Stufenzuordnung - einschlägige Berufserfahrung iSd. TV-L
Leitsatz
1. Einschlägige Berufserfahrung iSv. § 16 Abs. 2 TV-L setzt voraus, dass der Beschäftigte aufgrund einer gleichwertigen Tätigkeit im früheren Arbeitsverhältnis nach der Einstellung seine neue Tätigkeit vollumfänglich ohne nennenswerte Einarbeitungszeit aufnehmen kann.
2. Bei Lehrkräften kann einschlägige Berufserfahrung auch an einer Privatschule erworben werden.
Gesetze: § 16 Abs 2 S 3 TV-L, § 16 Abs 2 S 2 TV-L
Instanzenzug: Az: 16 Ca 5275/18 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Köln Az: 7 Sa 289/19 Urteil
Tatbestand
1Die Parteien streiten über die Anrechnung der bei anderen Arbeitgebern erworbenen Berufserfahrung im Rahmen der Stufenzuordnung bei Einstellung der Klägerin.
2Die Klägerin ist Gymnasiallehrerin für die Fächer Deutsch und Englisch und hat eine Zusatzausbildung für das Fach Deutsch als Zweitsprache abgeschlossen. Von August 2010 bis Juli 2012 war sie bei dem beklagten Land als „Studienrätin z.A.“ an einer Gesamtschule beschäftigt. Danach war sie vom bis zum Gymnasiallehrerin an der Deutschen Schule in Shanghai (China). Diese Tätigkeit gründete sich auf einen mit dem Deutschen Schulverein Shanghai als Schulträger geschlossenen Arbeitsvertrag.
3Vom bis zum war sie als Lehrerin an der ISR gGmbH (ISR) in N angestellt. Bei der ISR handelt es sich um eine privat betriebene, staatlich anerkannte Ergänzungsschule. Sie bereitet ihre Schüler ua. auf das International Baccalaureate (IB) vor. Das der Klägerin unter dem erteilte Zeugnis lautet auszugsweise wie folgt:
4Zudem wird in dem Zeugnis angeführt, die Klägerin habe Förderunterricht und Hausaufgabenbetreuung für Schüler der 5. und 6. Klasse angeboten.
5Vom bis zum war sie bei dem beklagten Land befristet als Lehrkraft am Städtischen Gymnasium in W beschäftigt.
6Auf der Grundlage eines weiteren befristeten Arbeitsvertrags mit dem beklagten Land vom 11./ war die Klägerin wiederum befristet vom bis zum am Städtischen R-Gymnasium in D als Lehrkraft beschäftigt. Der Arbeitsvertrag lautet auszugsweise wie folgt:
7Hinsichtlich der Stufenzuordnung bei Einstellung sieht § 16 TV-L idF der Sonderregelungen für Beschäftigte als Lehrkräfte in § 44 Nr. 2a TV-L iVm. § 6 Abs. 2 Nr. 1 TV EntgO-L - soweit vorliegend von Belang - folgende Regelungen vor:
8§ 6 Abs. 2 Nr. 4 TV EntgO-L bestimmt:
9Für ihre Tätigkeit am Städtischen R-Gymnasium in D wurde die Klägerin zunächst nach Entgeltgruppe 13 Stufe 1 TV-L vergütet. Bereits im Juni 2017 beantragte sie die Zuordnung zur Stufe 3 mit Wirkung ab dem . Sie habe an der Deutschen Schule in Shanghai, der ISR und dem Städtischen Gymnasium W einschlägige Berufserfahrung erworben. Mit Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom hat sie nochmals erfolglos eine Vergütung nach Stufe 3 der Entgeltgruppe 13 TV-L verlangt. Das beklagte Land lehnte dies mit Schreiben der Bezirksregierung vom ab. Während des Rechtsstreits hat es die Tätigkeit der Klägerin an dem Gymnasium in W als einschlägig anerkannt und die Klägerin seit Mai 2018 nach Stufe 2 der Entgeltgruppe 13 TV-L vergütet.
