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FG Berlin-Brandenburg Urteil v. - 16 K 2059/21

Gesetze: AO § 2a Abs. 1 S. 1, AO § 2a Abs. 1 S. 2, AO § 29b Abs. 2, AO § 30 Abs. 1, AO § 30 Abs. 4, AO § 32b, AO § 32c, AO § 32 f., AO § 32h, VO (EU) Nr. 679/2016 Art. 2 Abs. 1, VO (EU) Nr. 679/2016 Art. 4 Nr. 1, VO (EU) Nr. 679/2016 Art. 4 Nr. 2, VO (EU) Nr. 679/2016 Art. 4 Nr. 7, VO (EU) Nr. 679/2016 Art. 6 Abs. 1, VO (EU) Nr. 679/2016 Art. 6 Abs. 2, VO (EU) Nr. 679/2016 Art. 6 Abs. 3, VO (EU) Nr. 679/2016 Art. 9 Abs. 2, VO (EU) Nr. 679/2016 Art. 12 Abs. 5 S. 1, VO (EU) Nr. 679/2016 Art. 12 Abs. 5 S. 2, VO (EU) Nr. 679/2016 Art. 14 Abs. 5 Buchst. b, VO (EU) Nr. 679/2016 Art. 15 Abs. 1, VO (EU) Nr. 679/2016 Art. 15 Abs. 3 S. 1, VO (EU) Nr. 679/2016 Art. 15 Abs. 3 S. 2, VO (EU) Nr. 679/2016 Art. 17 Abs. 1 Buchst. d, VO (EU) Nr. 679/2016 Art. 21 Abs. 1, VO (EU) Nr. 679/2016 Art. 24, VO (EU) Nr. 679/2016 Art. 32, VO (EU) Nr. 679/2016 Art. 33, BDSG § 22, BDSG § 33, BDSG § 42, BDSG § 46, BDSG § 48, BDSG § 65, BDSG § 66, BDSG § 67, BDSG § 76, GG Art. 1, GG Art. 2, GG Art. 20, GRCh Art. 8, StGB § 203, StGB § 355, FGO § 40 Abs. 2, FGO § 41 Abs. 1, FGO § 41 Abs. 2 S. 1, FGO § 86 Abs. 3, FGO § 100 Abs. 1 S. 4, FGO § 155 S. 1, AEUV Art. 288, ZPO § 256 Abs. 2

Datenschutzrechtliche Rechte des Steuerpflichtigen in Bezug auf die Verarbeitung von den Steuerpflichtigen betreffenden personenbezogenen Daten durch das Finanzamt im Rahmen der Durchführung der Besteuerung von Dritten, an deren Besteuerungsverfahren der Steuerpflichtige selbst nicht beteiligt ist

Abgrenzung einer Feststellungsklage von einer Fortsetzungsfeststellungsklage

Unzulässigkeit einer Zwischenfeststellungsklage im Finanzprozess

Sachentscheidungsvoraussetzungen für allgemeine Feststellungsklagen

keine Geltung der ärztlichen Schweigepflicht für das Finanzamt

Verfahren über Aktenvorlage nach § 86 Abs. 3 FGO

Vereinbarkeit der Datenschutzbestimmungen der AO mit höherrangigem Recht

Leitsatz

1. Die VO (EU) Nr. 679/2016 (Datenschutz-GrundverordnungDSGVO –) ist ist im Bereich der Steuerverwaltung auch bei der Verwaltung der direkten Steuern anwendbar (vgl. , EFG 2021 S. 1789; Abgrenzung zu , EFG 2020 S. 665); das gilt auch, soweit es um die Speicherung von personenbezogenen Daten des Steuerpflichtigen im Rahmen der Besteuerung Dritter (hier: Ehefrau) geht.

2. Die in Art. 15 Abs. 1 DSGVO verankerten Betroffenenrechte verleihen dem Steuerpflichtigen bei Behörden, die große Mengen an Informationen verarbeiten, keinen Anspruch auf Auskunftserteilung, wenn das Auskunftsverlangen nicht spezifiziert und weder in gegenständlicher noch zeitlicher Hinsicht limitiert ist. Die Behörde kann vor einer Auskunftserteilung verlangen, dass die auskunftsersuchende Person präzisiert, auf welche Information oder welche Verarbeitungsvorgänge sich ihr Auskunftsersuchen konkret bezieht.

3. Ein nahezu allumfassendes, jegliche Daten in einem Zeitraum von mehreren Jahrzehnten betreffendes Auskunftsbegehren ist als exzessiv im Sinne von Art. 12 Abs. 5 DSGVO anzusehen, damit unzulässig und kann von der Behörde abgelehnt werden. Insoweit kommt auch eine anspruchserhaltende inhaltliche oder zeitliche Reduktion auf einen zulässigen Antrag nicht in Betracht.

