Stl. Anerkennung eines Versorgungsvertrags bei Nichtbeachtung einer Wertsicherungsklausel; für Ertragsprognose maßgebliche Verhältnisse bei nachträglichem Verzicht auf Nießbrauchsrecht
Gesetze: EStG § 10 Abs. 1 Nr. 1a
Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),
Gründe
I. Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Eheleute, die im Streitjahr 1997 zur Einkommensteuer zusammenveranlagt wurden.
Die Mutter des Klägers (M) hatte diesem mit notariellem Vertrag vom (in der Fassung des notariellen Ergänzungsvertrags vom ) ihren Grundbesitz, zu dem auch das Gebäude B-Straße 3 gehörte, übertragen. M behielt sich ein lebenslängliches Wohnungsrecht an der Erdgeschosswohnung des Gebäudes B-Straße 3 sowie ein lebenslängliches Nießbrauchsrecht an dem gesamten Grundstück vor. Zugunsten von M wurde ferner eine brieflose Rentenschuld in Höhe von monatlich 1 000 DM vereinbart, die —aufgrund einer ergänzenden schuldrechtlichen Abrede— nur zur Auszahlung gelangen sollte, wenn Beträge, die M als Gesellschafterin einer KG zustanden, länger als einen Monat nicht ausgezahlt würden. Die Höhe der Rentenschuld wurde durch Anbindung an den Preisindex für die Kosten der Lebenshaltung wertgesichert.
In einem weiteren notariellen Vertrag vom verzichtete M auf das Wohnungs- und Nießbrauchsrecht. Nach Nr. 3 Abs. 1, 2 dieses Vertrags (in der Fassung des notariellen Ergänzungsvertrags vom ) wurde zugunsten der M eine lebenslängliche Rentenschuld von jährlich 14 400 DM vereinbart, auf die monatlich 1 200 DM zu zahlen waren. Für den Fall, dass sich der Lebenshaltungskostenindex des Statistischen Bundesamts für einen Vier-Personen-Haushalt um mehr als 5 % erhöht oder ermäßigt, sollten sich die Rentenschuldzahlungen „in gleichem Prozentsatz” erhöhen oder ermäßigen (Nr. 3 Abs. 3 des Vertrags); der Notar wies ausdrücklich auf die Genehmigungsbedürftigkeit dieser Klausel hin. Ferner wurde vereinbart, dass unter den Voraussetzungen des § 323 der Zivilprozessordnung (ZPO) eine Abänderung zu erfolgen habe.
In der Folgezeit erzielte der Kläger aus dem Grundstück B-Straße 3 Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung, die sich nach den Feststellungen des Finanzgerichts (FG) in den Jahren 1995 bis 1997 auf die folgenden Beträge beliefen:
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Jahr | Einnahmen | Einkünfte |
1995 | 18 733 DM | 15 616 DM |
1996 | 18 287 DM | 9 327 DM |
1997 | 18 239 DM | 9 279 DM |
Nachdem der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt —FA—) die Zahlungen des Klägers an M bis einschließlich 1996 als dauernde Last zum Sonderausgabenabzug zugelassen hatte, berücksichtigte er im angefochtenen Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr 1997 die gezahlten 14 400 DM (monatlich 1 200 DM) nicht. Der Vertrag sei der Besteuerung nicht zugrunde zu legen, weil die Zahlungen nicht entsprechend der Wertsicherungsklausel an die Preisentwicklung angepasst worden seien und die erforderliche Genehmigung der Wertsicherungsklausel nicht eingeholt worden sei. Auch habe der Kläger zwei wertgesicherte Geldleistungen von —anfänglich— 1 000 DM bzw. 1 200 DM erbringen müssen; tatsächlich seien aber nur 1 200 DM gezahlt worden.
Die Klage hatte Erfolg (Entscheidungen der Finanzgerichte —EFG— 2001, 1033). Das FG hielt den Kläger nicht für verpflichtet, über den sich aus dem Vertrag vom ergebenden Betrag hinaus weitere 1 000 DM aus dem Vertrag vom an M zu zahlen, da er nachgewiesen habe, dass M bei der KG ausreichend hohe Entnahmen getätigt habe. Die Nichtbeachtung der Wertsicherungsklausel hielt das FG nicht für so bedeutsam, als dass allein dieser Umstand bereits zur Nichtanerkennung des gesamten Vertrages führen könne.
