Datenschutzrechtliche Rechte des Steuerpflichtigen in Bezug auf die Verarbeitung von den Steuerpflichtigen betreffenden personenbezogenen
Daten durch das Finanzamt im Rahmen der Durchführung der Besteuerung von Dritten, an deren Besteuerungsverfahren der Steuerpflichtige
selbst nicht beteiligt ist
Abgrenzung einer Feststellungsklage von einer Fortsetzungsfeststellungsklage
Unzulässigkeit einer Zwischenfeststellungsklage im Finanzprozess
Sachentscheidungsvoraussetzungen für allgemeine Feststellungsklagen
keine Geltung der ärztlichen Schweigepflicht für das Finanzamt
Vereinbarkeit der Datenschutzbestimmungen der AO mit höherrangigem Recht
Leitsatz
1. Die VO (EU) Nr. 679/2016 (Datenschutz-Grundverordnung – DSGVO –) ist ist im Bereich der Steuerverwaltung auch bei der Verwaltung
der direkten Steuern anwendbar (vgl. , EFG 2021 S. 1789; Abgrenzung zu
, EFG 2020 S. 665); das gilt auch, soweit es um die Speicherung von personenbezogenen
Daten des Steuerpflichtigen im Rahmen der Besteuerung Dritter (hier: Ehefrau) geht.
2. Die in Art. 15 Abs. 1 DSGVO verankerten Betroffenenrechte verleihen dem Steuerpflichtigen bei Behörden, die große Mengen
an Informationen verarbeiten, keinen Anspruch auf Auskunftserteilung, wenn das Auskunftsverlangen nicht spezifiziert und weder
in gegenständlicher noch zeitlicher Hinsicht limitiert ist. Die Behörde kann vor einer Auskunftserteilung verlangen, dass
die auskunftsersuchende Person präzisiert, auf welche Information oder welche Verarbeitungsvorgänge sich ihr Auskunftsersuchen
konkret bezieht.
3. Ein nahezu allumfassendes, jegliche Daten in einem Zeitraum von mehreren Jahrzehnten betreffendes Auskunftsbegehren ist
als exzessiv im Sinne von Art. 12 Abs. 5 DSGVO anzusehen, damit unzulässig und kann von der Behörde abgelehnt werden. Insoweit
kommt auch eine anspruchserhaltende inhaltliche oder zeitliche Reduktion auf einen zulässigen Antrag nicht in Betracht.
4. Die in Art. 15 Abs. 3 DSGVO verankerten Betroffenenrechte verleihen dem Steuerpflichtigen keinen Anspruch auf Zurverfügungstellung
von Kopien personenbezogener Daten in Gestalt von (elektronischen) Doppeln ganzer Akten durch das Finanzamt (restriktive Auslegung
von Art. 15 Abs. 3 DSGVO auf der Basis der EuGH-Rechtsprechung zu Art. 12 der Datenschutzrichtlinie als einer unmittelbaren
Vorgängerregelung zu Art. 15 DSGVO; Anschluss an ).
5. Versucht der Steuerpflichtige, den Auskunftsanspruch zweckwidrig zu nutzen, um Zugang zu ganzen Beständen ihn betreffender
Verwaltungsdokumente zu erlangen, kann er sich insoweit nicht erfolgreich auf Art. 15 DSGVO stützen bzw. steht dem Anspruchsgegner
für diese Fälle ein Leistungsverweigerungsrecht nach Art. 12 Abs. 5 Satz 2 DSGVO zu.
6. Die bei der Besteuerung der Ehefrau vom Finanzamt verarbeiteten Daten des Steuerpflichtigen (persönliche Daten wie Name,
Anschrift, Geburtsdatum; Personenstand verheiratet; Verwandtschaftsverhältnisse z. B. als Elternteil; Erfassung von Anrufen
beim Finanzamt in Funktion als Auskunftsperson in der Verwaltungsakte der Ehefrau; wirtschaftliche Aktivitäten wie der Erwerb
von Fachbücher, die bei der freiberuflich tätigen Ehefrau nicht zum Betriebsausgabenabzug zugelassen worden sind) sind nicht
unter Verstoß gegen gesetzliche Befugnisse des Steuerpflichtigen im Sinne der DSGVO verarbeitet worden. Insoweit hat der Steuerpflichtige
keinen Anspruch darauf, dass diese Daten inklusive aller Archive und Datensicherungen im Sinne des Art. 4 DSGVO vollständig
und sicher gelöscht werden.