10Mit ihrer Klage hat die Klägerin weiterhin die Auffassung vertreten, sie habe sowohl an der Deutschen Schule in Shanghai als auch an der ISR einschlägige Berufserfahrung erworben, welche bei der Stufenzuordnung zu berücksichtigen gewesen sei. Sie sei in beiden Schulen als Gymnasiallehrerin tätig gewesen. Bei der ISR handle es sich um eine staatlich anerkannte Ergänzungsschule, welche der Schulaufsicht des beklagten Landes unterliege und ausweislich des Zeugnisses vom nach dem Kernlehrplan des beklagten Landes ua. auf das IB und damit auf eine Prüfung vorbereite, welche dem Abitur gleichwertig sei. Der Anerkennung als einschlägige Berufserfahrung stehe nicht entgegen, dass sie an der ISR nur in der Sekundarstufe I unterrichtet habe. Auch der Unterricht in der Sekundarstufe I diene der Vorbereitung auf das IB bzw. an staatlichen Schulen auf das Abitur. Zudem habe ein aus schulorganisatorischen Gründen auf die Sekundarstufe I beschränkter Einsatz einer Gymnasiallehrkraft weder einen Einfluss auf deren Eingruppierung noch auf den Stufenaufstieg nach § 16 Abs. 3 TV-L. Für die Anerkennung einschlägiger Berufserfahrung sei daher nicht der Einsatz in bestimmten Jahrgangsstufen entscheidend, sondern die Qualifikation als Gymnasiallehrkraft in Verbindung mit der Unterrichtserteilung an einem Gymnasium oder einer vergleichbaren Schulform.
11Die Klägerin hat zuletzt beantragt,
12Das beklagte Land hat die Abweisung der Klage beantragt. Die Klägerin habe an der ISR keine einschlägige Berufserfahrung erworben. Sie habe dort nur in der Sekundarstufe I unterrichtet und daher keine Berufserfahrung in der Sekundarstufe II gesammelt. Zudem sei der Unterricht an einer Ergänzungsschule im Vergleich mit dem an einer staatlichen Schule nicht als gleichwertig anzusehen. Das einschlägige Schulrecht sehe eine Gleichwertigkeit mit staatlichen Schulen nur bezogen auf staatlich anerkannte Ersatzschulen vor. Auf die Tätigkeit der Klägerin an der Deutschen Schule in Shanghai komme es nicht an, weil diese länger als sechs Monate vor dem Beginn des Arbeitsverhältnisses am zurückliege.
13Das Arbeitsgericht hat dem Klageantrag stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die hiergegen gerichtete Berufung des beklagten Landes zurückgewiesen und die Revision zugelassen. Mit dieser verfolgt das beklagte Land weiterhin sein Ziel der Klageabweisung.
Gründe
14Die Revision ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hätte die Berufung des beklagten Landes gegen das Urteil des Arbeitsgerichts nicht zurückweisen dürfen. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Vergütung nach Entgeltgruppe 13 Stufe 3 TV-L im streitgegenständlichen Zeitraum.
15I. Die Klage ist zulässig. Das für den Feststellungsantrag nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse besteht ungeachtet des Umstands, dass das Arbeitsverhältnis beendet ist. Die Klägerin kann nicht darauf verwiesen werden, eine bezifferte Leistungsklage auf Zahlung der Differenzvergütung zu erheben. Grundsätzlich ist einer Leistungsklage zwar der Vorrang vor einer Feststellungsklage eingeräumt, wenn der Kläger den Anspruch beziffern kann. Für eine Feststellungsklage kann allerdings trotz der Möglichkeit einer vorrangigen Leistungsklage ein Feststellungsinteresse bestehen, wenn durch sie der Streit insgesamt beseitigt und das Rechtsverhältnis der Parteien abschließend geklärt werden kann ( - Rn. 20; - 6 AZR 321/19 - Rn. 16 ff.). Dies ist hier hinsichtlich der streitigen Stufenzuordnung und der sich daraus ergebenden Differenzvergütung der Fall.
16II. Die Klage ist entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts unbegründet. Die Klägerin hat während der Dauer ihres Arbeitsverhältnisses mit der ISR keine einschlägige Berufserfahrung iSd. § 16 Abs. 2 Satz 3 TV-L erworben. Folglich war sie bei Einstellung in den Dienst des beklagten Landes zum nicht der begehrten Stufe 3 der Entgeltgruppe 13 TV-L zugeordnet.