Mit seiner Revision bringt das FA vor, die Rentenzahlungen hätten nicht nur die Versorgung, sondern auch den Lebensstandard der M sichern sollen; dies stehe jedoch ohne eine Anpassung der Höhe der Zahlungen in Frage. Ein fremder Dritter hätte auf die sich für den Zeitraum von 1984 bis 1997 ergebende Erhöhung um 31,4 % nicht verzichtet. Auch die Tatsache, dass die Wertsicherungsklausel nicht im Grundbuch eingetragen worden sei, spreche für die mangelhafte tatsächliche Durchführung. Die Anerkennung von Verträgen werde zu sehr vereinfacht, wenn nur noch die Hauptpflichten erfüllt werden müssten. Jedenfalls hätte das FG nur den Ertragsanteil der Rentenzahlungen als Sonderausgaben abziehen dürfen, da tatsächlich keine Abänderung erfolgt sei.
Das FA beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kläger beantragen,
die Revision zurückzuweisen.
Nach einem Hinweis des Senats auf den (BFHE 202, 464, BStBl II 2004, 95) haben die Kläger mitgeteilt, für die Zeit der Vermögensübergabe —die sie auf das Jahr 1973 datieren— stünden keine Unterlagen mehr zur Verfügung.
II. Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der nicht spruchreifen Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung —FGO—).
Das FG hat zu Recht erkannt, dass der Verzicht der M auf das ihr eingeräumte Nießbrauchsrecht Gegenstand einer Vermögensübergabe gegen Versorgungsleistungen sein konnte (dazu unten 1.). Revisionsrechtlich nicht zu beanstanden ist auch die Würdigung des FG, dass das Vertragsverhältnis trotz der Nichtbeachtung der vereinbarten Wertsicherungsklausel der Besteuerung zugrunde zu legen sei (dazu unten 2.). Der Senat kann allerdings nicht abschließend entscheiden, weil das FG nicht festgestellt hat, ob die Nettoerträge des übertragenen Vermögens zur Erbringung der Versorgungsleistungen ausreichen (dazu unten 3.).
1. Als Sonderausgaben abziehbar sind die auf besonderen Verpflichtungsgründen beruhenden Renten und dauernden Lasten, die nicht mit Einkünften in Zusammenhang stehen, die bei der Veranlagung außer Betracht bleiben (§ 10 Abs. 1 Nr. 1 a des Einkommensteuergesetzes —EStG—). Dauernde Lasten sind in vollem Umfang abziehbar; Leibrenten können nur mit dem Ertragsanteil abgezogen werden, der sich aus der in § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a EStG aufgeführten Tabelle ergibt (§ 10 Abs. 1 Nr. 1 a Satz 2 EStG).
Werden wiederkehrende Leistungen in sachlichem Zusammenhang mit der Übertragung von Vermögen im Wege der vorweggenommenen Erbfolge zugesagt (private Versorgungsrenten), stellen diese weder Veräußerungsentgelt des Übergebers noch Anschaffungskosten des Übernehmers dar, sondern sind spezialgesetzlich den Sonderausgaben (§ 10 Abs. 1 Nr. 1 a EStG) und den wiederkehrenden Bezügen (§ 22 Nr. 1 Satz 1 EStG) zugeordnet (, BFHE 184, 337, BStBl II 1997, 813 unter II. 1. b, mit zahlreichen weiteren Nachweisen). Auch die Anwendung des für Unterhaltsleistungen geltenden Abzugsverbots des § 12 Nr. 1, 2 EStG ist durch das Sonderrecht der Vermögensübergabe gegen Versorgungsleistungen spezialgesetzlich ausgeschlossen, weil die steuerrechtliche Zurechnung der Versorgungsleistungen zu den Sonderausgaben und den wiederkehrenden Bezügen auf dem Umstand beruht, dass sich der Vermögensübergeber in Gestalt der Versorgungsleistungen typischerweise Erträge seines Vermögens vorbehält, die nunmehr allerdings vom Vermögensübernehmer erwirtschaftet werden müssen (BFH-Entscheidungen vom GrS 4-6/89, BFHE 161, 317, BStBl II 1990, 847 unter C. II. 1. c; vom GrS 1/90, BFHE 165, 225, BStBl II 1992, 78 unter C. II. 3. a, 4. a; vom X R 141/88, BFHE 166, 564, BStBl II 1992, 499 unter 2. a; in BFHE 184, 337, BStBl II 1997, 813 unter II. 2. a; vom X R 46/97, BFHE 189, 497, BStBl II 2000, 188 unter III. 6. a; in BFHE 202, 464, BStBl II 2004, 95 unter C. II. 2. c).
