BVerwG Beschluss v. - 7 B 2/20

Keine Hinzuziehung der Standortgemeinde zum Verfahren auf Änderung einer atomrechtlichen Aufbewahrungsgenehmigung

Leitsatz

Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie 2011/70/Euratom schafft weder eigenständige Beteiligungsrechte der Öffentlichkeit in Genehmigungsverfahren im Zusammenhang mit der Entsorgung abgebrannter Brennelemente noch entfaltet die Vorschrift ermessenslenkende Wirkung im Rahmen der Entscheidung über die Hinzuziehung zum Verfahren nach § 13 Abs. 2 Satz 1 VwVfG.

Gesetze: Art 28 Abs 2 S 1 GG, § 13 Abs 2 S 1 VwVfG, § 6 Abs 1 S 2 AtG, § 6 Abs 3 AtG, Art 10 Abs 2 EGRL 70/2011

Instanzenzug: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Az: 22 A 19.40029 Urteil

Gründe

I

1Die Klägerin begehrt als Standortgemeinde die Hinzuziehung zu einem Verfahren auf Änderung einer Aufbewahrungsgenehmigung für ein atomares Standort-Zwischenlager. Mit dieser Änderung soll die Zwischenlagerung radioaktiver Abfälle ermöglicht werden, die aus der Wiederaufarbeitung zurückgeführt werden. Das zuständige Bundesamt lehnte den Antrag ab. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Klage als unbegründet abgewiesen. Die Klägerin sei nicht notwendig hinzuzuziehen. Der Ausgang des Genehmigungsverfahrens habe für sie keine rechtsgestaltende Wirkung, denn eine Genehmigung entfalte keine rechtliche Bindungswirkung für ihre Bauleitplanung. Nicht zu beanstanden sei auch die Ermessensentscheidung der Beklagten, die Klägerin nicht im Wege der einfachen Hinzuziehung am Verfahren zu beteiligen. Es könne dahinstehen, ob die rechtlichen Interessen der Klägerin durch die Genehmigungsentscheidung berührt werden könnten. Jedenfalls seien Ermessensfehler nicht zu erkennen. Insbesondere stehe die Erwägung der Beklagten, dass die Hinzuziehung einer - durch Schaffung eines Bezugsfalls - Vielzahl von Drittbetroffenen der Nichtöffentlichkeit des anhängigen Änderungsgenehmigungsverfahrens widersprechen könnte, in Einklang mit dem Zweck der gesetzlichen Ermächtigung. Auch sei nachvollziehbar, dass aus der Sicht der Beklagten § 10 Satz 2 VwVfG gegen eine Hinzuziehung der Klägerin spreche.

2Der Verwaltungsgerichtshof hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen; dagegen richtet sich die Beschwerde der Klägerin.

II

3Die allein auf den Zulassungsgrund des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.

4Grundsätzliche Bedeutung im Sinne dieser Vorschrift hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine klärungsbedürftige Rechtsfrage des revisiblen Rechts aufwirft, die in dem angestrebten Revisionsverfahren beantwortet werden kann, sofern dies über den Einzelfall hinaus zur Wahrung einer einheitlichen Rechtsprechung oder zur Fortbildung des Rechts beiträgt. Die Klägerin legt nicht dar, dass diese Voraussetzungen von den von ihr aufgeworfenen Rechtsfragen erfüllt werden.

51. Die von der Klägerin zu den Voraussetzungen der notwendigen Hinzuziehung nach § 13 Abs. 2 Satz 2 VwVfG ausdrücklich als rechtsgrundsätzlich bedeutsam bezeichnete Frage,

ob eine Hinzuziehung der Standortkommune aufgrund ihres Rechts auf kommunale Selbstverwaltung (Art. 28 Abs. 2 GG) notwendigerweise zu erfolgen hat (§ 13 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 VwVfG),