171. § 16 Abs. 2 Satz 3 TV-L findet auf das Arbeitsverhältnis der Parteien in unveränderter Fassung Anwendung, obwohl § 44 Nr. 2a TV-L iVm. § 6 Abs. 2 Nr. 3 TV EntgO-L insoweit eine Sonderregelung für Lehrkräfte iSv. Abschnitt 2 Ziff. 1 der Anlage Entgeltordnung Lehrkräfte zum TV EntgO-L (im Folgenden EntgO-L), dh. für Lehrkräfte, bei denen die fachlichen und pädagogischen Voraussetzungen für die Übernahme in das Beamtenverhältnis nicht erfüllt sind (sog. „Nichterfüller“), vorsieht. Die Klägerin unterfällt als sog. „Erfüllerin“ nicht Abschnitt 2, sondern Abschnitt 1 EntgO-L (vgl. § 3 Abs. 1 des Arbeitsvertrags vom 11./).
182. Nach der Protokollerklärung Nr. 1 zu § 16 Abs. 2 TV-L ist einschlägige Berufserfahrung eine berufliche Erfahrung in der übertragenen oder einer auf die Aufgabe bezogen entsprechenden Tätigkeit. Der Beschäftigte muss also in der früheren Tätigkeit einen Kenntnis- und Fähigkeitszuwachs erworben haben, der für die nach der Einstellung konkret auszuübende Tätigkeit erforderlich und prägend ist und ihm damit weiterhin zugutekommt (zu § 18 Abs. 3 TV-BA aF vgl. - Rn. 19). Das ist nach dem hinter dem Stufensystem des TV-L stehenden Leistungsgedanken der Fall, wenn die frühere Tätigkeit im Wesentlichen unverändert fortgesetzt wird oder zumindest gleichartig war. Das setzt grundsätzlich voraus, dass der Beschäftigte die Berufserfahrung in einer Tätigkeit erlangt hat, die in ihrer eingruppierungsrechtlichen Wertigkeit der Tätigkeit entspricht, die er nach seiner Einstellung auszuüben hat. Dabei kommt es nicht auf die formale Bewertung der Tätigkeit durch den Arbeitgeber, sondern auf die entgeltrechtlich zutreffende Bewertung an ( - Rn. 17 mwN, BAGE 148, 1). Das Entgeltsystem des TV-L geht davon aus, dass es keine entgeltgruppenübergreifende Berufserfahrung gibt ( - Rn. 21; zum TVöD vgl. - Rn. 17, BAGE 159, 214). Frühere Tätigkeiten, die nur eine niedrigere Eingruppierung als die bei der jetzt auszuübenden gerechtfertigt hätten, können das Merkmal der einschlägigen Berufserfahrung daher nicht erfüllen ( - Rn. 20; Clemens/Scheuring/Steingen/Wiese TV-L Teil II § 16 Stand Januar 2020 Rn. 41). Auch eine vorherige höherwertige Tätigkeit ist nicht generell mit einschlägiger Berufserfahrung gleichzusetzen (vgl. hierzu - Rn. 21, aaO; - 6 AZR 432/14 - Rn. 41). Nach der Vorstellung der Tarifvertragsparteien versetzt die in früheren Arbeitsverhältnissen erworbene Berufserfahrung den Beschäftigten nur dann in die Lage, ohne nennenswerte Einarbeitungszeit die Tätigkeit beim neuen Arbeitgeber auszuüben, wenn die Vorbeschäftigung qualitativ im Wesentlichen die gesamte inhaltliche Breite der aktuellen Beschäftigung abdeckte und deshalb einschlägig ist ( - Rn. 22; zu § 16 Abs. 2 Satz 1 TV-TgDRV vgl. - Rn. 11, BAGE 165, 36).
193. Hiervon ausgehend hat die Klägerin entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts bei der ISR keine einschlägige Berufserfahrung iSd. § 16 Abs. 2 Satz 3 TV-L erworben.
20a) Die Bewertung des Berufungsgerichts, ob einschlägige Berufserfahrung vorliegt, kann als Anwendung eines unbestimmten Rechtsbegriffs vom Revisionsgericht nur daraufhin überprüft werden, ob das Landesarbeitsgericht den Rechtsbegriff selbst verkannt hat, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnorm Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt hat und ob es alle entscheidungserheblichen Umstände in sich widerspruchsfrei berücksichtigt hat (vgl. zum Kontrollmaßstab - Rn. 41).
