Verbale sexuelle Belästigungen mit Hilfe sozialer Medien; Versendung pornografischer Fotos; überlange Verfahrensdauer
Leitsatz
1. Begeht ein Soldat wiederholt disziplinarisch relevante verbale sexuelle Belästigungen mit Hilfe sozialer Medien und verbindet er damit unaufgefordert die Versendung pornographischer Fotos, handelt es sich regelmäßig um keine leichte sexuelle Belästigung, sodass die Herabsetzung im Dienstgrad den Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen bildet.
2. Der Zeitraum zwischen Einlegung der Berufung und Vorlage der Berufungsakten beim Bundesverwaltungsgericht durch den Bundeswehrdisziplinaranwalt ist bei der Bestimmung der angemessenen Verfahrensdauer einzubeziehen.
Gesetze: § 38 Abs 1 WDO 2002, § 38 Abs 2 WDO 2002, § 58 Abs 1 Nr 4 WDO 2002, § 58 Abs 7 WDO 2002, § 62 Abs 1 S 4 WDO 2002, § 83 Abs 1 S 1 WDO 2002, § 91 Abs 1 S 1 WDO 2002, § 116 Abs 1 S 1 WDO 2002, § 117 WDO 2002, § 119 WDO 2002, § 140 Abs 2 S 1 WDO 2002, § 3 Abs 4 SoldGG, § 7 Abs 2 SoldGG, § 7 SG, § 10 Abs 1 SG, § 10 Abs 3 SG, § 10 Abs 6 SG, § 12 SG, § 17 Abs 2 S 1 SG, § 17 Abs 2 S 3 SG, § 153 StPO, § 261 StPO, § 11 Abs 3 StGB, § 184 Abs 1 Nr 6 StGB
Instanzenzug: Truppendienstgericht Nord Az: N 2 VL 5/17 Urteil
Tatbestand
1Das Verfahren betrifft die disziplinarische Ahndung verbaler sexueller Belästigungen über soziale Medien und die damit einhergehende Versendung pornographischer Fotos.
2Der ... geborene Zeitsoldat trat ... in die Bundeswehr ein und wurde ... zum Oberfeldwebel befördert. Er war ... und ... für insgesamt sieben Monate im Auslandseinsatz in ..., wofür ihm die Einsatzmedaille der Bundeswehr ... in Bronze verliehen wurde. 2013 wurde er geschieden und 2015 beantragte er die Privatinsolvenz. Durch Disziplinargerichtsbescheid vom wurde gegen ihn ein Beförderungsverbot für die Dauer von 24 Monaten wegen Beschädigung von Bundeswehrmaterial verhängt.
3Nach ordnungsgemäßer Einleitung des Disziplinarverfahrens legte die Wehrdisziplinaranwaltschaft dem Soldaten mit Anschuldigungsschrift vom folgende sexuelle Belästigungen von zwei Soldatinnen zur Last:
1. Der Soldat schickte der in derselben Staffel eingesetzten Zeugin Stabsunteroffizier B. sowohl im Dienst vom Truppenübungsplatz ... sowie vom Kasernengelände in ... als auch außer Dienst von einem nicht näher bestimmbaren Ort in der Zeit zwischen dem und dem per "WhatsApp" drei Fotos von seinem erigierten Penis sowie u.a. folgende Nachrichten:
- "Wie kann ich dich überreden zu nem geilen Fick?"
- "Willst ihn mal sehen?"
- "Wett du willst nen Schwanz?"
- "Ich wichs gerad"
- "Will lecken"
- "Bist rasiert?"
- "Hast kein bock gefickt zu werden?"
- "Dann duschen ... string an ... und auf mich warten"
- "Ficken?"
- "Und den Arsch würde ich dir versohlen"
- "Lass uns ficken verdammt"
- "Möchtest du gezwungen werden?"
- "Würdest du mir einen wichsen ... wenn ich lieb frage?"
- "Kuss?"
- "Warum willst nicht vögeln?"
- "willst du ihn sehn ... und dann beurteilst du?"
- "sag das du ihn sehen willst"
- "Was hast du heut drunter?"
- "Darf ich dich heut ficken?"
- "Was hast an"
- "Drunter?"
- "String?",
obwohl er wusste, zumindest aber hätte wissen können und müssen, dass die Zeugin sich durch dieses Verhalten bedrängt und sexuell belästigt fühlte.
2. Der Soldat schrieb außer Dienst von einem nicht näher bestimmbaren Ort in der Zeit zwischen dem gegen 11:27 Uhr und dem gegen 0:30 Uhr per "Facebook Messenger" der zu diesem Zeitpunkt in derselben Staffel eingesetzten Zeugin Flieger ... W. u.a. folgende Nachrichten:
- "Also ficken würde ich dich schon gern ...hihihi"
- "will dich"
- "Bläst du?"
- "Hätt Bock auf Dich"
- "Interesse am ficken?"
- "Kannst es dir vorstellen?"
- "Überleg dir mal ob du morgen abend Lust auf nen schwanz hast
wenn ja 1930 im krafteaum".
- "sprachlos wärst du wenn du meinen schwanz bläst"
- "Was hast du an unterwäsche an? ;-)",
obwohl er wusste, zumindest aber hätte wissen können und müssen, dass die damalige Rekrutin sich durch dieses Verhalten peinlich berührt und sexuell belästigt fühlte.