7. Soweit der Steuerpflichtige beantragt, die Finanzbehörde zu verurteilen, allen Dritten, an die Daten des Steuerpflichtigen
weitergeleitet wurden, mitzuteilen, dass diese Daten rechtswidrig erlangt und rechtswidrig weitergegeben wurden, ist die Klage
unzulässig.
8. Die Vorschriften des BDSG sind im Bereich der Steuerverwaltungen im Wesentlichen nicht anwendbar. So besteht kein Anspruch
des Steuerpflichtigen nach § 76 BDSG auf Auskunft darüber, wer auf Seiten des Finanzamts Zugang zu Daten des Steuerpflichtigen
hatte und warum dieser Zugang gewährt wurde.
9. Es besteht kein Anspruch des Steuerpflichtigen auf Information darüber, von wem die Finanzbehörde Daten des Steuerpflichtigen
erhalten hat.
10. Die geringeren Anforderungen an das Vorliegen eines Feststellungsinteresses bei einer Fortsetzungsfeststellungsklage im
Sinne des § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO sind nicht auf allgemeine Feststellungsklagen im Sinne des § 41 Abs. 1 FGO zu übertragen.
11. Die Zulässigkeit einer Zwischenfeststellungsklage im Sinne des § 256 Abs. 2 ZPO ist im Anwendungsbereich der FGO zu verneinen,
da unter anderem § 41 FGO eine eigenständige und in sich abgeschlossene Regelung zur Feststellungsklage enthält; eine Lücke,
die nach § 155 Satz 1 FGO die ergänzende Anwendbarkeit der Regelungen der ZPO eröffnen würde, besteht daher nicht.
12. Eine allgemeine Feststellungsklage ist nur bei Erfüllung spezieller Sachentscheidungsvorausetzungen zulässig, z. B. dass
der Kläger substantiiert und in sich schlüssig vorbringt, dass – die Richtigkeit des Vortrags unterstellt – eine Gefährdung
des Klägers in eigenen Rechten als möglich erscheint,
ein schützenswertes ideelles oder wirtschaftliches Interesse geltend gemacht wird (die Feststellung einer steuerrechtlichen
Rechtslage zur Vorbereitung eines Zivilprozesses reicht regelmäßig nicht aus, um die Zulässigkeit der Feststellungsklage zu
begründen, da die Zivilgerichte steuerliche Vorfragen selbst zu entscheiden haben),
die Möglichkeit, Rechtsschutz im Wege der Gestaltungs- oder Leistungsklage zu erlangen, ausgeschlossen ist.
13. Eine allgemeine Feststellungsklage, es solle festgestellt werden, dass das Finanzamt seiner Informationspflicht nach Art.
14 DSGVO, § 33 BDSG, § 46 BDSG nicht nachgekommen sei, ist bereits aufgrund der Subsidiaritat der Feststellungsklage gegenüber
der Leistungsklage unzulässig.
14. Es besteht grundsätzlich ein Entscheidungsspielraum des Verantwortlichen, in welcher Form er die gebotenen Informationen
im Sinne der Art. 12 ff. DSGVO in ausreichendem Umfang bereitstellt. Jedenfalls muss die gewählte Form der betroffenen Person
tatsächlich eine hinreichende Möglichkeit zur Kenntnisnahme vermitteln.Insoweit ist es nicht zu beanstanden, wenn das Finanzamt
die Datenschutzhinweise in elektronischer Form im Internet unter der Webadresse www.finanzamt.de hinterlegt.
15. Die in Art. 24 DSGVO verankerte Verpflichtung zur Umsetzung geeigneter technischer und organisatorischer Maßnahmen dient
dem Ziel, sicherstellen und nachweisen zu können, dass die Verarbeitung im Einklang mit der DSGVO erfolgt. Der in Art. 32
DSGVO niedergelegte Grundsatz des Datenschutzes durch Datensicherheitsmaßnahmen konkretisiert die in Art. 24 DSGVO generell
geregelten Datensicherheitsmaßnahmen beim Umgang mit personenbezogenen Daten. Die in Bezug genommenen Vorschriften gewähren
dem Steuerpflichtigen keine individuellen subjektiv-öffentlichen Rechte, sondern verfolgen übergeordnete Ziele im Gemeininteresse
(objektives Recht).
