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NWB Nr. 45 vom Seite 3154

Befristete Senkung des Umsatzsteuersatzes auf Gas und Fernwärme

Vom 1.10.2022 bis 31.3.2024 gilt hierfür der ermäßigte Steuersatz

Hans-Dieter Rondorf

Neben weiteren Maßnahmen zur Minderung der Belastung der Bürger will der Gesetzgeber den Gaspreis durch eine befristete Reduzierung der Umsatzsteuer auf Gaslieferungen senken. Durch Art. 1 des Gesetzes zur temporären Senkung des Umsatzsteuersatzes auf Gaslieferungen über das Erdgasnetz v.  (BGBl 2022 I S. 1743) sind dem § 28 UStG (Zeitlich begrenzte Fassungen einzelner Gesetzesvorschriften) neue Absätze 5 und 6 angefügt worden. Nach dem neuen § 28 Abs. 5 UStG ist § 12 Abs. 2 UStG als Vorschrift für den ermäßigten Steuersatz vom bis mit der Maßgabe anzuwenden, dass die Steuerermäßigung auch für die Lieferung von Gas über das Erdgasnetz gilt. Nach § 28 Abs. 6 UStG gilt das für den gleichen Zeitraum auch für die Lieferung von Wärme über ein Wärmenetz. Das BMF hat zunächst im September 2022 den Entwurf eines BMF-Schreibens hierzu auf seiner Homepage veröffentlicht und nach der Verabschiedung des Gesetzes zeitnah zu den neuen Steuerermäßigungen ein finales sog. Einführungsschreiben herausgegeben ( NWB UAAAJ-24999).

I. Wie kam es zur Absenkung des Steuersatzes für Erdgas und Fernwärme?

1. Ursprünglich als Kompensation der Umsatzsteuer auf die sog. Gasumlage gedacht

[i]Umsatzsteuersatzreduzierung für Erdgas zunächst abgelehntBereits im Februar 2022 hatten der bayerische Ministerpräsident und später auch der Finanzminister des Landes Nordrhein-Westfalen vorgeschlagen, wegen der gestiegenen Öl- und Gaspreise vorübergehend auf Treibstoffe, Strom und Gas den ermäßigten Umsatzsteuersatz anzuwenden oder sogar eine Steuerbefreiung hierfür einzuführen. Dies hatte der Bundesfinanzminister seinerzeit abgelehnt. Er wies darauf hin, dass dazu zunächst eine Grundlage in der MwStSystRL geschaffen werden müsse. Nach der politischen Einigung im EU-Rat vom über eine neue EU-Steuersatz-Richtlinie dürfe es in den EU-Mitgliedstaaten für fossile Brennstoffe ab dem keine Steuerermäßigungen mehr geben (vgl. hierzu unten I, 4). Da wolle man jetzt nicht – wenn auch nur vorübergehend – noch entgegengesetzte Maßnahmen treffen.

[i]Ankündigung der sog. GasumlageIm Laufe des Sommers 2022 reduzierten russische Gaslieferanten zunächst ihre Lieferungen an inländische Gasimporteure und stellten sie schließlich ganz ein. Um die vertragliche Verpflichtung zur Versorgung ihrer Kunden mit Erdgas zu erfüllen, waren inländische Gasunternehmen mit überwiegend russischen Lieferanten gezwungen, anderweitig Gas zu enorm angestiegenen Weltmarktpreisen einzukaufen. Dies führte bei den betroffenen Gasunternehmen zu erheblichen Verlusten. Um das wirtschaftliche Überleben dieser Gasanbieter zu sichern, kündigte der Bundeswirtschaftsminister für die S. 3155Zeit vom bis eine sog. Gasumlage für alle Verbraucher von Erdgas an. Mit den Einnahmen aus dieser Gasumlage sollten die in finanzielle Schieflage geratenen inländischen Gasunternehmen gestützt werden. Die Gasumlage war als Bestandteil des von allen Endverbrauchern von Gas zu entrichtenden Gaspreises konzipiert.