4Der Soldat wurde nach Bekanntwerden der Vorwürfe aus seiner Einheit wegversetzt und in der Folgezeit auf einem dienstpostenähnlichen Konstrukt an einem anderen Standort eingesetzt. Das sachgleich zum Anschuldigungspunkt 1 geführte staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren wegen Verbreitens pornographischer Schriften wurde am gemäß § 153 Abs. 1 StPO eingestellt. Zwar komme ein strafbares Verhalten nach § 184 Abs. 1 Nr. 6 StGB in Betracht. Auch bei einem nicht ganz einfachen Tatnachweis wäre die Schuld jedoch angesichts der geringen Strafandrohung, der fehlenden Vorstrafen des Beschuldigten, der geständigen Einlassung und der bekundeten Reue gering.
5Das Truppendienstgericht ... hat gegen den Soldaten mit Urteil vom ein Beförderungsverbot für die Dauer von 24 Monaten verhängt. In objektiver Hinsicht seien die Verfehlungen gegenüber beiden Soldatinnen erwiesen. Der Soldat habe sie auch eingeräumt. In subjektiver Hinsicht habe er im ersten Fall bei der Frau Stabsunteroffizier B. nicht vorsätzlich gehandelt. Er habe den Eindruck gewonnen, dass die Soldatin nichts dagegen habe. Deren Chat-Beiträge seien interpretationsfähig, weil sie fortwährend auf die Gesprächsführung des Soldaten eingegangen sei, selbst nachdem er drastische sexuelle Anspielungen gemacht habe; ihr sei das Verhalten des Soldaten zwar "unerwünscht" gewesen. Auf der Grundlage des konkreten Dialogs habe sich dies dem Soldaten aber nicht aufdrängen müssen, sodass er die Soldatin lediglich fahrlässig sexuell belästigt habe. Hingegen habe er bei der Rekrutin vorsätzlich gehandelt. Die Rekrutin habe ihr Desinteresse von Anfang an deutlich gemacht.
6Im ersten Fall liege zwar ein dienstliches Fehlverhalten, aber kein kriminelles Unrecht vor. Diese Rechtsauffassung der Staatsanwaltschaft sei auch vertretbar. Im zweiten Fall habe die sexuelle Belästigung außer Dienst stattgefunden. Der Soldat habe damit gegen seine Pflichten nach § 10 Abs. 3 und Abs. 6, § 17 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 und Satz 3 Alt. 2 SG verstoßen. Ferner habe er § 7 Abs. 2 i.V.m. § 3 Abs. 4 SoldGG und dadurch § 7 SG verletzt.
7Zwar wiege das Dienstvergehen schwer, sodass grundsätzlich eine Dienstgradherabsetzung geboten sei; da jedoch ein minderschwerer Fall vorliege, sei ein Beförderungsverbot auszusprechen. Ein minderschwerer Fall ergebe sich daraus, dass im ersten Anschuldigungspunkt bei der innerdienstlichen Pflichtverletzung der Belästigungsvorsatz fehle und dass im zweiten Anschuldigungspunkt nur eine außerdienstliche Pflichtverletzung anzunehmen sei. Es liege keine körperliche sexuelle Belästigung vor. Die Verfehlungen seien jeweils über das Internet erfolgt und ohne eine persönliche Konfrontation mit den Opfern.
8Zugunsten des Soldaten sei zu berücksichtigen, dass er sich zur Tatzeit wegen einer "hässlichen" Scheidung und der Trennung von seinen Kindern in einer seelischen Ausnahmesituation befunden habe. Er habe bei seinem ersten Auslandseinsatz 2008 traumatische Erlebnisse gehabt. Nicht auszuschließen sei, dass er zur Tatzeit an einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) gelitten habe. Ferner sei zu seinen Gunsten zu berücksichtigen, dass er sich in den vergangenen Jahren gebessert und leistungsmäßig gesteigert habe. Wegen der Nachbewährung bestehe keine Wiederholungsgefahr. Der Soldat sei außerdem reuig und geständig.
9Die Wehrdisziplinaranwaltschaft hat gegen das Urteil form- und fristgerecht eine auf die Anfechtung der Disziplinarmaßnahme beschränkte Berufung eingelegt. Das Truppendienstgericht sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass die Staatsanwaltschaft das Verfahren mangels Strafbarkeit eingestellt habe. Außerdem habe es Milderungsgründe zugrunde gelegt, die in der Hauptverhandlung nicht bewiesen worden seien. Es habe zu Unrecht außer Acht gelassen, dass der Soldat während eines laufenden Beförderungsverbots erneut versagt habe. Daher sei eine Degradierung geboten.
10Im Berufungsverfahren hat der Senat eigene Feststellungen zur Tat- und Schuldfrage getroffen. Er hat des Weiteren die vorhandenen dienstlichen Beurteilungen ausgewertet und die Aussagen der früheren und aktuellen Disziplinarvorgesetzten berücksichtigt. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Protokoll der Berufungshauptverhandlung und die darin in Bezug genommenen Beweismittel verwiesen.
Gründe
11Die zulässige Berufung ist begründet.
