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WP Praxis Nr. 11 vom Seite 362

Rechnungslegung und Bewertung im aktuellen Zinsumfeld

Auswirkungen kurzfristig steigender Zinssätze und hoher Inflationsraten auf Bilanzansätze und Bewertungsergebnisse

WP/StB Prof. Dr. Christian Zwirner und Gregor Zimny, CVA

Seit der internationalen Finanzmarktkrise im Jahr 2008 waren Unternehmen über viele Jahre hinweg mit einem immer weiter sinkenden Zinsniveau konfrontiert. Das Niedrigzinsniveau war keine kurzfristige bzw. temporäre Erscheinung, sondern prägte und prägt die Unternehmen und ihre Bilanzen nachhaltig. Die Autoren haben im Jahr 2016, kurz bevor die EZB den Leitzins auf ein historisches Tief von 0,00 % absenkte, die Folgen des Niedrigzinsniveaus auf Bilanzansätze und Bewertungsergebnisse dargelegt. Spätestens seit Beginn des Jahres 2022 scheint sich das über mehrere Jahre anhaltende Zinsniveau nun wieder umzukehren – und zwar schlagartig. So hat sich der für (Unternehmens-)Bewertungen relevante Basiszinssatz nach IDW S 1 allein im Jahr 2022 mehr als verzehnfacht. Infolge der historisch hohen Inflationsraten sah sich die EZB zudem gezwungen, die Leitzinsen wieder erstmals seit über zehn Jahren anzuheben. Im vorliegenden Beitrag werden die aktuellen Entwicklungen des Zinsumfeldes sowie der Inflationsrate aufgegriffen und die Auswirkungen auf Bilanzansätze und Bewertungsergebnisse vor dem Hintergrund der bisherigen Niedrigzinspolitik erläutert.

Zwirner/Zimny, Rechnungslegung und Bewertung im Niedrigzinsumfeld, WP Praxis 1/2016 S. 4, NWB JAAAF-18166

Kernaussagen
  • Mit der Abkehr der Niedrigzinspolitik durch die EZB infolge historisch hoher Inflationsraten ergeben sich für zahlreiche Unternehmen weitreichende negative bilanzielle Folgen.

  • Auf der Aktivseite geraten Beteiligungsansätze und Geschäfts- oder Firmenwerte infolge steigender Zinssätze sowie ggf. sinkender Ergebnisse aufgrund der Inflation unter Druck.

  • Auf der Passivseite ist mit den aktuell steigenden Zinssätzen nicht mit einer kurzfristigen Entlastung bei der Bewertung von langfristigen Rückstellungen zu rechnen, wohingegen inflationsbedingte Preis- und Kostensteigerungen die Bewertungsansätze zunächst erhöhen.

I. Einleitung

Als Reaktion auf die internationale Finanzmarktkrise 2008 und der sich daran anschließenden europäischen Staatsschuldenkrise 2010 erfuhr die (globale) Wirtschaft einen über mehrere Jahre andauernden Zustand historisch niedriger Zinsen. Eine sich für die Niedrigzinspolitik der vergangenen Jahre in Europa verantwortlich zeichnende Institution ist die EZB. Mit der im Jahr 2008 beginnenden sukzessiven Absenkung der Leitzinsen durch die EZB auf historisch niedrige Stände verfolgte die EZB das Ziel, die Wirtschaft in der Eurozone zu stabilisieren. Der Leitzins der EZB stellt den Zinssatz dar, zu dem sich die nationalen Geschäftsbanken bei der EZB refinanzieren können. Niedrige Leitzinsen haben in der Folge dazu geführt, dass die nationalen Geschäftsbanken die Zinsen für Kredite für ihre eigenen Kunden ebenfalls senken konnten, wodurch die Nachfrage bei Unternehmen und Konsumenten nach Krediten stieg. Die Folge davon waren höhere Investitionen und steigende Gewinnaussichten der Unternehmen sowie höhere Konsumausgaben der privaten Haushalte, u. a. weil eine Geldanlage zu den niedrigen Zinsen zunehmend unattraktiver wurde. Trotz positiver Absichten der EZB hatte die langjährige Niedrigzinspolitik für zahlreiche Unternehmen nachhaltig negative Folgen.