21b) Das Landesarbeitsgericht hat den Rechtsbegriff der einschlägigen Berufserfahrung verkannt. Die Revision begründet dies allerdings ohne Erfolg mit dem Umstand, dass es sich bei der ISR um eine Ergänzungsschule handelt.
22aa) Sie weist zwar zutreffend darauf hin, dass nach den landesrechtlichen Bestimmungen nur Ersatzschulen eine Gleichwertigkeit mit den öffentlichen Schulen unterstellt wird (vgl. § 100 SchulG NRW). Auf die Gleichwertigkeit der Schule kommt es aber nicht an, weil § 16 Abs. 2 Satz 3 TV-L nur auf die durch eine bestimmte Tätigkeit erworbene Berufserfahrung abstellt und diese bei Lehrkräften nicht von der öffentlich-rechtlichen Einordnung und Kontrolle der Schule abhängt. Auch an einer Ergänzungsschule, die einer gesonderten staatlichen Aufsicht untersteht (vgl. §§ 116, 117 SchulG NRW), kann eine Lehrkraft Berufserfahrung gesammelt haben, welche als einschlägig im tariflichen Sinne anzusehen ist.
23bb) Maßgeblich sind insoweit die Umstände des Einzelfalls, dh. die konkret verrichtete Tätigkeit der Lehrkraft an der jeweiligen Schule. Zur Beurteilung der Einschlägigkeit der Berufserfahrung sind der mit Blick auf einen bestimmten Schulabschluss maßgebliche Lehrplan ebenso wie die Unterrichtsmethoden oder die Prüfungsordnung der Schule zu berücksichtigen. Letztlich ist eine Gesamtbetrachtung der fraglichen Lehrtätigkeit vorzunehmen. Da es nur auf die tatsächlich erworbene Berufserfahrung ankommt, ist dabei nicht entscheidend, ob es sich um eine anerkannte Ergänzungsschule mit genehmigten Lehrplänen und Prüfungsrecht iSd. § 118 SchulG NRW handelt oder nicht.
24cc) Der Verweis der Revision auf § 103 Abs. 2 SchulG NRW steht dem nicht entgegen. Danach werden die an Ersatzschulen verbrachten Dienstzeiten von Planstelleninhaberinnen und Planstelleninhabern bei Einstellung in den öffentlichen Schuldienst auf die ruhegehaltfähige Dienstzeit wie bei einer ständigen Verwendung als Beamtin oder Beamter im Landesdienst angerechnet. Diese gesetzliche Regelung des Landesbeamtenrechts weist keinen Bezug zu den tariflichen Regelungen des § 16 Abs. 2 TV-L auf, sondern steht in einem gänzlich anderen Regelungszusammenhang. Zudem wäre die durch das beklagte Land als Gesetzgeber vorgenommene Bewertung der Gleichwertigkeit von Tätigkeiten für die Auslegung des von anderen Normgebern geschaffenen TV-L unbeachtlich. Die Revision lässt außer Acht, dass es sich bei dem TV-L um einen Tarifvertrag handelt, der auch für andere Bundesländer gilt und das beklagte Land nur als Mitglied der Tarifgemeinschaft deutscher Länder an dem Tarifvertragsabschluss beteiligt war.
25c) Die Revision rügt jedoch mit Erfolg, das Landesarbeitsgericht habe zu Unrecht Wertungen aus dem qualifikationsbezogenen Eingruppierungssystem von Lehrkräften auf die Voraussetzungen für das Vorliegen einschlägiger Berufserfahrung übertragen. Die Klägerin hat an der ISR keine umfassende einschlägige Berufserfahrung als Gymnasiallehrerin erworben, weil sie dort unstreitig nur in der Sekundarstufe I unterrichtet hat.