121. Das Rechtsmittel der Wehrdisziplinaranwaltschaft ist auf die Bemessung der Disziplinarmaßnahme beschränkt worden. Der Senat hat in diesem Fall gemäß § 91 Abs. 1 Satz 1 WDO i.V.m. § 327 StPO grundsätzlich die Tat- und Schuldfeststellungen sowie die disziplinarrechtliche Würdigung des Truppendienstgerichts seiner Entscheidung zugrunde zu legen und auf dieser Grundlage über die angemessene Disziplinarmaßnahme zu befinden ( 2 WD 15.18 - Rn. 17 f. m.w.N.). Etwas anderes gilt jedoch, wenn die erstinstanzliche Entscheidung an schweren Mängeln des Verfahrens im Sinne von § 120 Abs. 1 Nr. 2, § 121 Abs. 2 WDO leidet. Als schwerwiegender Mangel des Verfahrens ist in der Rechtsprechung des Senats u. a. das Fehlen von ausreichenden und widerspruchsfreien Feststellungen zur Tat- und Schuldfrage anerkannt (vgl. 2 WD 10.09 - juris Rn. 15). Denn Voraussetzung für die im Berufungsverfahren zu treffende Entscheidung über die gebotene und angemessene Disziplinarmaßnahme ist, dass die durch die Beschränkung der Berufung unangreifbar gewordenen Tat- und Schuldfeststellungen des angeschuldigten Soldaten hinreichend, nachvollziehbar, in sich schlüssig und widerspruchsfrei sind. Unklare, lückenhafte oder widersprüchliche Feststellungen können keine ausreichende Grundlage für das festzusetzende Disziplinarmaß sein (vgl. 2 WD 10.09 - juris Rn. 16).
13So liegt der Fall hier. Die zentrale Schuldfeststellung des Truppendienstgerichts, der Soldat habe bei dem Dienstvergehen kein vorsätzliches kriminelles Unrecht begangen, beruht auf in sich widersprüchlichen Feststellungen. Einerseits hat das Truppendienstgericht zur Begründung dafür lediglich ausgeführt, die Staatsanwaltschaft sei in vertretbarer Weise davon ausgegangen, dass der Soldat durch sein Verhalten keinen Straftatbestand verwirklicht habe. Andererseits hat es den Einstellungsvermerk der Staatsanwaltschaft im Urteil wörtlich zitiert; dieser Vermerk hält die Strafbarkeit nach § 184 Abs. 1 Nr. 6 StGB für möglich und stützt die Einstellung nach § 153 StPO auf (jedenfalls) geringe Schuld. Hieraus kann nicht gefolgert werden, die Staatsanwaltschaft habe den Straftatbestand des § 184 Abs. 1 Nr. 6 StGB verneint. Denn eine Einstellung nach § 153 StPO kommt gar nicht erst in Betracht, wenn die Tat nicht straf- und verfolgbar ist (Schmitt, in: Meyer-Goßner, StPO, 62. Aufl. 2019, § 153 Rn. 3). Damit fehlt es in dem truppendienstgerichtlichen Urteil an nachvollziehbaren rechtlichen Erwägungen zur Frage eines strafbaren unaufgeforderten Übersendens pornographischer Bilder.
14Von der wegen dieses schweren Verfahrensmangels nach § 121 Abs. 2 WDO eröffneten Möglichkeit, die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Urteils zur nochmaligen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen, hat der Senat - wie durch einen richterlichen Hinweis in der Verhandlung angekündigt - im vorliegenden Fall keinen Gebrauch gemacht. Im Rahmen des ihm insoweit eröffneten Ermessens hat er aus Gründen der Beschleunigung des Gerichtsverfahrens auf der Grundlage einer eigenen Beweisaufnahme die erforderlichen Beweise erhoben und selbst in der Sache entschieden. Aufgrund des schweren Verfahrensfehlers der erstinstanzlichen Entscheidung ist allerdings die Bindung des Berufungsgerichts - ähnlich wie im Fall der Zurückverweisung - an die Tat- und Schuldfeststellungen der erstinstanzlichen Entscheidung entfallen, weil widersprüchliche Feststellungen keine ausreichende Grundlage für das festzusetzende Disziplinarmaß sein können. Der Wegfall der Bindungswirkung gilt wie im Fall der Zurückverweisung für die Feststellungen zu allen Anschuldigungspunkten, auch wenn das Urteil - wie hier - nur in einem Anschuldigungspunkt schwer fehlerhaft ist. Denn nach dem Grundsatz der Einheit des Dienstvergehens kann die Berufung nicht auf einzelne Anschuldigungspunkte beschränkt werden ( 2 WD 1.06 - juris Rn. 31 f.). Darum kann auch eine beschränkte Berufung nicht hinsichtlich einzelner Anschuldigungspunkte fortbestehen.
152. In tatsächlicher Hinsicht geht der Senat davon aus, dass der Soldat hinsichtlich des ersten Anschuldigungspunktes vorsätzlich Frau Stabsunteroffizier B. verbal sexuell belästigt und ihr vorsätzlich unaufgefordert drei Bilder seines erigierten Penis per "WhatsApp" übermittelt hat. Der objektive Inhalt der angeschuldigten Texte und Bilder sowie die Zeitpunkte der Übermittlung sind aus dem Handy der Betroffenen ausgelesen worden. Daraus ergibt sich zweifelsfrei, dass ein Großteil der Nachrichten im Dienst während einer Übung übersandt und dass die Aufnahmen vom Penis des Soldaten auf einem Truppenübungsplatz gemacht worden sind. Dies wird auch vom Soldaten nicht bestritten. Dass der Soldat von der Betroffenen nicht zur Übersendung dieser Bilder aufgefordert worden ist, steht aufgrund des Chatverlaufs ebenfalls eindeutig fest. Frau Stabsunteroffizier B. hat die Frage, ob sie den Penis sehen wolle, nicht bejaht. Auch ihre sonstigen Äußerungen in dem Chat-Verlauf enthalten objektiv keine Einwilligung oder Ermunterung zu den vom Soldaten übersandten rein sexuellen Aufforderungen. Vielmehr finden sich auf die hartnäckigen Aufforderungen zum Geschlechtsverkehr eindeutige Absagen wie "nee", "nö", "Ich lasse mich nicht zu sowas zwingen", "Nope!!!", "Bin keine Frau für eine Nacht! Und auch nicht für iwelche Spaßbeziehungen oder wie auch immer man das heutzutage nennt". Soweit der Soldat erklärt hat, er sei von einem Einverständnis der Betroffenen mit dem von ihm geführten sexualisierten Dialog ausgegangen, schenkt der Senat dem keinen Glauben. Der Soldat hat selbst erklärt, dass er an die Handynummer der Frau Stabsunteroffizier B. nur aufgrund des dienstlichen Kontakts gekommen sei und dass er sie nicht privat gekannt habe. Vor diesem Hintergrund kann er nicht ernsthaft mit dem Einverständnis der ihm privat völlig fremden Soldatin gerechnet haben.
