BGH Beschluss v. - 1 StR 203/19

Berücksichtigung nicht abgeurteilter Straftaten bei Prognoseentscheidung

Gesetze: § 56 Abs 1 StGB

Instanzenzug: LG Mannheim Az: 620 Js 37835/10 - 23 KLs

Gründe

1Das Landgericht hatte die Angeklagte in einem ersten Rechtsgang wegen Steuerhinterziehung in 26 Fällen sowie Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in 33 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und vier Monaten verurteilt. Dieses Urteil hat der Senat auf Revision der Angeklagten im Gesamtstrafenausspruch aufgehoben und die Sache insoweit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. Im zweiten Rechtsgang hat das Landgericht nunmehr gegen die Angeklagte eine Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten verhängt, deren Vollstreckung es nicht zur Bewährung ausgesetzt hat.

2Die Angeklagte beanstandet den Strafausspruch mit ihrer auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat hinsichtlich der Versagung der Strafaussetzung zur Bewährung Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

31. Die Bildung der Gesamtstrafe gemäß § 54 StGB weist keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten auf. Demgegenüber hält die Versagung der Strafaussetzung zur Bewährung (§ 56 StGB) rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

4Zwar kommt dem Tatrichter bei der Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung ein weiter Beurteilungsspielraum zu, in dessen Rahmen das Revisionsgericht jede rechtsfehlerfrei begründete Entscheidung hinzunehmen hat (vgl. Rn. 20 und vom - 1 StR 519/00 Rn. 10; Claus in Satzger/Schluckebier/Widmaier, StGB, 4. Aufl., § 56 Rn. 49 ff. mwN). Die Prognoseentscheidung des Landgerichts, aufgrund derer es für die Angeklagte keine günstige Sozialprognose im Sinne des § 56 Abs. 1 StGB festzustellen vermochte, ist jedoch nicht frei von Rechtsfehlern.

5Dabei ist zunächst zu besorgen, dass das Landgericht mit der Formulierung, die Angeklagte habe auch nach der Entlassung aus der Untersuchungshaft in Frankreich im Jahr 2012 „die bisherigen Betätigungen im Großen und Ganzen fortgesetzt“ (UA S. 11), in die Prognoseentscheidung eingestellt haben könnte, die Angeklagte habe noch weitere nicht abgeurteilte Straftaten begangen. Die Berücksichtigung weiterer Straftaten bei der Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung zum Nachteil eines Angeklagten ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zwar zulässig; dies gilt allerdings nur, wenn diese Taten prozessordnungsgemäß und so bestimmt festgestellt sind, dass sie in ihrem wesentlichen Unrechtsgehalt abzuschätzen sind und eine unzulässige Berücksichtigung des bloßen Verdachts der Begehung weiterer Straftaten ausgeschlossen werden kann (vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom - 2 StR 117/17 Rn. 5; vom - 4 StR 139/12 Rn. 8 und vom - 4 StR 56/87 Rn. 5). An entsprechend konkreten Feststellungen zu etwaigen Steuerhinterziehungen oder Straftaten nach § 266a StGB fehlt es hier jedoch.

6Als durchgreifend rechtsfehlerhaft erweist es sich, dass das Landgericht bei der Prognoseentscheidung nicht ausreichend berücksichtigt hat, dass die Vermietung sogenannter Terminwohnungen durch die Angeklagte und ihren Ehemann im Februar 2018 beendet wurde. Das Landgericht hat - im Hinblick auf die weitere Lebensführung nach der (letzten) Tatbegehung - einen für die Angeklagte ungünstigen Umstand darin gesehen, dass diese gemeinsam mit ihrem Ehemann nach Februar 2018 ein Objekt in P.       an eine Person vermietete, die dieses über Untermietverhältnisse Prostituierten überließ. Letztlich hebt das Landgericht damit auf einen weiter bestehenden Kontakt der Angeklagten zum Prostituiertenmilieu ab. Diesem Umstand kommt für sich genommen aber kein prognoserelevanter Aussagegehalt zu.

7Auch die ergänzenden Erwägungen im Rahmen der Prüfung, ob § 56 Abs. 2 StGB einer Strafaussetzung zur Bewährung entgegensteht, tragen die Entscheidung nicht, da die Strafkammer auch insoweit maßgeblich auf die Verneinung der günstigen Sozialprognose abgehoben hat.

82. Einer Aufhebung von Feststellungen bedarf es nicht (§ 353 Abs. 2 StPO). Das Landgericht kann weitere Feststellungen treffen, die mit den bisherigen nicht in Widerspruch stehen.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2019:270619B1STR203.19.1

Fundstelle(n):
VAAAH-34544