Zu Recht ist das FG davon ausgegangen, dass auch der Verzicht auf ein dem Übergeber zustehendes Nießbrauchsrecht —als vermögenswerter Gegenstand des Rechtsverkehrs— Objekt einer Vermögensübergabe gegen Versorgungsleistungen sein kann (, BFH/NV 1994, 848 unter 2. b; vgl. auch , BStBl I 2002, 893 Tz. 9).
2. Revisionsrechtlich nicht zu beanstanden ist die Gesamtwürdigung des FG, dass allein die Nichtbeachtung der Wertsicherungsklausel im Streitfall nicht den Schluss rechtfertige, die Parteien hätten ihren vertraglichen Pflichten insgesamt nicht mehr nachkommen wollen. Zur Vermeidung von Wiederholungen verweist der Senat insoweit auf sein zur amtlichen Veröffentlichung vorgesehenes Urteil vom heutigen Tage X R 14/01 unter II. 6.
Rechtsfehlerfrei hat das FG bei seiner Gesamtwürdigung auch den Gesichtspunkt berücksichtigt, dass die Versorgung der M durch Entnahmen aus der KG sichergestellt war, die den im Vertrag vom vereinbarten Mindestbetrag überstiegen. Denn wenn die Parteien des Versorgungsvertrags von einer vereinbarten Wertsicherungsklausel keinen Gebrauch machen, können sie damit auch zum Ausdruck bringen, dass nach ihrer Einschätzung die aktuelle Versorgungssituation eine Anpassung des Zahlbetrags nicht erfordert.
Die Revisionsbegründung des FA gibt keinen Anlass, die Gesamtwürdigung des FG in Frage zu stellen. Die Behauptung, die Wertsicherungsklausel sei nicht im Grundbuch eingetragen worden, stellt einen neuen Tatsachenvortrag dar, der im Revisionsverfahren unzulässig ist (§ 118 Abs. 2 FGO). Das weitere Vorbringen, die Anerkennung von Verträgen werde zu sehr vereinfacht, wenn nur noch die Hauptpflichten erfüllt werden müssten, geht von einem unzutreffenden Verständnis der höchstrichterlichen Rechtsprechung aus: Maßgebend für die Beurteilung der Frage, ob zwischen nahen Angehörigen abgeschlossene Verträge der Besteuerung zugrunde zu legen sind, ist die Gesamtheit der objektiven Gegebenheiten (vgl. die Nachweise unter 1.). Auch dann, wenn die Hauptpflichten wie unter fremden Dritten vereinbart und vertragsgemäß erfüllt worden sind, kann die vorzunehmende Gesamtwürdigung aufgrund anderweitiger Indizien durchaus zu dem Ergebnis führen, dass die Parteien der Vereinbarung keine rechtliche Bindungswirkung beigemessen haben.
Die Nichtbeachtung der Wertsicherungsklausel ist für die Beurteilung der vereinbarten Leistungen als grundsätzlich abänderbar ohne Bedeutung (vgl. Senatsurteil X R 14/01 unter II. 3.).
3. Eine abschließende Entscheidung ist dem Senat allerdings verwehrt, weil das FG nicht festgestellt hat, ob die Nettoerträge des übertragenen Vermögens zur Erbringung der Versorgungsleistungen ausreichen.
a) Das Sonderrecht der Vermögensübergabe gegen Versorgungsleistungen —und die damit verbundene Privilegierung— kommt nur dann zur Anwendung, wenn die Versorgungsleistungen aus den Nettoerträgen des übertragenen Vermögens erbracht werden können (BFH-Beschluss in BFHE 202, 464, BStBl II 2004, 95).
