"cum/ex-Verfahren": Mehrfache Erstattung von nur einmal gezahlter Kapitalertragsteuer ausgeschlossen"
Leitsatz
1) Die Erstattung von Kapitalertragsteuer gemäß § 50d Abs. 1 Satz 2 EStG setzt voraus, dass der Kläger der Gläubiger der Kapitalerträge
ist und die Kapitalertragsteuer einbehalten und abgeführt wurde.
2) Gläubiger der Kapitalerträge ist der zivilrechtliche Eigentümer oder der wirtschaftliche Eigentümer der Wertpapiere.
3) Bei außerbörslichen Aktiengeschäften geht das wirtschaftliche Eigentum an den Aktien erst im Zeitpunkt der Belieferung
auf den Aktienkäufer über. Die zum Inhaberkauf ergangene Rechtsprechung des ),
wonach für über die Börse abgeschlossene Aktiengeschäfte der Übergang des wirtschaftlichen Eigentums aufgrund der Börsenusancen
bereits zum Zeitpunkt des Abschlusses des schuldrechtlichen Aktienkaufvertrages erfolgt, betrifft nur Verkäufe über die Börse
durch einen privaten Bestandsverkäufer. Sie ist nicht auf außerbörsliche, sog. over-the-counter (OTC) Geschäfte übertragbar.
Denn zwischen dem börslichen und dem außerbörslichen (OTC-)Handel bestehen derartige Unterschiede, dass eine Übertragung der
Grundsätze zum börslichen Handel nicht gerechtfertigt ist. Die Börsenmechanismen, die dem börslichen Handel anhaften und die
der BFH seinem Urteil vom (I R 29/97, BStBl II 2000, 527) zugrunde gelegt hat, gelten nicht gleichermaßen
im außerbörslichen (OTC-)Handel. Weder aus dem ) noch aus der Gesetzesbegründung zum
Jahressteuergesetz 2007 (BT-Drucks. 16/2712) ist etwas anderes abzuleiten.
4) 4. Ungeachtet dessen hat der BFH in seinem Urteil vom (I R 2/12, BFH/NV 2014, 1813) jedenfalls herausgestellt,
dass – unabhängig von der Frage, ob bei außerbörslichen Geschäften grundsätzlich bereits mit Vertragsschluss wirtschaftliches
Eigentum erworben werden kann – das für die Zuweisung wirtschaftlichen Eigentums maßgebende „Gesamtbild der tatsächlichen
Verhältnisse im jeweiligen Einzelfall” (z. B. , BStBl. II 2012, 318) dazu führt, dass
jedenfalls ein modellhaft aufgelegtes Gesamtvertragskonzept dem Erwerb von wirtschaftlichem Eigentum vor dem Dividendenstichtag
– mit Blick auf § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG oder zu einem späteren Zeitpunkt mit Blick auf § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 i.V.
m. Satz 4 EStG – von vornherein entgegensteht. Ein solches den Erwerb von wirtschaftlichem Eigentum jedenfalls hinderndes
Gesamtvertragskonzept liegt etwa vor, wenn die Wertpapiererwerbe im untrennbaren Zusammenhang mit Finanzierungs-, Wertpapierleih-
und (Total-Return-) Swapgeschäften sowie einem kurzfristigen Rückverkauf stehen, denn dann ist eine nennenswerte Inanspruchnahme
der mit dem Innehaben der Wertpapiere verbundenen Rechte durch den Erwerber ausgeschlossen und es liegt ein bloßer Durchgangsverkehr
vor (vgl. , BFH/NV 2014, 1813).
5) Auch bei börslichen Geschäften über den zentralen Kontrahenten (Central Counterparty, CCP) erfolgt ein Übergang des wirtschaftlichen
Eigentums nicht bereits mit Abschluss der schuldrechtlichen Verträge. Da der Zentrale Kontrahent über keinen eigenen Aktienbestand
verfügt, ist er im Zeitpunkt des Vertragsschlusses stets Leerverkäufer. Deshalb geht das wirtschaftliche Eigentum erst im
Zeitpunkt der Lieferung der Aktien über.
6) Ist der Verkäufer im Zeitpunkt des Kaufabschlusses nicht selbst Inhaber der verkauften Wertpapiere (sog. Leerverkäufer),
kann der (Leer-)Käufer mit Abschluss des schuldrechtlichen Aktienkaufvertrages nicht das wirtschaftliche Eigentum erwerben.
Es ist nicht denkbar, dass der Leerkäufer den Aktieninhaber als zivilrechtlichen Eigentümer dauerhaft von einer Einwirkung
auf die Aktien ausschließt, denn der Leerkäufer steht in keinerlei vertraglicher oder sonstiger Beziehung zum Anteilseigner
und hat demzufolge auch keinerlei Möglichkeit den Anteilseigner von der Einwirkung auf das Wirtschaftsgut auszuschließen.
Der Leerverkäufer hat bei Kaufabschluss kein wirtschaftliches Eigentum an den Aktien, das auf den Käufer übergehen könnte.