16. Soweit der Kläger beantragt festzustellen,
dass das Finanzamt nicht die notwendige qualifizierte IT-Sicherheit nach ISO 27001 (IT Grundschutz) zum Zeitpunkt des Beginns
der Datenverarbeitung erbringen könne (Art. 32 DSGVO in Verbindung mit § 32h AO),
dass das Finanzamt versucht habe, den Kläger durch fehlende und falsche Auskunft seiner rechtlichen Möglichkeiten nach Kapitel
VIII. der DSGVO, §§ 36, 66 BDSG zu berauben,
dass das Finanzamt die notwendigen Meldungen nach der DSGVO an den Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit
(BfDI) nicht oder nicht rechtzeitig erbracht habe (Art. 33 DSGVO, § 65 BDSG),
dass das Finanzamt die erforderliche Datenschutz-Folgenabschätzung nicht durchgeführt habe (§ 67 BDSG),
dass das Finanzamt Datenschutzverletzungen nach der DSGVO und BDSG begangen habe, indem es ohne Rechtsgrund Daten des Klägers
im Rahmen von Außenprüfungen bei Dritten erhoben habe und dafür bei dem Finanzamt auch kein Bedarf bestehe,
dass das Finanzamt in das Grundrecht der informationellen Selbstbestimmung des Klägers eingegriffen habe (Art. 1 GG in Verbindung
mit Art. 2 GG, Art. 8 GRCh, EMRK, § 48 BDSG),
dass das Finanzamt in die private Lebensführung des Klägers eingegriffen und damit dessen Würde verletzt habe (Art. 1 GG in
Verbindung mit Art. 2 GG, Art. 8 GRCh),
ist die Feststellungsklage teils aufgrund der Subsidiarität der Feststellungsklage gegenüber der Leistungsklage, teils mangels
Klagebefugnis und teils mangels Feststellungsinteresses des Klägers unzulässig.
17. Soweit der Kläger beantragt festzustellen, dass das Finanzamt eine illegale Vorratsdatenspeicherung betreibe, indem es
rechtswidrig erlangte Daten nicht lösche und eine Verwertung dieser nicht verhindert habe, ist die Klage als Popularklage
mangels Klagebefugnis und Feststellungsinteresse des Klägers unzulässig.
18. Eine Verletzung des Steuergeheimnisses liegt weder durch Weitergabe geschützter Daten durch ein Finanzamt an die Senatsverwaltung
für Finanzen noch an den Bundesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit vor.
19. Der ärztlichen Schweigepflicht unterliegt nur der Arzt, nicht das Finanzamt (vgl. § 203 StGB). Das Finanzamt kann daher
keine ärztliche Schweigepflicht verletzen.
20. Soweit der Kläger beantragt festzustellen, dass Teile der Abgabenordnung, welche die Informationspflichten an die Betroffenen,
bei denen die Daten nicht direkt erhoben worden sind (Datenerhebung bei Dritten), nicht mit höherrangigem Recht vereinbar
sind und insbesondere gegen die Grundrechtecharta, gegen die EMRK und das Grundgesetz verstoßen (namentlich unter anderem
§§ 32b, 32c, 32f AO), ist die Klage unzulässig.
21. Es bestehen keine Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der zur Ergänzung und Ausgestaltung der unionsrechtlichen Regelungen
der DSGVO erlassenen nationalen Vorschriften der AO.
22. Voraussetzung für eine Entscheidung des BFH nach § 86 Abs. 3 FGO ist, dass die vom Finanzgericht angeforderten Unterlagen
von der Finanzbehörde nicht vollständig vorgelegt werden und das Gericht auch noch zum Zeitpunkt der erstrebten Entscheidung
des BFH an der lückenlosen Vorlage festhält. Das Hauptsacheverfahren ist fortzusetzen, wenn die streitigen Unterlagen von
der Finanzbehörde nunmehr vorgelegt werden, das FG an seiner Vorlageaufforderung nicht mehr festhält und der Antrag nach §
86 Abs. 3 FGO damit unzulässig wird.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
Fundstelle(n): GAAAI-59903
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