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Herausforderungen der handelsrechtlichen Goodwill-Bilanzierung
Ansatz, Ausweis und Bewertung mit Fallbeispiel sowie abgeleitete bilanzpolitische Möglichkeiten
Die Entwicklung der handelsrechtlichen Bilanzierungsvorschriften zum Geschäfts- oder Firmenwert lässt sich retrospektiv über die zurückliegenden knapp 100 Jahre als sehr facettenreich umschreiben. Bereits die Rechtsnatur des Geschäfts- oder Firmenwerts war lange Zeit umstritten: Die im Schrifttum kontrovers vertretenen Auffassungen reichten von einer Bilanzierungshilfe über einen Vermögensgegenstand bis zum Wert eigener Art . Erst mit Einführung des Bilanzrechtsmodernisierungsgesetzes zum Ende des Jahres 2009 wurde das seit 1931 in verschiedenen Ausprägungen bestehende Aktivierungswahlrecht in ein Ansatzgebot verändert. Dessen ungeachtet ermöglicht das dem Geschäfts- oder Firmenwert innewohnende faktische Bewertungswahlrecht auch in der heutigen handelsrechtlichen Rechnungslegungspraxis einen breiten bilanzpolitischen Spielraum. Nach einer Begriffsbestimmung und der Abgrenzung zwischen derivativem und originärem Goodwill beleuchtet der Beitrag – illustriert anhand eines Fallbeispiels mit unterschiedlichen Konstellationen – die handelsbilanziellen Ansatz-, Ausweis- und Bewertungsvorschriften für den Geschäfts- oder Firmenwert und geht dabei auch auf die steuerbilanziellen Besonderheiten ein. Auf dieser Grundlage werden sodann Möglichkeiten zur Umsetzung bilanzpolitischer Ziele im Zusammenhang mit dem entgeltlich erworbenen Geschäfts- oder Firmenwert betrachtet.
Willeke, Geschäfts- oder Firmenwert, Goodwill, infoCenter, NWB CAAAB-80073
Was ist unter dem Geschäfts- oder Firmenwert zu verstehen und welche Varianten werden unterschieden?
Welche handelsrechtlichen Ansatz-, Ausweis- und Bewertungsvorschriften sind im Rahmen der Bilanzierung des Geschäfts- oder Firmenwerts zu beachten?
Welche bilanzpolitischen Möglichkeiten lassen sich mittels der Goodwill-Bilanzierung nutzen?
I. Begriffsbestimmung
[i]Philippsen/Sultana, Negativer Unterschiedsbetrag bei einem asset deal bzw. negativer Kaufpreis bei einem share deal im HGB-Jahresabschluss, StuB 18/2021 S. 725, NWB NAAAH-88929 Hoffmann/Lüdenbach, NWB Kommentar Bilanzierung, 13. Aufl. 2022, § 246 Rz. 380 ff., NWB DAAAH-90985 Der entgeltlich erworbene Geschäfts- und Firmenwert wird im HGB definiert als „Unterschiedsbetrag, um den die für die Übernahme eines Unternehmens bewirkte Gegenleistung den Wert der einzelnen Vermögensgegenstände des Unternehmens abzüglich der Schulden im Zeitpunkt der Übernahme übersteigt“ (§ 246 Abs. 1 Satz 4 HGB). Als Synonym für den Begriff „Geschäfts- oder Firmenwert“ hat sich in der deutschen Bilanzierungspraxis die aus der internationalen Rechnungslegung adaptierte Bezeichnung „Goodwill“ etabliert.
Nach der vorstehend zitierten handelsgesetzlichen Definition handelt es sich beim Goodwill um den Mehrwert, der einem Unternehmen über dem Substanzwert – d. h. dem zum Zeitwert bewerteten Reinvermögen – hinaus innewohnt. Der Geschäfts- oder Firmenwert repräsentiert mithin eine Residualgröße, nachdem sämtliche einzeln entgeltlich erworbenen (und ggf. zuvor nicht bilanzierten) immateriellen und materiellen Vermögensgegenstände und Schulden identifiziert und zu ihren jeweiligen beizulegenden ZeitS. 722werten, d. h. einschließlich aufgedeckter stiller Reserven und Lasten, bewertet wurden.