ist als solche zu allgemein formuliert, als dass sie die Zulassung der Revision rechtfertigen könnte. Sie unterstellt letztlich eine mögliche Verletzung des kommunalen Selbstverwaltungsrechts. Dass in einer solchen Situation die Beteiligung der Gemeinde - ob einfachrechtlich nach Maßgabe von § 13 Abs. 2 Satz 2 VwVfG bei Annahme einer rechtsgestaltenden Einwirkung (vgl. 8 C 5.19 - juris Rn. 14, 16) oder unmittelbar von Verfassung wegen jedenfalls im Wege der Anhörung (vgl. etwa BVerfG, Beschlüsse vom - 2 BvR 826/83 - BVerfGE 76, 107 <122> und vom - 2 BvL 2/13 - BVerfGE 138, 1 Rn. 60) - geboten ist, bedarf keiner Klärung mehr (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom - 4 B 232.91 - juris Rn. 5, vom - 7 B 126.92 - Buchholz 11 Art. 28 GG Nr. 92 S. 31 <juris Rn. 3> und vom - 7 B 86.10 - juris Rn. 8; Urteil vom - 11 C 18.93 - BVerwGE 97, 203 <211 f.>).

6Auch die anschließend aufgeworfenen Fragen zur Reichweite des kommunalen Selbstverwaltungsrechts führen nicht zur Zulassung der Revision.

7Mit der Frage,

inwieweit eine Änderung der Nutzung des Zwischenlagers durch Einlagerung anderer als der bisher genutzten Behälter und durch Einlagerung nicht am Standort des örtlichen Kernkraftwerks erzeugter Abfälle die Planungshoheit der Kommune als unstreitig von der kommunalen Selbstverwaltungshoheit nach Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG umfasstes Recht berührt,

wird ein rechtsgrundsätzlicher Klärungsbedarf nicht aufgezeigt. Der Gegenstand des Verfahrens, zu dem die Hinzuziehung begehrt wird, ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt, sodass die Frage zu verneinen ist.

8Die Planungshoheit der Gemeinde umfasst das ihr als Selbstverwaltungskörperschaft zur eigenverantwortlichen Aufgabenwahrnehmung zugewiesene Recht auf Planung und Regelung der Bodennutzung in ihrem Gebiet ( 4 C 51.83 - BVerwGE 74, 124 <132> und vom - 4 C 40.86 - BVerwGE 81, 95 <106>; siehe auch - BVerfGE 147, 185 Rn. 88). Sie kann beeinträchtigt werden, wenn ein Vorhaben eine hinreichend bestimmte Planung nachhaltig stört, wesentliche Teile des Gemeindegebiets einer durchsetzbaren gemeindlichen Planung entzieht oder wenn kommunale Einrichtungen durch das Vorhaben in ihrer Funktionsfähigkeit erheblich beeinträchtigt werden; zudem ist die Planungshoheit betroffen, wenn ein Vorhaben die Umsetzung bestehender Bebauungspläne faktisch erschwert oder die in ihnen zum Ausdruck kommende städtebauliche Ordnung nachhaltig stört (stRspr, siehe 4 A 4.15 - BVerwGE 157, 73 Rn. 58, vom - 7 A 17.12 - BVerwGE 161, 17 Rn. 69 und vom - 9 A 22.18 - BVerwGE 165, 185 Rn. 10, 12 f.)

9Der hiernach vorausgesetzte unmittelbare Bezug zur Bodennutzung fehlt der atomrechtlichen Aufbewahrungsgenehmigung und deren Änderung nach § 6 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 Satz 2 Atomgesetz (AtG), die die Vorschrift des § 7 AtG über die Anlagengenehmigung als lex specialis verdrängt ( 7 C 39.07 - BVerwGE 131, 129 Rn. 10). Die Aufbewahrungsgenehmigung nach § 6 AtG ist eine rein tätigkeitsbezogene Regelung, die anders als die Genehmigung nach § 7 AtG lediglich den Betrieb regelt, nicht aber die Errichtungsgenehmigung für das Zwischenlager umfasst. Über die Errichtung wird nach Maßgabe der landesrechtlichen Bestimmungen des Bauordnungsrechts entschieden ( 4 C 1.88 - BVerwGE 82, 61 <67 ff.>; - NVwZ 2009, 171 <juris Rn. 6>). Ungeachtet der atomrechtlichen Vorbehalte in Bezug auf die Nutzung des Zwischenlagers legt die Baugenehmigung den Standort der Anlage und die Beschaffenheit der Halle fest und bestimmt so die bauplanungsrechtliche Situation.