16Hinsichtlich des zweiten Anschuldigungspunktes schließt sich der Senat auf Grund eigener Beweiswürdigung den Ausführungen des Truppendienstgerichts an, dass der Soldat die Rekrutin außerhalb des Dienstes auf einem privaten Kommunikationsweg durch die angeschuldigten Nachrichten per "Facebook Messenger" vorsätzlich sexuell belästigt hat und dass ihm die Rechtswidrigkeit seines Tuns ebenfalls voll bewusst war. Dies folgt schon aus dem einleitenden Satz in dem Chat: "Wenns raus kommt bin ich im sack".
173. In rechtlicher Hinsicht hat der Soldat in beiden angeschuldigten Fällen vorsätzlich gegen seine Pflicht zum respektvollen Umgang mit Kameradinnen (§ 12 SG), gegen seine Vorbild-, Fürsorge- und Zurückhaltungspflichten als Vorgesetzter (§ 10 Abs. 1, Abs. 3 und Abs. 6 SG) sowie gegen die Pflicht zum achtungs- und vertrauensvollen Verhalten als Vorgesetzter (§ 17 Abs. 2 SG) verstoßen.
18a) Im ersten Fall hat der Soldat sich im Dienst so verhalten, dass er der Achtung und dem Vertrauen nicht gerecht geworden ist, die seine Stellung erfordert (§ 17 Abs. 2 Satz 1 SG). Er hat seine Pflicht zum treuen Dienen und zur Loyalität gegenüber der Rechtsordnung (§ 7 SG) verletzt, indem er Frau Stabsunteroffizier B. sexuell belästigt (§ 7 Abs. 2 SoldGG) und sich durch unaufgefordertes Versenden pornographischer Bilder nach § 184 Abs. 1 Nr. 6 StGB strafbar gemacht hat.
19aa) Die Äußerungen des Soldaten bildeten eine wiederholte und hartnäckig über mehrere Wochen anhaltende sexuelle Belästigung im Sinne des § 7 Abs. 2 SoldGG. Sie verstießen nicht lediglich gegen die sich nach außerrechtlichen Maßstäben zu beurteilenden Grundsätze des guten Geschmacks oder Taktes (vgl. 2 WD 6.07 - Buchholz 449 § 10 SG Nr. 59 Rn. 69 zu § 185 StGB). Nach § 3 Abs. 4 SoldGG liegt eine sexuelle Belästigung vor, wenn ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird. Nach der beispielhaften Auflistung der Norm kann ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten insbesondere - wie hier - in Aufforderungen zu sexuellen Handlungen, in Bemerkungen sexuellen Inhalts und im Zeigen pornographischer Bilder liegen.
20Diese vom Soldaten wiederholt gezeigten Verhaltensmuster waren der betroffenen Soldatin nach ihren glaubhaften Zeugenaussagen unerwünscht. Das gesetzliche Tatbestandsmerkmal der Unerwünschtheit erfordert nicht, dass die Betroffenen dem Belästigenden die ablehnende Einstellung zu den fraglichen Verhaltensweisen zuvor aktiv verdeutlichen. Es reicht aus, wenn der Handelnde aus der Sicht eines objektiven Beobachters davon ausgehen muss, dass das Verhalten unter den gegebenen Umständen von der Betroffenen nicht erwünscht oder auch nicht akzeptiert wird ( 2 WD 13.16 - juris Rn. 85 m.w.N.). Daher kommt es nicht darauf an, dass die Zeugin zu keinem Zeitpunkt verbalisiert hat, der Soldat möge mit dem Thema "Sex" aufhören. Dass die Äußerungen unerwünscht waren, ergibt sich für einen objektiven Beobachter bereits daraus, dass die Zeugin zum einen die wiederholten Anfragen verneint hat und zum anderen das Thema in der Konversation nicht aufgenommen, sondern vielmehr versucht hat, auf andere Gesprächsfelder abzulenken.
21Durch die hartnäckigen Aufforderungen zum Geschlechtsverkehr wurde auch die Würde der Soldatin im Sinne des § 3 Abs. 4 SoldGG verletzt. Dass der frühere Soldat der Zeugin seine sexuellen Fantasien aufgedrängt hat und sie darin einbezogen hat, verletzt sie in ihrer Würde (vgl. dazu 2 WD 4.13 - juris Rn. 32 und vom - 2 WD 13.16 - juris Rn. 85). Dieses Verhalten dokumentiert die fehlende Achtung vor der Intimsphäre und der sexuellen Ehre der Geschädigten, wird ihr doch angesonnen, aus reiner Obsession mit einem ihr fremden, aber ranghöheren Soldaten Geschlechtsverkehr auszuüben.