Dieser den „Reinvermögenszeitwert“ übersteigende Mehrwert verkörpert die Gewinnchancen eines Unternehmens, die sich aus einem Bündel zahlreicher geschäftswertbildender Faktoren zusammensetzen, welche wiederum mangels selbständiger Verwertbarkeit nicht eigenständig als immaterielles Vermögen bilanzierungsfähig sind. Hierunter zu subsumieren sind bspw. die Kenntnisse und Fähigkeiten der Mitarbeiter, der Kundenstamm , die Liefer- und Absatzbeziehungen, der „gute Ruf“ des Unternehmens, die Managementqualität, besondere Fertigungs- und Verfahrenstechniken, die Organisationsstruktur, das Vertriebsnetz, Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten oder sonstige Wettbewerbsvorteile. Jene wirtschaftlichen Wertkomponenten bewirken, dass sich der Wert eines Unternehmens nicht allein durch die bilanzierten Einzelwerte bestimmt, sondern ganz wesentlich durch ihre gemeinsame Nutzung und ihr orchestriertes Zusammenspiel determiniert wird. Zudem kann der Geschäfts- oder Firmenwert synergetische Wertbestandteile umfassen, welche den Kaufpreis beeinflusst haben.
Der entgeltlich erworbene Geschäfts- oder Firmenwert wird auch als „derivativer“ Goodwill bezeichnet, da sein Wert sich aus dem Kaufpreis des erworbenen Unternehmens ableitet. Davon zu unterscheiden ist der „originäre“ Geschäfts- oder Firmenwert, der im Laufe der Unternehmenstätigkeit durch unternehmensinterne Maßnahmen zum Aufbau der zuvor genannten geschäftswertbildenden Komponenten entsteht, d. h. durch das bilanzierende Unternehmen selbst geschaffen wurde. Während für den derivativen Goodwill ein Ansatzgebot besteht, ist die Bilanzierung des originären Goodwills verboten.
Der Gesetzeswortlaut „Übernahme eines Unternehmens“ suggeriert zwar den Erwerb einer Einzelfirma im Ganzen. Indes wird hierunter nach h. M. auch die Übernahme eines Betriebs, Teilbetriebs oder einer andersartigen Sachgesamtheit verstanden, sofern die übernommene Einheit in ihrem Nutzungs- und Funktionszusammenhang über eine sachliche und personelle Organisationsstruktur sowie notwendige Außenbeziehungen verfügt, mithin fähig ist, selbständig am Wirtschaftsverkehr teilzunehmen.
II. Ansatz, Ausweis und Bewertung des Goodwills in der Handelsbilanz
1. Bilanzierung dem Grunde nach (Ansatz)
Obgleich der entgeltlich erworbene Geschäfts- oder Firmenwert nicht sämtliche Eigenschaften eines Vermögensgegenstands erfüllt – konkret mangelt es an der Einzelveräußerbarkeit und Einzelverwertbarkeit –, wird qua handelsrechtlicher Gesetzesnorm der derivative Goodwill als zeitlich begrenzt nutzbarer Vermögensgegenstand fingiert und hierdurch seine Aktivierungspflicht kodifiziert (vgl. § 246 Abs. 1 Satz 4 HGB).
Mit dieser im Zuge des Inkrafttretens des Bilanzrechtsmodernisierungsgesetzes (BilMoG) im Jahr 2009 implementierten Einordnung des derivativen Geschäfts- oder Firmenwerts als Vermögensgegenstand entfiel zeitgleich das vormalige Aktivierungswahlrecht (vgl. § 255 Abs. 4 HGB a. F.). Seither unterliegt der entgeltlich erworbene Goodwill den allgemeinen Bilanzierungs- und Bewertungsvorschriften mit der Folge, dass er – dem Vollständigkeitsgrundsatz gem. § 246 Abs. 1 Satz 1 HGB folgend – zwingend zu bilanzieren und planmäßig abzuschreiben ist.
Demgegenüber unterliegt der originäre Goodwill einem strikten Ansatzverbot, da es mangels erbrachter Gegenleistung an seiner Quantifizierbarkeit und damit an der notwendigen Objektivierbarkeit mangelt. Die Möglichkeit einer Aktivierung des originären Geschäfts- oder Firmenwerts würde dem Willkürverbot als einem (wenn auch nicht explizit kodifizierten) Grundsatz ordnungsmäßiger Buchführung und Bilanzierung widersprechen.