, dass die Beklagte den Beigeladenen als Abwickler für den Zeitraum vom bis zum bestellt hat. Der Anwaltsgerichtshof hat die Klage mangels Feststellungsinteresses i.S.v. § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO bzw. mangels Sachdienlichkeit der Klageänderung nach § 91 Abs. 1 VwGO als unzulässig abgewiesen. Die Klägerin beantragt die Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Anwaltsgerichtshofs.

II.

3Der Antrag der Klägerin ist nach § 112e Satz 2 BRAO, § 124a Abs. 4 VwGO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Er bleibt jedoch ohne Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe (§ 112e Satz 2 BRAO, § 124 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO) liegen nicht vor.

41. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils bestehen nicht (§ 112e Satz 2 BRAO, § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Dieser Zulassungsgrund setzt voraus, dass ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt wird (st. Rspr.; vgl. etwa AnwZ (Brfg) 30/11, NJW-RR 2012, 189 Rn. 5 mwN). Zweifel an der Richtigkeit einzelner Rechtssätze oder tatsächlicher Feststellungen füllen den Zulassungsgrund dann nicht aus, wenn solche Zweifel nicht die Richtigkeit des Ergebnisses erfassen ( AnwZ (Brfg) 32/15, juris Rn. 4 mwN).

5a) Entsprechende Zweifel vermag die Klägerin im Hinblick auf die begehrte Feststellung der Rechtswidrigkeit des Bescheides der Beklagten nicht darzulegen. Das Urteil des Anwaltsgerichtshofs steht im Einklang mit der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung zu dem Rechtsinstitut der Fortsetzungsfeststellungsklage und dem insoweit bestehenden Erfordernis eines zureichenden (Fortsetzungs-)Feststellungsinteresses, welches unter anderem zur Durchsetzung eines Schadenersatz- oder Entschädigungsanspruchs (Präjudizinteresse), wegen Wiederholungsgefahr oder aus Gründen der Rehabilitierung bzw. Genugtuung anzunehmen sein kann (vgl. Eyermann/Schübel-Pfister, VwGO, 15. Aufl., § 113 Rn. 111; Kopp/Schenke/R. P. Schenke, VwGO, 27. Aufl., § 113 Rn. 136 ff., 141, 142 ff.; jeweils mwN).

6aa) Das Bestehen eines Feststellungsinteresses unter dem Gesichtspunkt der Durchsetzung eines Schadenersatz- oder Entschädigungsanspruchs hat der Anwaltsgerichtshof rechtsfehlerfrei verneint. Zwar ist anerkannt, dass in der Fallkonstellation der Erledigung eines angefochtenen Verwaltungsaktes nach Klageerhebung ein berechtigtes Interesse an der Fortführung der Klage als Fortsetzungsfeststellungsklage besteht, weil diesbezüglich bereits prozessualer Aufwand entfaltet worden ist (vgl. , juris Rn. 8; HessVGH, NVwZ 2012, 1350, 1351; Kopp/Schenke/R. P. Schenke, VwGO, 27. Aufl., § 113 Rn. 136 mwN). Allerdings muss ein auf Schadenersatz oder Entschädigung gerichteter Prozess mit hinreichender Sicherheit zu erwarten sein und darf nicht offenbar aussichtslos erscheinen (Kopp/Schenke/R. P. Schenke aaO Rn. 136 jeweils mwN; vgl. auch Eyermann/Schübel-Pfister aaO Rn. 114 ff.). Das Erfordernis hinreichender Sicherheit ist dann erfüllt, wenn der Kläger die ernsthafte Absicht verfolgt, einen entsprechenden Anspruch bei den ordentlichen Gerichten geltend zu machen (vgl. Eyermann/Schübel-Pfister aaO Rn. 114). Offenbare Aussichtslosigkeit liegt vor, wenn ohne eine ins Einzelne gehende Prüfung erkennbar ist, dass der behauptete Schadenersatz- oder Entschädigungsanspruch unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt bestehen kann (BVerwG, NVwZ 1992, 1092; 2004, 104, 105; BVerwGE 100, 83, 92; 146, 303 Rn. 44), wobei an die Qualifizierung der Aussichtslosigkeit hohe Anforderungen zu stellen sind (BVerwG, NVwZ-RR 2014, 465 Rn. 29; BVerwGE 146, 303 Rn. 44; Wysk/Bamberger, VwGO, 3. Aufl., § 113 Rn. 85).