10Die von der Klägerin - neben der auf die Beeinträchtigung der Planungshoheit bezogenen Frage - des Weiteren aufgeworfene Frage,

ob sich aus dem Aspekt der örtlichen Gesundheitsfürsorge als Teil der Zuordnung zum eigenen Wirkungskreis eine materielle Rechtsposition ergibt,

ist nicht klärungsfähig, weil es an den hierzu erforderlichen tatsächlichen Feststellungen fehlt ( 7 BN 3.18 - Buchholz 406.27 § 32 BBergG Nr. 2 Rn. 8).

11In der Rechtsprechung ist geklärt, dass die Gemeinden unabhängig von einer Beeinträchtigung ihrer Planungshoheit auch gegenüber solchen Planungen und Maßnahmen überörtlicher Verwaltungsträger rechtlich geschützt sind, die das Gemeindegebiet oder Teile hiervon nachhaltig betreffen und die Entwicklung der Gemeinde beeinflussen. Dies ist namentlich dann der Fall, wenn die Gestaltung der gemeindlichen Infrastruktur betroffen ist (vgl. 11 VR 33.95 - juris Rn. 16; Urteile vom - 7 C 28.85 - BVerwGE 77, 128 <132 f.> und vom - 11 C 18.93 - BVerwGE 97, 203 <211 f.>, jeweils m.w.N.). Es ist aber nicht dargelegt, dass die Frage, ob und inwieweit neben Auswirkungen auf die bauliche Infrastruktur auch Einwirkungen auf sonstige Einrichtungen in der bzw. Aufgabenbereiche der Gemeinde - hier die von der Klägerin nicht weiter konkretisierte örtliche Gesundheitsfürsorge - durch verfahrensrechtliche und materiell-rechtliche Anforderungen geschützt sind, im angestrebten Revisionsverfahren überhaupt geklärt werden könnte. Denn zu dem behaupteten Schutzgut hat der Verwaltungsgerichtshof - mangels Vortrags der Klägerin - keine Feststellungen getroffen.

12Soweit die Klägerin letztlich auf Gesundheitsgefahren für die Gemeindebevölkerung abstellen wollte, wird ein solches Vorbringen von Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG nicht gedeckt. Die kommunale Selbstverwaltungsgarantie erlaubt es den Gemeinden nicht, die ihren Einwohnern zustehenden Rechte als deren Sachwalter geltend zu machen (stRspr, 4 A 4.15 - BVerwGE 157, 73 Rn. 13, vom - 3 A 10.15 - Buchholz 442.09 § 18 AEG Nr. 83 Rn. 27 und vom - 9 A 22.18 - BVerwGE 165, 185 Rn. 11; Beschluss vom - 7 B 72.06 - NVwZ 2007, 841 <juris Rn. 15>).

132. Schließlich will die Klägerin zur Möglichkeit der einfachen Hinzuziehung gemäß § 13 Abs. 2 Satz 1 VwVfG geklärt wissen,

ob der Standortkommune im Rahmen der Ermessensausübung im Rahmen der einfachen Hinzuziehung § 10 Satz 2 VwVfG entgegengehalten werden kann, obwohl Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie 2011/70/Euratom effektive Beteiligungsmöglichkeiten der Öffentlichkeit - wozu auch die Standortkommune zählt - an der Entscheidungsfindung im Zusammenhang mit der Entsorgung abgebrannter Brennelemente und radioaktiver Abfälle vorsieht.

14Es bedarf indessen nicht der Durchführung eines Revisionsverfahrens, um festzustellen, dass der genannten Richtlinienbestimmung insoweit nicht die ihr von der Klägerin zugedachte ermessenslenkende Wirkung zukommt.