26aa) Das Schulwesen des beklagten Landes ist nach Schulstufen aufgebaut und in Schulformen gegliedert. Nach § 10 Abs. 3 SchulG NRW umfasst die Sekundarstufe I die Hauptschule, die Realschule, die Sekundarschule sowie die Gesamtschule und das Gymnasium bis Klasse 10. Das Gymnasium kann in der Sekundarstufe I auch bis Klasse 9 geführt werden. Die Schulformen der Sekundarstufe I haben die Aufgabe, den Schülerinnen und Schülern eine gemeinsame Grundbildung zu vermitteln und sie zu befähigen, eine Berufsausbildung aufzunehmen oder in vollzeitschulische allgemein bildende oder berufliche Bildungsgänge der Sekundarstufe II einzutreten (§ 12 Abs. 1 SchulG NRW). Die Sekundarstufe II umfasst das Berufskolleg, das Berufskolleg als Förderschule und die gymnasiale Oberstufe des Gymnasiums und der Gesamtschule (§ 10 Abs. 4 SchulG NRW; zum Gymnasium vgl. auch § 16 SchulG NRW). In der gymnasialen Oberstufe wird nicht mehr im Klassenverband, sondern nur in einem Kurssystem unterrichtet (§ 18 Abs. 2 SchulG NRW). Entsprechend dieser Struktur sind auch die Lehrerausbildung und die Lehrämter (Lehramtsbefähigungen) auf Schulformen bezogen (vgl. § 3 Lehrerausbildungsgesetz (LABG) NRW). Die Verwendung der Lehrkraft ist von ihrer Lehramtsbefähigung abhängig (vgl. §§ 4, 19 LABG NRW).
27bb) Das Landesarbeitsgericht hat es als entscheidend angesehen, dass die Klägerin aufgrund ihrer Qualifikation auch in der Sekundarstufe II hätte eingesetzt werden können und diese Möglichkeit auch Gegenstand der arbeitsvertraglichen Vereinbarung mit der ISR gewesen sei. Für die Eingruppierung einer Lehrkraft sei es unschädlich, wenn sie ungeachtet dieser Qualifikation von ihrem (früheren) Arbeitgeber nur in der Sekundarstufe I eingesetzt worden sei, obwohl sie auch in der Sekundarstufe II hätte unterrichten können. Die Lehrkraft habe keinen Anspruch auf die Verwendung in einer bestimmten Sekundarstufe. Diese „eingruppierungsrechtliche Ausgangslage“ müsse sich auch in der Bestimmung der Voraussetzungen des Merkmals der einschlägigen Berufserfahrung in § 16 Abs. 2 TV-L niederschlagen.
28cc) Diese Übertragung der qualifikationsbezogenen Betrachtung des Eingruppierungsrechts auf die Stufenzuordnung bei Einstellung ist unzutreffend.
29(1) Bezogen auf die Eingruppierung der Klägerin ist es allerdings tatsächlich ohne Belang, in welcher Sekundarstufe eines Gymnasiums sie eingesetzt wird. Ihre Eingruppierung richtet sich nach § 12 Abs. 1 TV-L idF des § 3 TV EntgO-L iVm. der Anlage zum TV EntgO-L, dh. nach der EntgO-L. Die Klägerin erfüllt aufgrund ihrer Qualifikation unstreitig die fachlichen und pädagogischen Voraussetzungen für die Übernahme in das Beamtenverhältnis und ist demzufolge nach Abs. 1 des Abschnitts 1 EntgO-L iVm. der Anlage 1 zum Landesbesoldungsgesetz NRW - entsprechend einer beamteten Studienrätin - in die Entgeltgruppe 13 TV-L eingruppiert. Das Eingruppierungsrecht setzt hierfür keine Tätigkeit in der Sekundarstufe II voraus. Die Konstellation einer durch die Schulform oder vertraglich auf die Sekundarstufe I beschränkten Beschäftigung, welche nach Abs. 2 des Abschnitts 1 EntgO-L trotz der Lehramtsbefähigung für das Gymnasium zu einer niedrigeren Eingruppierung führt (vgl. hierzu Breier/Thivessen/Faber TV-L Entgeltordnung Teil D 5 EntgO-L Erl. 12.1 Stand August 2020 Rn. 139 ff.; vgl. auch - Rn. 28 ff.), liegt hier nicht vor.