[i]Auf die Gasumlage wäre zusätzlich Umsatzsteuer angefallenMöglicherweise hatte man im Bundeswirtschaftsministerium nicht erkannt, dass nach § 10 Abs. 1 UStG – wie bei Verbrauchsteuern und anderen Umlagen – auch auf die vorgesehene Gasumlage als Preisbestandteil von Gaslieferungen Umsatzsteuer zum allgemeinen Steuersatz von 19 % anfallen würde. Als dies erkannt wurde und die zusätzliche Belastung der Verbraucher durch die Umsatzsteuer auf die Gasumlage auf vielfache Kritik in der Öffentlichkeit stieß, beantragte der Bundesfinanzminister im Einvernehmen mit dem Bundeskanzler in Brüssel eine Ausnahmegenehmigung für die Bundesrepublik Deutschland von der nach Art. 78 MwStSystRL unionsrechtlich vorgegebenen Rechtslage. Nach Art. 395 MwStSystRL sind Ausnahmeregelungen für die EU-Mitgliedstaaten jedoch nur zulässig, wenn sie der Vereinfachung dienen oder der Bekämpfung von Steuerhinterziehungen bzw. Steuerumgehungen. Da diese Voraussetzungen bei der angestrebten Ausnahme von der Umsatzbesteuerung der Gasumlage nicht erfüllt waren, lehnte die EU-Kommission den deutschen Antrag prompt ab. Die EU-Kommission war nicht bereit, das langwierige Verfahren nach Art. 395 MwStSystRL einzuleiten geschweige denn eine Änderung der MwStSystRL in diesem Sinne vorzuschlagen. Stattdessen machte die EU-Kommission darauf aufmerksam, dass Deutschland wie alle anderen EU-Mitgliedstaaten die Möglichkeit hätte, ermäßigte Steuersätze auf Gaslieferungen anzuwenden.

[i]Befristete Steuersatzsenkung trotz Verzicht auf die GasumlageDaraufhin verkündete der Bundeskanzler am , dass vom bis , also dem Zeitraum der Erhebung der vorgesehenen Gasumlage, für Gas der ermäßigte Umsatzsteuersatz von 7 % gelten soll. Damit sollten die zusätzlichen Mehrbelastungen der Verbraucher durch die Umsatzbesteuerung der Gasumlage ausgeglichen werden. Nach andauernder vielfältiger Kritik an der vorgesehenen Gasumlage von 2,4 Cent pro Kilowattstunde netto machte die Bundesregierung schließlich einen Rückzieher und verzichtete endgültig auf die Gasumlage. Obwohl damit der eigentliche Grund für die Einführung des ermäßigten Steuersatzes von 7 % auf Gaslieferungen entfallen war, hielt die Bundesregierung bzw. die Ampelkoalition aus SPD, Bündnis 90/die Grünen und FDP an der temporären Umsatzsteuerermäßigung für Gas in der Zeit vom bis fest.

2. Beschleunigtes Gesetzgebungsverfahren

[i]Gesetzentwurf aus der Mitte des Deutschen BundestagsDamit die inländischen Gasunternehmen möglichst frühzeitig Kenntnis über den ab anzuwendenden Umsatzsteuersatz für ihre Gaslieferungen an die Verbraucher erlangen, wurde auf das übliche Gesetzgebungsverfahren mit Referentenentwurf und anschließendem Regierungsentwurf verzichtet. Vielmehr hat das BMF eine Formulierungshilfe für eine entsprechende Änderung des UStG für die Regierungsfraktionen gefertigt, die am veröffentlicht wurde. Diese Formulierungshilfe fand Eingang in den Gesetzentwurf der BT-Fraktionen SPD, Bündnis 90/die Grünen und FDP zur temporären Senkung des Umsatzsteuersatzes auf Gaslieferungen über das Erdgasnetz (BT-Drucks. 20/3530).

[i]Befristete Umsatzsteuersatzreduzierung auch für FernwärmeNach der Beschlussempfehlung des federführenden BT-Finanzausschusses mit den Stimmen der Ampelkoalition sowie den Oppositionsparteien CDU/CSU und AfD sollte der ermäßigte Umsatzsteuersatz nicht nur auf Gaslieferungen, sondern zusätzlich in der Zeit vom bis auch auf die Lieferung von Fernwärme Anwendung finden (BT-Drucks. 20/3744; BR-Drucks. 476/22). Der Deutsche Bundestag hat diesen Gesetzentwurf mit den vom BT-Finanzausschuss vorgeschlagenen Änderungen am angenommen. Der Bundesrat hat dem Gesetz am zugestimmt. S. 3156Nach Art. 1 dieses Gesetzes v.  (BGBl 2022 I S. 1743) werden dem § 28 UStG (Zeitlich begrenzte Fassungen einzelner Gesetzesvorschriften) neue Absätze 5 und 6 angefügt. Nach dem neuen § 28 Abs. 5 UStG ist § 12 Abs. 2 UStG vom bis mit der Maßgabe anzuwenden, dass der dort genannte ermäßigte Steuersatz von 7 % auch für die Lieferung von Gas über das Erdgasnetz gilt. Nach dem neuen § 28 Abs. 6 UStG gilt dies im gleichen Zeitraum auch für die Lieferung von Wärme über ein Wärmenetz. Das Gesetz tritt mit (Rück-)Wirkung v.  in Kraft (Art. 4 des Gesetzes v. , BGBl 2022 I S. 1743). Die rückwirkende Anwendung ist unbedenklich, weil es sich sowohl bei den umsatzsteuerlichen als auch den übrigen zusätzlich in das Gesetz aufgenommenen Regelungen um die Bürger entlastende Maßnahmen handelt.

