BFH Beschluss v. - VIII R 23/18

Zur Wiedereinsetzung in die versäumte Revisionsbegründungsfrist bei fehlerhaftem Eingangsstempel

Leitsatz

1. NV: Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann nicht gewährt wer-den, wenn nach den dargelegten und glaubhaft gemachten Tatsachen die Möglichkeit offenbleibt, dass die Fristversäumnis vom Prozessbevollmächtigten verschuldet ist.

2. NV: Zu den Aufgaben des Prozessbevollmächtigten bei der Bearbeitung einer Revision gehört die eigenständige Prüfung des Ablaufes der Revisionsbegründungsfrist. Dies gilt auch, wenn ihm die Akten auf eine Vorfrist hin vorgelegt werden. Bei einer solchen Prüfung darf er sich nicht auf die Richtigkeit eines auf dem Zulassungsbeschluss angebrachten Eingangsstempels verlassen, sondern muss selbst prüfen, ob das dort angegebene Datum mit dem vom Postbediensteten auf dem Zustellungsumschlag eingetragenen Zustellungsdatum übereinstimmt.

Gesetze: FGO § 56; FGO § 116 Abs. 7 Satz 2 Halbsatz 1; FGO § 120 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2;

Instanzenzug: ,

Tatbestand

I.

1 Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der X-GmbH & Co. KG. Er erwirtschaftete auf einem im Insolvenzverfahren eingerichteten Anderkonto in den Jahren 2012 und 2013 Zinseinkünfte, für die die kontoführende Bank Kapitalertragsteuer und Solidaritätszuschlag einbehielt und an das zuständige Finanzamt abführte.

2 Die Klage, mit der der Kläger die Erstattung der einbehaltenen Kapitalertragsteuer und des Solidaritätszuschlages begehrte, wies das (Entscheidungen der Finanzgerichte 2019, 225) ab, ohne die Revision zuzulassen. Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers hin ließ der VIII. Senat des die Revision zu. Der Zulassungsbeschluss wurde den Prozessbevollmächtigten des Klägers ausweislich der Zustellungsurkunde am durch Einwurf in den Kanzleibriefkasten zugestellt.

3 Mit Telefaxschreiben vom ging die Revisionsbegründung des Klägers beim BFH ein. Mit Schreiben vom gleichen Tag wies die Geschäftsstelle des VIII. Senats die Prozessbevollmächtigten des Klägers darauf hin, dass die Revisionsbegründungsfrist bereits am abgelaufen sei. Hierauf beantragten die Prozessbevollmächtigten des Klägers mit Schriftsatz vom die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Sie seien aufgrund eines Büroversehens ohne Verschulden an der fristgerechten Einreichung der Revisionsbegründung gehindert gewesen. Der , der sich in der am Montagmorgen dem Kanzleibriefkasten entnommenen Tagespost befunden haben müsse, sei von der vertretungsweise zuständigen Kanzleimitarbeiterin A mit einem Eingangsstempel vom versehen worden. Die Mitarbeiterin habe auf dem förmlich zugestellten Dokument auch den handschriftlichen Zusatz „Zustellung“ angebracht. Die fehlerhafte Datierung des Eingangs auf den lasse sich nur damit erklären, dass sie die Post taggleich bearbeitet, beim Abstempeln jedoch die Datumsangabe nicht geändert habe. Die Mitarbeiterin sei ausgebildete Rechtsanwaltsfachangestellte und instruiert, förmlich zugestellte Schriftstücke mit dem auf dem gelben Briefkuvert vermerkten Datum zu stempeln und das Kuvert dem betreffenden Schriftstück beizufügen. Die Mitarbeiterin A habe ihre Aufgaben stets zuverlässig erledigt. Ihre Tätigkeit werde zudem in regelmäßigen Abständen überprüft und überwacht, ohne dass es zu Beanstandungen gekommen sei.

4 Im weiteren Verlauf der Bearbeitung des Schriftstückes habe die für den Prozessbevollmächtigten tätige Sachbearbeiterin B —nachdem ihr die Post zugeleitet worden sei— die Rechtsmittelfrist und die einwöchige Vorfrist auf der Grundlage des vermerkten Zustelldatums vom berechnet und auf dem Dokument vermerkt. Dabei habe sie —insbesondere auch aufgrund des Zusatzes „Zustellung"— berechtigterweise davon ausgehen können, dass der das korrekte Zustelldatum gewesen sei. Er, der Prozessbevollmächtigte selbst, habe erst mit dem am zugestellten Hinweisschreiben des Kenntnis von der Verfristung erhalten.

5 Dem Wiedereinsetzungsantrag vom waren zur Glaubhaftmachung u.a. die eidesstattlichen Versicherungen der Mitarbeiterinnen A und B beigefügt.