30(2) Auch die Stufenlaufzeit nach § 16 Abs. 3 TV-L hängt nicht davon ab, in welcher Sekundarstufe eine Lehrkraft an einem Gymnasium eingesetzt wird. § 16 Abs. 3 TV-L bezieht sich nur auf die Entgeltgruppe und honoriert unabhängig von der konkret geleisteten Tätigkeit bezogen auf den eingruppierungsrelevanten Arbeitsplatz den in dieser Entgeltgruppe gewonnenen Erfahrungsgewinn (vgl. - Rn. 38; - 6 AZR 964/11 - Rn. 21). Der Stufenaufstieg einer Gymnasiallehrkraft hängt daher nicht davon ab, dass sie in beiden Sekundarstufen eingesetzt wurde.
31(3) Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts kann hieraus aber kein Rückschluss auf die Anforderungen an eine einschlägige Berufserfahrung nach § 16 Abs. 2 TV-L gezogen werden.
32(a) Wie dargestellt, setzt eine einschlägige Berufserfahrung voraus, dass der neu eingestellte Beschäftigte bezogen auf die gesamte Bandbreite der nunmehr geschuldeten Arbeitsleistung einsatzfähig ist. Die Beurteilung, ob eine einschlägige Berufserfahrung vorliegt, bezieht sich stets auf die in Aussicht genommene Tätigkeit beim neuen Arbeitgeber (BeckOK TV-L/Felix Stand TV-L § 16 Rn. 65). Bei dieser Prüfung ist ein tätigkeitsbezogener Vergleich zwischen den in der Vergangenheit erlangten Kenntnissen und Fähigkeiten mit den nach der Einstellung künftig zu bewältigenden Aufgaben erforderlich. Diese eigenständige Prüfung weist nur bezüglich der Wertigkeit der zu vergleichenden Tätigkeiten einen Bezug zum Eingruppierungsrecht auf. Im Übrigen ist Beurteilungsmaßstab allein der Vergleich der fachlichen Anforderungen der bisherigen und der nunmehr auszuübenden Tätigkeit (BeckOK TV-L/Felix aaO Rn. 70).
33(b) Die Klägerin hat an der ISR praktisch verwertbare Unterrichtserfahrung nur im Teilbereich der Klassenstufen 5 bis 9, dh. in der Sekundarstufe I, erlangt und damit nicht bezogen auf die gesamte dem beklagten Land vertraglich geschuldete Tätigkeit, welche auch die Verwendung in der Sekundarstufe II umfasste.
34(aa) Im Schrifttum wird die Auffassung vertreten, dass es für die Gleichwertigkeit zwar ausreiche, wenn die bisherige Berufserfahrung nur einen Teilbereich der Aufgaben der neuen Tätigkeit abdecke. Erforderlich sei aber, dass sich die zu vergleichenden Tätigkeiten mit den die Entgeltgruppe prägenden Tätigkeitsmerkmalen zumindest zur Hälfte decken. Dies entspreche § 12 Abs. 1 Satz 4 TV-L, wonach es für die Eingruppierung genüge, dass zeitlich mindestens zur Hälfte Arbeitsvorgänge anfallen, die für sich genommen die Anforderungen eines oder mehrerer Tätigkeitsmerkmale einer Entgeltgruppe erfüllen (Breier/Dassau/Kiefer/Thivessen TV-L Teil B 1 § 16 Stand Juni 2018 Rn. 43; ebenso Günther in Sponer/Steinherr TV-L § 16 Stand November 2020 Rn. 12; vgl. auch Boemke/Sachadae PersV 2008, 324, 330).