15Nach Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie 2011/70/Euratom des Rates vom über einen Gemeinschaftsrahmen für die verantwortungsvolle und sichere Entsorgung abgebrannter Brennelemente und radioaktiver Abfälle (ABl. L 199 S. 48) gewährleisten die Mitgliedstaaten, dass der Öffentlichkeit im erforderlichen Umfang die Möglichkeit gegeben wird, sich in Einklang mit dem nationalen Recht und internationalen Verpflichtungen an der Entscheidungsfindung im Zusammenhang mit der Entsorgung abgebrannter Brennelemente und radioaktiver Abfälle effektiv zu beteiligen. Diese Bestimmung bezieht sich als Teil des übergreifenden nationalen Rahmens (Art. 5 Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie) auf alle Entscheidungen im Zusammenhang mit der Entsorgung abgebrannter Brennelemente und der Entsorgung radioaktiver Abfälle von der Erzeugung bis zur Endlagerung (Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie) und beschränkt sich nicht auf das nationale Entsorgungsprogramm nach Art. 5 Abs. 1 Buchst. a, Art. 11 ff. der Richtlinie. Art. 12 Abs. 1 Buchst. j der Richtlinie ordnet ausdrücklich an, dass die allgemein geltenden Transparenzanordnungen des Art. 10 der Richtlinie zu dessen Bestandteilen gehören. Im deutschen Recht wird diesen speziellen Anforderungen durch die Anordnung der Pflicht zur Durchführung einer Strategischen Umweltprüfung (SUP) für das nationale Entsorgungsprogramm nach § 2c AtG Rechnung getragen (§ 35 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. Anl. 5 Nr. 1.13 des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung <UVPG>).

16Die umfassende Geltung für alle auf die Entsorgung bezogenen Genehmigungen wird bestätigt durch die Entstehungsgeschichte des Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie. Denn die in der legislativen Entschließung des Europäischen Parlaments vom zu Art. 12 Abs. 2 des Richtlinienvorschlags der Kommission erfolglos unterbreitete Abänderung sah in Art. 12a eine ausdrücklich auf die frühzeitige Öffentlichkeitsbeteiligung bei der Ausarbeitung des nationalen Entsorgungsprogramms beschränkte Regelung vor (ABl. C 390 E S. 147 ff., 172 f.). Dem nationalen Entsorgungsprogramm vom August 2015 (Unterrichtung durch die Bundesregierung, BT-Drs. 18/5980 S. 12) liegt dieses Verständnis ebenfalls zugrunde, indem dort unter Nr. 5.3 die Öffentlichkeitsbeteiligung im Rahmen von Genehmigungsverfahren für kerntechnische Anlagen und Einrichtungen sowie von Planfeststellungs- bzw. Genehmigungsverfahren für Endlager erwähnt wird.

17Die Öffentlichkeit, zu der nach Erwägungsgrund 31 der Richtlinie auch alle betroffenen Interessengruppen einschließlich der lokalen Gebietskörperschaften zählen, ist allerdings, wie Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie ausdrücklich festlegt, "in Einklang mit dem nationalen Recht und internationalen Verpflichtungen" zu beteiligen. Die Vorschrift verweist damit auf bereits bestehende rechtliche Verpflichtungen, die gegebenenfalls internationalen Übereinkommen genügen müssen bzw. in deren Licht auszulegen sind. Eigenständige Beteiligungsrechte werden demgegenüber nicht geschaffen. Entscheidend sind vielmehr in erster Linie die von Vorgaben des Unionsrechts und der Aarhus-Konvention geprägten Bestimmungen über die UVP-Pflicht eines Vorhabens. Sind diese Voraussetzungen - hier nach Maßgabe einer Vorprüfung gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 2, § 6 i.V.m. Anl. 1 Nr. 11.3 UVPG (i.V.m. § 2a Abs. 1 Satz 2, Abs. 1a AtG sowie der Verordnung über das Verfahren bei der Genehmigung von Anlagen nach § 7 des Atomgesetzes - Atomrechtliche Verfahrensverordnung <AtVfV>, neugefasst durch Bekanntmachung vom , BGBl I S. 180) - nicht erfüllt, kann diese gesetzgeberische Entscheidung nicht im Wege einer gegenläufigen Ermessenslenkung überspielt werden.

18Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2 GKG.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2020:310720B7B2.20.0

Fundstelle(n):
TAAAH-56925