Gründe

II.

6 Die Revision ist unzulässig und daher durch Beschluss zu verwerfen (§ 124 Abs. 1, § 126 Abs. 1 der FinanzgerichtsordnungFGO—). Der Kläger hat die Revision nicht rechtzeitig begründet.

7 1. Hat der BFH —wie vorliegend— der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision stattgegeben, ist die Revision innerhalb von einem Monat nach Zustellung des Zulassungsbeschlusses zu begründen (§ 116 Abs. 7 Satz 2 Halbsatz 1, § 120 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 FGO).

8 Im Streitfall begann gemäß § 54 Abs. 2 FGO i.V.m. § 222 Abs. 1 der Zivilprozessordnung (ZPO), § 187 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzesbuchs die Begründungsfrist durch Einlegen des Zulassungsbeschlusses in den Kanzleibriefkasten (§ 53 Abs. 2 FGO i.V.m. § 180 Satz 2 ZPO) mit Ablauf des (Freitag) und endete mit Ablauf des (Montag). Der erst am beim BFH eingegangene Begründungsschriftsatz der Prozessbevollmächtigten des Klägers war mithin verspätet.

9 Ob der Fristbeginn auf einen Sonntag, allgemeinen Feiertag oder Samstag fällt, ist unerheblich, denn das Gesetz sieht in § 54 Abs. 2 FGO i.V.m. § 222 Abs. 2 ZPO diesen Umstand lediglich für das Ende der Frist als bedeutsam an (vgl. z.B. , BFH/NV 2013, 213, m.w.N.).

10 2. Dem Kläger ist keine Wiedereinsetzung in die versäumte Revisionsbegründungsfrist zu gewähren, denn er hat weder hinreichend dargelegt noch glaubhaft gemacht, dass die Fristversäumnis schuldlos war.

11 a) Die Wiedereinsetzung kommt in Betracht, wenn jemand ohne Verschulden an der Einhaltung der gesetzlichen Frist gehindert war (§ 56 Abs. 1 FGO). Bei Versäumung der Frist zur Begründung der Revision setzt dies in formeller Hinsicht voraus, dass innerhalb einer Frist von einem Monat (§ 56 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 FGO) nach Wegfall des Hindernisses die versäumte Rechtshandlung nachgeholt und diejenigen Tatsachen vorgetragen und im Verfahren über den Antrag glaubhaft gemacht werden, aus denen sich die schuldlose Verhinderung ergeben soll. Die Tatsachen, die eine Wiedereinsetzung rechtfertigen können, sind innerhalb dieser Frist vollständig, substantiiert und in sich schlüssig darzulegen (ständige Rechtsprechung, vgl. u.a. BFH-Beschluss in BFH/NV 2013, 213, m.w.N.). Jedes Verschulden —mithin auch einfache Fahrlässigkeit— schließt die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus (vgl. z.B. BFH-Beschluss in BFH/NV 2013, 213, m.w.N.). Der Beteiligte muss sich gemäß § 155 FGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO ein Verschulden seines Prozessbevollmächtigten zurechnen lassen (vgl. z.B. BFH-Beschluss in BFH/NV 2013, 213, m.w.N.). Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann nicht gewährt werden, wenn nach den glaubhaft gemachten Tatsachen die Möglichkeit offenbleibt, dass die Fristversäumnis vom Prozessbevollmächtigten verschuldet war (, BFH/NV 2017, 47).

12 b) Im Streitfall ist zumindest nicht hinreichend dargelegt und glaubhaft gemacht, dass das Versäumen der Begründungsfrist entschuldbar ist. Dabei kann dahinstehen, ob sich der Kläger mit Erfolg auf ein sog. Büroversehen der ansonsten zuverlässigen Angestellten seines Prozessbevollmächtigten berufen kann. Denn es bleibt zumindest die Möglichkeit offen, dass den Prozessbevollmächtigten selbst ein Verschulden trifft, das für das Versäumen der Begründungsfrist ursächlich geworden ist und das sich der Kläger zurechnen lassen muss. Ausgehend von dem Sachvortrag des Klägers ist es keinesfalls ausgeschlossen, sondern naheliegend, dass die Fristversäumnis darauf beruht, dass sein Prozessbevollmächtigter schuldhaft versäumt hat, die gebotene Fristenkontrolle vorzunehmen, nachdem ihm die Akten auf die Vorfrist hin vorgelegt worden waren.