35(bb) Auch diese eingruppierungsrechtlich geprägte Betrachtung wird dem Zweck des § 16 Abs. 2 TV-L, der den Entfall einer Einarbeitungszeit honoriert, nicht gerecht. Eine Einarbeitung ist schon dann entbehrlich, wenn der für die aktuelle Eingruppierung weiterhin maßgebliche Tätigkeitsanteil der bisherigen Tätigkeit dem Beschäftigten die erforderliche einschlägige Berufserfahrung vermittelt hat (Clemens/Scheuring/Steingen/Wiese TV-L Teil II § 16 Stand Januar 2020 Rn. 46). Entscheidend ist, dass der Beschäftigte unmittelbar nach der Einstellung seine neue Tätigkeit vollumfänglich ohne nennenswerte Einarbeitungszeit aufnehmen kann. Das auf den Arbeitsvorgang ausgerichtete Eingruppierungsrecht (vgl. zu § 12 Abs. 1 TV-L - Rn. 27 ff.) steht hierzu in keinem Zusammenhang. Dementsprechend gibt § 16 Abs. 2 TV-L keinen zeitlichen Mindestbeschäftigungsumfang für die Anerkennung von Vorbeschäftigungszeiten vor (vgl. zur Teilzeitbeschäftigung - Rn. 27 ff., BAGE 148, 1). Grundsätzlich können darum auch eine mit weniger als der Hälfte der regulären Arbeitszeit ausgeübte Vorbeschäftigung oder weniger als die Hälfte der bisherigen Tätigkeit einnehmende Aufgaben einschlägige Berufserfahrung iSv. § 16 Abs. 2 TV-L vermitteln. Es muss dann im Einzelfall beurteilt werden, ob der zeitliche Umfang der Vorbeschäftigung oder Aufgaben so gering war, dass der Erwerb einschlägiger Berufserfahrung nicht mehr angenommen werden kann, weil das volle Spektrum der Anforderungen der neuen Tätigkeit nicht abgebildet worden ist (vgl. - Rn. 30, aaO; zu kurzfristigen Arbeitsverhältnissen - Rn. 17).
36(cc) Hat eine Gymnasiallehrkraft bei ihrem früheren Arbeitgeber nur in Sekundarstufe I oder II unterrichtet, beschränkt sich ihre einschlägige Berufserfahrung auf diese Sekundarstufe. Damit ist bezogen auf eine uneingeschränkte Tätigkeit als Gymnasiallehrkraft, welche eine Verpflichtung zur Erteilung von Unterricht in beiden Sekundarstufen beinhaltet, keine Einarbeitung entbehrlich. Dies begründet sich mit den unterschiedlichen pädagogischen und fachlichen Anforderungen der Sekundarstufen I und II.
37(aaa) Nach den genannten öffentlich-rechtlichen Bestimmungen des beklagten Landes (Rn. 26) unterscheidet gerade die gymnasiale Oberstufe das Gymnasium von den anderen Schulformen. Die Lehrkräfte müssen dort in einem Kurssystem Unterricht auf herausgehobenem Niveau erteilen, weshalb in der Oberstufe grundsätzlich nur Lehrkräfte mit der Befähigung für das Lehramt an Gymnasien und Gesamtschulen (§ 3 Abs. 1 Nr. 3 LABG NRW) eingesetzt werden. Wegen der unterschiedlichen fachlichen Anforderungen kann der Unterricht in der Sekundarstufe I, auch wenn dieser an einem Gymnasium Bestandteil der Hinführung zur Abiturprüfung ist, mit dem Unterricht in der Sekundarstufe II nicht gleichgesetzt werden. Dies gilt auch hinsichtlich der Prüfungen. Im Gegensatz zur Sekundarstufe I fließen Leistungen in der Qualifikationsphase der gymnasialen Oberstufe in die Gesamtqualifikation der Abiturprüfung ein (§ 18 Abs. 5 Satz 3 SchulG NRW). Hat eine Gymnasiallehrkraft nur in der Sekundarstufe I unterrichtet, fehlt ihr deshalb hinsichtlich der Berufserfahrung ein wesentliches Element für den die Sekundarstufe II umfassenden Einsatz am Gymnasium.
38(bbb) Gleiches gilt umgekehrt, falls eine Gymnasiallehrkraft bei ihrem vorherigen Arbeitgeber nur in der Sekundarstufe II eingesetzt wurde. In dieser Konstellation hat sie keine Berufserfahrung in der unterschiedlich ausgestalteten Sekundarstufe I erworben. Diese stellt zwar in fachlicher Hinsicht geringere Anforderungen an die Lehrkräfte. Dafür bestehen aber andere pädagogische Herausforderungen, welche mit Erwerb einschlägiger Berufserfahrung typischerweise besser bewältigt werden können.