Die Zinspolitik der EZB äußerte sich nicht nur in niedrigeren Zinsen der Geschäftsbanken, sondern hatte auch einen mittelbaren Einfluss auf zahlreiche Vermögenswerte und Schulden von Unternehmen. In Zeiten des Niedrigzinsniveaus waren die Auswirkungen auf monetäre Posten der Aktivseite (bspw. Bankguthaben bei Kreditinstituten) regelmäßig negativ, da die Verzinsung verhältnismäßig niedrig war oder sogar Einlagezinsen gezahlt werden mussten. Nicht monetäre Posten der Bilanz (bspw. Beteiligungsansätze oder Immobilien) profitierten hingegen von den niedrigen Zinsen auf Grund steigender Aktienkurse und Immobilienpreise. S. 363

Hoch riskant war in den Zeiten der niedrigen Zinsen stets, dass nicht absehbar war, wie lange das Niedrigzinsniveau noch vorherrschen würde. Bereits inmitten der Phase niedriger Zinsen waren die Risiken bekannt:

„Die Risiken des derzeitigen Zinsniveaus liegen auf der Hand: Wenn die Zinsen steigen, offenbaren sich schlagartig die Bewertungsrisiken in den derzeit aufgrund des niedrigen Zinssatzes hoch bewerteten Beteiligungen und Geschäfts- oder Firmenwerten. Die Folge sind außerplanmäßige Abschreibungen, die dann die Ergebnis- und Eigenkapitalsituation der Unternehmen belasten.“

Es war also bereits vor vielen Jahren absehbar, dass insbesondere ein kurzfristiger Anstieg des Zinsniveaus erhebliche Risiken für Bilanzierungs- und Bewertungsansätze mit sich bringt und die Ergebnisse der Unternehmen entsprechend belasten wird.

Auf der Passivseite waren die Effekte des Niedrigzinses umgekehrt. Nicht monetäre Posten (bspw. langfristige Rückstellungen wie Pensionsrückstellungen) wurden aufgewertet, da die Barwerte aufgrund geringerer Abzinsungssätze anstiegen, und belasteten das Ergebnis. Monetäre Verbindlichkeiten (bspw. Darlehen) waren tendenziell günstiger. Problematisch war und ist an den (Zins-)Verhältnissen der letzten Jahre, dass die vorherrschenden niedrigen Zinsen zu einer „neuen Normalität“ geworden sind und strategische und operative Entscheidungen der Unternehmen teilweise in einem erheblichen Umfang von den niedrigen Zinsen abhängig gemacht wurden. So führten die historisch niedrigen Zinsen u. a. dazu, dass bspw. zu erheblichen Teilen fremdfinanzierte Investitionen in Immobilien allein aufgrund der verhältnismäßig günstigen Zinskonditionen durchgeführt wurden.

Im Zuge der historisch hohen Inflationsraten sah sich die EZB jüngst dazu gezwungen, ihre Zinspolitik der letzten Jahre grundlegend zu überdenken. In Übersicht 2 ist die Entwicklung der Inflationsrate zwischen und dargestellt. Um ihr Ziel der Preisniveaustabilität zu erreichen, hob die EZB im Jahr 2022 erstmals seit über zehn Jahren die Leitzinsen wieder an. Bereits zu Beginn des Jahres zeichnete sich zudem bereits ab, dass der für (Unternehmens-)Bewertungen relevante Basiszinssatz nach IDW S 1 deutlich anstieg. Insgesamt wird die Wirtschaft im Jahr 2022 mit massiv steigenden Zinssätzen konfrontiert, was einen direkten Einfluss auf die Bilanzen der Unternehmen hat. Es zeigt sich bereits jetzt, dass der abrupte Zinsanstieg keine überwiegend positiven Effekte für die Unternehmen haben wird. Vielmehr zeigt sich, dass sich die Risiken der langen Niedrigzinspolitik zunehmend offenbaren. Erschwerend kommt hinzu, dass die Auswirkungen der noch weiter andauernden Corona-Pandemie sowie des Ukraine-Kriegs eine zusätzliche Belastung darstellen.