7Keine der beiden genannten Voraussetzungen ist vorliegend gegeben: Es fehlt bereits an der Darlegung einer ernsthaften Absicht der Klägerin, die bislang lediglich pauschal vorgetragen hat, sich ein klageweises Vorgehen vorbehalten zu wollen. Aber auch ein Schadenersatz- oder Entschädigungsanspruch gegen die Beklagte steht ihr unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu, denn der zwar durch öffentlich-rechtlichen Akt bestellte Abwickler handelt gegenüber dem Mandanten des verstorbenen Anwalts sowie auch gegenüber dessen Erben ausschließlich im Rahmen privater Rechtsbeziehungen (§§ 55 Abs. 3 Satz 1 BRAO i.V.m. § 54 Abs. 1 Satz 3 BRAO, §§ 666, 667, 670 BGB), allerdings ohne dabei Erfüllungs- oder Verrichtungsgehilfe der Rechtsanwaltskammer zu sein (vgl. AGH Celle, BeckRS 2012, 215132 Rn. 17; , juris Rn. 49 f.; Geigel/Brodöfel, Haftpflichtprozess, 28. Aufl., Kap. 20 Rn. 100).

8bb) Auch unter dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr war das erforderliche Fortsetzungsfeststellungsinteresse nicht gegeben. Der Anwaltsgerichtshof hat nachvollziehbar begründet, dass und warum die Klägerin nach dem Widerruf der Abwicklungsanordnung nicht mit einer Wiederholung derselben durch die Beklagte zu rechnen hatte. Gegen diese Ausführungen des Anwaltsgerichtshofs hat die Klägerin ausweislich ihrer Zulassungsschrift Beanstandungen nicht erhoben.

9c) Gleiches gilt im Ergebnis hinsichtlich des Gesichtspunkts der Rehabilitierung bzw. Genugtuung. Erforderlich für die Annahme hinreichenden Fortsetzungsfeststellungsinteresses ist insoweit, dass ein Verwaltungsakt außer seiner - erledigten - belastenden Wirkung zusätzlich einen diskriminierenden, ehrenrührigen Inhalt hat, der dem Ansehen des Betroffenen abträglich ist. Es muss sich aus der angegriffenen Maßnahme eine Stigmatisierung des Betroffenen ergeben und zudem sein ideelles Interesse an einer Rehabilitierung schutzwürdig sein, wie es namentlich bei Grundrechtsverletzungen, die auf polizeiliche Maßnahmen zurückgehen, oder dem Vorwurf schuldhaft-kriminellen Verhaltens der Fall sein kann (vgl. BVerwGE 146, 303 Rn. 25; BVerwG, NVwZ 1999, 991; NJW 1997, 2534; Eyermann/Schübel-Pfister, VwGO, 15. Aufl., § 113 Rn. 119 f. mwN). Eine solche, mit der Durchführung polizeilicher Maßnahmen oder dem Vorwurf schuldhaft-kriminellen Verhaltens vergleichbare Intensität wies der seitens der Beklagten erlassene Ablehnungsbescheid vom indessen nicht auf. Im Einklang hiermit hat der Anwaltsgerichtshof ohne Rechtsfehler und seitens der Klägerin unbeanstandet dargelegt, dass dem angefochtenen Bescheid kein sie diskriminierender Charakter beizumessen war.

10d) Auch soweit es den auf Feststellung einer Schadenersatzpflicht der Beklagten gerichteten Klageantrag betrifft, begegnet die Entscheidung des Anwaltsgerichtshofs keinem Richtigkeitszweifel. Zu Recht hat er in dem Begehren eine gemäß § 91 Abs. 1 VwGO mangels Einwilligung der Beklagten oder Sachdienlichkeit unzulässige Klageänderung erblickt. Diese Bewertung hat die Klägerin ausweislich ihrer Zulassungsschrift auch nicht beanstandet.

112. Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung (§ 112e Satz 2 BRAO, § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) hat die Klägerin nicht dargelegt. Dieser Zulassungsgrund ist gegeben, wenn der Rechtsstreit eine entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage aufwirft, die sich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen kann und deshalb das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an einer einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt (, BGHZ 154, 288, 291; BVerfG, NVwZ 2009, 515, 518; BVerwG, NVwZ 2005, 709). Diese Voraussetzungen sind vom Beschwerdeführer darzulegen. Insbesondere muss begründet werden, warum ein korrigierendes Eingreifen des Bundesgerichtshofs erforderlich ist (vgl. AnwZ (Brfg) 2/19, juris Rn. 13 mwN).

12Diesen Anforderungen genügt das Vorbringen der Klägerin nicht. Die in der Zulassungsschrift angeführte Fragestellung zu den Voraussetzungen, unter denen eine Rechtsanwaltskammer verpflichtet ist, die Bestellung eines Abwicklers zu widerrufen, ist eine solche des Einzelfalls. Sie ist zudem nicht entscheidungserheblich, weil die Klage bereits unzulässig ist.

III.

13Die Kostenentscheidung beruht auf § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 194 Abs. 1 BRAO, § 52 Abs. 1 GKG.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:030622BANWZ.BRFG.40.21.0

Fundstelle(n):
NAAAJ-25930