Dem steht das ) nicht entgegen, da dieses einen Inhaberverkauf und nicht einen
Leerverkauf betraf. Auch der Gesetzesbegründung zum JStG 2007 ist im Ergebnis nichts anderes zu entnehmen.
7) Paralleles mehrfaches wirtschaftliches Eigentum, also eine Vervielfältigung des wirtschaftlichen Eigentums an der gleichen
Aktie, ist nicht möglich. Dies würde sowohl dem inneren System des Zivilrechts als auch dem des Steuerrechts, sowie dem Wortlaut
des § 39 AO widersprechen. Weder das ) noch die Gesetzesbegründung zum Jahressteuergesetz
2007 stehen dem entgegen.
8) Ungeachtet dessen, dass nach Überzeugung des Senats Aktienerwerbe über den Zentralen Kontrahenten an der Börse Erwerbe
vom Leerverkäufer darstellen, ist im Streitfall zudem nicht auszuschließen, dass der Kläger – blendet man den Zentralen Kontrahenten
aus – in der „Erwerbskette” und bei einer Durchgriffsbetrachtung auch ganz konkret von einem Leerverkäufer erworben hat. Dies
hat zur Folge, dass das wirtschaftliche Eigentum auch insoweit nicht mit dem Abschluss des schuldrechtlichen Vertrages übergegangen
ist.
9) Gemäß den allgemeinen Regeln zur objektiven Feststellungs- und Beweislast obliegt es dem Aktienkäufer bei Geschäften über
den zentralen Kontrahenten zum Nachweis des Erwerbs wirtschaftlichen Eigentums als Voraussetzung der Kapitalertragsteuererstattung,
den Aktienverkäufer zu benennen, der an den zentralen Kontrahenten geliefert hat. Bleibt ungeklärt, ob es sich um einen Inhaberverkäufer
oder um einen Leerverkäufer handelt, ist die Erstattung zu versagen.
10) § 50d Abs. 1 Satz 2 EStG fordert, dass die Kapitalertragsteuer einbehalten und abgeführt wurde. Es reicht nicht aus, dass
„irgendeine” Kapitalertragsteuer einbehalten und abgeführt wurde. Vielmehr muss sie für Rechnung des Gläubigers der Kapitalerträge
einbehalten und abgeführt worden sein.
11) Dabei hat ein Aktienkäufer bei außerbörslichen (over-the-counter, OTC) Aktiengeschäften oder börslichen Aktiengeschäften
über den zentralen Kontrahenten um den Dividendenstichtag, die cum Dividende abgeschlossen und ex Dividende beliefert werden,
keinen Anspruch auf Anrechnung der vom Emittenten auf die originäre Dividende erhobenen Kapitalertragsteuer.
12) Auf Dividendenkompensationszahlungen im Leerverkauf wurde bis zum Jahre 2007 keine Kapitalertragsteuer einbehalten und
abgeführt. Zum führte der Gesetzgeber mit dem Jahressteuergesetz 2007 eine Regelung in das Einkommensteuergesetz
ein, die die Einbehaltung und Abführung von Kapitalertragsteuer bei Dividendenkompensationszahlungen im Leerverkauf sicherstellen
sollte. Bei einer Beteiligung von Auslandsbanken deuten die Umstände regelmäßig darauf hin, dass ein solcher Steuerabzug nicht
stattgefunden hat. Ein ausländisches Kreditinstitut oder Finanzdienstleistungsinstitut ist gerade nicht gemäß § 44 Abs. 1
Satz 3, 3. Alt. EStG verpflichtet, Kapitalertragsteuer auf die Kompensationszahlung einzubehalten und abzuführen. Dann ist
genau der Fall gegeben, der auch nach der im Jahre 2007 in Kraft getretenen Regelung der Dividendenkompensationen nicht zur
Einbehaltung und Abführung von Kapitalertragsteuer führte.
13) Die Ansicht, der Gesetzgeber habe durch die neuen Regelungen im Jahressteuergesetz 2007 eine mehrfache Anrechnung der
Kapitalertragsteuer bewusst in Kauf genommen und habe die negativen Auswirkungen auf das Steueraufkommen durch die Gesetzesänderungen
– wie sich aus der Gesetzesbegründung ergebe – nur verkleinern wollen, ist nicht haltbar.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n): AG 2020 S. 229 Nr. 6 BB 2020 S. 149 Nr. 4 BB 2020 S. 666 Nr. 12 DB 2019 S. 15 Nr. 30 DB 2020 S. 15 Nr. 4 DStR 2020 S. 8 Nr. 19 DStRE 2020 S. 713 Nr. 12 DStZ 2020 S. 185 Nr. 6 EFG 2020 S. 367 Nr. 5 EStB 2020 S. 277 Nr. 7 ErbStB 2020 S. 128 Nr. 5 IStR 2020 S. 178 Nr. 5 NWB-EV 2019 S. 287 Nr. 8 NWB-EV 2019 S. 323 Nr. 9 NWB-EV 2020 S. 63 Nr. 2 WM 2020 S. 371 Nr. 8 ZIP 2019 S. 58 Nr. 30 ZIP 2020 S. 217 Nr. 5 ZAAAH-40784
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