22bb) Durch das Übersenden der Fotos hat der Soldat ferner den Straftatbestand des § 184 Abs. 1 Nr. 6 StGB vorsätzlich verwirklicht. Denn er hat pornographische Schriften im Sinne des § 11 Abs. 3 StGB an einen anderen - die Zeugin B. - gelangen lassen, ohne von ihr hierzu aufgefordert worden zu sein. Der pornographische Gehalt der drei übersandten Bilddateien steht zur Überzeugung des Senats fest, da die Übermittlung von Fotos eines erigierten Penis sexuelle Vorgänge unter Hintanstellung sonstiger menschlicher Bezüge in grob aufdringlicher, reißerischer Weise in den Vordergrund rückt und auf die Erregung sexueller Reize abzielt (vgl. 6 C 13.01 - BVerwGE 116, 5 <18>). Eine Aufforderung zur Übersendung dieser pornographischen Schriften enthalten die Chat-Nachrichten der Zeugin B. nicht; vielmehr ist sie auf die entsprechenden Anfragen nicht eingegangen. Weil das Gesetz das unaufgeforderte Übersenden von Pornographie gerade zum Schutz vor der damit verbundenen Belästigung verbietet, ist auch eine Rechtfertigung aufgrund einer nur vermuteten Einwilligung nicht möglich (Laufhütte/Roggenbuck, LK StGB, 12. Aufl. 2009, § 184 Rn. 35).
23b) Im zweiten Fall hat der Soldat im Schwerpunkt seine außerdienstliche Wohlverhaltenspflicht nach § 17 Abs. 2 Satz 3 SG verletzt. Er hat an einem Wochenende außerhalb des Dienstes und außerhalb dienstlicher Anlagen gehandelt. Es ist auch kein funktionaler dienstlicher Zusammenhang im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 SoldGG erkennbar, sodass der Anwendungsbereich des ausdrücklichen gesetzlichen Verbots der sexuellen Belästigung durch § 7 Abs. 2 SoldGG nicht eröffnet ist (vgl. 2 WD 33.04 - Rn. 110 f. und vom - 2 WD 13.16 - juris Rn. 85 m.w.N.). Es liegt jedoch auf der Hand, dass die in § 3 Abs. 4 SoldGG beschriebene sexuelle Belästigung auch außerhalb des Dienstes grundsätzlich pflichtwidrig ist, weil ein Soldat damit das Ansehen der Bundeswehr oder die Achtung und das Vertrauen, die seine dienstliche Stellung erfordert, regelmäßig erheblich beeinträchtigt. So liegen die Dinge auch hier. Der angeschuldigte Soldat hat auch die Rekrutin W. durch sein Eindringen in ihren privaten Facebook-Kontaktbereich und durch seine unverhohlenen Aufforderungen zum Geschlechtsverkehr verbal im Sinne des § 3 Abs. 4 SoldGG sexuell belästigt. Damit hat er das dienstliche Vertrauen in seine Integrität als Vorgesetzter gravierend beeinträchtigt.
244. Bei der Bemessung der Disziplinarmaßnahme ist von der von Verfassungs wegen allein zulässigen Zwecksetzung des Wehrdisziplinarrechts auszugehen. Diese besteht ausschließlich darin, dazu beizutragen, einen ordnungsgemäßen Dienstbetrieb wiederherzustellen und/oder aufrechtzuerhalten ("Wiederherstellung und Sicherung der Integrität, des Ansehens und der Disziplin der Bundeswehr", vgl. 2 WD 11.07 - Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 26 Rn. 23 m.w.N.). Bei Art und Maß der Disziplinarmaßnahme sind nach § 58 Abs. 7 i.V.m. § 38 Abs. 1 WDO Eigenart und Schwere des Dienstvergehens und seine Auswirkungen, das Maß der Schuld, die Persönlichkeit, die bisherige Führung und die Beweggründe des Soldaten zu berücksichtigen. Im Einzelnen geht der Senat von einem zweistufigen Prüfungsschema aus:
25a) Auf der ersten Stufe ist im Hinblick auf das Gebot der Gleichbehandlung vergleichbarer Fälle sowie im Interesse der rechtsstaatlich gebotenen Rechtssicherheit und Voraussehbarkeit der Disziplinarmaßnahme eine Regelmaßnahme für die in Rede stehende Fallgruppe als Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen zu bilden. Nach der Rechtsprechung des Senats bildet bei sexuellen Belästigungen von Untergebenen durch Vorgesetzte im Dienst regelmäßig eine Herabsetzung im Dienstgrad den Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen; dies gilt auch dann, wenn das Vorgesetzten-Untergebenen-Verhältnis wie hier nur kraft Dienstgrads besteht (vgl. 2 WD 15.17 - Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 56 Rn. 32 und 48).
26b) Auf der zweiten Stufe ist zu prüfen, ob im Einzelfall im Hinblick auf die Bemessungskriterien des § 58 Abs. 7 i.V.m. § 38 Abs. 1 WDO und die Zwecksetzung des Wehrdisziplinarrechts Umstände vorliegen, die eine Milderung oder Verschärfung gegenüber der auf der ersten Stufe in Ansatz gebrachten Regelmaßnahme gebieten. Dabei ist zu klären, ob es sich im Hinblick auf die be- und entlastenden Umstände um einen schweren, mittleren oder leichten Fall der schuldhaften Pflichtverletzung handelt. Liegt kein mittlerer, sondern ein höherer bzw. niedrigerer Schweregrad vor, ist gegenüber dem Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen die zu verhängende Disziplinarmaßnahme nach "oben" bzw. nach "unten" zu modifizieren ( 2 WD 11.14 - juris Rn. 52 m.w.N. und vom - 2 WD 19.18 - juris Rn. 31). Je schwerer das Dienstvergehen wiegt, desto gewichtiger müssen die Milderungsgründe sein, die es gebieten, von der Regelmaßnahme abzusehen (vgl. 2 WD 13.14 - juris Rn. 45 m.w.N.).