4. Die in Art. 15 Abs. 3 DSGVO verankerten Betroffenenrechte verleihen dem Steuerpflichtigen keinen Anspruch auf Zurverfügungstellung von Kopien personenbezogener Daten in Gestalt von (elektronischen) Doppeln ganzer Akten durch das Finanzamt (restriktive Auslegung von Art. 15 Abs. 3 DSGVO auf der Basis der EuGH-Rechtsprechung zu Art. 12 der Datenschutzrichtlinie als einer unmittelbaren Vorgängerregelung zu Art. 15 DSGVO; Anschluss an ).

5. Versucht der Steuerpflichtige, den Auskunftsanspruch zweckwidrig zu nutzen, um Zugang zu ganzen Beständen ihn betreffender Verwaltungsdokumente zu erlangen, kann er sich insoweit nicht erfolgreich auf Art. 15 DSGVO stützen bzw. steht dem Anspruchsgegner für diese Fälle ein Leistungsverweigerungsrecht nach Art. 12 Abs. 5 Satz 2 DSGVO zu.

6. Die bei der Besteuerung der Ehefrau vom Finanzamt verarbeiteten Daten des Steuerpflichtigen (persönliche Daten wie Name, Anschrift, Geburtsdatum; Personenstand verheiratet; Verwandtschaftsverhältnisse z. B. als Elternteil; Erfassung von Anrufen beim Finanzamt in Funktion als Auskunftsperson in der Verwaltungsakte der Ehefrau; wirtschaftliche Aktivitäten wie der Erwerb von Fachbücher, die bei der freiberuflich tätigen Ehefrau nicht zum Betriebsausgabenabzug zugelassen worden sind) sind nicht unter Verstoß gegen gesetzliche Befugnisse des Steuerpflichtigen im Sinne der DSGVO verarbeitet worden. Insoweit hat der Steuerpflichtige keinen Anspruch darauf, dass diese Daten inklusive aller Archive und Datensicherungen im Sinne des Art. 4 DSGVO vollständig und sicher gelöscht werden.

7. Soweit der Steuerpflichtige beantragt, die Finanzbehörde zu verurteilen, allen Dritten, an die Daten des Steuerpflichtigen weitergeleitet wurden, mitzuteilen, dass diese Daten rechtswidrig erlangt und rechtswidrig weitergegeben wurden, ist die Klage unzulässig.

8. Die Vorschriften des BDSG sind im Bereich der Steuerverwaltungen im Wesentlichen nicht anwendbar. So besteht kein Anspruch des Steuerpflichtigen nach § 76 BDSG auf Auskunft darüber, wer auf Seiten des Finanzamts Zugang zu Daten des Steuerpflichtigen hatte und warum dieser Zugang gewährt wurde.

9. Es besteht kein Anspruch des Steuerpflichtigen auf Information darüber, von wem die Finanzbehörde Daten des Steuerpflichtigen erhalten hat.

10. Die geringeren Anforderungen an das Vorliegen eines Feststellungsinteresses bei einer Fortsetzungsfeststellungsklage im Sinne des § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO sind nicht auf allgemeine Feststellungsklagen im Sinne des § 41 Abs. 1 FGO zu übertragen.

11. Die Zulässigkeit einer Zwischenfeststellungsklage im Sinne des § 256 Abs. 2 ZPO ist im Anwendungsbereich der FGO zu verneinen, da unter anderem § 41 FGO eine eigenständige und in sich abgeschlossene Regelung zur Feststellungsklage enthält; eine Lücke, die nach § 155 Satz 1 FGO die ergänzende Anwendbarkeit der Regelungen der ZPO eröffnen würde, besteht daher nicht.

12. Eine allgemeine Feststellungsklage ist nur bei Erfüllung spezieller Sachentscheidungsvorausetzungen zulässig, z. B. dass

  • der Kläger substantiiert und in sich schlüssig vorbringt, dass – die Richtigkeit des Vortrags unterstellt – eine Gefährdung des Klägers in eigenen Rechten als möglich erscheint,

  • ein schützenswertes ideelles oder wirtschaftliches Interesse geltend gemacht wird (die Feststellung einer steuerrechtlichen Rechtslage zur Vorbereitung eines Zivilprozesses reicht regelmäßig nicht aus, um die Zulässigkeit der Feststellungsklage zu begründen, da die Zivilgerichte steuerliche Vorfragen selbst zu entscheiden haben),

  • die Möglichkeit, Rechtsschutz im Wege der Gestaltungs- oder Leistungsklage zu erlangen, ausgeschlossen ist.

13. Eine allgemeine Feststellungsklage, es solle festgestellt werden, dass das Finanzamt seiner Informationspflicht nach Art. 14 DSGVO, § 33 BDSG, § 46 BDSG nicht nachgekommen sei, ist bereits aufgrund der Subsidiaritat der Feststellungsklage gegenüber der Leistungsklage unzulässig.

14. Es besteht grundsätzlich ein Entscheidungsspielraum des Verantwortlichen, in welcher Form er die gebotenen Informationen im Sinne der Art. 12 ff. DSGVO in ausreichendem Umfang bereitstellt. Jedenfalls muss die gewählte Form der betroffenen Person tatsächlich eine hinreichende Möglichkeit zur Kenntnisnahme vermitteln.Insoweit ist es nicht zu beanstanden, wenn das Finanzamt die Datenschutzhinweise in elektronischer Form im Internet unter der Webadresse www.finanzamt.de hinterlegt.

