Strafverurteilung wegen erpresserischen Menschenraubs u.a.: Konkurrenzverhältnis bei mehreren Tatbeteiligten
Instanzenzug: Az: 617 KLs 12/19 jug
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen erpresserischen Menschenraubes in Tateinheit mit versuchter räuberischer Erpressung, gefährlicher Körperverletzung, Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen (Tat zu II.2 der Urteilsgründe) sowie wegen Beihilfe zur gefährlichen Körperverletzung in Tateinheit mit Beihilfe zur Freiheitsberaubung und Bedrohung (Tat zu II.3 der Urteilsgründe) unter Einbeziehung von anderweitig rechtskräftig gewordenen Strafen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und neun Monaten verurteilt. Darüber hinaus hat es den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt. Es hat die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt bei Vorwegvollzug eines Teils der Freiheitsstrafe angeordnet und Einziehungsentscheidungen getroffen.
2Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
31. Allein die konkurrenzrechtliche Bewertung der unter II.2 und 3 der Urteilsgründe festgestellten Taten hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
4a) Nach den Feststellungen des Landgerichts verbrachten die in Absprache mit dem Angeklagten handelnden Mitangeklagten den Nebenkläger durch Drohung mit körperlicher Gewalt in die Wohnung des Angeklagten, um ihn zur Zahlung von Schulden in Höhe von mindestens 250 € aus Drogengeschäften zu zwingen. Zur Durchsetzung der Forderung, aber auch zur Bestrafung für die vom Nebenkläger vorgebrachten Ausflüchte und Beschwichtigungsversuche schlugen die Mitangeklagten den Nebenkläger mit Händen und Fäusten. Obwohl der Angeklagte und die Mitangeklagten nach einiger Zeit erkannten, dass der Nebenkläger weder Geld noch Wertgegenstände bei sich hatte, ließen sie nicht von ihm ab. Stattdessen setzten sie die Misshandlungen fort und demütigten den Nebenkläger auch durch die Aufnahme von Videos, in denen sie die an ihm vorgenommenen Gewalthandlungen und Demütigungen sowie dessen Verletzungen präsentierten. Der Angeklagte trug zur Steigerung der Aggressivität der Mitangeklagten bei und dirigierte das Geschehen. An den Videoaufnahmen beteiligte er sich und kommentierte sie auch. Im Anschluss versetzte er dem Nebenkläger eine heftige Ohrfeige, so dass jener zu Boden ging (Tat zu II.2 der Urteilsgründe).
5Im Laufe dieses Geschehens - noch vor der Aufnahme der Videos - hatten die Mitangeklagten den Entschluss gefasst, den Nebenkläger in einen Wald zu fahren, um ihn in Todesangst zu versetzen. Der Angeklagte bekam diese Planung mit und gab zu bedenken, dass die Mitangeklagten den Nebenkläger nicht umbringen dürften. Einer der Mitangeklagten versicherte ihm daraufhin, dass sie den Nebenkläger in den Wald fahren und „nur“ in Todesangst versetzen wollten. Damit war der Angeklagte einverstanden, wodurch die Mitangeklagten in ihrem Tatentschluss bestärkt wurden. Der Angeklagte rechnete damit, dass der Nebenkläger während der Autofahrt von den Mitangeklagten weiter geschlagen würde, was er ebenfalls billigte.
6Im Anschluss an das insgesamt etwa zwei Stunden dauernde Geschehen in der Wohnung setzten die Mitangeklagten ihren besprochenen Plan um. Während der Angeklagte in seiner Wohnung blieb, zwangen sie den Nebenkläger in ein Auto, wobei sie ihn im Laufe der folgenden Fahrt weiter schlugen. Infolge der angekündigten Tötung verspürte der Nebenkläger Todesangst und geriet in Panik. Im Rahmen eines Gerangels gelang ihm schließlich die Flucht (Tat zu II.3 der Urteilsgründe).
7b) Danach fällt die Beihilfehandlung des Angeklagten zu den weiteren Tathandlungen der Mitangeklagten zeitlich und situativ mit dem Geschehen in der Wohnung zusammen. Die Handlungen des Angeklagten im Rahmen des mehraktigen Tatgeschehens stellen sich als eine natürliche Handlungseinheit dar, so dass insoweit nur eine Tat im Rechtssinne vorliegt.
8Eine natürliche Handlungseinheit setzt voraus, dass zwischen mehreren strafrechtlich erheblichen Verhaltensweisen, die von einem einheitlichen Willen getragen werden, ein unmittelbarer räumlicher und zeitlicher Zusammenhang besteht und das gesamte Tätigwerden bei natürlicher Betrachtungsweise auch für einen „objektiven“ Dritten als ein einheitliches Tun erscheint (st. Rspr.; vgl. mwN). So verhält es sich hier. Denn das Geschehen in der Wohnung war von einem einheitlichen Willen des Angeklagten getragen und durch die fortdauernde Zwangslage des Nebenklägers geprägt.
9Darauf, ob die Geschehen in der Wohnung des Angeklagten und während der Autofahrt durch die Mitangeklagten tatmehrheitlich verwirklicht wurden, kommt es nicht an. Denn bei mehreren Tatbeteiligten ist für jeden nach der Art seines Tatbeitrags die konkurrenzrechtliche Bewertung selbständig zu treffen (st. Rspr.; vgl. , wistra 2014, 437 mwN).
10c) Der Senat ändert insoweit den Schuldspruch; § 265 StPO steht dem nicht entgegen, denn der in dieser Hinsicht geständige Angeklagte hätte sich nicht wirksamer als geschehen verteidigen können.
112. Die Änderung des Schuldspruchs zieht den Wegfall der verhängten Einzelstrafe in dem unter II.3 der Urteilsgründe festgestellten Fall, der Gesamtfreiheitsstrafe und des Ausspruchs über den Vorwegvollzug nach sich. Die zugrundeliegenden Feststellungen werden von der Aufhebung nicht erfasst. Sie können um solche ergänzt werden, die den bisherigen nicht widersprechen.
12Der Senat hat auch die Einzelfreiheitsstrafe im Fall II.2 der Urteilsgründe aufgehoben, um dem neuen Tatgericht eine Strafzumessung unter Berücksichtigung des von dem Angeklagten verwirklichten Gesamtunrechts zu ermöglichen, das von der konkurrenzrechtlichen Einordnung der Einzeltaten im Allgemeinen nicht berührt wird (). Durch das Verschlechterungsverbot des § 358 Abs. 2 StPO wäre das neue Tatgericht nicht daran gehindert, wegen der nunmehr einheitlich zu ahndenden Straftat eine höhere Strafe als die bislang verhängten Einzelfreiheitsstrafen zu verhängen, solange die bisherige Gesamtfreiheitsstrafe nicht überschritten wird (, JR 1983, 210).
13Der Maßregelausspruch (§ 64 StGB) kann ebenso wie die im Fall II.5 verhängte Freiheitsstrafe wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge bestehen bleiben, da diese von dem aufgezeigten Rechtsfehler nicht berührt werden.
143. Da sich das Verfahren nur noch gegen einen Erwachsenen richtet, hat der Senat die Sache an eine allgemeine Strafkammer zurückverwiesen.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2020:080720B5STR144.20.0
Fundstelle(n):
QAAAH-62654