27Das Dienstvergehen bewegt sich nach Art und Schwere der Rechtsverstöße im mittleren Bereich. Vom Spektrum möglicher Belästigungsformen aus betrachtet sind zwar rein verbale Belästigungen häufig im unteren Bereich anzusiedeln ( 2 WD 4.13 - Rn. 75 und vom - 2 WD 13.16 - juris Rn. 109). Für einen minder schweren Fall könnte auch sprechen, dass die Belästigungen nicht durch unmittelbare Konfrontation, sondern mittelbar durch Messenger-Dienste erfolgten. Allerdings belasten auch verbale Belästigungen, die über einen längeren Zeitraum wiederholt werden, die Betroffenen stark und sind darum nicht mehr als minder schwer zu werten (vgl. 2 WD 33.04 - juris Rn. 18 f., 70). Vergleichbar schwer wiegen die Tatumstände hier. Denn der Soldat hat zwei verschiedene Soldatinnen verbal sexuell belästigt. Er hat dies im ersten Fall über einen längeren Zeitraum wiederholt getan und er hat sich nicht auf verbale Entgleisungen beschränkt, sondern der Stabsunteroffizier B. auch Bilder pornographischen Inhalts übermittelt. Die sexuelle Belästigung erhält durch dieses strafbare Verhalten eine zusätzliche Schwere. Denn die Rechtsordnung schützt durch § 184 Abs. 1 Nr. 6 StGB auch Erwachsene davor, ohne Einverständnis mit pornographischen Bildern konfrontiert zu werden.
28c) Eine von der Regelmaßnahme abweichende mildere Disziplinarmaßnahme kommt auch nicht aus anderen Gründen in Betracht. Den mildernden Umständen stehen erschwerende Umstände von gleichem Gewicht gegenüber.
29aa) Für den Soldaten spricht seine bereits im vorgerichtlichen Verfahren gezeigte Reue und Einsicht, die auch den belästigten Soldatinnen ein Auftreten vor Gericht erspart hat. Allerdings hat der angeschuldigte Soldat sich weder selbst noch über seinen Anwalt für sein Verhalten bei ihnen entschuldigt. Seine Bereitschaft, sich außerhalb des gerichtlichen Disziplinarverfahrens insbesondere im Rahmen seiner psychotherapeutischen Behandlung auch mit seinem Fehlverhalten kritisch auseinander zu setzen, wirkt zusätzlich mildernd, hat aber nicht das Gewicht einer erfolgreich abgeschlossenen Psychotherapie ( 2 WD 22.18 - juris Rn. 39 und vom - 2 WD 14.16 - Rn. 41).
30Schuldmindernde Umstände konnten hingegen nicht festgestellt werden. Insbesondere bestehen keine zureichenden Anhaltspunkte dafür, dass der Soldat im Zustand eingeschränkter Schuldunfähigkeit nach § 21 StGB (analog) gehandelt hat. Die Annahme, der Soldat leide aufgrund eines Auslandseinsatzes im Jahr 2008 unter einer posttraumatischen Belastungsstörung, ist im Verfahren trotz Aufforderung nicht durch Vorlage ärztlicher Stellungnahmen belegt worden. In der Berufungshauptverhandlung ist der Vortrag ebenfalls ohne Nachweise dahingehend abgeschwächt worden, dass eine einsatzbedingte Anpassungsstörung vorliege. Dass und warum dadurch die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit des Soldaten zum Tatzeitpunkt eingeschränkt gewesen sein kann, ist nicht ersichtlich.
31Nicht schuldmildernd eingestellt werden kann auch das Vorliegen einer seelischen Ausnahmesituation oder einer vergleichbar belastenden schwierigen Lebensphase ( 2 WD 11.17 - juris Rn. 26, vom - 2 WD 13.18 - juris Rn. 28 und vom - 2 WD 29.18 - juris Rn. 27). Soweit das Truppendienstgericht angenommen hat, der Soldat habe sich wegen einer schmutzigen Scheidung in einer seelischen Ausnahmesituation befunden, ist dazu in der erstinstanzlichen Sitzungsniederschrift nichts festgestellt. Dafür gibt es auch sonst keine Anhaltspunkte, weil zum einen die Ehe des Soldaten bereits 2013 geschieden worden ist; die Zäsur in den persönlichen Lebensumständen liegt somit bereits drei Jahre vor den Pflichtverletzungen. Zum anderen hat der Soldat auch in der Berufungshauptverhandlung nicht ansatzweise für den Tatzeitpunkt besondere familiäre Belastungen behauptet. Er hat sich vielmehr dahingehend eingelassen, sein Verhalten sich selbst nicht erklären zu können.