Für die erforderliche Ertragsprognose sind grundsätzlich die Verhältnisse des Jahres der Übergabe und der beiden vorangegangenen Jahre maßgeblich. Ausgangspunkt sind die steuerlichen Einkünfte, die allerdings um Absetzungen für Abnutzung, erhöhte Absetzungen und Sonderabschreibungen sowie um außerordentliche Aufwendungen zu bereinigen sind (vgl. BFH-Beschluss in BFHE 202, 464, BStBl II 2004, 95 unter C. II. 6. b aa, c).
Jedenfalls dann, wenn —wie hier— aus Anlass des Verzichts der Übergeberin auf das Nießbrauchsrecht weitere Versorgungsleistungen vereinbart werden, sind für die Ertragsprognose nicht die Verhältnisse im Zeitpunkt der ursprünglichen Vermögensübergabe, sondern diejenigen im Zeitpunkt des Verzichts auf das Nießbrauchsrecht und der Vereinbarung der weiteren Versorgungsleistungen zugrunde zu legen. Im Streitfall kommt es daher —anders als die Kläger meinen— nicht auf die Ertragssituation des Jahres 1973, sondern auf die des Jahres 1981 an.
b) Für den Fall, dass die Verhältnisse des für die Ertragsprognose maßgebenden Zeitraums nicht mehr aufklärbar sein sollten, weist der Senat vorsorglich darauf hin, dass die Kläger weder materiell- noch verfahrensrechtlich Anlass hatten, für diese weit zurückliegenden Umstände Beweisvorsorge zu treffen. Die für die Vermögensübergabe gegen Versorgungsleistungen maßgebende Dogmatik der vorbehaltenen Vermögenserträge ist erst ab dem Jahre 1990 präzisiert worden (u.a. Beschlüsse des Großen Senats in BFHE 161, 317, BStBl II 1990, 847, und in BFHE 165, 225, BStBl II 1992, 78). Vor einer Anwendung der Beweislastgrundsätze wird das FG daher in Abweichung von den allgemeinen Regeln einer strengen Überzeugungsbildung (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO) ein Absenken des Beweismaßes in Erwägung ziehen müssen (vgl. dazu , BFHE 156, 38, BStBl II 1989, 462, und vom IX R 19/98, BFHE 188, 264, BStBl II 1999, 407). Auf dieser Grundlage mag eine Ertragsprognose für die Zeit der Vermögensübergabe auch unter Verwendung von Ertragsdaten späterer Zeiträume getroffen werden können.
Umgekehrt kann das FG bei Anwendung eines solchermaßen abgesenkten Beweismaßes auch berücksichtigen, dass die Vertragsparteien im notariellen Ergänzungsvertrag vom —sieben Jahre vor der hier maßgebenden Vermögensübergabe— den Jahreswert des Nießbrauchsrechts mit 4 800 DM angegeben haben. Nach der Rechtsprechung des Senats kann der in einem notariellen Vertrag angegebene Wert als Anhaltspunkt für den von den Parteien angenommenen Umfang und die Größenordnung des eingeräumten Rechts dienen, sofern keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Vertragsparteien diesen Wert aus sachfremden Gesichtspunkten niedriger beziffert haben als es den tatsächlichen Verhältnissen entspricht (, BFH/NV 2000, 418 unter II. 3. b, und vom X R 50/98, BFH/NV 2000, 1089 unter II. 2. d, m.w.N.).
c) Durch die Zurückverweisung erhält das FA auch Gelegenheit, außerhalb des anhängigen Verfahrens entsprechend dem (BStBl I 2004, 191) aus Gründen des Vertrauensschutzes hinsichtlich der Frage des Vorhandenseins ausreichender Nettoerträge eine Billigkeitsmaßnahme zu treffen, sofern die Kläger und M übereinstimmend erklären, an der Behandlung der Vermögensübergabe nach den bisher von der Finanzverwaltung vertretenen Auslegungsgrundsätzen (BMF-Schreiben in BStBl I 2002, 893) festhalten zu wollen.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2004 S. 1095
BFH/NV 2004 S. 1095 Nr. 8
KÖSDI 2004 S. 14322 Nr. 9
XAAAB-22225