BGH Beschluss v. - 3 StR 454/21

Werben um Mitglieder und Unterstützer für eine terroristische Vereinigung im Ausland und Verbreiten von Gewaltdarstellungen über eine Chatgruppe: Konkurrenzverhältnis bei vielfachem Überlassen unterschiedlicher Videodateien zu verschiedenen Zeitpunkten; Konkurrenzverhältnis zwischen Anwerbetätigkeit und Verbreitung von Gewaltdarstellungen

Gesetze: § 53 Abs 1 StGB, § 129a Abs 1 StGB, § 129a Abs 5 S 2 StGB, § 129b S 1 StGB, § 129b S 2 StGB, § 131 Abs 1 S 1 Nr 1 Buchst b StGB vom , § 131 Abs 1 S 1 Nr 2 StGB vom , § 131 Abs 1 S 1 Nr 3 StGB vom

Instanzenzug: Az: III-2 StS 1/21

Gründe

1Das Oberlandesgericht hat den Angeklagten wegen Werbens um Mitglieder oder Unterstützer für eine terroristische Vereinigung im Ausland in vier Fällen, davon in zwei Fällen jeweils in Tateinheit mit Gewaltdarstellung, wegen Gewaltdarstellung in sechs Fällen, davon in einem Fall in drei tateinheitlich zusammentreffenden Fällen, wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in fünf Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Herstellen kinderpornographischer Schriften und in einem Fall mit Besitz kinderpornographischer Schriften, sowie wegen Nötigung zu einer Jugendstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Zudem hat es eine Einziehungsentscheidung getroffen. Der Angeklagte rügt mit seiner nicht weiter ausgeführten Revision die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

21. Die sachliche Zuständigkeit des Oberlandesgerichts nach § 120 Abs. 1 und 2 GVG ist in der gegebenen Konstellation nicht von Amts wegen zu klären. Eine solche Prüfung ist ungeachtet von §§ 269, 210 Abs. 1, § 336 Satz 2 StPO im Allgemeinen lediglich dann eröffnet und geboten, wenn die erstinstanzliche Zuständigkeit eines Oberlandesgerichts nach Anklageerhebung durch den Generalbundesanwalt und mithin eine Abgrenzung zwischen der Zuständigkeit der Bundes- und der Länderjustiz in Rede steht (vgl. , BGHSt 46, 238, 240 f., 247 f.; daran anschließend LR/Stuckenberg, StPO, 26. Aufl., § 269 Rn. 13; MüKoStPO/Moldenhauer, § 269 Rn. 9; SK-StPO/Frister, 5. Aufl., § 269 Rn. 10). Wesentliche Grundlage hierfür ist, dass insoweit nicht allein der hierarchische Gerichtsaufbau, sondern die grundgesetzliche Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern betroffen ist. Dies hat nicht nur Auswirkungen auf die Ermittlungsbehörde und das Gericht (vgl. § 120 Abs. 6 GVG), sondern auch auf die Zuständigkeiten für die Strafvollstreckung und das Gnadenrecht (vgl. BGH, aaO S. 241 ff.). Derartige Folgen ergeben sich indes nicht, wenn ein Oberlandesgericht aufgrund einer Anklage einer Generalstaatsanwaltschaft, mithin einer Staatsanwaltschaft des Landes, tätig wird. Daher hat sich der Bundesgerichtshof bei Revisionen gegen Urteile eines Oberlandesgerichts nach Anklageerhebung durch eine Generalstaatsanwaltschaft generell nicht von sich aus mit dessen sachlicher Zuständigkeit zu befassen. Inwieweit in Fällen objektiver Willkür anderes gelten kann (vgl. , BGHR StPO § 269 Unzuständigkeit 9 Rn. 15 ff. mwN; Beschluss vom - 3 StR 221/18, NStZ 2020, 291 Rn. 10), ist hier nicht näher zu erörtern, weil eine solche ersichtlich nicht vorliegt.

32. Die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Dies gilt auch, soweit der Generalbundesanwalt die konkurrenzrechtliche Bewertung in den Urteilsgründen hinsichtlich einzelner Punkte für fraglich hält und eine Schuldspruchänderung beantragt hat.

4a) Das Oberlandesgericht hat, soweit insofern von Belang, folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

5Der Angeklagte speicherte auf seinem Mobiltelefon neun verschiedene - unter II. 3. a. aa. bis ii. der Urteilsgründe näher dargestellte - Videodateien, die entweder die Hinrichtung von Menschen oder das Abhacken eines Fingergliedes in einer heroischen, glorifizierenden Art zeigten. Er versandte in insgesamt zehn Fällen die Dateien, eine davon an zwei Personen. Empfänger der Dateien waren vier Mal eine Chatgruppe, zu der Minderjährige gehörten, und sechs Mal individuelle Minderjährige. Zwei dieser Empfänger sowie eine Angehörige der Chatgruppe wollte der Angeklagte im Übrigen durch weitere Bemühungen für eine Ausreise nach Syrien und einen gemeinsamen Anschluss an den "Islamischen Staat" (IS) gewinnen. Drei Videos übersandte er innerhalb rund einer Minute an die Chatgruppe.