32Zugunsten des Soldaten spricht aber mit erheblichem Gewicht, dass er sich in zwei schwierigen Auslandseinsätzen bewährt hat. Ferner hat er nach seiner Wegversetzung am neuen Standort unter den Belastungen des Disziplinarverfahrens überzeugende Leistungen erbracht und sie - ausweislich der Aussage seiner aktuellen Disziplinarvorgesetzten - sowohl kontinuierlich als auch erheblich gesteigert, ohne erneut disziplinarisch in Erscheinung getreten zu sein. Während er in seiner Regelbeurteilung vom Mai 2015 mit einem Durchschnittswert der Aufgabenerfüllung von "6,8" Punkten beurteilt wurde, weist seine Sonderbeurteilung vom Einzelnoten auf, die auf einen Durchschnitt von "7,8" Punkten schließen lassen. Damit liegt eine Nachbewährung als klassischer Milderungsgrund vor ( 2 WD 22.18 - juris Rn. 29 sowie vom - 2 WD 10.12 - juris Rn. 48). Ebenso spricht für den Soldaten, dass er seine privaten Lebensverhältnisse mit Hilfe seiner neuen Lebenspartnerin geordnet hat.
33bb) Den für den Soldaten sprechenden Umständen stehen außerordentlich belastende entgegen.
34Zum einen wirkt die disziplinarische Vorbelastung erschwerend. Der Soldat hat bereits eine gerichtliche Disziplinarmaßnahme in Form eines Beförderungsverbots erhalten, ohne sich davon von weiteren Dienstvergehen abhalten zu lassen. Da es bis Mitte September 2017 wirkte, ist der Soldat zudem noch während dessen Geltung erneut disziplinarisch in Erscheinung getreten. Auch wenn keine Gesetzmäßigkeit besteht, dass eine disziplinarische Vorbelastung bei einem erneuten Dienstvergehen zwingend zu einer schwereren als der zuvor verhängten Disziplinarmaßnahmeart führt ( 2 WD 15.10 - Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 33 Rn. 60), handelt es sich gleichwohl um einen Umstand, dem gemäß § 38 Abs. 2 WDO besonders belastendes Gewicht zukommt (vgl. 2 WD 9.17 - Rn. 38 und vom - 2 WD 2.19 - juris Rn. 33).
35Zum anderen hatte das Dienstvergehen in dreierlei Beziehung erhebliche negative Auswirkungen. Es wirkte sich negativ auf die Betroffenen, den Dienstbetrieb und das Ansehen der Bundeswehr aus.
36Die unter Anschuldigungspunkt 2 begangene Pflichtverletzung richtete sich gegen eine Rekrutin. Der Senat hat mehrfach betont, dass dies einen sehr belastenden Umstand bildet. Rekruten verfügen in aller Regel weder über Erfahrungen mit den Schutzmechanismen gegen Übergriffe von Vorgesetzten noch über ein hinreichendes Selbstbewusstsein zur Durchsetzung ihrer Rechte. Mit den Möglichkeiten, sich gegen Fehlverhalten von Vorgesetzten zur Wehr zu setzen, sind sie noch nicht vertraut und vor allem durch die Sorge über etwaige nachteilige Folgen einer Meldung leicht einzuschüchtern ( 2 WD 4.13 - juris Rn. 58 und vom - 2 WD 21.15 - juris Rn. 35). Der Soldat handelte hier zudem in klarem Bewusstsein der besonderen Pflichtwidrigkeit, weil er noch vor Beginn der sexuellen Belästigungen erklärt hatte, "im Sack", zu sein, wenn die Soldatin sein Verhalten publik mache.
37Das Dienstvergehen führte auch zu einer erheblichen Störung des Dienstbetriebs. Das Dienstvergehen wurde zudem in der Einheit bekannt und sorgte für Unruhe, auch wenn dies dort nicht zu Störungen der Betriebsabläufe führte. Der Soldat musste aus seiner bisherigen Verwendung herausgenommen und außerplanmäßig auf einem dienstpostenähnlichen Konstrukt verwendet werden. Damit stand er dem Dienstherrn nicht auf einem regulären, seiner Ausbildung entsprechenden Dienstposten zur Verfügung ( 2 WD 21.15 - juris Rn. 38).
38Schließlich wurde das Verhalten auch den Eltern der belästigten Soldatin und somit nach außen hin bekannt, wodurch jedenfalls das Ansehen der Bundeswehr geschädigt wurde. Ob die Pflichtverletzung darüber hinaus auch mitursächlich für das zeitnahe Ausscheiden der Soldatin W. gewesen ist, braucht nicht aufgeklärt zu werden; denn jedenfalls war das Verhalten geeignet, junge Menschen vom Dienst in der Bundeswehr abzuschrecken. Diese Eignung allein reicht für das Vorliegen eines erschwerenden Umstands aus (vgl. 2 WD 21.10 - juris Rn. 43).
39Nach allem wäre die im Regelfall vorgesehene Dienstgradherabsetzung, hier um einen Dienstgrad, ohne Einschränkung tat- und schuldangemessen.
403. Zugunsten des Soldaten ist allerdings zu berücksichtigen, dass die Dauer des Gerichtsverfahrens unangemessen lang war und dadurch die Verfahrensgarantie des Art. 6 EMRK und den Grundsatz effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) verletzte. Dies begründet einen Milderungsgrund bei solchen Disziplinarmaßnahmen, die wie eine Herabsetzung im Dienstgrad der Pflichtenmahnung dienen. Denn das Verfahren als solches wirkt bereits belastend und ist deshalb mit Nachteilen verbunden, die das Sanktionsbedürfnis mindern können ( 2 WD 1.18 - Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 58 Rn. 42).