3. Gesetzesbegründung und Steuermindereinnahmen

[i]Abfederung der Belastung der Verbraucher durch gestiegene GaspreiseNach der Begründung des Gesetzentwurfs der Ampelkoalition (BT-Drucks. 20/3530) hat der völkerrechtswidrige Angriff Russlands auf die Ukraine die ohnehin angespannte Lage auf den Energiemärkten drastisch verschärft. Die aufgrund des Kriegs nochmals erheblich gestiegenen Gaspreise seien für viele Bürger zu einer großen Belastung geworden. Diese Entwicklung könne noch durch die Bestrebungen, Deutschland schnellstmöglich unabhängig von russischem Erdgas zu machen, verstärkt werden. Zur Abfederung der Belastung der Bürger durch die gestiegenen Gaspreise werde der Umsatzsteuersatz auf die Lieferung von Gas über das Erdgasnetz vorübergehend auf 7 % reduziert. Die Umsatzsteuermindereinnahmen allein aufgrund der befristeten Anwendung des ermäßigten Steuersatzes auf Erdgaslieferungen werden für die gesamte Laufzeit der Maßnahme auf 6,245 Mrd. € geschätzt (BT-Drucks. 20/3530).

4. Unionsrechtliche Grundlagen

[i]Änderung der MwStSystRL durch die sog. EU-Steuersatz-RichtlinieNach Art. 102 MwStSystRL in der bis geltenden Fassung konnte jeder EU-Mitgliedstaat nach Konsultation des Mehrwertsteuerausschusses auf Lieferungen von Erdgas, Elektrizität und Fernwärme einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz (ohne Befristung) anwenden. Art. 102 MwStSystRL ist jedoch durch die sog. EU-Steuersatz-Richtlinie (Richtlinie (EU) 2022/542 des Rates v. , ABl EU 2022 Nr. L 107 S. 1) aufgehoben worden. Stattdessen ergibt sich für die EU-Mitgliedstaaten ab dem (Tag des Inkrafttretens der EU-Steuersatz-Richtlinie) die Möglichkeit, ermäßigte Mehrwertsteuersätze auf Energie anzuwenden, aus der neuen Nr. 22 des Anhangs III MwStSystRL. In Anhang III der MwStSystRL sind neben begünstigungsfähigen Dienstleistungen die Gegenstände aufgeführt, auf deren Lieferung die EU-Mitgliedstaaten ermäßigte Mehrwertsteuersätze anwenden können, aber nicht müssen (Art. 98 Abs. 2 MwStSystRL). Aufgrund der Neuregelung des Unionsrechts in Bezug auf die Mehrwertsteuersätze durch die EU-Steuersatz-Richtlinie v.  ist Anhang III neu gefasst und dabei um zusätzliche Positionen – insbesondere auch im Interesse des Klimaschutzes – erweitert worden (vgl. Masuch, NWB 25/2022 S. 1750; Ismer, MwStR 2022 S. 53; Vellen, UStB 2022 S. 195).

[i]Ermäßigte MwSt-Sätze auf Gas und Fernwärme bis 31.12.2029 möglichNach der neuen Nr. 22 des Anhangs III MwStSystRL können die EU-Mitgliedstaaten unter anderem auf die Lieferung von Elektrizität, Fernwärme, Fernkälte und bestimmtem Biogas sowie auf die Lieferung von Erdgas und Brennholz befristet bis zum ermäßigte Mehrwertsteuersätze anwenden. Die EU-Steuersatz-Richtlinie v.  (ABl EU 2022 Nr. L 107 S. 1) geht auf eine am vom EU-Rat nach zähen Verhandlungen gefundene politische Einigung zurück. Da in Deutschland die neu eingeführten Steuersatzermäßigungen für Erdgas und Fernwärme bis zum befristet sind, entsprechen die neuen Steuersatzermäßigungen dem Unionsrecht. Es muss allerdings darauf hingewiesen werden, dass die EU-Mitgliedstaaten spätestens ab dem keine ermäßigten Mehrwertsteuersätze mehr auf jedwede fossile S. 3157Brennstoffe (einschließlich Torf und Brennholz) anwenden dürfen (Art. 105a Abs. 4 MwStSystRL, eingefügt durch die EU-Steuersatz-Richtlinie v. ).

5. Kein ermäßigter Steuersatz auf Strom, Heizöl, Kohle und Kraftstoffe in Deutschland

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