BGH Beschluss v. - 4 StR 588/19

Anordnung der Sicherungsverwahrung: Berücksichtigung zulässigen Verteidigungsverhaltens des Angeklagten

Gesetze: § 66 Abs 1 S 1 Nr 4 StGB, § 261 StPO, § 267 StPO

Instanzenzug: LG Hagen (Westfalen) Az: 31 Ks 3/18

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten    H.    wegen besonders schweren Raubes in elf Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und in einem Fall in Tateinheit mit unerlaubter Ausübung der tatsächlichen Gewalt über eine Kriegswaffe, wegen versuchten besonders schweren Raubes in drei Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und wegen Verabredung zu einem Verbrechen des besonders schweren Raubes in Tateinheit mit unerlaubter Ausübung der tatsächlichen Gewalt über Kriegswaffen und vorsätzlichem unerlaubtem Besitz von Schusswaffen und Munition zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 13 Jahren verurteilt und seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Gegen den Angeklagten R.    hat es wegen besonders schweren Raubes in zehn Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, wegen versuchten besonders schweren Raubes in zwei Fällen jeweils in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung sowie wegen unerlaubter Ausübung der tatsächlichen Gewalt über eine Kriegswaffe eine Gesamtfreiheitsstrafe von 13 Jahren und neun Monaten festgesetzt und seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Den Angeklagten J.    hat es wegen besonders schweren Raubes in fünf Fällen und wegen versuchten besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 13 Jahren und neun Monaten verurteilt. Außerdem hat es gegen alle drei Angeklagten Einziehungsentscheidungen getroffen. Die hiergegen gerichteten Revisionen der Angeklagten haben den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg; im Übrigen sind sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

21. Die Schuldsprüche gegen die drei Angeklagten waren in den Fällen II. 6 und II. 7 der Urteilsgründe dahingehend zu ändern, dass die tateinheitliche Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB entfällt. Denn insoweit war, wie der Generalbundesanwalt zu Recht ausgeführt hat, bereits Verfolgungsverjährung eingetreten. Die Taten wurden am (Fall II. 6 der Urteilsgründe) und (Fall II. 7 der Urteilsgründe) begangen. Die für jedes Delikt gesondert zu bestimmende Verjährungsfrist betrug für die gefährliche Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 StGB zehn Jahre (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 StGB) und war im Zeitpunkt der ersten gemäß § 78c Abs. 1 Nr. 4 StGB für eine Unterbrechung in Betracht kommenden Maßnahmen (Durchsuchungsbeschlüsse des Amtsgerichts Hagen vom in Bezug auf die Angeklagten     H.     und R.    sowie vom in Bezug auf den Angeklagten J.    ) bereits abgelaufen. Der Senat ändert die Schuldsprüche entsprechend ab. § 265 StPO steht dem nicht entgegen.

3Der Umstand, dass die Strafkammer in den Fällen II. 6 und II. 7 der Urteilsgründe bei der Bestimmung der Einzelstrafen allen drei Angeklagten angelastet hat, dass sie tateinheitlich auch den Tatbestand des § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB verwirklicht haben, stellt die Strafaussprüche nicht in Frage. Denn auch verjährte tateinheitlich verwirklichte Gesetzesverletzungen können bei der Strafbemessung berücksichtigt werden (vgl. , Rn. 3; Beschluss vom – 1 StR 14/10, Rn. 6 mwN).