41Ob die Dauer eines Verfahrens noch angemessen ist, ist unter Berücksichtigung der Umstände des Falls, unter Berücksichtigung seiner Schwierigkeit, des Verhaltens des Betroffenen und der zuständigen Behörden und Gerichte sowie der Bedeutung des Rechtsstreits für den Betroffenen zu bemessen (vgl. § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG). Hier ist eine Einzelfallprüfung ohne feste Zeitvorgaben oder abstrakte Orientierungs- bzw. Anhaltswerte erforderlich. Im Zusammenhang mit der Verfahrensführung durch das Gericht ist zu berücksichtigen, dass die Verfahrensdauer in einem Spannungsverhältnis zur richterlichen Unabhängigkeit (Art. 97 Abs. 1 GG) und zum rechtsstaatlichen Gebot steht, eine inhaltlich richtige Entscheidung zu treffen. Bei der Verfahrensgestaltung kommt dem Gericht deshalb ein Spielraum zu. Verfahrenslaufzeiten, die durch die Verfahrensführung des Gerichts bedingt sind, führen deshalb nur dann zu einer unangemessenen Verfahrensdauer, wenn sie auch bei Berücksichtigung des gerichtlichen Gestaltungsspielraums sachlich nicht mehr zu rechtfertigen sind (vgl. 2 WD 4.17 - juris Rn. 40 ff. m.w.N.).
42Nach diesen Maßgaben war das etwa 18 Monate dauernde erstinstanzliche Verfahren nicht überlang. Zwar waren die rechtlichen Fragen zur Ahndung sexueller Belästigungen höchstrichterlich bereits geklärt und die Sachlage war wegen der geständigen Einlassung des Soldaten einfach gelagert. Auch hatte das Verfahren für die weitere berufliche Entwicklung des Soldaten eine erhebliche Bedeutung. Unter regulären Umständen konnte darum auch bei Berücksichtigung des richterlichen Gestaltungsspielraums eine Entscheidung binnen eines Jahres erwartet werden. Im vorliegenden Fall wurde das disziplinargerichtliche Verfahren jedoch bereits ein halbes Jahr vor Abschluss des vorgreiflichen Strafverfahrens anhängig gemacht. In dieser Zeit durfte das Truppendienstgericht den Ausgang des strafgerichtlichen Verfahrens wegen des Vorwurfs der unaufgeforderten Verbreitung von pornographischen Bildern abwarten (vgl. § 83 Abs. 1 Satz 1 WDO). Nachdem das Strafverfahren im November 2017 von der Staatsanwaltschaft eingestellt wurde, hat das Truppendienstgericht binnen eines Jahres entschieden.
43Das Berufungsverfahren war allerdings um rund drei Monate überlang. Bei der Berechnung der Dauer des Berufungsverfahrens ist der Zeitraum von der Einlegung der Berufungsschrift beim Truppendienstgericht bis zur Entscheidung des Berufungsgerichts anzusetzen. Dies gilt unabhängig davon, wann die Berufungsakten vom Truppendienstgericht über den Bundeswehrdisziplinaranwalt nach § 119 Satz 2 WDO dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegt werden. Denn auch die Bearbeitungs- und Postlaufzeiten beim Truppendienstgericht und beim Bundeswehrdisziplinaranwalt sind dem Staat zuzurechnen und unterliegen dem Beschleunigungsgebot des § 17 Abs. 1 WDO.
44Im vorliegenden Fall hat das Berufungsverfahren seit Einlegung der Berufung am bis zur Berufungsentscheidung Anfang März 2020 rund 15 Monate gedauert; da angesichts der Bedeutung der Sache wie ausgeführt im vorliegenden Fall mit einer Entscheidung innerhalb eines Jahres zu rechnen gewesen wäre und der Soldat nicht zur Verzögerung des Verfahrens beigetragen hat, weist das Berufungsverfahren etwa drei Monate Überlänge auf. Geschuldet war dies einerseits einer etwa zweimonatigen Aktenübersendungsdauer und andererseits einer längeren Unterbesetzung des Zweiten Wehrdienstsenats im vergangenen Jahr, die eine frühere Bearbeitung nicht zugelassen hat. Dies sind Umstände, auf die der Soldat keinen Einfluss nehmen konnte und die dem Staat zuzurechnen sind.
45Da die Überlänge allerdings noch nicht beträchtlich ist und auch keine weiteren besonderen Milderungsgründe vorliegen, ist nicht von der Degradierung abzusehen; weil der Soldat nach seinen von den Disziplinarvorgesetzten bestätigten Einlassungen unter der Dauer und den Belastungen des Verfahrens besonders gelitten hat, ist die Überlänge des Verfahrens ein Grund, die Frist zur Wiederbeförderung nach § 62 Abs. 3 Satz 3 WDO auf das gesetzliche Mindestmaß herabzusetzen.
464. Da die Berufung der Wehrdisziplinaranwaltschaft erfolgreich ist, hat der Soldat die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zu tragen, § 139 Abs. 1 Satz 2, Halbs. 1 WDO. Die Verkürzung der Wiederbeförderungsfrist betrifft eine Nebenentscheidung und ist angesichts des erfolgreichen Berufungsbegehrens nicht von Gewicht. Es besteht daher kein Anlass, die dem Soldaten im Berufungsverfahren erwachsenen notwendigen Auslagen aus Billigkeitsgründen nach § 140 Abs. 2 Satz 1 WDO dem Bund aufzuerlegen (vgl. 2 WD 37.12 - juris Rn. 59).
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2020:040320U2WD3.19.0
Fundstelle(n):
HAAAH-49558