6Wegen dieses engen zeitlichen Zusammenhanges hat das Oberlandesgericht angenommen, dass die drei Versendungen in Tateinheit stünden. Soweit der Angeklagte in zwei Fällen Videodateien an die für den IS geworbenen Personen geschickt habe, liege jeweils Tateinheit zwischen dem Werben um Mitglieder oder Unterstützer für eine terroristische Vereinigung im Ausland einerseits und der Gewaltdarstellung andererseits vor. Daneben verbleiben fünf weitere tatmehrheitliche Fälle der Gewaltdarstellung.

7b) Diese rechtliche Würdigung enthält keinen den Angeklagten belastenden Rechtsfehler.

8aa) Das vielfache Überlassen (§ 131 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b StGB) unterschiedlicher Videodateien zu verschiedenen Zeitpunkten steht grundsätzlich in Tatmehrheit (§ 53 Abs. 1 StGB). Dies gilt unabhängig davon, ob der Angeklagte mehrere versandte Dateien gleichzeitig im Sinne des § 131 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 (Nr. 2 nF) StGB vorrätig hielt. Eine solche Vorbereitungshandlung wird nämlich durch ein tatsächliches Verwenden verdrängt (s. entsprechend zu § 130 Abs. 2, § 86a Abs. 1 StGB , BGHR StGB § 130 Abs. 2 Verbreiten 2 Rn. 13; vgl. auch zu § 184b Abs. 1 StGB BGH, Beschlüsse vom - 3 StR 174/09, juris Rn. 26; vom - 3 StR 180/18, juris Rn. 21).

9bb) Dass der Angeklagte sich in Bezug auf eine der Teilnehmerinnen der Chatgruppe ferner darum bemühte, sie für einen Anschluss an den IS zu gewinnen, begründet hier keine Tateinheit zwischen dem Werben für eine terroristische Vereinigung im Ausland gemäß § 129a Abs. 5 Satz 2, Abs. 1, § 129b Satz 1 und 2 StGB und der Gewaltdarstellung nach § 131 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b StGB.

10Nach den allgemeinen Maßstäben sind unterschiedliche Handlungen grundsätzlich für sich zu betrachten, sofern nicht ausnahmsweise (etwa nach dem jeweils in Betracht kommenden Tatbestand oder nach der Enge des Zusammenhangs) eine Bewertung als Tateinheit geboten ist. Selbst bei mehrfachem Werben liegt in der Regel Tatmehrheit vor (s. BGH, Beschlüsse vom - AK 34/17, NStZ-RR 2017, 347, 348; vom - AK 33/19, juris Rn. 30; vgl. auch , juris Rn. 11 ff., 30, 38). Dabei erfordert ein Werben im Sinne des § 129a Abs. 5 Satz 2 StGB eine Gedankenäußerung, die sich nach dem Verständnis des Adressaten als Werbung zugunsten einer konkreten terroristischen Vereinigung darstellt (s. , BGHR StGB § 129a Abs. 5 Werben 4 Rn. 11).

11Daran gemessen handelt es sich um mehrere materiell-rechtliche Taten. Nach den konkreten Umständen ist das Übersenden eines nicht organisationsbezogenen Videos an die Chatgruppe kein Teilakt der eine konkrete Chatteilnehmerin betreffenden werbenden Tätigkeit. Das Video stellt für sich genommen keine Werbung für eine terroristische Vereinigung dar. Aus den Feststellungen ergibt sich weder ein Organisationsbezug noch eine entsprechende Kommentierung durch den Angeklagten. Überdies handelte es sich bei den vom Oberlandesgericht festgestellten Werbebemühungen um individuelle, auf einen Anschluss an den IS zielende Ansprachen der Minderjährigen zwischen dem 7. Februar und dem . Demgegenüber richtete sich das am übersandte Video an die gesamte Chatgruppe aus elf Teilnehmern. Dass die Empfängerin das Video laut der Beweiswürdigung in einen Zusammenhang mit weiteren individuell erhaltenen Dateien gestellt hat, reicht nicht aus, die an die Gruppe weitergeleitete Gewaltdarstellung mit den die Zeugin betreffenden Werbebemühungen für den IS im Sinne einer Tateinheit zu verbinden.

12cc) Schließlich ist die ausgeurteilte Anzahl von Gewaltdarstellungen zutreffend. Hierfür ist maßgeblich, dass der Angeklagte das in den Urteilsgründen unter II. 3. a. aa. dargestellte Video an zwei unterschiedliche Minderjährige -     B.   und     S.    - übersandte und damit zwei Mal überließ. Hieran ändert derselbe Inhalt nichts.

13c) Der Senat kann die Revision gemäß § 349 Abs. 2 StPO durch Beschluss verwerfen; denn der Generalbundesanwalt hat lediglich eine Änderung des Schuldspruchs, nicht aber eine Aufhebung des Strafausspruchs beantragt (vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom - 3 StR 379/19, wistra 2020, 105 Rn. 11 mwN; vom - 1 StR 214/09, wistra 2009, 398).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:220322B3STR454.21.0

Fundstelle(n):
SAAAJ-18391