13 aa) Nach der Rechtsprechung des BFH gehört es zu den Pflichten eines Bevollmächtigten, im Rahmen eines von ihm geführten Revisionsverfahrens bei der Bearbeitung der Sache eigenständig den Ablauf der Revisionsbegründungsfrist zu prüfen (z.B. BFH-Beschlüsse in BFH/NV 2013, 213; in BFH/NV 2017, 47, und vom  - VII R 31/08, BFH/NV 2009, 951). Für eine sorgfältige Prüfung besteht Anlass, weil die Revisionsbegründungsfrist auch für einen schwerpunktmäßig mit der Prozessführung beauftragten Rechtsanwalt regelmäßig keine alltägliche Frist ist (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 2017, 47). Die Pflicht zur eigenverantwortlichen Prüfung, ob das Fristende richtig ermittelt und eingetragen worden ist, gilt auch dann, wenn dem Prozessbevollmächtigten die Akten auf eine Vorfrist hin vorgelegt werden (z.B. , Neue Juristische Wochenschrift —NJW— 2008, 3439). Diese Prüfung muss zwar nicht sofort erfolgen, weil die Vorfrist den Sinn hat, dem Anwalt einen gewissen Spielraum zur Bearbeitung bis zum endgültigen Ablauf der Frist zu verschaffen. Sie kann daher auch noch am folgenden Tag vorgenommen werden (z.B. BGH-Beschluss in NJW 2008, 3429). Soll die Prüfung Sinn machen, darf sie jedoch nicht zurückgestellt werden, bis der Anwalt —ggf. erst am letzten Tag der Frist— die eigentliche Bearbeitung der Sache vornimmt. Vielmehr entsteht die Prüfungspflicht unabhängig davon, ob sich der Prozessbevollmächtigte daraufhin zur sofortigen Bearbeitung der Sache entschließt. Dementsprechend besteht für einen Anwalt, der die eigentliche Sachbearbeitung zurückstellen will, bei der Vorlage auf Vorfrist Anlass zur eigenverantwortlichen Prüfung, ob das Fristende richtig ermittelt und festgehalten wurde (z.B. BGH-Beschluss in NJW 2008, 3439).

14 bb) Dementsprechend war auch der Prozessbevollmächtigte des Klägers gehalten, den Ablauf der Begründungsfrist eigenständig zu prüfen. Eine solche Prüfung hätte der Prozessbevollmächtigte vornehmen müssen, nachdem ihm der Vorgang mit Ablauf der von der Mitarbeiterin B berechneten Vorfrist zum vorgelegt worden war. Dass dem Prozessbevollmächtigten die Sache, obwohl die Mitarbeiterin B auf der Grundlage des (unzutreffend) vermerkten Zustellungsdatums vom eine Vorfrist zum und eine „Ausschlussfrist“ zum berechnet hat, nicht zum Ablauf der Vorfrist, sondern erst nach dem tatsächlichen Ablauf der Begründungsfrist am vorgelegt worden ist, ist nicht ersichtlich. Entsprechendes hat auch der Prozessbevollmächtigte nicht vorgetragen.

15 Im Rahmen dieser Prüfung hätte der Prozessbevollmächtigte sich nicht ohne Weiteres auf die Richtigkeit des von der Kanzleimitarbeiterin A auf dem Zulassungsbeschluss des BFH angebrachten Eingangsstempels verlassen dürfen. Vielmehr hätte er selbst prüfen müssen, ob das dort angegebene Datum mit dem von dem Postbediensteten auf dem Zustellkuvert eingetragenen Zustellungsdatum übereinstimmt (vgl. BFH-Beschlüsse in BFH/NV 2009, 951; vom  - IX B 52/19, BFH/NV 2020, 211; vom  - IV B 39/10, BFH/NV 2011, 613, und in BFH/NV 2013, 213).

16 Eine entsprechende Prüfung wäre dem Prozessbevollmächtigten auch möglich gewesen, denn bei einer Zustellung gegen Zustellungsurkunde ist der Umschlag mit dem Zustellungsvermerk aufzubewahren und dem Prozessbevollmächtigten im Zusammenhang mit der rechtzeitigen Wiedervorlage der Sache zur Prüfung der Frist vorzulegen (vgl. BFH-Beschlüsse in BFH/NV 2013, 213; in BFH/NV 2009, 951, m.w.N.).

17 Eine solche Prüfung durch den Prozessbevollmächtigten ist jedoch offenbar unterblieben, denn —wie er selbst vorgetragen hat— ist er erst durch das Hinweisschreiben des auf den verspäteten Eingang der Revisionsbegründung aufmerksam geworden.

18 3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 2 FGO.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


ECLI Nummer:
ECLI:DE:BFH:2020:B.280920.VIIIR23.18.0

Fundstelle(n):
AO-StB 2021 S. 93 Nr. 3
BFH/NV 2021 S. 188 Nr. 2
DStR 2020 S. 15 Nr. 51
IAAAH-66196