15. Die in Art. 24 DSGVO verankerte Verpflichtung zur Umsetzung geeigneter technischer und organisatorischer Maßnahmen dient dem Ziel, sicherstellen und nachweisen zu können, dass die Verarbeitung im Einklang mit der DSGVO erfolgt. Der in Art. 32 DSGVO niedergelegte Grundsatz des Datenschutzes durch Datensicherheitsmaßnahmen konkretisiert die in Art. 24 DSGVO generell geregelten Datensicherheitsmaßnahmen beim Umgang mit personenbezogenen Daten. Die in Bezug genommenen Vorschriften gewähren dem Steuerpflichtigen keine individuellen subjektiv-öffentlichen Rechte, sondern verfolgen übergeordnete Ziele im Gemeininteresse (objektives Recht).

16. Soweit der Kläger beantragt festzustellen,

  • dass das Finanzamt nicht die notwendige qualifizierte IT-Sicherheit nach ISO 27001 (IT Grundschutz) zum Zeitpunkt des Beginns der Datenverarbeitung erbringen könne (Art. 32 DSGVO in Verbindung mit § 32h AO),

  • dass das Finanzamt versucht habe, den Kläger durch fehlende und falsche Auskunft seiner rechtlichen Möglichkeiten nach Kapitel VIII. der DSGVO, §§ 36, 66 BDSG zu berauben,

  • dass das Finanzamt die notwendigen Meldungen nach der DSGVO an den Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (BfDI) nicht oder nicht rechtzeitig erbracht habe (Art. 33 DSGVO, § 65 BDSG),

  • dass das Finanzamt die erforderliche Datenschutz-Folgenabschätzung nicht durchgeführt habe (§ 67 BDSG),

  • dass das Finanzamt Datenschutzverletzungen nach der DSGVO und BDSG begangen habe, indem es ohne Rechtsgrund Daten des Klägers im Rahmen von Außenprüfungen bei Dritten erhoben habe und dafür bei dem Finanzamt auch kein Bedarf bestehe,

  • dass das Finanzamt in das Grundrecht der informationellen Selbstbestimmung des Klägers eingegriffen habe (Art. 1 GG in Verbindung mit Art. 2 GG, Art. 8 GRCh, EMRK, § 48 BDSG),

  • dass das Finanzamt in die private Lebensführung des Klägers eingegriffen und damit dessen Würde verletzt habe (Art. 1 GG in Verbindung mit Art. 2 GG, Art. 8 GRCh),

ist die Feststellungsklage teils aufgrund der Subsidiarität der Feststellungsklage gegenüber der Leistungsklage, teils mangels Klagebefugnis und teils mangels Feststellungsinteresses des Klägers unzulässig.

17. Soweit der Kläger beantragt festzustellen, dass das Finanzamt eine illegale Vorratsdatenspeicherung betreibe, indem es rechtswidrig erlangte Daten nicht lösche und eine Verwertung dieser nicht verhindert habe, ist die Klage als Popularklage mangels Klagebefugnis und Feststellungsinteresse des Klägers unzulässig.

18. Eine Verletzung des Steuergeheimnisses liegt weder durch Weitergabe geschützter Daten durch ein Finanzamt an die Senatsverwaltung für Finanzen noch an den Bundesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit vor.

19. Der ärztlichen Schweigepflicht unterliegt nur der Arzt, nicht das Finanzamt (vgl. § 203 StGB). Das Finanzamt kann daher keine ärztliche Schweigepflicht verletzen.

20. Soweit der Kläger beantragt festzustellen, dass Teile der Abgabenordnung, welche die Informationspflichten an die Betroffenen, bei denen die Daten nicht direkt erhoben worden sind (Datenerhebung bei Dritten), nicht mit höherrangigem Recht vereinbar sind und insbesondere gegen die Grundrechtecharta, gegen die EMRK und das Grundgesetz verstoßen (namentlich unter anderem §§ 32b, 32c, 32f AO), ist die Klage unzulässig.

21. Es bestehen keine Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der zur Ergänzung und Ausgestaltung der unionsrechtlichen Regelungen der DSGVO erlassenen nationalen Vorschriften der AO.

22. Voraussetzung für eine Entscheidung des BFH nach § 86 Abs. 3 FGO ist, dass die vom Finanzgericht angeforderten Unterlagen von der Finanzbehörde nicht vollständig vorgelegt werden und das Gericht auch noch zum Zeitpunkt der erstrebten Entscheidung des BFH an der lückenlosen Vorlage festhält. Das Hauptsacheverfahren ist fortzusetzen, wenn die streitigen Unterlagen von der Finanzbehörde nunmehr vorgelegt werden, das FG an seiner Vorlageaufforderung nicht mehr festhält und der Antrag nach § 86 Abs. 3 FGO damit unzulässig wird.

Fundstelle(n):
GAAAI-59903

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