42. Die auf § 66 Abs. 2 StGB gestützte Unterbringung des Angeklagten R.    in der Sicherungsverwahrung hält revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand. Zwar hat die Strafkammer – entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts – bei der Annahme der formellen Voraussetzungen für die Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 2 StGB nicht gegen § 66 Abs. 4 Satz 3 StGB verstoßen, denn sie hat sich bei der Prüfung der formellen Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung nicht auf die von ihr zwar festgestellte, aber von der zugelassenen Anklage nicht umfasste und deshalb im hiesigen Verfahren und auch anderweit bislang nicht ausgeurteilte Tat in Ha.   vom (vgl. dazu , BGHSt 25, 44, 45 ff.; Ziegler in: BeckOK StGB, 46. Edition Stand , § 66 Rn. 20; siehe hierzu auch , BeckRS 2002, 870 Rn. 8), sondern letztlich zu Recht nur auf die von ihr in ausreichender Zahl ausgeurteilten Taten gestützt. Nur auf aktuell ausgeurteilte oder bereits anderweitig zur Verurteilung gelangte Taten, die zur Begründung der formellen Voraussetzungen in Betracht kommen, finden die Vorschriften über die Rückfallverjährung Anwendung (vgl. Fischer, StGB, 67. Aufl., § 66 Rn. 32 und 42 mwN). Die Unterbringungsanordnung erweist sich aber als rechtsfehlerhaft, weil die Strafkammer bei der Begründung eines Hangs zu gefährlichen Straftaten gemäß § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB zulässiges Verteidigungsverhalten zum Nachteil des Angeklagten berücksichtigt hat.

5a) Zulässiges Verteidigungsverhalten darf weder hangbegründend noch als Anknüpfungspunkt für die Gefährlichkeit des Angeklagten verwertet werden. Andernfalls wäre er gezwungen seine Verteidigungsstrategie aufzugeben, will er hinsichtlich der Sicherungsverwahrung einer ihm ungünstigen Entscheidung entgegenwirken (vgl. , Rn. 24; Beschluss vom – 4 StR 200/19, NStZ-RR 2020, 15 mwN). Wenn der Angeklagte ihm zur Last gelegte Taten leugnet, bagatellisiert oder einem anderen die Schuld an der Tat zuschiebt, ist dies grundsätzlich zulässiges Verteidigungsverhalten. Die Grenze ist erst erreicht, wenn das Leugnen, Verharmlosen oder die Belastung des Opfers oder eines Dritten sich als Ausdruck besonders verwerflicher Einstellung des Täters darstellt, etwa weil die Falschbelastung mit einer Verleumdung oder Herabwürdigung oder der Verdächtigung einer besonders verwerflichen Handlung einhergeht (vgl. , NStZ-RR 2020, 15; Beschluss vom ‒ 1 StR 320/14; Beschluss vom – 5 StR 267/11, NStZ-RR 2012, 9; Beschluss vom – 3 StR 85/90, BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verteidigungsverhalten 8).

6b) Die Strafkammer hat zur Begründung eines Hanges unter anderem herangezogen und festgestellt, dass der Angeklagte auch an einer am in Ha.   begangenen gravierenden Raubtat zum Nachteil des Geschädigten K.      als „Hauptfigur“ beteiligt war. Im Hinblick auf diese Tat, die nicht Gegenstand der zugelassenen Anklage war, hatte der Angeklagte in der Hauptverhandlung lediglich eingeräumt, „Schmiere gestanden“ zu haben. Auch sei die Initiative zur Tatbegehung von der Tochter des Geschädigten ausgegangen. Diese habe ihrem Vater, der sie in der Kindheit missbraucht habe, einen „Denkzettel verpassen“ wollen. Die Strafkammer meint, der Angeklagte habe mit dieser Einlassung den Eindruck vermitteln wollen, es gebe eine moralische Rechtfertigung für die Tat und das Tatopfer sei nicht schützenswert. Dies lasse (neben weiteren Argumenten) den Schluss auf eine zustimmende innere Haltung des Angeklagten zu seinen Taten zu. Auch finde der „antisoziale Denkstil“ des Angeklagten „vor allem“ in dieser Einlassung seinen Ausdruck. Beide Gesichtspunkte seien Indizien für das Vorliegen eines Hanges.

7Damit hat die Strafkammer zulässiges Verteidigungsverhalten hangbegründend verwertet. Denn der Angeklagte hat in seiner Einlassung lediglich in zulässiger Weise versucht, ihm vorgeworfenes Verhalten anders darzustellen oder Umstände zu behaupten, die dieses in einem milderen Licht erscheinen lassen.

8c) Die Entscheidung über die Unterbringung des Angeklagten R.    in der Sicherungsverwahrung bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zu der Tat zum Nachteil des Geschädigten K.      in Ha.  am können bestehen bleiben.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2020:120820B4STR588.19.3

Fundstelle(n):
KAAAH-75785