39(c) Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts ist ohne Belang, ob die Klägerin von der Leitung der ISR auch in der Sekundarstufe II hätte eingesetzt werden können. Für das Vorliegen einschlägiger Berufserfahrung ist die Nutzbarkeit des in der früheren Tätigkeit erworbenen Erfahrungswissens erforderlich (vgl. zu § 18 Abs. 5 TV-BA - Rn. 16). Deshalb kommt es darauf an, welche Tätigkeiten der Beschäftigte beim früheren Arbeitgeber tatsächlich verrichtet hat und nicht darauf, welche Tätigkeiten ihm im Rahmen des Weisungsrechts hätten zugewiesen werden können. Aus einer theoretischen Übertragbarkeit von Aufgaben kann keine einschlägige Berufserfahrung abgeleitet werden.
404. Die von der Revision erhobene Verfahrensrüge, die die Annahme des Landesarbeitsgerichts betrifft, an der ISR sei nach dem „Kernlehrplan NRW“ unterrichtet worden, hat der Senat geprüft und als nicht durchgreifend erachtet (§ 72 Abs. 5 ArbGG, § 564 ZPO).
415. Die Klägerin war während des vom bis zum dauernden Arbeitsverhältnisses auch nicht wegen des Erwerbs einschlägiger Berufserfahrung in anderen Arbeitsverhältnissen als in dem mit der ISR der begehrten Stufe 3 der Entgeltgruppe 13 TV-L zugeordnet.
42a) Die unbestritten einschlägige Berufserfahrung, welche sie vom bis zum am Gymnasium W erworben hatte, hat das beklagte Land im Laufe des Verfahrens nach § 6 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 TV EntgO-L anerkannt. Sie wurde bei der Stufenlaufzeit nach § 16 Abs. 3 Satz 1 TV-L mit einem Aufstieg in die Stufe 2 im Mai 2018 berücksichtigt.
43b) Soweit die Klägerin von August 2010 bis Juli 2012 im Rahmen ihres Referendariats bei dem beklagten Land beschäftigt war, findet diese Zeit nach § 6 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 TV EntgO-L iVm. der Protokollerklärung Nr. 3 zu § 16 Abs. 2 TV-L keine Anrechnung, weil sie mehr als sechs Monate zurückliegt.
44c) Die Tätigkeit der Klägerin an der Deutschen Schule in Shanghai findet nach der Protokollerklärung Nr. 3 zu § 16 Abs. 2 TV-L ebenfalls keine Berücksichtigung. Sie lag bei der Einstellung mehr als sechs Monate zurück.
45aa) Dem steht nicht entgegen, dass sich die Protokollerklärung Nr. 3 zu § 16 Abs. 2 TV-L ihrem Wortlaut nach nur auf § 16 Abs. 2 Satz 2 TV-L bezieht. Auch § 16 Abs. 2 Satz 3 TV-L findet nur Anwendung, wenn bis zur Einstellung nur Unterbrechungen von jeweils nicht mehr als sechs Monaten eingetreten sind. Der tariflich ungeregelte Fall einer schädlichen Unterbrechung im Rahmen des § 16 Abs. 2 Satz 3 TV-L verlangt nach Maßgabe des Gleichheitssatzes und zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen nach der gleichen Rechtsfolge wie der in § 16 Abs. 2 Satz 2 TV-L tariflich geregelte Fall. Darum ist die Protokollerklärung Nr. 3 zu § 16 Abs. 2 TV-L auch auf Einstellungen nach § 16 Abs. 2 Satz 3 TV-L anzuwenden ( (A) - Rn. 17, BAGE 164, 64; - 6 AZR 244/16 - Rn. 24; - 6 AZR 1088/12 - Rn. 24).
46bb) Zwischen der Beendigung der Tätigkeit in Shanghai am und dem Beginn des neuen Arbeitsverhältnisses am lagen weit mehr als sechs Monate. Es wirkt sich daher nicht aus, dass das beklagte Land im Revisionsverfahren die Einschlägigkeit der an der Deutschen Schule in Shanghai erworbenen Berufserfahrung nicht mehr in Abrede gestellt hat.
47III. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits nach § 91 Abs. 1 ZPO zu tragen, soweit sie mit dem zuletzt rechtshängigen Streitgegenstand unterlegen ist. Bezüglich einer erstinstanzlichen Teilklagerücknahme folgt die Kostentragungspflicht aus § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2021:180221.U.6AZR205.20.0
Fundstelle(n):
NJW 2021 S. 10 Nr. 22
TAAAH-75555